Kategorie: Deutschland |
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Leserbrief: „Normalerweise lässt man den Patienten nicht in seiner Todesstarre liegen…“ |
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Wir veröffentlichen einen ergreifenden Leserbrief. Er erzählt von einem tragischen Ereignis in einem ländlichen Krankenhaus, das eine Folge der jahrzehntelangen verbrecherischen Spar- und Privatisierungspolitik im Gesundheitswesen ist. |
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Es war gegen Mittag an einem Freitag als ich die Nachricht erhielt, dass mein Stiefvater den Kampf gegen Corona aufgegeben hat und friedlich mit Morphium auf der Palliativstation einschlafen möchte. Um mich von ihm verabschieden zu können während er noch halbwegs bei Bewusstsein war, fuhr ich mit meiner Familie in das Krankenhaus. Als wir ankamen waren wir schockiert über den Zustand in welchem er sich Befand. Es waren keine Kissen in seinem Zimmer, um ihn zu lagern. Als wir ihm umdrehten war sein ganzer Körper hinten bereits rot. Also baten wir bei einer Pflegerin nach Kissen, um ihn lagern zu können, damit er nicht unter Schmerzen einschläft. Nach 15 Minuten bekamen wir immer noch kein Kissen und fragten daher nochmal nach. Die Pflegerin war im Stress und hatte uns daher vergessen. Nach 20 Minuten warten bekamen wir sie dann schließlich und konnten ihn lagern. Als wir uns dann in Ruhe von ihm verabschieden wollten, fiel uns auf, dass er komisch atmet und als wir seinen Mund kontrollierten, sahen wir dort überall Schlatz, der wahrscheinlich schon bis in die Lunge ging und ihm das Atmen schwer machte. Wir baten also darum seinen Mund auszusaugen. Die Pflegerin konnte uns nur versprechen dies morgen zu tun und gab uns Stäbchen mit Zitronengeschmack, welche den Schlatz zumindest im Mund aufsaugen. Wir brauchten eine halbe Stunde, um seinen Schlatz aus dem Mundraum zu entfernen und nach dem er dann halbwegs atmen konnte, verabschiedeten wir uns von ihm. Am nächsten Tag bekam ich gegen 14 Uhr die Nachricht, dass mein Stiefvater verstorben ist. Normalerweise dauert es viel länger, bis man an einer Morphium Überdosis stirbt. Die offizielle Todesursache ist die Coronainfektion, aber auf Nachfrage sagte uns die Krankenschwester, dass man versucht hat seinen Schlatz auszusaugen und es bereits zu spät war. Als wir ins Krankenhaus fuhren, um ihn noch einmal zu verabschieden, sind wir beim Anblick 3 Schritte zurück gegangen. Normalerweise lässt man den Patienten nicht in seiner Todesstarre liegen, sondern schließt Mund und Augen für die Angehörigen, aber das Krankenhaus hat nichts davon gemacht und einfach nur das Licht ausgeschaltet. Die Krankenhaussituation auf dem Land ist schlimm und ermöglicht es Angehörigen nicht mal mehr einen würdigen Abschied zu nehmen von einer geliebten Person. Das Krankenhaus auf dem mein Stiefvater lag wurde erst vor kurzem mit einem benachbarten Krankenhaus zusammengelegt um Kosten zu sparen und nun gibt es erste Entwürfe im Kreistag es zu privatisieren. Die Krise und Überlastung der Krankenhäuser hat System. Die Pflege ist ein für den Kapitalismus nicht rentabler Bereich und erzeugt nur Kosten, daher werden Pflegekräfte in Deutschland immer noch schlecht bezahlt und während Corona verschlimmerte sich die ganze Situation, wodurch viele Pflegekräfte kündigten und es für die Verbliebenen noch anstrengender machten. Jede vierte Pflegekraft wollte Anfang 2022 raus aus der Pflege und 40 % erwägten einen Ausstieg wie Befragungen ergaben. Der Fachkräfte Mangel macht es Pflegern unmöglich auf alle Patienten gleichzeitig zu achten und verursacht verhinderbare Tode. Hinzu kommt ein 2 Klassensystem in Krankenhäusern mit der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung. Ehemalige Ärzte packten aus, dass sie für gesetzlich Versicherte viel weniger Geld bekamen und sie daher schnellst möglich abspeisen mussten, um die Praxis finanzieren zu können. Seit 2003 gibt es in Deutschland das Fallpauschalensystem, welches darauf abzielt an dem Leiden der Menschen Geld zu verdienen für Krankenhäuser und Praxen ist es rentabel den Patienten Krankheiten zu diagnostizieren, und Medikamente zu verschreiben, welche sie im Endeffekt gar nicht haben. Es ist eine beliebte Operation das Knie aufzuschneiden und wieder zuzunähen, ohne tatsächlich etwas zu machen. Die Privatisierung und das Fallpauschalensystem in Deutschland müssen ein Ende haben. Wir brauchen Krankenhäuser in den Händen der Belegschaft, ein Ende des zwei Klassensystems bei der Krankenversicherung, massive Aufstockung von Personal und Ausrüstung im Krankenhaus, einen fairen Lohn und menschenwürdige Arbeitszeiten für die Beschäftigten!
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