Kategorie: Deutschland |
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Wasch- und Frisier-Happening in Mainz: Hartz IV durch Beck V ergänzen |
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Auf den Tag genau drei Wochen nach der Zusage des SPD-Vorsitzenden und rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, er könne einem frisch gewaschenen und rasierten Erwerbslosen in dieser Frist einen Arbeitsplatz besorgen, war die Mainzer Staatskanzlei am Dienstag Schauplatz einer als Happening angemeldeten „Einseifaktion“. Zur Aktion aufgerufen hatte das Erwerbslosenforum Deutschland. Vor einem Großaufgebot von Medienvertretern ließen sich rund 50 Erwerbslose, die hierzu aus der näheren Umgebung wie auch aus dem Ruhrgebiet angereist waren, vor laufender Kamera auf einem eigens mitgebrachten Rasierstuhl symbolisch die Haare schneiden und die Bärte stutzen bzw. abrasieren. Gewerkschafter aus der Region und örtliche Gliederungen von Linkspartei und WASG zeigten sich solidarisch. |
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Da Bartträger Kurt Beck, dessen vorweihnachtliche Aussagen bei Erwerbslosen und sozialen Bewegungen Empörung und Protest ausgelöst hatten, sich derzeit noch im Weihnachtsurlaub befindet, musste die in die Staatskanzlei geladene Delegation der Veranstalter, darunter Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum und der Saarbrücker Bundestagsabgeordnete Hans-Kurt Hill (Linkspartei), mit dem Leiter der Staatskanzlei, Martin Stadelmaier, Vorlieb nehmen. Stadelmaier nahm einen Stoß Bewerbungsmappen in Empfang und führte mit der Delegation anschließend ein etwa halbstündiges Gespräch. Während Stadelmaier dabei den Anwesenden und Einreichern der Bewerbungsmappen Hilfe bei der Vermittlung eines Arbeitsplatzes zusagte und um Verständnis für die Äußerungen seines Chefs warb, wurde ihm entgegengehalten, dass Hartz IV-Betroffene in diesem Lande riesigen Demütigungen ausgesetzt seien und ein Erwerbsloser in Rheinland-Pfalz nur eine 10prozentige Chance auf Vermittlung in den 1. Arbeitsmarkt hätte. „Jede Menge Leute aus dem Ruhrgebiet konnte in letzter Minute doch nicht mitfahren, weil sie aufgrund einer Computerpanne bei der Bundesagentur für Arbeit kein Geld auf dem Konto hatten und immer noch auf die fällige Überweisung warteten“, hatte Martin Behrsing zum Auftakt der Aktion den Versammelten vor dem Tor erklärt. Diese EDV-Probleme seien offensichtlich größer, als dies die Bundesagentur nach außen hin zugeben wolle. Behrsing unterstrich die Forderung nach Aufstockung des Regelsatzes beim ALG II auf 500 Euro und nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 10 Euro pro Stunde, damit kein erwerbstätiger Mensch auf ergänzende Sozialleistungen mehr angewiesen sei. So genannte „1-Euro-Jobs“, an denen sich Kommunen, Vereine und Träger sozialer Einrichtungen schamlos bereicherten, müssten in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden. Mit der Übergabe eines Rasierstuhls an die Staatskanzlei, so Behrsing ironisch, wollten die Veranstalter darauf hinwirken, dass „Hartz IV durch Beck V ergänzt“ werde, dessen Kernpunkte ein obligatorisches Wasch- und Rasiertraining sein solle. Peter Grottian vom Aktionsbündnis Sozialproteste und Professor an der FU Berlin kritisierte in Mainz, daß Kurt Beck maßgeblich am Zustandekommen von Hartz IV beteiligt gewesen sei. Damit habe er das „gigantischste Täuschungsmanöver in der BRD-Geschichte“ mitzuverantworten. Sein Angriff auf „ungewaschene“ und „unrasierte“ Erwerbslose sei kein Ausrutscher und kein Betriebsunfall gewesen, sondern sei auf eine weitere Spaltung zwischen „guten“ und „schlechten“ Erwerbslosen wie auch zwischen Arbeitenden und Erwerbslosen hin angelegt. Becks jüngste Äußerungen, es müsse bald „Schluß mit Zumutungen“ sein, änderten nichts an der wachsenden Verarmung von ALG II-Empfängern. Allein durch die Nichterhöhung der Regelsätze beim ALG II und durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer seit dem 1. Januar werde die Große Koalition bei den Betroffenen bis 2009 über 11% zusätzliche Verarmung produzieren. Martina Ahrens von der Linkspartei Mainz-Bingen kritisierte, dass die Sozialgerichtsverfahren mit enormen Gebühren belegt werden sollen. Somit solle den Hartz IV-Empfängern mangels Geld die Möglichkeit genommen werden, sich gegen Fehlbescheide zu wehren. Das entsprechende Gesetz sei schon vom Bundesrat beschlossen und solle wohl noch 2007 durch den Bundestag legitimiert werden. |