Kategorie: Geschichte |
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Frankreich am 8. Februar 1962: Metro Charonne – Polizei tötet Demonstranten |
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Paris, Februar 1962. Die Aussicht auf ein Ende des Algerienkrieges scheint in weite Ferne gerückt, seit am 28. Juli 1961 die Fürsprecher eines Friedens zwischen der GPRA (Provisorische Regierung der Republik Algerien) und der französischen Regierung auseinandergetrieben worden sind. Währenddessen kommt man an den Schaltstellen der Macht zu der Einsicht, die einzig mögliche Lösung sei die Unabhängigkeit Algeriens. Die Faschisten der OAS halten derweil verzweifelt an ihrem Traum eines französischen Algeriens fest. |
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Sie vervielfachen die Zahl ihrer Attentate in Algerien und in der französischen Hauptstadt. Mit dieser Terrorstrategie soll Druck auf die französische Regierung ausgeübt werden, die sich immer deutlicher Verhandlungen mit der GPRA zugeneigt zeigt.
Angesichts der braunen Gefahr kommt Bewegung in die linken Kreise im Umfeld des Kommitté Audin (einer Gruppe von Intellektuellen, die darum kämpft, das Verschwinden des Maurice Audin, eines Aktiven der Kommunistischen Partei Algeriens, ans Licht zu bringen), der PCF (Kommunistische Partei Frankreichs), der UNEF (Studierendenverband) und der PSU (Vereinigte Sozialistische Partei). An den Universitäten werden Streiktage organisiert – mit Erfolg: Charles de Gaulle sieht sich gezwungen zu verkünden: „Nicht das Volk hat sich um das Problem mit der OAS zu kümmern, die Ordnungskräfte müssen handeln.“ Diese hingegen zeigen nicht weniger Eifer darin, den Terror der OAS zu bannen, als in der Repression gegen die Sympathisanten der algerischen Sache. Am 7. Februar 1962 werden 10 Anschläge verübt. Die Ziele sind Universitäten, Abgeordnete der PCF, Offiziere, Journalisten sowie der Kultusminister André Malraux. Die für ihn bestimmte Bombe verletzt die vierjährige Delphine Renard, die ein Auge verliert und schwer entstellt wird.
Diese Welle von Gewalttaten veranlasst die Linke, zu einer Kundgebung am 8. Februar auf dem Platz der Bastille in Paris aufzurufen. Nun besteht aber gemäß der am 21.4.1961 erlassenen Notstandsverordnung ein Verbot jeglicher Demonstration auf öffentlichen Verkehrswegen. Indessen war einigen Historikern wie Professor Brunet zufolge der damalige Pariser Präfekt Maurice Papon sehr wohl bereit, die Versammlung vom 8. Februar zuzulassen. Es ist General de Gaulle persönlich, der sich für die Unterbindung einer Kundgebung entschieden hat, nachdem er diese zuvor als kommunistisch und damit als umstürzlerisch und als gefahrenträchtig bezeichnet hat. Darüberhinaus schmeichelt ein solches Verbot dem rechten Flügel seiner eigenen Freischärler, indem es deutlich macht, dass de Gaulle bei der Lösung des Algerienkonfliktes „das Spiel der Kommunisten“ nicht mitspielt.
Am Tag der Demonstration sind die Anweisungen klar: striktes Versammlungsverbot, „Stärke zeigen“ bei der Zerstreuung der Demonstranten. Diese „Stärke“ werden die auf den Platz entsandten Polizeibataillone in dramatischer Weise anwenden. Die Demonstration wird vollständig eingekreist, es ist ein regelrechter Polizeikessel, in den sich die Demonstranten von 18 Uhr an hinein bewegen. 2845 CRS (Spezialeinheit), Gendarmen und Polizeikräfte in 5 Abteilungen haben den Stadtteil Bastille umstellt, vom Gare de Lyon bis zu den Metrostationen Filles du Calvaire und Saint Ambroise sowie von der Rue Saint Antoine bis zum Boulevard Voltaire.
Seitens der Demonstranten erhofft man sich eine friedliche Versammlung, eine am 8. Februar ausgestrahlte Radiodurchsage mahnt: „die Demonstranten sind aufgefordert größte Ruhe zu bewahren“. Darüberhinaus entscheiden die Veranstalter, auf einen Marsch zu verzichten - in der Erwartung, die Polizei werde eine stehende Versammlung unbehelligt lassen.
Zur Stunde der Demonstration treffen die Demonstrierenden auf die Ordnungskräfte. Einige fluten zurück auf die andere Seite, während auf der rechten Seite die Spannung immer mehr ansteigt. Schließlich kommt es am Boulevard Beaumarchais zu einigen Zusammenstößen. Die Antwort der Polizei ist furchtbar. Es wird eingeprügelt auf Demonstranten, Passanten, auf Männer, Frauen und Greise, bis hinein in die Cafés und die Metrostationen – in so blinder Gewalt, dass selbst Polizisten in Zivil verletzt werden.
Besonders gewaltsam aber wird auf dem Boulevard Voltaire und in der Rue de Charonne durchgegriffen. Als die Veranstalter das Zeichen zur Auflösung der Demonstration geben, greifen die Ordnungskräfte unter dem Kommando von Kommissar Yser den Zug an. Letztlich auf den Befehl aus der Kommandozentrale – das heißt des Präfekten Papon hin, dass die Demonstranten mit Härte zu zerstreuen seien, schlagen die Polizisten mit äußerster Brutalität und völlig unvermittelt los. Panik breitet sich unter den Demonstranten aus, die nun versuchen, in Richtung zur nächstliegenden Metrostation zu flüchten.
Die ersten Ziele der Ordnungskräfte sind die kommunistischen Abgeordneten, auf deren Köpfe sie einschlagen. Als nächstes sind die Demonstranten an der Reihe, die im Gedränge der Menge auf den Treppen zur Metro stolpern und übereinander stürzen. Statt den Erstickenden zu helfen schlagen die Polizisten unter Beleidigungen weiter auf sie ein, sie werfen mit Eisenrosten von den Einfassungen der Bäume und den Luftschächten nach ihnen. Das Ergebnis dieser Gewaltorgie sind 8 Tote, darunter ein Demonstrant von 15 Jahren. Sieben davon sterben an Erstickung, einer an den Folgen seiner Kopfverletzungen. Sie alle waren Kommunisten.
Am Tag nach dem Drama wurde von der Presse einhellig die Verantwortlichkeit der Ordnungskräfte angeprangert. Der Innenminister Roger Frey hingegen beschuldigte die Kommunistische Partei und schob ihr die volle Verantwortung dafür zu, da sie trotz des offiziellen Verbots die Demonstration abgehalten hätten. Dabei rückte er die Demonstranten in die Nähe der Faschisten der OAS als – wie er erklärte – die beiden großen Feinde des inneren Friedens. Die französische Bevölkerung ihrerseits zeigte sich entsetzt von der entfesselten Unterdrückung: zwischen 500 000 und einer Million Pariser/innen folgten bei der Beisetzung der Opfern dem Trauerzug.
Dieser Abschnitt aus dem politischen Leben Frankreichs bezeugt einmal mehr die Geschichtsvergessenheit des französischen Staates hinsichtlich bestimmter Themen. Im Laufe der Jahre ist das Drama vom 8. Februar 1962 aus der offiziellen Erinnerungskultur verschwunden. Vier Jahrzehnte mussten abgewartet werden, bis wir die Freigabe der Dokumente über den Algerienkrieg erleben, bis zum Beginn einer klugen Selbstkritik seitens des Staates, die vielleicht endlich die Vorgänge erhellt, die an jenem schrecklichen Tag acht Menschenleben gekostet haben.
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