Kategorie: Deutschland |
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Was blüht uns mit Schwarz-Gelb? |
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Das bürgerliche Lager aus CDU/CSU und FDP stellt die Mehrheit im neuen Bundestag. Aber nur sein radikaler Flügel, die FDP, konnte Stimmenzuwächse (+ 1,7 Millionen Stimmen) verzeichnen. CDU/CSU verloren über zwei Millionen Stimmen. Nach elf Jahren Opposition kehrt die FDP gestärkt in die Bundesregierung zurück und wird als die lupenreine Interessenvertretung des Kapitals die Linie maßgeblich bestimmen. Was bedeutet diese Konstellation für die arbeitende Bevölkerung, Arbeitslose, Rentner und Jugendliche? Kommt es zu einem Generalangriff auf die sozialen Errungenschaften? | |||
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Der Bundeshaushalt, der von Bankenpaketen und Unternehmensgarantien ausgelaugt ist, will saniert werden. Die großen Konzerne sind fein heraus, während die Steuerzahler (hauptsächlich die ArbeitnehmerInnen, die mit Lohn- und Mehrwertsteuern den Großteil des Steueraufkommens aufbringen) die Lasten zu schultern haben. Während (wie im Wahlkampf von den bürgerlichen Parteien geäußert) Vermögenssteuern „eine Gefährdung für den Aufschwung“ darstellen, sind die Pläne der künftigen Bundesregierung zulasten des Sozialstaats bereits weit fortgeschritten. Nun hat das Kapital endlich wieder seine Wunschregierung - eine Koalition aus CDU/CSU und FDP mit stabiler parlamentarischer Mehrheit. Die ersten Reaktionen auf den schwarz-gelben Wahlsieg waren Kurssprünge an der Börse mit der Erwartung einer damit verbundenen noch wirtschaftsfreundlicheren Politik. Vor allem die Aktienkurse der Stromerzeuger RWE und E.on stiegen rasant, da diese mit einer Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken rechnen. Dies würde ihnen hohe Extraprofite auf längst abgeschriebene Atomkraftwerke bescheren. Auf der anderen Seite kündigten CDU und FDP eine kritische Untersuchung der staatlichen Förderung für erneuerbare Energien, insbesondere im Solarsektor, an. Angriffe auf das Gesundheitssystem Im Gesundheitswesen gehen die Unternehmen bereits in Stellung. Eine weitere Privatisierung des Gesundheitssystems eröffnet ihnen gute Geschäfte. Z. B. wollen Union und FDP die gesetzliche Pflegeversicherung mit dem Einstieg in die Kapitaldeckung erweitern. Der CDU-Gesundheitspolitiker Rolf Koschorrek frohlockt: „Kapitaldeckung ist das zukunftssichere System, jetzt haben wir die Chance, die Pflegeversicherung wetterfest zu machen.“ Angesichts der Weltwirtschaftskrise und der damit verbundenen Krise der privaten Sicherungssysteme ist das eine gewagte These, die nur für anlagesuchendes Kapital von Nutzen ist: Das Aufbrechen der staatlichen Sozialversicherungssysteme für Privatunternehmen verspricht enorme Profite. Unter dem Kampfbegriff der Lobbyisten „mehr Eigenverantwortung“ sollen die Beschäftigten zu mehr privater Absicherung ermuntert werden. Schließlich sei die umlagefinanzierte Pflegeversicherung erheblich anfälliger für die demografischen Auswirkungen als eine Versicherung mit Kapitaldeckung. Eine Folge der liberalen Gesundheitspolitik wären u.a. höhere Zusatzbeiträge, ein Wegfall von Belastungsgrenzen und die weitere Privatisierung von Leistungen wie Zahnersatz oder Krankengeld. Die bürgerliche Koalition bereitet die Bevölkerung auf höhere Zusatzbeiträge für den Gesundheitsschutz vor, da dem Gesundheitsfonds in diesem Jahr zwei bis drei Milliarden Euro fehlen. Um das Loch zu stopfen, könnte die neue Bundesregierung die Zusatzbeiträge der Versicherten steigen lassen, so etwa das „Eintrittsgeld“ für die Arztpraxis, bisher 10 Euro pro Quartal. Angriffe auf die Arbeitnehmerrechte Die schwarz-gelben Pläne greifen auch in die Arbeitnehmerechte ein. So plädiert die FDP für eine Lockerung des Kündigungsschutzes. „Der Kündigungsschutz sollte erst für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten und nach einer Beschäftigungsdauer von zwei Jahren gelten“, heißt es im Wahlprogramm der Liberalen. Die Angriffe auf den Kündigungsschutz verwundern, da er bereits in den letzten Jahren immer weiter gelockert wurde und jeder Unternehmer, der einen Arbeitnehmer loswerden will, dies auch ohne Probleme tun kann. So tritt der gesetzliche Schutz vor Entlassungen erst nach sechs Monaten ununterbrochener Beschäftigung im selben Unternehmen in Kraft. Außerdem gilt der Kündigungsschutz nur in Betrieben mit mehr als zehn regelmäßigen Arbeitnehmern. Auszubildende zählen nicht mit, Teilzeitkräfte werden anteilig hinzugerechnet. Beides will nun die FDP deutlich anheben: Die Hürde von 10 Beschäftigten will sie auf 20 heraufsetzen und die Mindestdauer der Anwesenheit im Unternehmen sogar auf zwei Jahre vervierfachen. Auch jetzt gibt es schon Umgehungsmöglichkeiten, die bereits die rot-grüne Koalition 2003 beschloss. Im Kampf gegen die stark gestiegene Arbeitslosigkeit sollte der Kündigungsschutz gelockert werden, um „Einstellungshindernisse“ zu beseitigen. Dies war die Politik des „Fördern und Fordern“ von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und seiner Agenda 2010. Vor Rot-Grün galt der Kündigungsschutz nämlich bereits für Unternehmen mit mehr als fünf Beschäftigten. Diese Grenze wurde dann verdoppelt. Weiterreichende Forderungen haben die Arbeitgeberverbände bereits einen Tag nach der Bundestagswahl vorgelegt. Darin werden in einem „100-Tage-Programm“ Steuererleichterungen für Unternehmen, die weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die Zurücknahme der Branchenmindestlöhne, das Durchsetzen der Rente mit 67 und Ausgabenkürzungen zur Sanierung des Haushaltes gefordert. Konflikte innerhalb der Regierungsoalition vorprogrammiert Natürlich wird die bürgerliche Mehrheit nicht sofort radikale Angriffe auf das soziale Netz führen. Es wird auch innerhalb der Regierungskoalition zu heftigen Auseinandersetzungen über die Umsetzung ihres Regierungsprogramms kommen. Die FDP als Siegerin der Bundestagswahl sieht sich gestärkt und wird versuchen, als Sprachrohr der „Opfer“ der Berliner Verteilungsrepublik zu agieren. Denn wie eine Umfrage von infratest dimap über die Gerechtigkeit in Deutschland herausfand, bewertete die Hälfte der FDP-Anhänger die Verhältnisse als „eher ungerecht“. Es ist die Meinung jenes Kleinbürgertums, das in Zeiten der Weltwirtschaftskrise unter enormen existenziellen Druck gerät und Angst hat, seine gesellschaftliche Position zu verlieren. Es ist eine Radikalisierung des bürgerlichen Flügels, der im Falle einer Erwartungsenttäuschung sich nach rechts entwickeln könnte. Der Politikwissenschaftler Franz Walter vergleicht diese Perspektive mit den letzten Jahren in den Niederlanden, in denen der Rechtspopulist Geert Wilders erstarkte. Die schwarz-gelbe Bundesregierung wird sich vielleicht zunächst auf Kompromisse einlassen, um die Wahlaussichten für die CDU-FDP-Koalition in Nordrhein-Westfalen nicht zu gefährden, wo am 9. Mai 2010 ein neuer Landtag gewählt wird. Die Bevölkerung soll bis dahin keinen Anlass zu massiven Protesten bekommen. Spätestens nach der NRW-Wahl wird die Koalition ihr wahres Gesicht zeigen und ein Klima für massive Steuererhöhungen und Sozialkahlschlag schaffen. Nach einem „Kassensturz“ wird von einer desolaten Finanzsituation und von daraus folgenden notwendigen Steuererhöhungen gesprochen. Dann wird auch eine „Mehrwertsteuererhöhung“ wieder aus dem Hut gezaubert. Es wird jetzt versucht, schon den Boden vorzubereiten und Stimmung zu machen für massive Einschnitte bei den Ausgaben im Bereich Arbeit und Soziales. |