Kategorie: Geschichte |
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Von Hütten und Palästen |
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Begnadeter Dichter, promovierter Medizinprofessor, Sozialrevolutionär…eine Lebensgeschichte so bewegt wie bewegend, so schnelllebig und viel zu kurz. Georg Büchners Geburtstag jährte sich im Oktober 2013 zum 200. Mal. Gleichwohl reicht das politische und literarische Vermächtnis Büchners weit über seinen frühen Tod mit nur 23 Jahren hinaus. Eine anhaltende Faszination scheint von Georg Büchner auszugehen. Ein Revolutionär, seiner Zeit weit voraus, ein vielseitiges Genie, dessen Leben so eng verflochten war mit dem aufrührerischen Geist seiner Epoche. |
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Wie wir alle konnte sich auch Georg Büchner der materiellen Umstände seiner Zeit nicht erwehren. 1813 im hessischen Goddelau bei Darmstadt in eine gut situierte Familie hineingeboren, erfährt der junge Büchner schon früh am eigenen Leib, was es heißt, in einem totalitären Kleinstaat aufzuwachsen. Jedoch ist die Revolution auch an dem als sehr rückständig geltenden Großherzogtum nicht unbemerkt vorbeigezogen: der Geist der Französischen Revolution – die Idee, deren Zeit gekommen war – lässt sich nicht gänzlich von der Reaktion zerschlagen, so brutal ihre Mittel auch sein mögen. Im Untergrund formiert sich Widerstand in Form von oppositionellen Gruppierungen, radikalisiert durch die zahlreichen Rückschläge und Verluste.
Zum Studium der Medizin schreibt sich der erst achtzehnjährige Büchner in Straßburg ein. Nur ein Jahr nach der französischen Julirevolution von 1830 ist die Monarchie restauriert worden und die Repression erneut lodernd aufgeflammt. Die politisierte und revolutionäre Stimmung, durch die Lyoner Seidenweberaufstände aufgeheizt, ergreift auch den jungen Studenten, der sich mit glühender Passion frühsozialistischem sowie frühkommunistischem Gedankengut widmet. In Anlehnung an die „Société des Droits de l’Homme“, zu der er in Straßburg Kontakt gepflegt hatte, ist Büchner, der sein Studium 1833 in Gießen fortsetzt, Mitbegründer der sogenannten „Gesellschaft für Menschenrechte“. Im Auftrag dieser Gruppe, die einen revolutionären Umsturz der Gesellschaft zum Ziel hat, verfasst er die sozialrevolutionäre Flugschrift Der Hessische Landbote, die zu seinen wichtigsten politischen Werken zählt.
„Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“
Dieser auch im 21. Jahrhundert noch viel zitierte Ausspruch dient dem Hessischen Landboten nicht zufällig als Überschrift: es war die Losung der französischen Revolutionsarmeen bei der Eroberung des linken Rheinlandes, auf die Büchner anspielte. Die Schrift richtet sich an die arme und rechtlose Land- und Stadtbevölkerung. Ihr soll bewusst gemacht werden, dass ihre Armut lediglich Resultat der Ausbeutung durch die Reichen sei, durch Steuer- und Abgabesysteme aufrecht erhalten. Folglich wird die Akkumulation an Eigentum der Reichen als Diebstahl am Eigentum der Armen gesehen. So heißt es im Landboten: „Das Gesetz ist das Eigentum einer unbedeutenden Klasse von Reichen, die sich durch ihr eigenes Machwerk die Herrschaft zuspricht. Diese Gerechtigkeit ist nur ein Mittel, euch in Ordnung zu halten, damit man euch bequemer schinde.“
Diese bewusste Einteilung in eine Klasse von Armen auf der einen und eine Klasse von Reichen auf der anderen Seite und deren Unversöhnlichkeit geht eindeutig auf den Klassencharakter des Staates ein, wie er uns auch von der marxistischen Theorie bekannt ist. Wohlgemerkt liegen zwischen der Entstehung des Landboten und dem Erscheinen des Kommunistischen Manifests vierzehn lange Jahre. Zu einer Zeit, da der Stand der Produktivkräfte ein vergleichsweise niedriger war, gelingt Büchner eine erstaunlich fundierte sozialkritische und revolutionäre Analyse des frühkapitalistischen Staates. So schließt er mit der Prophezeiung: „Wer das Schwert erhebt gegen das Volk, der wird durch das Schwert des Volkes umkommen.“
Büchner befürwortet nicht nur die Idee einer umfassenden Revolution, sondern hält sie vielmehr für eine unbedingte Notwendigkeit, um die bestehenden sozialen Verhältnisse umzuwälzen. Sie müsse nach Büchner dementsprechend auf einer Massenbewegung fußen, um erfolgreich sein zu können. Den Ursprung für die Entstehung einer solchen Massenbewegung sieht er im Druck der materiellen Not der Armen. Dabei zielt der Hessische Landbote als Flugschrift auf die Vereinigung der „materiellen Interessen des Volks mit denen der Revolution“.
Auf Einwirken seines Mitstreiters, des Theologen und Oppositionellen Friedrich Ludwig Weidig, Mitherausgeber des Landboten und Großonkel des späteren deutschen Arbeiterführers Wilhelm Liebknecht, wurden im Landboten viele der ursprünglichen Passagen gemäßigt und redigiert. Der Wut und Ablehnung Büchners zum Trotz fügt Weidig dem Text biblische Metaphorik hinzu und schwächt ebenso die für Büchner so zentrale Kritik an den liberalen Kräften der deutschen Oppositionsbewegung ab. Auch erkennt er die besondere Interessenlage des liberalen Besitzbürgertums, das sich zeitweise sowohl gegen den Adel als auch gegen die Armen richtet. Eine Kritik, die später auch von Marxisten weiter entwickelt wird.
Flucht und Exil
Die Veröffentlichung des Hessischen Landboten bleibt nicht folgenlos: eine Verhaftungswelle zwingt Büchner zur Flucht nach Straßburg, sein Mitstreiter Weidig stirbt ungeklärterweise 1837 im Darmstädter Untersuchungsgefängnis, in dem er zwei Jahre lang auf brutale Weise misshandelt worden war.
„Die politischen Verhältnisse könnten mich rasend machen. Das Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Fürsten und Liberalen ihre Affenkomödie spielen.“ In diesen Worten Büchners liegt die schwermütige Verzweiflung eines jungen Mannes, der das Potential des in vorindustrieller Massenarmut ausgebeuteten Volkes zur Auflehnung gegen sein Elend erkennt und zusehen muss, wie es sich dessen ungeachtet beinahe zu Grunde richten lässt.
Die Idee der Revolution lässt Büchner nicht los. Sein erstes großes literarisches Werk verfasst er im Winter 1934/35 nach ausführlichem Quellenstudium der Historie der Französischen Revolution: das Drama „Dantons Tod“. Es beschreibt die Machtkämpfe in jener Phase der Revolution, die allgemein als „Jakobiner-Herrschaft“ bekannt ist. Im französischen Exil widmet er sich zum einen der Literatur. Innerhalb eines Jahres entstehen die Erzählung Lenz und das Lustspiel Leonce und Lena, in dem er den Spätabsolutismus und das romantisch-verklärte Weltbild des Bürgertums persifliert, d.h. nachahmt und verspottet. Nebenbei übersetzt Büchner zwei Dramen Victor Hugos ins Deutsche und verfasst eine wissenschaftliche Dissertation über das Nervensystem von Fischen in französischer Sprache, für die er von der Universität Zürich promoviert und zum Privatdozent beordert wird. Seine letzten Lebensmonate verbringt Büchner dort in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauses, das 80 Jahre später Lenin in seinem Exil während des 1. Weltkriegs bis zum Ausbruch der Russischen Revolution 1917 bewohnte.
Lebendige Ideen
Büchners letztes literarisches Erbe bleibt zwar nur ein Fragment, die Wirkung der Tragödie Woyzeck aber ist eine gewaltige. Nie zuvor wurde ein sozial Deklassierter, einer, der zu den Ärmsten der Armen zählt, zur dramatischen Hauptfigur gemacht. Dabei ist Woyzeck kein Held im klassischen Sinne, vielmehr ist er Inbegriff eines Menschen, der durch äußere Zwänge zunehmend den Prozess der Entfremdung durchschreitet und dessen körperlicher und geistiger Verfall schließlich seinen tragischen Höhepunkt in dem Mord an seiner Geliebten findet.
Zu seinem 200.Geburtstag ist das, was uns Büchner in seinem kurzen Leben vermachte, seine Ideale und Visionen erstaunlich aktuell und lebendig. Er selbst verpasste die ersehnte Revolution und musste die ständigen niederschmetternden Rückschläge miterleben, die die Bewegung sowie ihn selbst immer wieder demoralisierten. Und doch: nur wenige Jahre nach seinem Tod erbebte die Monarchie angesichts der Revolution von 1848.
Das anhaltend breite Interesse am Werk dieses jungen Revolutionärs zeigt, dass sein Werk nicht vergeblich, sein Ruhm nicht unbegründet ist, dass sich jegliche Art von revolutionärer Arbeit früher oder später in das Bewusstsein der Menschen eingräbt. Und dass die Forderungen im Kampf für den Sozialismus zeitlos sind. |