Kategorie: Deutschland

Der Fall Metzger: Neues Kapitel im Wiesbadener Polit-Thriller

Dass sie mit ihren politischen Plänen ausgerechnet zum Internationalen Frauentag von einer Frau aus der eigenen Partei derart ausgebremst werden würde, hatte sich Andrea Ypsilanti zu Beginn der abgelaufenen Woche wohl kaum vorstellen können. Noch am späten Donnerstagnachmittag hatte die SPD-Fraktions- und Landesvorsitzende als designierte Ministerpräsidentin im Wiesbadener Landtag eine Schar erwartungsvoller engagierter Frauen aus SPD und Gewerkschaften empfangen und Vorfreunde auf den kommenden „Politikwechsel“ und eine sozialere und frauenfreundlichere Zukunft zu wecken versucht.



Zwei Tage zuvor hatte Ypsilanti stolz verkündet, dass sie sie vom SPD-Landesvorstand und der Landtagsfraktion einstimmig grünes Licht für ihre Absicht erhalten habe, sich mit dem Stimmen der LINKEN am 5. April zur neuen hessischen Ministerpräsidentin wählen zu lassen.
Doch dann kam die neu gewählte Darmstädter Abgeordnete Dagmar Metzger und zündete eine politische Bombe, als sie ankündigte, sie könne„aus „Gewissensgründen“ Ypsilanti nicht gemeinsam mit der LINKEN zur Ministerpräsidentin wählen. Prompt sagten die Grünen die für Freitag geplanten Koalitionsverhandlungen mit der SPD ab. Die SPD stürzte in eine tiefe Krise und war wie am Boden zerstört. Ypsilanti kündigte an, nun doch nicht bei der konstituierenden Sitzung des Landtags am 5. April für das Ministerpräsidentenamt kandidieren zu wollen. Der (eigentlich) abgewählte amtierende Regierungschef Roland Koch spürte wieder Oberwasser und rechnet sich Chancen aus, nun doch über den 5. April hinaus weiter regieren zu können.

Metzgerei

Wer ist diese Dagmar Metzger, die von einem Boulevardblatt als „Deutschlands mutigste Politikerin“ gefeiert wurde? Die 49-Jährige war im West-Berlin der 1960er und 1970er Jahre groß geworden und hat sich in die Darmstädter Politiker- und Juristendynastie der Metzgers eingeheiratet. Ihr heutiger Schwiegervater Günther Metzger saß in den 1970er Jahren zwei Legislaturperioden lang im Bundestag und war von 1981 bis 1993 Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt. Dessen Vater Ludwig Metzger war 1945 bis 1950 Darmstädter Oberbürgermeister und saß von 1946 bis 1969 zuerst im Landtag und dann in Bundestag und Europaparlament. Beide galten bzw. gelten als dem stramm rechten SPD-Flügel zugehörig. Der von Günther Metzger Anfang der 1970er Jahre initiierte Metzger-Kreis war so etwas wie ein Vorläufer des rechtssozialdemokratischen Seeheimer Kreises. Der Luftkurort Seeheim an der Bergstraße, wo der gleichnamige Kreis rechter Sozialdemokraten in einem noblen Lufthansa-Schulungszentrum gegründet wurde, liegt übrigens nur wenige Kilometer südlich von Darmstadt.

Die Wahl-Darmstädterin Dagmar Metzger, hauptberuflich als Justiziarin der Stadt- und Kreis-Sparkasse Darmstadt tätig, startete ihre politische Karriere 1997 in der Kommunalpolitik und wurde im Januar 2008 erstmals in den Landtag gewählt. Dass sie keine isolierte Einzelgängerin ist, sondern nur die Spitze eines Eisbergs, wurde am Freitag auch bei ihrer Pressekonferenz im Wiesbadener Landtag deutlich. „Mein Schwiegervater hat mich beraten und hat mir die Entscheidung völlig freigestellt“, beteuerte sie im O-Ton auf eine Journalistenanfrage und gab damit vielleicht ungewollt zu, wie unselbständig sie in ihrem Handeln ist und wie sehr der inzwischen 75jährige Günther Metzger immer noch im Hintergrund wirkt. Metzger wolle einen Simonis-Effekt vermeiden, beteuerte sie. Die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis war 2005 mit ihrem Versuch gescheitert, eine vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) tolerierte Minderheitsregierung aus SPD und Grünen zu bilden, weil unbekannte Verräter aus den eigenen Reihen ihr bei der Wahl zur Ministerpräsidentin im Landtag die Stimme verweigerten.

Dagmar Metzgers Berater und Schwiegervater Günther Metzger dürfte nach wie vor gute Verbindungen zu anderen konservativen Seilschaften in der SPD pflegen und alles daransetzen, das Kapitel Ypsilanti als einen „Betriebsunfall“ der hessischen SPD rasch abzuschließen. Schon vor Wochen war darüber spekuliert worden, ob bis zu zehn potenzielle Abweichler in der SPD-Fraktion bei der entscheidenden geheimen Wahl im Landtag der Kandidatin Ypsilanti eine ähnliche Niederlage beibringen könnten wie seinerzeit Heide Simonis.

Der Richtungsstreit in der Hessen-SPD wurde durch den Wahlkampf und den eigentlich unerwarteten Stimmenzuwachs am 27. Januar zeitweilig überdeckt. Ende 2006 hatte in einer Art Links-Rechts-Polarisierung Andrea Ypsilanti als die linkere von zwei Kandidaten mit einem hauchdünnen Stimmenvorsprung im Kampf um die Spitzenkandidatur ihren innerparteilichen Widersacher Jürgen Walter geschlagen. Der Unterlegene hatte sich zwar als Schatten-Innenminister im Wahlkampf einbinden lassen, machte aber in den letzten Tagen aus seiner Skepsis keinen Hehl, dass eine Wahl Ypsilantis mit Hilfe der LINKEN nicht seiner Überzeugung entspräche, auch wenn er die Mehrheitsentscheidung „loyal mittragen“ würde. Er halte den am Dienstag eingeschlagenen Weg für „gefährlich“, warnte der Rechtsanwalt noch am Mittwoch. Walter gilt als besonders „wirtschaftsnah“ und Favorit des rechten SPD-Flügels. Mit ihm an der Spitze der Hessen-SPD würden sich die Wirtschaftseliten viel eher arrangieren als mit Ypsilanti. So legte der konservative Wiesbadener Kurier schon in der Freitagsausgabe des Blatts der SPD nahe, die Führung auszutauschen: „Der nicht mit dem Odium des Wortbruchs belastete Rivale Jürgen Walter dürfte weit besser geeignet sein, neue Koalitionslösungen für Hessen zu suchen“, heißt es in dem Blatt. Auch die meisten anderen Medien trommelten für einen Abgang Ypsilantis von der politischen Bildfläche und fordern den Kopf des Bundesvorsitzenden Kurt Beck gleich mit, weil er für das Chaos mit verantwortlich sei.

SPD-Schulterschluss

Metzgers Ankündigung sorgte an der SPD-Basis für Empörung. „Wir erwarten von allen sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten und damit auch von Dagmar Metzger, dass sie Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin wählen“, forderte der Vorstand der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in Darmstadt in einer einstimmig verabschiedeten Erklärung. Zentrales Wahlversprechen der SPD sei die Abwahl der Regierung Koch, die Wahl von Andrea Ypsilanti zur neuen Ministerpräsidentin und die Durchsetzung eines echten Politikwechsels in Hessen gewesen. „In allen zentralen landespolitischen Fragen gibt es zu einer Zusammenarbeit von Rot-rot-grün inhaltlich keine Alternative“, so die sozialdemokratischen Gewerkschafter. Dies gelte für die Abschaffung der verfassungswidrigen Studiengebühren ebenso wie für die Themen Bildung, Arbeit und Ausbildung, Arbeitnehmerrechte, soziale Gerechtigkeit, erneuerbare Energien, Vermögenssteuer und Mindestlohn“, erklärte der örtliche AfA-Vorsitzende und DGB-Sekretär Horst Raupp. Die allermeisten sozialdemokratischen Gewerkschafter denken ähnlich.

Der rechte SPD-Flügel, der sich auch in Hessen auf viele Landtags- und Bundestagsabgeordnete, Landräte und Bürgermeister stützt, hatte darauf gesetzt, nach einem schlechten Wahlergebnis Ypsilanti wieder absägen zu können. Doch dafür war das Ergebnis zu gut, zumal noch Ende 2007 kaum jemand erwartet hätte, dass die SPD die bisher allein regierende CDU in Hessen einholen könnte. Metzgers Ausscheren hätte – so die Kalkulation der Bürgerlichen – den Anstoß bilden können, um Ypsilanti ein abruptes Ende ihrer Karriere zu bereiten. Doch bei der Krisensitzung der SPD-Spitzengremien am 8. März blieb der von Koch und Kapital erhoffte Aufstand des Jürgen-Walter-Flügels aus. Nach einer stundenlangen Diskussion zeigte sich die von allen Seiten heftig kritisierte Dagmar Metzger eher reumütig und kleinlaut. Niemand wollte sich neben ihr als möglicher „Abweichler“ outen. Dies wäre in dieser Situation wohl auch politischer Selbstmord gewesen. Vielleicht plagte den einen oder anderen Abgeordneten auch ganz vordergründig die Angst, in vorgezogenen Neuwahlen mit einem Spitzenkandidaten Jürgen Walter das eben erworbene Direktmandat wieder zu verlieren. Oder die Erwartung, dass die LINKE dann verunsicherte SPD-Wähler anziehen und kräftig zulegen könnte. Oder beides und die Angst vor einer Spaltung oder Implosion der Sozialdemokratie.

So erfolgte die politische und persönliche Loyalitätsbekundung für Ypsilanti, die sich zu ihrem Ziel eines „Politikwechsels“ in Hessen bekannte, einstimmig. Wie lange diese „Rückendeckung“ anhält und ob rechte Sozialdemokraten wie Jürgen Walter und etliche andere, die eine Große Koalition mit der CDU einer Minderheitsregierung vorzögen, nun ihre Bedenken zurückstellen und Ypsilanti bei einem möglichen neuen Anlauf in die Staatskanzlei stützen, muss sich zeigen.
Die LINKE jedenfalls kann von dieser Situation profitieren. Während eine Abweichlerin in der SPD bewusst in Kauf nahm, dass durch ihre Nein-Stimme Koch über den 5. April hinaus weiter in der Staatskanzlei residiert und somit die aktuelle Krise auslöste, kann die hessische LINKE, deren sechs Abgeordnete im Landtag für eine Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin entscheidend wären, glaubhaft versichern: An uns wäre es nicht gescheitert. An uns würde es auch bei einem neuen Anlauf nicht scheitern. Die SPD muss mit den bürgerlichen U-Booten und Saboteuren in den eigenen Reihen aufräumen.

Hessische Lehren

Die Entwicklung der letzten Tage ist auch ein Lehrstück in Sachen Medienmanipulation in der bürgerlichen Demokratie. Eine unheilige Allianz von Koch und Kapital bis weit in den SPD-Apparat hinein möchte offenbar das Experiment einer von der LINKEN mit gewählten „rot-grünen“ Regierung Ypsilanti verhindern. Natürlich würde eine solche Regierung den Kapitalisten nicht gefährlich werden. Sie wäre allerdings ein wichtiges Signal, dass ein Reaktionär wie Koch und seine rechtslastige Hessen-CDU abgewählt werden können und dass sich in diesem Lande noch etwas bewegen kann. Eine Ermunterung also für soziale und kritische Bewegungen und Kräfte. Allein schon eine hessische Bundesratsinitiative für einen gesetzlichen Mindestlohn würde die Frage aufwerfen: Warum haben das nicht andere SPD-geführte Bundesländer schon längst getan?

Die Medienpropaganda der letzten Tage zeigt, was für ein Gegenwind nach dem Antritt einer etwas linkeren sozialdemokratischen Regierung zu erwarten ist. Koch und Co. klammern sich an ihre Posten. Das Kapital wurde in neun Jahren Koch verwöhnt. Koch und Kapital würden – sobald sie aus ihren Sesseln verdrängt sind – als Fundamentalopposition mit allen Mitteln und im Schulterschluss mit Unternehmerverbänden, Medien und gesellschaftlichen Stützen reaktionärer Kräfte alles daran setzen, die ungewollte Regierung zu destabilisieren und zu sprengen. Die reformistischen Halbheiten und Zögerlichkeiten sozialdemokratischer Funktionäre könnten ihnen dabei in die Hände spielen.

Viele kritische SPD-Mitglieder, Gewerkschafter, Erwerbslose, Studierende und sozial engagierte Menschen sehnen ein rasches Ende der Regierung Koch herbei und sehen sich durch Dagmar Metzger um diese Chance geprellt. Sie sind gut beraten, wenn sie den Konflikt auf die Straße und in die Betriebe tragen und die Mobilisierungen fortsetzen, denn einen wirklichen Politikwechsel bekommen wir nicht allein mit dem Stimmzettel, sondern durch Druck von unten.
Hessen steht vor spannenden Wochen und Monaten. Es ist etwas in Bewegung geraten. Bleiben wir wachsam! Die alten Kräfte, Koch und Kapital, werden nicht kampflos weichen. Aber wir müssen sie überwinden, wenn wir uns eine bessere Zukunft aufbauen wollen.

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