Die USA, China, Russland und die EU stecken in einem tiefen imperialistischen Konflikt um einen stagnierenden Weltmarkt. Dieser Konflikt hat sich über die letzten Jahrzehnte durch die ständige Ausweitung der internationalen Arbeitsteilung und des Welthandels (Globalisierung) aufgebaut und spitzt sich seit der Finanzkrise 2008 zu. Die wirtschaftliche Stagnation des letzten Jahrzehnts spitzt weltweit die kapitalistischen Widersprüche zu und jede Kapitalistenklasse stellt ihre beschränkten nationalen Interessen in den Vordergrund. Vor allem die imperialistischen Mächte beanspruchen einen größeren Teil des Weltmarkts für sich, doch das geht immer nur auf Kosten der anderen. Deshalb ist die Globalisierung wieder rückläufig, der Weltmarkt wird zunehmend zerteilt.
Die deutsche herrschende Klasse steht hierbei zwischen den Stühlen. Die deutsche Wirtschaft ist eng verflochten mit der gesamten Weltwirtschaft. Insbesondere mit der EU, den USA, China und Russland. Von ihnen ist sie einerseits völlig abhängig und andererseits steht sie mit allen in Konflikt. Dabei wird der europäische und deutsche Imperialismus zwischen den Blöcken USA und China langsam zermalmt. Hinzu kommen die Zentrifugalkräfte, die in der EU wirken und diese destabilisieren und zerbrechen. So berichtet die Ernst & Young GmbH, dass infolge der Kurseinbrüche an den Weltbörsen seit der Jahreswende die Karten neu gemischt werden. Vor der Finanzkrise 2008 kamen 46 der 100 wertvollsten Unternehmen weltweit aus Europa. Jetzt nur noch 16. In derselben Zeit ist Deutschland von sieben auf null Konzerne heruntergerutscht, die unter den wertvollsten 100 mitmischen.
Ukraine-Krieg läutet Zeitenwende ein
Der Ukraine-Krieg setzt eine neue Spirale der Aufrüstung in Gang. Die Ampelregierung hat nach Ausbruch des Krieges eine Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik eingeleitet und prompt ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr beschlossen sowie die jährlichen Rüstungsausgaben auf über zwei Prozent des BIP angesetzt. Politiker der Grünen, FDP, SPD und CDU sowie bürgerliche Strategen erheben für Deutschland einen Anspruch auf Führungsmacht. SPD-Parteichef Lars Klingbeil hat dabei offen ausgesprochen, was andere eher durch die Blume sagen: Militärische Gewalt soll ein akzeptiertes Mittel der Durchsetzung von deutschen Interessen werden. Der deutsche Imperialismus traut sich nach 77 Jahren wieder unverhohlen seine Zähne zu zeigen.
Trotz dieses enormen Aufrüstungsvorhabens verfügt Deutschland für sich genommen nicht über die nötigen militärischen Mittel, um tatsächlich eine führende imperialistische Macht in dieser Welt zu werden. Deswegen ist es auf die EU als imperialistischen Block angewiesen, um in der Welt eine zentrale Rolle zu spielen. Doch in der EU herrscht keine Einigkeit, die verschiedenen Mitgliedsländer haben gegensätzliche Interessen, konkurrieren gegeneinander und versuchen ihre wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme auf Kosten der anderen zu lösen. Als führende wirtschaftliche und politische Macht der EU und auf Grund dieses Angewiesenseins auf dieselbe, möchte die deutsche Kapitalistenklasse und die Bundesregierung auch in militärischen Fragen die erste Geige spielen und damit in allen Fragen allein den Ton angeben. Die reaktionäre Hoffnung, auf diesem Weg unabhängiger gegen Russland, China als auch die USA handeln zu können, wird nicht aufgehen. Die Machtansprüche der deutschen herrschenden Klasse werden aber die Widersprüche zwischen den anderen EU-Ländern weiter zuspitzen und tiefere Risse auftun.
Dabei herrscht aber selbst innerhalb der herrschenden Klasse und der Bundesregierung keine Einheit. Fragen wie „mit den USA oder mit Russland“, „mit den USA oder mit China“, „schnelles Kriegsende oder langer Abnutzungskrieg“ usw. sind mächtige Spaltungsfragen, weil verschiedene Kapitalfraktionen jeweils andere Interessen haben. In letzter Konsequenz ist dabei entscheidend, wo welche Fraktion bessere Profite und Deals herausschlagen kann. Die Exportabhängigkeit ist die deutsche Achillesferse. Alle imperialistischen Mächte, die in irgendeiner Weise im Ukraine-Konflikt verwickelt sind, sind zusammengenommen die allerwichtigsten Handelspartner und Exportmärkte des deutschen Kapitals. Ein Bruch mit nur einer dieser Mächte würde einen enormen ökonomischen Schaden für die herrschende Klasse bedeuten und den Krisenprozess im eigenen Staat deutlich beschleunigen.
Das Ende der Globalisierung
Die USA setzen schon länger auf Protektionismus, denn die großen Monopole brauchen mehr Absatzmärkte. Dieses Problem kann nicht mehr alleine durch Handel und Diplomatie geregelt werden, da die Absatzmärkte zu klein sind. Biden führt die „America First“-Politik von Trump fort und setzt darauf, Deutschland und die EU im Kampf gegen Russland und China auf Linie zu bringen. Doch die deutsche Wirtschaft ist von russischem Öl und Gas abhängig. Sehr deutlich wird das an dem Nord-Stream-2-Projekt und der Verringerung der Gaslieferung über Nord Stream 1. Der Gasmarkt ist angespannter als je zuvor. Deutschland importierte 2019 noch 55 Prozent des Gases aus Russland, vor allem deswegen, weil es besonders günstig und profitabel war. Aktuell läuft 60 Prozent weniger Gas über Nord Stream 1 nach Deutschland. Würde es zu einem kompletten Lieferstopp kommen, hätte es verheerende Folgen für die Wirtschaft, insbesondere für den Maschinenbau, die Chemie- und Autoindustrie, die zusammen das Herzstück der deutschen Wirtschaft bilden. Die Abhängigkeit vom russischen Gas auf der einen Seite und die von den USA als Handelspartner auf der anderen, ist auch der ausschlaggebendste Punkt, warum die Bundesregierung und die Unternehmer in ihrer Positionierung zum Ukraine- Krieg einen Mittelweg suchen.
Zudem kommt auch China mit ins Spiel. Denn China ist Deutschlands größter Handelspartner mit einem Handelsvolumen von 245 Milliarden Euro. Die USA allerdings hoffen darauf, dass sich die EU weitgehend von China abkoppelt. Wichtige Industriezweige in Deutschland sehen da aber ihre Profite in Gefahr. BMW und Daimler verkaufen gut ein Drittel ihrer Gesamtproduktion in China und VW noch mehr. Auch der Chemiekonzern BASF sieht China als wachstumsstärkste Region. Die Beziehungen zu China zu verringern und dessen weltweiten Einfluss deutlich einzuschränken, was die G7- Staaten anstreben, kollidiert mit den Interessen zentraler deutscher Industrien. Das sorgt für Spannungen mit der Bundesregierung und innerhalb dieser.
Ampelregierung in der Zwickmühle
Auch in der Ampelregierung kollidieren diese auseinandergehenden Interessen miteinander und machen Spaltungslinien auf. So positionieren sich die Regierungsparteien und einzelne Regierungsmitglieder in der Öffentlichkeit gegensätzlich und greifen sich gegenseitig an. Die grünen Transatlantiker und die FDP stellen sich beinahe uneingeschränkt hinter den aggressiven Kurs der USA. Die SPD versucht, unabhängiger zu agieren und auf diplomatischem Weg einen Deal zu erwirken, der dem deutschen Kapital und Staat in seiner Gesamtheit möglichst wenig schadet. Doch auch sie wird zunehmend in die Richtung gedrängt, sich dem Kurs der USA unterzuordnen, denn sie sind das Gravitationszentrum des westlichen Imperialismus.
Diese Widersprüche, in denen der deutsche Kapitalismus und die Bundesregierung gefangen sind, drücken sich auf politscher Ebene in Demagogie und Unklarheit aus. Das verunsichert die Massen und wirkt zusammen mit dem Verfall des Lebensstandards destabilisierend auf das soziale und politische Gleichgewicht im Inneren. Europa und Deutschland treten in eine Phase von Klassenkämpfen. Die Dauer und die politischen Formen, die dieser Prozess annehmen wird, sind nicht absehbar, aber werden alles übersteigen, was bisher an Erfahrung in den stabilen Ländern des Westens gemacht wurde.
Wenn das Gas noch knapper wird oder gar ausfällt, bedeutet das weitere Teuerungen, vor allem in der Industrie. Bisher zeigt sich die Inflation größtenteils bei Lebensmitteln und Energiekosten. Doch sobald es in schwereren Ausmaßen die Industrien betreffen wird, werden die Unternehmen nach Rettungspaketen rufen. Uniper hat sich als erstes Energieunternehmen schon zu Wort gemeldet. Es werden Szenarien bis hin zu staatlichen Beteiligungen am Unternehmen diskutiert, wie dies auch bei Lufthansa während der Corona-Pandemie geschehen ist. Klar ist, die herrschende Klasse wird nicht für ihre Krise bezahlen, sondern die Kosten auf die Arbeiterklasse abwälzen. Während die Unternehmen Milliardenpakete bekommen werden, bleibt der Arbeiterklasse nur, zu frieren und kalt zu duschen. Lars Klingbeil (SPD), hat bereits gefordert, der Industrie im Falle von Gasknappheit, Vorrang bei der Versorgung zu geben.
Der heiße Herbst kommt
Für die Arbeiterklasse ist der Zusammenhang zwischen den aktuellen Verwerfungen und dem Ukraine-Krieg offensichtlich. Die Bürgerlichen erklären, die Teuerung und „Frieren für den Krieg“ seien der Preis, den man für „Freiheit und Demokratie“ bezahlen müsse. Doch weitere Angriffe auf die Arbeiterklasse werden kommen. Dabei war die Armut in Deutschland schon 2021 auf einem Rekordniveau von 13,8 Millionen Menschen und die Lage verschlechtert sich zusehends. Denn 2021 spielten Inflation und steigende Energiepreise noch keine so große Rolle wie jetzt. Die kommenden Tarifrunden werden die Lebensmittelteuerungen und explodierenden Strom- und Gaskosten nicht ausgleichen können und somit kommen statt Lohnerhöhungen nur Kürzungen auf die Arbeiterklasse zu.
Die Pandemie, der Krieg und die Inflation haben tiefe Spuren im Bewusstsein der Arbeiterklasse hinterlassen. Und dieser Prozess setzt sich weiter fort, mit jedem tieferen Einschnitt in die Lebensverhältnisse. Schon jetzt gärt es unter der Oberfläche. Doch all diese Erfahrungen werden dazu führen, dass noch mehr Schichten der Arbeiterklasse erkennen, dass das kapitalistische System nichts mehr außer Barbarei zu bieten hat, und das politische Bewusstsein grundlegend umkrempeln. Das wird die Arbeiterklasse zum Kampf zwingen. Dieser Prozess wird schlussendlich die Basis dafür legen, dass sich auch die Massenorganisationen, insbesondere die reformistischen Gewerkschaften, grundlegend verändern müssen.
Alle Mittel der Herrschenden, um die Krise zu bändigen, werden entweder nur kurzfristig helfen, im Nichts verpuffen oder die Krise sogar weiter antreiben. Die einzige Perspektive für die Arbeiterklasse ist es, sich von den Fesseln des Privateigentums und der Nationalstaaten zu lösen. Was es braucht, ist eine internationale sozialistische Planwirtschaft, bei der nicht die Profite einer Minderheit im Vordergrund stehen. Dann könnten wir alle Ressourcen, Technologien und die Wissenschaft an den Bedürfnissen der Menschheit ausrichten und die kapitalistischen Krisen endlich auf den Müllhaufen der Geschichte werfen. Dafür kämpfen wir in der International Marxist Tendency. Stürz dich mit uns in die kommenden Klassenkämpfe.
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