Kategorie: Deutschland |
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Viele kennen ihre Rechte nicht |
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Interview mit Martina Ahrens, kommissarische Sprecherin der Linkspartei, Kreisverband Mainz-Bingen. Sie nahm am Dienstag am Happening vor der Mainzer Staatskanzlei teil, zu dem u.a. das Erwerbslosenforum Deutschland sowie Gliederungen von Linkspartei und WASG aufgerufen haben. | |||
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Du hast am Dienstag an dem Happening vor der Mainzer Staatskanzlei teilgenommen. Aus welcher persönlichen Erfahrung und Betroffenheit heraus? Nach der neuen Statistik stehen 144.400 registrierten Arbeitssuchenden in Rheinland-Pfalz nur 22.011 offene Stellen gegenüber, und davon sind auch noch 7.199 Ein-Euro-Jobs. Daher ist es zynisch, wenn der Ministerpräsident behauptet, man müsse sich nur waschen und rasieren, und dann habe man innerhalb von drei Wochen einen Job. Das kann ich als betroffene Arbeitssuchende so nicht stehen lassen! Ein Ministerpräsident hat Beziehungen und kann einer einzelnen Person eine Arbeit verschaffen. Aber nun ist er in der Pflicht, uns allen einen angemessenen Arbeitsplatz zu vermitteln. Unter uns sind viele Facharbeiter, Sekretärinnen, Akademiker. Nahezu alle Berufsgruppen sind betroffen. Herr Beck hat die Unterschichtendebatte ins Leben gerufen und kommt nun zu dem Schluss, er habe versucht, mit Henrico Frank das abgehängte „Prekariat“ wieder einzugliedern, aber diese Menschen seien nicht in der Lage, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen. Hast Du Dich in der Staatskanzlei um eine Anstellung beworben? Wir haben unsere Bewerbungsmappen übergeben, und jetzt werden wir ja sehen, wie viele Arbeitsplätze Beck wirklich vermitteln kann. Er ist nun in der Pflicht. Wir können nicht zulassen, dass mit einer „Faulenzerdebatte“ von der katastrophalen Arbeitsmarktpolitik im Land und im Bund abgelenkt wird. Ich betreibe jeden Tag Körperpflege und bin trotzdem schon seit einiger Zeit ohne Job. Ich kriege nur Absagen, ohne dass ich je zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde, und das hat weder mit meiner Körperpflege noch mit meiner beruflichen Qualifikation zu tun, sondern nur mit dem Arbeitsplatzmangel. Arbeit wäre genügend da, auch im öffentlichen Sektor, aber keiner will sie bezahlen. Eigentlich hätte der Termin in der Mainzer Staatskanzlei schon am 19. Dezember stattfinden sollen, doch dann sagte der Wiesbadener Erwerbslose Henrico Frank den ihm von Kurt Beck angebotenen Termin kurzfristig ab. War dies klug? Nein, das war alles andere als klug. Offensichtlich wurde Herr Frank von seiner „Pressesprecherin“ falsch beraten. Dies hat der Sache enorm geschadet und alle Erwerbslosen in Mißkredit gebracht. Man kann nicht etwas einfordern und dann kneifen. Wenn einem dann Hilfe und Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, sollte man dem auch nachgehen. Ansonsten macht man sich unglaubwürdig und gibt der Sache einen schlechten Beigeschmack. Aber manche Kritiker befürchten, dass die ganze Aktion letztlich nur Kurt Beck zu Gute kommt und Illusionen in seine Politik weckt. Es kommt darauf an, wie wir die Sache angehen und die verfehlte Politik aufdecken und die Ignoranz der Regierung und der herrschenden Klasse benennen. Es geht nicht an, dass aufgrund der Hetzkampagnen gegen Hartz IV- Empfänger die wirklichen, von der Politik gemachten Probleme unter den Teppich gekehrt werden, die die gesamte Bevölkerung spalten und Arbeitnehmer gegen Erwerbslose ausspielen. Die Probleme betreffen die gesamte Gesellschaft. Arbeitnehmer und Erwerblose sitzen in einem Boot und können nur erfolgreich zusammen rudern und nicht jeder gegen jeden. Solange wir uns spalten und gegeneinander aufhetzen lassen, haben die Herrschenden leichtes Spiele, weitere sogenannte „Reformen“ gegen uns einzuleiten. Die Sozialgerichtsverfahren sollen mit enormen Gebühren belegt werden. Somit soll den Hartz IV-Empfängern mangels Geld die Möglichkeit genommen werden, sich gegen Fehlbescheide zu wehren. Das entsprechende Gesetz ist schon vom Bundesrat beschlossen und soll wohl noch 2007 durch den Bundestag legitimiert werden.
Mit welchen Forderungen zur Bekämpfung der Massenerwerbslosigkeit willst Du im neuen Jahr an die Öffentlichkeit gehen? Allein durch die Nichterhöhung der Regelsätze und die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird die große Koalition bis 2009 über 11% zusätzliche Verarmung produzieren. Wir fordern einen armutsfesten Mindestlohn, 8 Euro Stundenlohn sofort, eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden mit Lohn- und Personalausgleich sowie die Erhöhung des ALG II-Regelsatzes auf 500 Euro, damit den Betroffenen eine kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe möglich ist. Alle 1-Euro-Jobs müssen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden.
Die Linkspartei Mainz-Bingen bietet regelmäßige Hartz IV-Information an. Welche Erfahrungen wurden dabei gesammelt? Dieses Engagement ist für die betroffenen Menschen sehr wichtig, denn viele kennen ihre Rechte nicht und haben Angst vor den Formalitäten. Im Mainzer Jobcenter herrschen zur Zeit desolate Zustände. Anträge werden nicht entgegen genommen. Menschen werden manchmal mit Androhung von Polizei abgewiesen. Andere werden mit Windelpaketen und Einkaufsgutscheinen abgespeist. Das Jobcenter ist offensichtlich personell überlastet und die Leidtragenden sind die Betroffenen, denn neben ihrem Arbeitsplatz verlieren sie auch noch die Menschenwürde. Die Menschen müssen wissen, daß sie einen rechtlichen Anspruch auf ALG II haben. Sie sollten dieses Recht auch wahrnehmen. |