Kategorie: Deutschland

Editorial Funke Nr. 139: Klassenkampf gegen Kulturkampf

Sommerpause – zum Greifen nah. Hektisch die letzten Abgaben erledigt, benommen eine mündliche Prüfung überstanden, in Panik eine Hausarbeit aus den Fingern gesaugt, schwitzend vor Fristende eingereicht – gerade noch. Semester vorüber. Durchgeatmet. Im Schwingsessel platzgenommen. Flasche geöffnet – plopp!

der funke


Endlich. Das kalte Gold erfrischt von innen. Schlussstrich gezogen. Wie Dunst hebt sich vom Körper die Bedrückung der überstandenen Lasten. Der Nebel verfliegt. Der Kopf wird klar. Geschafft – zumindest für den Moment! Hitze, Rezession und Inflation sind noch längst nicht überstanden.

Die rot-gelb-grünen Minister der Bundesregierung werden sich ebenfalls auf eine Sommerpause gefreut haben. Doch die Bude brennt. Abgaben kamen zu spät. Das „Heizungsgesetz“ rasselte in letzter Minute durch. Um den Staatshaushalt für 2024 haben sie gerungen, gegiftet und gezankt – jetzt hat sich die Bundesregierung auf einen Entwurf geeinigt. Sie spart und kürzt – nur nicht an irreführenden Debatten, Demagogie und bei der Aufrüstung.

Denkbar beste politische Hülle…

Die Minister einer bürgerlichen Regierung haben die Funktion, den Staat als Instrument der kapitalistischen Klassenherrschaft zu lenken. Sie vollführen dabei vor allem zwei Aufgaben.

Die Regierungsminister sollen den Beamtenapparat des Staates durch Gesetze und Verordnungen so lenken, dass dieser den Geschäften der Banken und Konzerne einen profitablen Rahmen gewährleistet. Marx und Engels bezeichneten im Kommunistischen Manifest die „moderne Staatsgewalt“ als einen „Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet“.

Lenin führte den Gedanken in „Staat und Revolution“ fort: „Die Allmacht des ‚Reichtums‘ [d.h. des Kapitals] ist in der demokratischen Republik deshalb sicherer, weil sie nicht von einzelnen Mängeln des politischen Mechanismus, von einer schlechten politischen Hülle des Kapitalismus abhängig ist. Die demokratische Republik ist die denkbar beste politische Hülle des Kapitalismus“.

Damit die Profite des Kapitals unbehelligt sprudeln können, müssen die Regierungsminister als Erfüllungsgehilfen des Kapitals die ausgebeutete Klasse der Lohnabhängigen, die Armen sowie die kleinbürgerlichen Schichten der Gesellschaft ruhighalten, deren politisches Interesse abwürgen und jegliches Aufbegehren unterdrücken. In letzter Instanz hat der Staat zu diesem Zweck „besondere Formationen bewaffneter Menschen“ – Polizei und Bundeswehr, Knüppel und Gewehr.

Die meiste Zeit über nutzen die Bürgerlichen subtilere Mittel. Lenin hebt hervor, dass „Engels mit größter Entschiedenheit das allgemeine Stimmrecht als Werkzeug der Herrschaft der Bourgeoisie bezeichnet“. In Engels Worten kann das Wahlrecht „im heutigen Staat“ nie mehr als „der Gradmesser der Reife der Arbeiterklasse“ sein.

Wahlen wie auch Meinungsumfragen zeigen in Momentaufnahmen, wie es um den Rückhalt der Massen zur Regierung, den staatlichen Institutionen, den Banken und Behörden bestellt ist. Wie groß also ihre Illusionen noch in die Ausbeuterherrschaft des Kapitals sind.

…beginnt zu bröckeln

Laut einer Umfrage des ZDF-Politbarometers haben 54 % der Befragten im Juli 2023 die Arbeit des Scholz-Kabinetts als schlecht bewertet. Bei Regierungsantritt Ende 2021 waren erst 18 % dieser Meinung. Wiederum gaben 75 % der Befragten des ARD-Deutschlandtrends Anfang Juli an, dass sie mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden waren.   Selbst bei den Anhängern der Regierungsparteien ist die Unzufriedenheit gewaltig: SPD 48 %, Grüne 53 %, FDP 77 %.

Kein einziger Minister des Bundeskabinetts konnte im Mai 2023 bei einer Ipsos-Umfrage mit seiner Arbeit eine Mehrheit überzeugen. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) führte in der Meinungsumfrage mit 32 % Zufriedenheit, demgegenüber waren aber 68 % der Befragten unentschieden oder gar unzufrieden . Für alle anderen Minister fielen die Ergebnisse noch schlechter aus. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) folgte auf Platz zwei. Mit ihrer Arbeit waren nur 20 % zufrieden. Bei allen anderen Ministern sowie dem Bundeskanzler lag die Zufriedenheit der Befragten zwischen 19 und 8 %.

Dieses vernichtende Urteil hängt ihnen wie ein Angsttraum nach und erklärt mitunter die enormen Spannungen in der Regierung. Angetrieben von der Furcht vor dem Karriereaus versuchen die Minister, sich an den staatlichen Futtertrog zu klammern. Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht musste bereits gehen, weil sie nicht entschieden genug im Sinne der liberalen Kriegshetzer und Rüstungsschmieden gehandelt hat.

Ungestüm führten die Bundesminister der „Fortschrittskoalition“ öffentlich die Debatten um den Bundeshaushalt und wollten sich gegeneinander profilieren. Dabei buhlten sie um die Gunst ihrer Herren in den Finanzzentren und Konzernzentralen. Gleichzeitig mussten sie die Massen über die tatsächlichen Folgen ihrer Politik irreführen.

Das Leitmotiv: Es muss gespart werden, denn die Schulden und Zinsen für die Unternehmensrettungen seit der Corona-Pandemie sowie die Aufrüstung der Bundeswehr seien zu hoch. Olaf Scholz erklärte in der Bundespressekonferenz am 14. Juli, dass die Regierung mit dem Bundeshaushalt 2024 „wieder zu diesem Normalprinzip“ der Schwarzen Null zurückkehren werde.

Dabei ist die Debatte um klamme Staatskassen in der Realität an den Haaren herbeigezogen. Als Interessenvertreter des Kapitals lässt die Regierung die – insbesondere in der Krise rasant gewachsenen – enormen Profite und Vermögen der Banken, Versicherungen, Konzerne und Superreichen außen vor. Die Krise und ihre Kosten werden stets auf die Arbeiterklasse abgewälzt.

Der Unmut wächst

Eine Folge der bürgerlichen Politik ist die gesellschaftliche Polarisierung. Zum einen geht die Schere zwischen den Klassen immer weiter auseinander. Zum anderen sorgt sie für die wachsende politische Polarisierung nach links und rechts, wobei das Parlament zunehmend zersplittert und dadurch stabile Regierungen erschwert werden. Mitte Juli bewegten sich alle Parteien auf Bundesebene in Meinungsumfragen auf niedrigem Niveau: CDU 27 %, AfD 20 %, SPD 18 %, Grüne 15 %, FDP 7 %, LINKE 5 %. 

Die sogenannte „bürgerliche Mitte“ zerfließt. Immer mehr Menschen sind mit allen zur Verfügung stehenden Parteien und ihren Programmen unzufrieden. Jedoch anders als es in der bürgerlichen Presse dargestellt wird, liegt es nicht daran, dass die Massen radikalen Demagogen „auf den Leim gehen“. Die kapitalistische Krise und die bürgerliche Krisenpolitik drängen die Massen dazu, sich zu politisieren und nach Lösungen für ihre Probleme zu suchen.

Kulturkampf

Die Antworten, die sie in erster Linie von verschiedenen Flügeln des Kapitals – liberale, konservative und rechte – über die Medien und von den Politikern erhalten, sind allesamt irreführend. Welche Frage auch im Raum stehen mag, sie wird zur Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Auffassungen und Gewichtungen von „Werten“ verklärt. Demagogisch nutzen politische Parteien und Lager aus Wahl- und Machtkalkül soziale und politische Fragen aus.

Ein Beispiel dafür ist die Debatte über Gewalt besonders in Berliner Schwimmbädern. Anstatt bei den sozialen Bedingungen gerade bei der Jugend – fehlende Bildungs- und Jobchancen, kein Zugang zu Kultur und Freizeitbeschäftigungen sowie Löhnen, die kaum für ein menschenwürdiges Dasein ausreichen – anzusetzen, geht es ausschließlich um den vermeintlichen Migrationshintergrund der randalierenden Jugendlichen.

In diese Kerbe schlägt besonders die Union. Demagogisch spielt der neue CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im Interview mit der BILD arme (in seinen Augen wohl „deutsche“) Familien gegen Menschen mit Migrationshintergrund aus: „Familien, die sich keinen Urlaub oder keinen Pool im eigenen Garten leisten können, müssen im Freibad mitansehen, wie junge Männer, oft mit Migrationshintergrund, gewalttätig werden. Sie haben den Eindruck, dass der Staat nur zuschaut.“ Deshalb fordert er Schnellverfahren gegen Gewalttäter, wozu das Justizsystem entsprechend angepasst werden soll. „Wer mittags im Freibad Menschen angreift, muss abends vor dem Richter sitzen und abgeurteilt werden“, so der CDU-Politiker.

Solcher Kulturkampf soll mit demagogischen Debatten und irreführenden „Antworten“ auf die realen Probleme der Massen, von der Sackgasse des kapitalistischen Systems und dem politischen Versagen aller bürgerlichen Parteien ablenken. Als Spaltungsinstrument der herrschenden Klasse dient der Kulturkampf dazu, die Arbeiterklasse entlang vermeintlicher „kultureller Gegensätze“ zu spalten und gegeneinander aufzubringen. Gleichzeitig können die bürgerlichen Parteien und Politiker die Wut in die Bahnen von Kapitalinteressen lenken.

Aber die Demagogie und der Kulturkampf sorgen auch dafür, dass die Illusionen in die bürgerliche Ordnung und Ideologien untergraben werden. Die bürgerlichen Politiker und Medien entpuppen sich durch ihr tatsächliches Handeln. Deshalb versucht die herrschende Klasse, die Demagogie allein den „politischen Rändern“ anzulasten und die „Parteien der Mitte“ – CDU/CSU, Grüne, FDP und SPD – reinzuwaschen. Am stärksten ist das in der Frage „Demokratie gegen Populismus“ zu sehen.

„Demokratie gegen Populismus“

Aktuell scheint es so, als ob die rechte AfD am stärksten profitiert. So erreicht sie in Meinungsumfragen neue Höchstwerte. Auf Bundesebene 20 %, in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen um die 28 % sowie in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern etwa 24 %. Aber auch in fast allen westlichen Bundesländern wachsen ihre Werte. In Hessen liegen sie bei 17 %, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinlandpfalz, Bayern und Baden-Württemberg bei 12 bis 14 %. In den westlichen Bundesländern würde die AfD bei solchen Wahlergebnissen in absoluten Zahlen entschieden mehr Wähler haben als im Osten.

Aufsehen erregt hat die Wahl des AfD-Politikers Robert Sesselmann zum Landrat im südthüringischen Sonneberg. Nachdem ein Allparteienbündnis, inklusive der LINKEN, zur Wahl des CDU-Kandidaten aufgerufen hatte und trotzdem Sesselmann gewann, war die Empörung groß. Alle Parteien geben sich die Schuld an ihrer kollektiven Niederlage, womit sie gewissermaßen auch recht haben, denn sie alle haben keine Lösungen anzubieten. Die rechte AfD profitiert davon in erster Linie, weil sie sich als einzige Opposition darstellt, während die LINKE sich nicht von den bürgerlichen Parteien abhebt und sogar zu deren Wahl gegen die AfD aufruft. So kann man nicht glaubhaft für eine echte Veränderung im Interesse der Massen eintreten.

Diese Politik des „kleineren Übels“ demonstriert, dass damit kein Erfolg im Kampf gegen rechte Parteien und arbeiterfeindliche Politik zu holen ist. Tatsächlich können sich Linke damit nur diskreditieren. Denn dieselben bürgerlichen Parteien, mit denen man in so ein Bündnis geht, machen Politik gegen die Interessen der Arbeiterklasse und Jugend.

Gleichzeitig, indem die DGB-Gewerkschaften und die LINKE sich in dieser Frage allein auf das Parlament fixieren, rauben sie der Arbeiterklasse das entscheidende Mittel, für die eigenen Interessen einzustehen: den Kampf in den Betrieben und auf der Straße. Die Massen bleiben passiv und auf der politischen Bühne kommt es zu einem Rechtsruck, der in linken Kreisen gar als Rechtsruck der Gesellschaft fehlinterpretiert wird.

Klassenkampf und Revolution

Lenin erklärt in Bezug auf die demokratische Republik als „denkbar beste politische Hülle des Kapitalismus“, die der herrschenden Klasse die Möglichkeit gibt, ihre Macht so zuverlässig und sicher auszuüben, dass „kein Wechsel, weder der Personen noch der Institutionen noch der Parteien der bürgerlich-demokratischen Republik, diese Macht erschüttern kann.“

Regierungen mit rechten/rechtsradikalen Parteien und Politikern wie in Italien sind zwar ein Imageschaden, aber beugen sich letztlich doch dem Diktat der Banken und Konzerne. In diesem Sinne ist die Debatte um Regierungsbeteiligungen mit der AfD vor allem Wahlkampf und höchstens Sorge darum, dass die geölte Politikmaschinerie etwas ins Stottern kommen könnte.

Wenn aber die Arbeiterklasse geeint für ihre Interessen kämpft, dann entpuppen sich alle bürgerlichen Parteien als Bollwerk, die nur die kapitalistischen Interessen schützen und die eigenen Taschen füllen möchten. Die Rezession und die festgefahrene Inflation werden die angestoßene Belebung der Tarif- und Arbeitskämpfe verstärken.

Um die eignen Interessen zu verteidigen, werden immer mehr Schichten der Arbeiterklasse aktiv in Opposition zur bürgerlichen Politik treten müssen – in den Betrieben und auf der Straße. Auf dieser Grundlage wird die Demagogie und die Irreführung durch die Bürgerlichen nicht mehr so leicht verfangen  können. Denn die wahren Interessen entpuppen sich darin, dass schnell Rufe nach der Einschränkung des Streikrechts aus den Unternehmerverbändern und ihren Vertretern in den Parlamenten kommen.

Für Kommunisten gilt es, die Kämpfe der Arbeiterklasse zu unterstützen und dort für den Sozialismus und die Revolution einzutreten. Gegen den Kulturkampf der bürgerlichen Politiker und ihre arbeiterfeindliche Politik hilft nur der geeinte Klassenkampf der Arbeiterklasse – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Sexualität und Hautfarbe! 

 

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Inhalt:

3 Klassenkampf gegen Kulturkampf

6 Technische Universität Berlin unter Wasser

7 Hamburger Senat will Spielplatzmaut

8 Für ein revolutionäres Programm im DGB! 

10 Deutschland 1920: Kommunisten erobern mit Einheitsfront die Arbeiterbewegung 

14 Festung Europa rüstet auf

15 Was bringt die zweite rosa Welle in Lateinamerika?

16 Russland: Revolution statt „Regime Change“

17 Bei der Bio Company geht es nicht um die Umwelt!

18 Berichte von unseren Aktivitäten

19 Wofür wir kämpfen!

 

 

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