Karl Lauterbach sitzt bereits seit 2005 im Bundestag. Er war seit Beginn der 2000er Befürworter des Fallpauschalensystems, das mit dem DRG-System (Diagnose Related Groups) für jede Krankenhausbehandlung einen fallbedingten Festpreis vorsieht. Zusammengenommen mit den Privatisierungen und der Profitorientierung der Krankenhäuser ist die Konsequenz dieses Systems, dass Patienten zunehmend nicht mehr menschenwürdig und bedürfnisorientiert behandelt werden können. Stattdessen durchlaufen sie wie am Fließband einen Prozess der Massenabfertigungen. Krankenbetten und Krankenhäuser werden geschlossen, Personal abgebaut, Arbeitshetze, Druck und psychische Belastungen für Beschäftigte steigen. Die flächendeckende Anwendung des Fallpauschalensystems erfolgte 2003 unter der SPD-geführten Bundesregierung (Kabinett Schröder II), die mit Ulla Schmidt (SPD) die Gesundheitsministerin stellte, deren engster Berater Lauterbach war. Er ist damit direkt an der aktuellen dramatischen Situation in den Krankenhäusern mitverantwortlich.
Ablenkungsmanöver enttarnt
Mit Zuckerbrot und Peitsche versuchten die Regierungen die Impfrate hochzutreiben. Denn sie waren verzweifelt darüber, dass die Beschäftigten in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen in der Pandemie weit über ihre Grenzen hinaus strapaziert werden würden und möglicherweise das Gesundheitssystem kollabiert. Über ein halbes Jahr haben die bürgerlichen Medien sowie die neue Ampel-Regierung die Verantwortung für die sich hinziehende Pandemie auf die Ungeimpften abgeschoben. Ein zynisches Manöver, um ihre völlig auf die Interessen des Kapitals ausgerichtete Politik zu verschleiern. Sie zwangen der Bevölkerung eine irreführende und spalterische Diskussion über eine „Impfpflicht“ auf. Als es aber darum ging, die hochgelobte Impfpflicht einzuführen, verschwanden die großen Fürsprecher in der Versenkung. Scholz zog es vor, statt als Kanzler nur als „einfacher Bundestagsabgeordneter“ in der Debatte für eine Impfpflicht zu argumentieren. Karl Lauterbach lehnte es ab, als Gesundheitsminister einen eigenen Gesetzesentwurf einzubringen. Ihnen und vielen anderen ging es darum, ihr Gesicht zu wahren. Denn es war von Beginn an klar, dass eine Impfpflicht völlig nutzlos, weil nicht umsetzbar ist.
Dass die Debatte um die Impfpflicht ein Ablenkungsmanöver und der Versuch war, die Impfrate durch angedrohten Zwang nach oben zu treiben, zeigt das Ausscheren des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Die Umsetzung der Einrichtungsbezogenen Impfpflicht für Beschäftigte in Einrichtungen des Gesundheits- und Pflegebereichs steht nun im Raum. Bundestag und Bundesrat hatten dieses Gesetz beschlossen. Aber nun stellt sich die bayrische Landesregierung um Söder (einer der vormals lautstarken Befürworter der Impfpflicht) gegen die Umsetzung in Bayern. Der angedrohte Zwang hat nicht dazu geführt, dass die Impfbereitschaft unter den ausgewählten Berufsgruppen gestiegen ist. Nun hat die Landesregierung offensichtlich Angst, dass nicht-geimpfte Pflegekräfte sich aus Protest gegen die Impfung aus den Pflegeberufen zurückziehen könnten.
Das eine sagen, das andere tun
Söder und Co. argumentieren, dass sich die Situation mit Omikron geändert habe. Die Einschätzung der Omikron-Variante als „Game changer“ ist völlig falsch. Wissenschaftler warnen eindringlich davor, dass die sogenannte „endemische Phase“ nur eine „Wahnvorstellung“ sei, wie das Science Magazin am 15. Februar berichtete. In Wirklichkeit ist das Gerede darüber der Versuch, die erschöpfte Bevölkerung mit Illusionen zu beruhigen. Das wissen auch Karl Lauterbach und alle anderen Politiker. Am 16. Februar sagte Karl Lauterbach in der Talkshow „Anne Will“ am Sonntag vor dem Bund-Länder-Gipfel: „Wir haben ein Virus, das ansteckender und gefährlicher als die Grippe ist. Die Idee, dass das jetzt immer harmloser und demnächst eine Erkältungskrankheit wird, das ist eine ganz gefährliche Legende. Das mag in dreißig, vierzig Jahren so sein, aber nicht für die nächsten zehn Jahre.“ Er warnte vor einer verfrühten Lockerung, ansonsten drohten bis zu fünfhundert Tote täglich. Diese Einschätzung bestätigen die Nachbarländer, die bereits vor einigen Wochen gelockert haben. Obwohl ihre Bevölkerungen höhere Impfquoten aufweisen, sind die Todeszahlen in Dänemark, Großbritannien oder Spanien höher als in Deutschland. Trotzdem hat sich der Gesundheitsminister Lauterbach als Hauptverantwortlicher der Pandemiebekämpfung für die Aufhebung der Schutzmaßnahmen ausgesprochen.
So haben sich die Ampel-Regierung und die Ministerpräsidenten der Länder am 17. Februar auf dem bisherigen Höhepunkt der Omikron-Welle darauf geeinigt, bis zum 20. März alle verbleibenden Maßnahmen mit Ausnahme der Maskenregelungen zu beseitigen. Die Öffnungspolitik gaukelt der Bevölkerung, ein baldiges Ende der Pandemie vor und auch, dass die Krankenhäuser nicht mehr überlastet werden würden. Eine solche Sichtweise verkennt die in Deutschland nach wie vor große Zahl Ungeimpfter, die auch mit der Omikron-Variante einem enormen Risiko ausgesetzt sind. Im Vergleich zu den früheren Wellen müssen zwar, dank der Impfungen, weniger Infizierte ins Krankenhaus, dennoch steigt die Zahl der Klinikaufnahmen an.
In diesem Sinne stellt auch die jüngste Stellungnahme des Expertenrates der Bundesregierung, dem Wissenschaftler und andere Regierungsberater angehören, fest, dass die „anzustrebende dauerhafte Rücknahme aller staatlich verordneten Infektionsschutzmaßnahmen und das Erreichen eines postpandemischen Zustands“ eng mit „einer hohen Impfquote“ verbunden ist. Er warnte vor einer wachsenden „Intensivbelegung der Altersgruppe über 60 Jahre“, der „Verbreitung neuer Virusvarianten“ und einem Verlauf der Pandemie, der „nicht präzise vorhergesagt werden“ könne. Durch die „vermutlich noch leichter übertragbare“ Omikron-Untervariante BA.2 müsse mit einer „verlängerten bzw. wieder ansteigenden Omikron-Welle“ gerechnet werden. „Im Rahmen etwaiger Öffnungsschritte“ würden „ungeimpfte und ältere Menschen mit einem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf verstärkt in das Infektionsgeschehen einbezogen“ – spätestens im Herbst sei mit weiteren großen „Infektionswellen“ zu rechnen.
Schäden auf Lebenszeit
Die Überlastung des Gesundheitssystems ist also trotz anderes verlautbarenden Aussagen nicht vom Tisch, wie aktuell das Beispiel Israel zeigt, wo weitgehende Öffnungen bei einer ähnlichen Impfquote die Krankenhausbelegungen auf neue Höchststände treiben. Zudem ist der Öffnungskurs der Regierung, der auf eine vollständige Durchseuchung hinausläuft, völlig blind dafür, dass Infektionskrankheiten neurologische und andere Auswirkungen haben können, die Langzeit- und manchmal irreversible Folgen haben. Long COVID demonstriert, dass Epidemien in biologischer, psychologischer und sozialer Hinsicht einen langen Atem haben. Zu den anhaltenden Auswirkungen von COVID-19 wurden bis zu 200 Symptome in zehn Organsystemen, darunter Haut, Gehirn, Herz und Darm, gemeldet. Zu den wiederkehrenden Kernsymptomen gehören Mobilitätsverlust, Lungenanomalien, Müdigkeit sowie kognitive und psychische Probleme. Die bleibenden Organschäden und Behinderungen, die die Infektion mit dem Corona-Virus bei vielen nach sich zieht, werden ganze Schichten von Generationen auf Lebenszeit oder für lange Lebensabschnitte schädigen.
In dieser Hinsicht wird nochmal besonders deutlich, wie das Handeln der Regierungen seit zwei Jahren die Gesundheit der Bevölkerung eben nicht interessiert. Mit der bereits begonnen Durchseuchungsstrategie und den anstehenden Lockerungen werden sie nur noch größeres Leid für eine gewaltige Masse von Menschen bringen werden, insbesondere der Kinder. Diese werden wiederum ein immer fragileres Gesundheitssystem vorfinden, das ihnen nicht die nötige Behandlung wird zugutekommen lassen können.
Profite, Patente, Parasiten
Während die Pharmakonzerne Milliardenprofite mit der Impfstofflieferung in Industrieländer gemacht haben, wurden die Länder der sogenannten „3. Welt mit völlig unzureichenden Impfstofflieferungen sich selbst überlassen. Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten horten die Impfdosen bis zum Verfallsdatum und haben nach Angaben von Oxfam bereits 55 Millionen Dosen entsorgt. Eine Patentfreigabe wurde von denselben Regierungen aktiv verhindert, die jetzt die „Solidarität“ der Ungeimpften erzwingen wollen. Allein BioNTech hat im letzten Jahr Milliarden Gewinne gemacht. Die Einnahmen durch die Lizenzgebühren, die das Unternehmen für die Produktion von Impfstoffen an andere Unternehmen vergibt, haben das deutsche BIP nach Angaben von Destatis im vergangenen Jahr insgesamt um 0,5 Prozentpunkte erhöht. Das erklärt auch den Meinungsumschwung des Vizekanzlers und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck. In einer Pressekonferenz erklärte er, dass er nicht mehr für die Offenlegung der Impfpatente sei – im Mai 2020 war er noch anderer Meinung.
Abschließend ist klar, dass eine Pandemie einer Infektionskrankheit nur weltweit bekämpft werden kann. Wenn in Deutschland und anderen europäischen Ländern die Hoffnung steigt, dass das Schlimmste überstanden sei, dann kann das Virus anderswo auf der Welt mutieren und sich weiterverbreiten, so wie seinerzeit in Afrika Omikron entstand. Egal wie entspannt die Lage aussehen mag, eine neue Mutation kann alles durcheinanderbringen, wenn der Kampf gegen das Virus nicht international geführt wird. Das Privateigentum an den großen Konzernen und die Zersplitterung in Nationalstaaten, also das, was den Kapitalismus ausmacht, sind die entscheidenden Hindernisse im Kampf gegen die Pandemie. Die einzige Lösung der Pandemie liegt im weltweiten Klassenkampf gegen die Kapitalisten und ihre Regierungen, für eine sozialistische Planwirtschaft, für die politische Macht in den Händen der Arbeiterklasse und eine weltweite Föderation von Räterepubliken.
(aus: der funke Nr. 131)
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