Bei der Europawahl am 7. Juni 2009 blieb die Wahlbeteiligung in Deutschland mit 43,3 Prozent in etwa auf dem Stand von 2005 (43,0 Prozent). CDU/CSU und FDP, die zusammen auf einen Stimmenanteil von 48,9 Prozent kamen, sehen in diesem Ergebnis einen Beleg dafür, dass sie bei der Bundestagswahl Ende September ebenfalls eine schwarz-gelbe Mehrheit erreichen werden. Einen solchen Automatismus gibt es aber nicht.
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Denn bei der Bundestagswahl könnte die Wahlbeteiligung fast doppelt so hoch ausfallen, so dass die Stimmenanteile ganz anders aussehen. Bei der letzten Bundestagswahl lag die Beteiligung bei 77,7 Prozent. In der letzten Europawahl im Jahre 2004 musste die SPD mit 21,5 Prozent ihr bundesweit schlechtestes Ergebnis nach 1945 verdauen. Damals20regierte die SPD im Bund noch zusammen mit den Grünen und machte sich massiver Protest gegen Kanzler Schröders Agenda 2010 und vor allem Hartz IV breit, den die SPD voll abbekam. Nun hat die SPD ihr Negativergebnis von 2004 noch einmal um 76.000 Stimmen unterboten und mit 20,8 Prozent einen absoluten Tiefpunkt in der „Nachkriegsgeschichte“ erreicht. In Bayern errang sie nur noch 12,9 Prozent, in Sachsen 11,7 Prozent. Die Hoffnung der SPD-Strategen, dass sie mit einem Wahlkampf gegen Finanzhaie und für Mindestlöhne von ihren eigenen Sünden in den Regierungen Schröder und Merkel ablenken könnte, ging nicht auf. Dies ist am ehesten noch den Grünen gelungen, die ihre Wählerbasis besser bedienen und mobilisieren konnten und in Großstädten auch bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen die SPD teilweise klar abhängen konnten. Die 5,5 Millionen SPD-Stimmen bei der Europawahl müssen auch vor dem Hintergrund des früheren SPD-Stimmenpotenzials gesehen werden: Bei der Bundestagswahl 1998 errang die SPD über 20 Millionen Zweitstimmen. Davon hat sie – nach 11 Jahren Regierungsbeteiligung – jetzt nur noch gut ein Viertel mobilisieren können. Bei der Bundestagswahl dürfte die SPD jedoch wieder etliche kritische und unzufriedene Wähler anziehen, die jetzt zu Hause geblieben sind, und damit deutlich besser abschneiden als am 7. Juni.
2004 waren CDU/CSU und FDP im Bund in der Opposition und hatten es auch daher leichter, ihr Potenzial zu mobilisieren. Dem rasanten Zuwachs der FDP, die ihren Anteil bei der Europawahl nahezu verdoppeln konnte, steht allerdings ein noch stärkerer Einbruch bei CDU und CSU gegenüber.
Hier hat offensichtlich ein direkter Stimmenaustausch im „bürgerlichen Lager“ (CDU+CSU+FDP) stattgefunden, das aber unterm Strich noch 188.000 Stimmen weniger einfuhr als bei der Europawahl 2004. Ein glänzender Sieg von „Schwarz-Gelb“ sieht anders aus!
LINKE – Kein Grund zum Jubeln
DIE LINKE freute sich über den Zuwachs von knapp 390.000 Stimmen oder 1,4 Prozent gegenüber dem PDS-Ergebnis von 2004. Knapp zwei Millionen LINKE-Stimmen am 7. Juni sind aber auch nicht einmal die Hälfte des Potenzials von über 4,1 Millionen Stimmen bei der Bundestagswahl 2005 und daher kein Grund zur Genugtuung und zum Eigenlob. DIE LINKE muss in der tiefen Wirtschaftskrise, in Streikbewegungen und betrieblichen/sozialen Konflikten noch viel konsequenter auftreten und Alternativen anbieten, die über den Kapitalismus hinaus weisen. Auf der linken Seite des politischen Spektrums zeigte sich übrigens, dass die kleine Konkurrenz zur Partei DIE LINKE weiter chancenlos bleibt. So verlor die DKP (0,1 Prozent) ein Drittel ihrer Stimmen von 2004 und die PSG schrumpfte gegenüber 2004 gar um zwei Drittel und blieb im 0,0-Prozent-Bereich weit abgeschlagen.
Kein Durchmarsch der Rechtsextremisten
Erfreulich und eine Widerlegung der These vom allgemeinen Rechtsruck ist das schwache Abschneiden der deutschen Rechtsextremisten bei der Europawahl. Der Rückgang der „Republikaner“ um 0,6 Prozent auf 1,3 Prozent Stimmenanteil wurde auch nicht durch den Anteil von 0,4 Prozent für die DVU wettgemacht, die 2004 nicht kandidiert hatte. Die NPD war gar nicht angetreten. 1,7 Prozent für die Rechtsaußen-Parteien bundesweit sind noch keine Massenbewegung. Allerdings konnte die NPD am 7. Juni in einer Reihe von Kommunalparlamenten – so in Leipzig, Rostock, Saarbrücken, Erfurt und Trier – erstmals Sitze erobern (hier gab es keine Fünf-Prozent-Hürde) und anderswo ihre Sitze verteidigen. Insbesondere DIE LINKE steht hier in der Verantwortung und muss konsequente antikapitalistische Alternativen glaubhaft und nachvollziehbar vertreten, um den Neonazis mit ihrer braunen und scheinbar systemkritischen Demagogie entgegenzutreten.
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