Was hatten hungernde, unterdrückte, geschundene Arbeiterfrauen mitten im 1. Weltkrieg schon zu verlieren? Die Hölle auf Erden erlebten sie ja bereits. Arbeiten bis zum Umfallen, kaum etwas zu essen, Sorge um die Kinder, oft schwanger, nahezu rechtlos. In Deutschland demonstrierten sie mutig schon 1915 gegen den Krieg, obwohl dies strengstens verboten war. Am 8. März 1917 streikten in Petrograd (Russland) die Arbeiterinnen und Bäuerinnen. Sie riskierten ihr Leben und lösten damit die Februarrevolution aus. Auch die Arbeiter und Soldaten wollten ihr Schicksal nicht mehr hinnehmen.
Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung
Eine Bewegung, die aus dem Nichts entstanden war? Nicht ganz. Als Reaktion auf die zunehmende Unterdrückung und Verelendung nach den gescheiterten bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts blühte die Arbeiterbewegung auf. In Deutschland schlossen sich Frauen unterschiedlicher Herkunft in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts zusammen, um für mehr Rechte zu kämpfen. Es kristallisierte sich eine bürgerliche und eine proletarische Frauenbewegung heraus. Auch wenn sie teilweise die gleichen Ziele verfolgten, war die Klassenlage völlig unterschiedlich.
Bürgerliche Frauen waren zu Hause unterdrückt, durften nicht studieren, nicht arbeiten, durften meistens nur auf eine gute Partie hoffen. Sie wollten sich daraus befreien. Für sie stand nicht der Hunger im Vordergrund, sie haben nicht hauptsächlich unter finanziellen Sorgen gelitten. Die Männer waren in der Regel ihre unmittelbaren Unterdrücker, als Väter oder Ehemänner. Die Suffragetten in England führten einen opferungsvollen und heroischen Kampf um die Rechte der Frauen.
Die proletarischen Frauen waren mehrfach unterdrückt. Sie brauchten nicht um das Recht zu kämpfen, arbeiten zu dürfen, denn das mussten sie sowieso tun. Sie waren als Arbeiterinnen am Arbeitsplatz und zu Hause für die Hausarbeit zuständig. Oft wurden sie von ihren Männern geschlagen, die den Frust in Alkohol ertränkten. Zugang zu Bildung hatten sie meistens nicht. Sich politisch zu organisieren war Ihnen in Preußen bis 1908 verboten. Die einzige Möglichkeit, dem ganzen Elend zu entkommen, war die Überwindung des Systems, das sie alle – Männer und Frauen - so zugrunde richtete. Der Kapitalismus unterdrückte Männer und Frauen und ließ ihnen keine Möglichkeit ein menschenwürdiges Leben zu führen. Die Forderung nach dem Wahlrecht war wichtig, aber proletarische Frauen hatten weitergehende Forderungen. Sie wollten eine andere Gesellschaft für alle. Das hat Clara Zetkin, die Pionierin der proletarischen Frauenbewegung und eine herausragende Persönlichkeit in SPD und später KPD immer wieder betont.
Wahlrecht als Nebenprodukt der Revolution 1918
Unter den Kriegsbedingungen wurde das karge Leben ab Sommer 1914 noch unerträglicher. Frauen mussten die Arbeit in der Rüstungsindustrie und anderswo im Schichtdienst übernehmen, um die Männer, die an die Front gingen, zu ersetzen. Der Krieg, der von der Monarchie als kurzer „Spaziergang“ nach Paris propagiert wurde, zog sich in die Länge. Hunger und Tod waren ein ständiger Begleiter. Adlige und das reiche Bürgertum lebten weiterhin in Saus und Braus. Dieser Zustand war unerträglich. Der Kieler Matrosenaufstand im November 1918 läutete die Revolution in Deutschland ein. Die Monarchie wurde hinweggefegt. Alles schien möglich. Plötzlich wurden Forderungen, die die Bewegung jahrzehntelang gestellt hatte, gewährt, darunter auch das Frauenwahlrecht und der 8-Stunden-Tag. Die Kapitalistenklasse wollte nicht alles verlieren und war zu Zugeständnissen bereit, solange sie Besitz und Privilegien erhalten konnte. Die sahen die Russische Revolution als Schreckgespenst, das sich auch in Deutschland ausbreiten könnte. Also war die Strategie, die Massen zu beschwichtigen und bei bestimmten Forderungen nachgeben und abwarten, bis der Druck von der Straße verschwinden würde.
Spätestens 1923 war es dann so weit. Die Chance einer proletarischen Revolution und die Überwindung des Kapitalismus war vertan worden. Frauen hatten ihre Schuldigkeit getan und viele mussten die Arbeitsplätze wieder räumen. Die überlebenden Soldaten benötigten Arbeit. Sogar Beamtinnen mussten gehen. Alle Frauen sollten sich auf ihre „originäre“ Aufgabe konzentrieren, nämlich die Reproduktionsarbeit und zurück an den Herd. Um Proteste zu vermeiden, blieb das Wahlrecht für Frauen bestehen, aber andere wesentliche Errungenschaften der Revolution wurden zurückgenommen.
Auch in anderen Ländern war das Frauenwahlrecht nicht der Weisheit liberaler Politiker, sondern dem handfesten Druck der Arbeiterbewegung geschuldet. So brachten Revolution und Generalstreik Finnlands Frauen schon 1906 den Zutritt zur Wahlurne. Die Russische Revolution 1917 erzwang nicht nur das Frauenwahlrecht. Die revolutionäre Regierung unter dem Vorsitz Lenins setzte mit fortschrittlichen Gesetzen etwa zu Ehescheidung, Namensrecht, Mutterschutz, Recht auf Abtreibung und sozialer Fürsorge Zeichen. Die Kommunistin und alleinerziehende Mutter Alexandra Kollontai war die erste Ministerin der Welt. Anderswo kam das Frauenwahlrecht deutlich später: Großbritannien 1928, Frankreich 1936, Italien 1946, Belgien 1948, Schweiz 1971, Portugal 1974. Europas Schlusslicht war 1984 Liechtenstein.
Keine volle Gleichberechtigung
Die Ungleichheit setzte sich auch nach der Befreiung von der NS-Diktatur im Nachkriegsdeutschland in Gesetzesform fort. Formales Wahlrecht bedeutete noch längst keine volle Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, so steht es im Grundgesetz seit 1949. Doch in der Bundesrepublik vergingen Jahrzehnte, bis diskriminierende Vorschriften verschwanden. Bis 1958 hatte der Mann das Bestimmungsrecht über Frau und Kinder. Bis 1962 durften Frauen keine eigenen Bankkonten eröffnen, bis 1977 durfte der Mann bestimmen, ob seine Frau arbeiten durfte oder nicht. Das ist gar nicht so lange her. Und heute? Nun, werden viele einwerfen, heute ist es anders. Heute genießen Frauen in Deutschland die Gleichberechtigung. Genügt uns das? Gleichberechtigt unterdrückt sein, ist das wirklich erstrebenswert?
Tatsache ist, dass Frauen in Deutschland durchschnittlich 21 Prozent weniger verdienen als Männer. Dies hängt teilweise damit zusammen, dass sie eher soziale Berufe ergreifen. Also selber schuld? Soziale Berufe genießen nicht die gleiche finanzielle Wertschätzung, da die Arbeit traditionell von Frauen zum Nulltarif als unentgeltliche Reproduktionsarbeit ausgeführt wurde.
Laut aktueller Studie der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam leiden vor allem Frauen unter einer Unterfinanzierung bei Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherung. Sie besitzen weltweit 50 Prozent weniger Vermögen als Männer und beziehen um 23 Prozent niedrigere Gehälter. Dazu kommen diskriminierende Regelungen im Arbeits-, Steuer-, und Erbrecht. Sie leisten Jahr für Jahr Pflege- und Sorgearbeit im Wert von zehn Billionen US-Dollar, ohne dafür bezahlt zu werden. Die Zeit fehlt ihnen für Erwerbsarbeit, Weiterbildung und politisches Engagement.
Der DGB macht in einer Veröffentlichung zum 8. März 2019 darauf aufmerksam, dass seit 2012 der „Tag der betrieblichen Entgeltgleichheit“ begangen wird, seit Juli 2017 ein Entgelt-Transparenzgesetz existiert. Seit Januar 2018 erhalten Mitarbeiter in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern das Recht auf individuelle Auskunft. Schön und gut, aber bringt uns das dem Ziel von besseren Lebensbedingungen näher?
Was ist aus der Forderung nach radikaler Arbeitszeitverkürzung für alle bei vollem Lohnausgleich geworden? Viele Kolleginnen und Kollegen haben 1984 dafür hart gekämpft. In einigen Branchen ist die 35-Stunden-Woche Wirklichkeit geworden. Seitdem ist die Automatisierung enorm gewachsen, der Arbeitsdruck und die Arbeitsverdichtung ebenso. Die Produktivität aller Beschäftigten ist um ein Vielfaches gestiegen. Jede und jeder spürt in den eigenen Knochen oder Psyche, dass die „Wertschöpfung“ nicht ihr/ihm zu Gute kommt, sondern der Steigerung des Profits der Kapitalisten dient.
Der ehemaligen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist vor Jahren ein „Wahrheitslapsus“ unterlaufen. Ihr Ministerium hatte herausgefunden, dass alle, die unter 2.500,- Euro brutto verdienen, später in der Altersarmut landen. Um Abhilfe zu schaffen, müsste ausgehend von einer 40-Stunden Woche sofort ein Mindestlohn von über 15,- Euro gelten. Wo bewegen wir uns derzeit? Bei gerade mal 9,19 Euro! Damit wird bewusst Armut programmiert und werden die Unternehmen subventioniert. Denn ergänzende Sozialhilfe, Hartz IV und Grundsicherung zahlen wir als die Masse der Steuerzahlenden.
Dafür liegt es im Trend, Genderpolitik zu verkünden. Wichtiger wäre, dass die Organisationen der Arbeiterbewegung endlich kämpferischer würden und Aufklärung betrieben. Denn der Kapitalismus funktioniert nun mal nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“: Inländer gegen Ausländer, Junge gegen Alte, Männer gegen Frauen. Da hilft wenig, wenn die Minister Frauen sind, die genau die gleiche Politik betreiben, eventuell Trostpflästerchen verteilen und Frauen ein Gender-Bonbon schenken. Erinnern wir uns, dass dies in der Tradition der bürgerlichen Frauenbewegung begründet ist und nicht in der proletarischen.
Nun soll im Land Berlin der 8. März als Feiertag etabliert werden. Frauen in Spanien hatten zu einem Streiktag am 8. März 2018 aufgerufen. Viele Männer wollten sich dem Protest anschließen. Ihnen wurde nach Augenzeugenberichten bei manchen Kundgebungen und Demonstrationen gesagt, dies sei nur Frauensache. Doch proletarische Frauen haben sich durchgesetzt und dafür gesorgt, dass auch die Männer selbstverständlich mitmachen konnten.
Lehren für heute
Es ist durch Druck von unten einiges erreicht worden in Sachen Gleichberechtigung der Frau, aber nicht genug. Bis heute prägen Lohnunterschiede und Sexismus den Erwerbsalltag. Altersarmut ist mehrheitlich weiblich. Auch der Aufstieg einzelner Frauen in hohe Regierungsämter hat dies nicht beseitigt. Die Gleichberechtigung bleibt so lange unvollendet, wie es Kapitalismus und Klassengesellschaft gibt.
Es ist an der Zeit, sich mit den geschichtlichen Lehren auseinanderzusetzen. Der fatalistische Spruch „Es war schon immer so“ hilft nicht weiter und ist auch nicht korrekt. Es war nicht schon immer so. Nichts währt ewig, auch nicht die kapitalistische Klassengesellschaft.
„Die Frau und der Sozialismus“ lautet der Titel eines lesenswerten Buchs des alten SPD-Vorsitzenden August Bebel. Es schließt mit dem Satz: „Dem Sozialismus gehört die Zukunft, das heißt in erster Linie dem Arbeiter und der Frau.“
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