Kategorie: Deutschland

Ausbeuterische Studentenjobs in Marburg

Marburg ist eine Universitätsstadt mit über 20.000 Studenten an der Phillips-Universität. Der Großteil davon lebt und arbeitet hier auch. Der Wohnraum ist aber begrenzt und die Mieten sind höher, als man bei einer Stadt dieser Größe annehmen würde.

der funke


Ich selbst lebe hier seit einiger Zeit und zahle über 600 € monatlich für meine Wohnung in einem Wohnheim der Universität. Da diese horrenden Mieten auch bezahlt werden wollen und das BAföG in den wenigsten Fällen ausreicht, gibt es sehr viele Studenten, welche neben dem Studium arbeiten müssen. Allerdings gibt es auch hier eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten, da die Stadt nun einmal klein ist. Dadurch können sich die wenigsten Studenten erlauben, wählerisch zu sein. Es gibt sehr viel Gastronomie, Jobs an der Universität und Kleingewerbe. Kurz gesagt, es gibt eine sehr vorteilhafte Situation für Kapitalisten und Kleinbürger, die auf eine große Anzahl an Studenten als Billigarbeiter zurückgreifen können.

Um die schwierige Situation der Studenten genauer zu beschreiben, möchte ich meine eigenen Erfahrungen als Werkstudent im Einzelhandel teilen.

In den ersten Wochen nach meiner Ankunft in Marburg begann ich, zunächst online nach Nebenjobs zu suchen. Nahezu alle hier angebotenen Stellen waren dubiose Nebenjobs als Produkttester oder klassische „Schaffe dir dein monatliches passives Einkommen von 10.000 € und komm in mein Crypto-Network-Marketing Team“-Anzeigen. Nach etwa einem Monat gab ich es fast auf, im Netz nach freien Stellen zu suchen, doch plötzlich fand ich eine Stelle als Verkäufer in einem kleinen Kiosk.

Da dies die einzige Möglichkeit war, die sich mir bot, kam ich zum Bewerbungsgespräch und nahm anschließend den Job notgedrungen an. Es handelt sich um einen Kiosk, welcher aus einer Schreibwarenabteilung, einem DHL-Schalter sowie einem Lotto-Terminal besteht. Nach meiner Zusage kam schnell der erste Einarbeitungstermin. Nach zwei weiteren Schichten übernahm ich dann schließlich meine erste Schicht allein. Ein typischer Tag im Kiosk sieht folgendermaßen aus:

Ich verlasse um kurz nach 7 Uhr morgens meine Wohnung und fahre eine halbe Stunde durch Marburg. Der Kiosk soll um 8 Uhr von mir geöffnet werden und alles soll bereit sein. Das bedeutet, dass ich um 7:40 Uhr vor Ort sein muss, um die Kasse und die Terminals hochzufahren. Die Anfahrtszeit wird hierbei nicht bezahlt, was meiner Erfahrung nach auch nichts Besonderes bei Aushilfsjobs ist. Erwähnenswert ist jedoch, dass ich auch die Zeit, die ich für das Aufbauen benötige, nicht bezahlt wird. Erst um 8 Uhr, wenn der Kiosk betriebsbereit ist, wird Lohn gezahlt. Eine derart offensichtliche Ausbeutung habe ich bisher noch nicht erlebt, auch wenn ich bereits viele derartige Nebenjobs ausgeübt habe. Die Schichten sind meistens fünf Stunden lang. Dann wird man von der Spätschicht abgelöst, welche dann schließlich auch den Laden zumacht.

Dieses System ist optimal für den Betreiber des Kiosks, da somit von keiner Schicht eine Pause genommen werden muss. Nachdem der Kiosk dann abends meist um 18 Uhr geschlossen wird, ist die Arbeit selbstverständlich nicht getan. Nur die Bezahlung der Arbeit endet. Aber von den Studenten wird verlangt, unbezahlt die Kasse zu zählen, den Kassenbestand mit den DHL- und Lotto-Terminals abzugleichen und eventuellen Unstimmigkeiten auf die Spur zu gehen. Stimmen die Terminals nicht mit der Kasse überein, kann es schon mal vorkommen, dass man eine halbe Stunde damit verbringt, die Ursache zu finden. Wenn diese Hürde genommen ist, müssen die alten Zeitungen in ein Depot gebracht und der Müll entsorgt werden, was ebenfalls einige Zeit in Anspruch nimmt. Eine durchschnittliche Frühschicht arbeitet also etwa 20 Minuten unbezahlt, bevor der Kiosk öffnet und eine Spätschicht arbeitet öfter mal eine ganze Stunde unbezahlt, um den Laden zuzumachen. Bis hierhin haben wir bereits einen klaren Fall von systematischer Ausbeutung, die weithin von den Arbeitern toleriert werden muss, um den Job nicht zu gefährden.

Nachdem die Schicht endlich vorüber und der Heimweg geschafft ist, endet die Schikane nicht. In einer gemeinsamen Telegram-Gruppe gehen andauernd Text- und Sprachnachrichten des Inhabers des Ladens ein, welcher sich über einzelne Dinge beschwert, die wir seiner Meinung nach nicht richtig gemacht haben. Das kommt auch gerne mal spätabends um kurz vor Mitternacht vor, wo die Telegram-Gruppe mit wütenden Nachrichten vom Inhaber gefüllt wird. Grundsätzlich wird hierbei der von uns verursachte finanzielle Schaden mitgeteilt. Was selbstverständlich nicht angemerkt wird, ist, dass der gesamte Laden ohne uns keinen Profit schaffen würde.

 

slider unten de rev

bdk slider unten

veranstaltungen 2

werde aktiv 2

button deutsche rev homepage

Modulblock Shop

Modulblock DefenceMarxism