In den Jahren des industriellen Aufschwungs im Deutschen Kaiserreich hatte die herrschende Klasse durch Bismarcks Sozialistengesetz (1878-90) versucht, die in der Arbeiterbewegung verankerte und aufstrebende Sozialdemokratie zu unterdrücken. Und das nicht ohne Grund. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte der Kapitalismus in Deutschland einen Aufschwung, der nur von kleineren Rezessionen unterbrochen wurde. In der Stahlproduktion gelang es Deutschland um die Jahrhundertwende, England, die damals älteste und vorherrschende Industriemacht der Welt, zu überholen. Mit der Zeit wuchs so die Anzahl der Industriearbeiter und damit auch das soziale Elend. Mit der Sozialdemokratie hatte sich bald eine Bewegung in der Arbeiterklasse gefunden, deren Ziel es war, die ökonomischen und sozialen Verhältnisse grundlegend zu ändern.
Gründung und Parteiverbot
1875 kam es zur Fusion des von Ferdinand Lasalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) und der von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), die sich 1891 in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) umbenannte. Das vorherrschende geistige Fundament war der Marxismus. Nun hatte man eine einheitliche Arbeiterpartei, die außerhalb sowie innerhalb des Parlaments die Interessen des Proletariats vertreten sollte. Im Reichstag hielten die Sozialdemokraten flammende Reden und sprachen von einer Umgestaltung der Gesellschaft durch eine Revolution und von einer allgemeinen Demokratie. Diese Forderungen verursachten bei den Kapitalisten und ihren Parteien – Konservativen, Liberalen und Monarchisten – große Ängste. Die Staatsgewalt reagierte ab 1878 mit der Verabschiedung des Sozialistengesetzes. Durch dieses Gesetz gab es ein Versammlungsverbot und Verbote sozialdemokratischer Schriften und Presse. Gleichzeitig machte Bismarck durch die Sozialgesetzgebung Zugeständnisse an die Arbeiterklasse. Zwar verbesserten sich allmählich die Arbeitsbedingungen im Kaiserreich, jedoch waren dies Zugeständnisse, die die herrschende Klasse aufgrund der wachsenden Streikbewegung der Gewerkschaften, also durch Druck von unten machte.
1890 scheiterte Bismarck letztendlich, da von Wahl zu Wahl immer mehr SPD-Abgeordnete in den Reichstag einzogen. Bismarck hatte gehofft, durch die Sozialgesetzgebung die Arbeiter für sich zu gewinnen und so die Sozialdemokratie überflüssig zu machen. Er schaffte dies nicht, da die SPD immer mehr an Zuspruch und Verankerung gewann. Und dies trotz der Ungerechtigkeit des damaligen Drei-Klassen-Wahlrechts, wodurch die Stimme eines Reichen mehr zählte als die eines Arbeiters. 1912 war die SPD schließlich mit 34,8 % die stärkste Fraktion im Reichstag. Im Vergleich zu heute war das ein Traumergebnis für die SPD. 1890 wurde schließlich auch das Verbot aufgehoben.
Bürokratisierung und Erfurter Programm
Nun stellte sich der SPD eine Frage: Wie weiter? Sie war nun nicht mehr die Partei, die mit dem Sozialistengesetz zu kämpfen hatte und ihre sozialistischen Ideen und Ideale illegal verbreiten musste. Mittlerweile verfügte sie über Parteihochschulen und mehrere Umfeldorganisationen sowie 90 lokale und regionale Tageszeitungen. Mit der wachsenden Bürokratisierung entwickelte sie sich zu einer Arbeiterpartei mit einer zunehmend abgehobenen Führung, die immer mehr dem Druck der herrschenden Klasse ausgesetzt war. Viele hauptamtliche Funktionäre kamen zunehmend in den Genuss von Privilegien und verdienten ein Mehrfaches eines durchschnittlichen Facharbeiterlohnes. So konnten sie ein behagliches kleinbürgerliches Leben führen.
Das SPD-Parteiprogramm, das Erfurter Programm von 1891, bestand aus zwei Teilen: dem Minimal- und Maximalprogramm. Im Minimalprogramm, von Eduard Bernstein verfasst, waren konkrete tagespolitische Forderungen und Themen aufgelistet, während im Maximalprogramm, von Karl Kautsky verfasst, stand, dass aufgrund des kapitalistischen Mechanismus eine Revolution und Machtübernahme der Arbeiter in Zukunft bevorstehe.
Flügelkämpfe
In der Partei bildeten sich allmählich drei Flügel heraus. Der radikal linke Flügel um Rosa Luxemburg hielt an die Tradition des Klassenkampfes und des revolutionären Marxismus fest. Dem gegenüber entstand ein rechter Flügel um Bernstein, den Begründer des sogenannten Revisionismus. Er empfand den revolutionären Marxismus als „veraltet“ und forderte, dass man sich in Zukunft auf Reformen ausschließlich über das Parlament und auf gewerkschaftliche Kleinarbeit auf der Basis des Kapitalismus beschränken solle. Schließlich gab es noch als Mehrheitsströmung das „Marxistische Zentrum“ um den Parteivorsitzenden August Bebel und Karl Kautsky, den theoretischen Kopf der Partei und der 1889 gegründeten Sozialistischen Internationale. Diese drei Flügel drückten sich später, ab 1917, durch die Spaltung der SPD und Bildung von USPD und KPD aus. Oft gab es bis 1914 heftige Debatten über die genaue Ausrichtung der Partei, doch dem Parteivorsitzenden August Bebel gelang es oftmals alle Wogen zu glätten. In ihrer Theorie blieb die SPD radikal und links. In ihrer Praxis beschränkte sie sich jedoch immer mehr nur auf kleinere Reformen und verlor das große Ziel aus den Augen. 1913 verstarb Bebel und der Gewerkschafter Friedrich Ebert wurde zum neuen Parteivorsitzenden gewählt.
Der Erste Weltkrieg
In der Zeit des von den europäischen Mächten ausgehenden Imperialismus und der Eroberung von Kolonien und Ausplünderung von Rohstoffen durch die europäischen Großmächte nahmen Nationalismus und allgemeine Kriegsgefahr zu. Es wurde mehr in Aufrüstung investiert und von den Herrschenden auch eine Kriegsbegeisterung vorangetrieben. Auf den Kongressen der Sozialistischen Internationale gelobte man in Beschlüssen, im Falle eines Krieges Widerstand zu leisten und die Kapitalistenklasse zu stürzen. In den Julitagen des Jahres 1914 gab es noch Proteste gegen den drohenden Krieg von Seiten der Sozialdemokratie. Doch am 4. August stimmte die komplette SPD-Reichstagsfraktion den kaiserlichen Kriegskrediten zu. „Ich kenne keine Parteien, ich kenne nur noch Deutsche“, erklärte Kaiser Wilhelm damals. Die Anti-Kriegsparolen waren nur noch leere Worte. Dies war der Auslöser für die Parteispaltung ab 1917.
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