Kategorie: Geschichte

Luther: Wie der aufmüpfige Mönch zum Fürstenknecht wurde

Es ist klar, dass wir SozialistInnen uns im Jahr 2017 in erster Linie mit dem 100. Jubiläum der Russischen Revolution auseinandersetzen. Währenddessen erreichen aber auch die Feste rund um die Reformation und einem ihrer Wegbereiter, Martin Luther, in diesem Jahr ihren Höhepunkt.


2008 war der Startschuss für eine großangelegte Kampagne. Im Zentrum steht der Theologe Martin Luther. Seit nun knapp zehn Jahren führt die Kampagne „500 Jahre Reformation“ Themenjahre durch. Zum 500. Jubiläumsjahr der Reformation soll der 31. Oktober – das Datum, an dem Luther 1517 seine berühmten 95 Thesen an die Kirchen in Wittenberg genagelt haben soll – in Deutschland zu einem nationalen Feiertag ernannt werden.

Der verräterische Messias Luther

Die berühmtesten dieser 95 Thesen sind jene, die das geschäftsmäßige Handeln mit Ablassbriefen anprangern. Denn nach Luthers Verständnis der Heiligen Schrift werden die Gläubigen mit dem Ablasshandel betrogen, weil sich ihre Sünden weder unentgeltlich durch Buße tun, noch über den Kauf von Ablassbriefen beseitigen lassen.

Nach Engels zeichnen sich Luthers reformatorische Anfänge dadurch aus, dass er eine breite Opposition aus Teilen verschiedener Klassen aufbaute, um so die etablierte geistliche herrschende Macht in Form der katholischen Kirche grundlegend in Frage zu stellen. Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers trennte die Verbindung zwischen weltlicher und klerikaler Obrigkeit. Der bürgerlichen Reformationsbewegung war es so möglich, Teile der weltlichen herrschenden Klasse für die Auseinandersetzung mit den katholischen Pfaffen zu gewinnen. Dabei hatte Luthers anfängliche Radikalität eine große Sogwirkung auf die Unterdrückten, so etwa die notleidende Bauernschaft. Viele sahen darin einen Aufruf zu ihrer Befreiung, während ein Teil der Privilegierten lediglich die Macht der Pfaffen, die Abhängigkeit von Rom und die katholische Hierarchie brechen wollte.

Luther hatte die Wahl zwischen diesen beiden sich in ihren Klasseninteressen diametral gegenüberstehenden reformatorischen Parteien. Die Entscheidung war, angesichts der Tatsache, dass Luther selbst aus einem bildungsbürgerlichen Umfeld stammte und den Schutz des niederen Adels genoss, schnell getroffen. Er ließ die Masse der Bauern und Handwerker fallen. Dies sollte sich bald in seiner theologischen Ausrichtung und politischen Haltung ausdrücken. Plötzlich predigte der „Fürstendiener“ Luther, dass der korrupte Klerus nur noch durch gesetzliche Maßnahmen verändert werden sollte und dass nur gewaltloser Widerstand zu tolerieren sei.

Radikale Reformatoren

Die Volksmasse der Unterdrückten war in ihrem Bewusstsein jedoch bereits weiter als Luthers Kritik am Klerus. Denn auch die weltliche Obrigkeit schröpfte die Bauernschaft und verdammte diese zu Fron und Zehnt. Auf dieser weltlichen, diesseitigen Sphäre wussten die radikalen Reformatoren anzuknüpfen. Besonders seiner Zeit voraus war Thomas Müntzer. In seinen Gottesdiensten, legte er die Missstände im Klerus offen und richtete seinen Widerstand gegen eine “naturgegebene” Dreiteilung der Gesellschaft in Stände. Müntzer sah das himmlische Paradies nicht als ein entferntes Ziel im Jenseits, vielmehr sah er die Aufgabe der Gläubigen darin, für die Umgestaltung des Diesseits zu einem gerechten Ort zu kämpfen. Das Reich Gottes war für ihn und seine Anhänger eine klassenlose Gesellschaft in der Gegenwart. Mit dem „Ewigen Bund Gottes“ formierten Müntzer und seine Mitkämpfer eine Bewegung, von der sich viele landlose Bauern angezogen fühlten.

Währenddessen schmeichelte Luther weiter der weltlichen Obrigkeit und legitimierte theologisch deren Stellung als Unterdrücker in der Gesellschaft. So war Luther den einfachen Leuten bald unter der Bezeichnung “Fürstendiener” bekannt. Dennoch hatte Luther mit seiner Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache den Unterdrückten ein mächtiges Werkzeug in die Hände gegeben. Die Ressourcen der ländlichen Bevölkerung wurden immer knapper, weil sich Grundbesitz in den privaten Händen einer Minderheit konzentrierte. Gleichzeitig blieben die zu leistenden Abgaben gleich oder wurden gar erhöht. Mit dem Hinweis auf Gottes Recht, das höher als Fürstenrecht sei, wollten die Bauern keine ungerechtfertigten Abgaben mehr leisten. Müntzer zeigt treffend auf, dass die Fürsten und Herren sich munter öffentliche Güter aneignen und alle Kreaturen zu ihrem Eigentum erklären. Thomas Müntzer wurde zu einer Leitfigur im Deutschen Bauernkrieg. Als er nach einer gescheiterten Schlacht festgenommen wurde, erklärte er im Verhör nochmals die Forderungen der Bewegung: „Gemeinschaft aller Güter, die gleiche Verpflichtung aller zur Arbeit und die Abschaffung aller Obrigkeit“. Nachdem man Müntzer folterte, wurde er enthauptet und seine Überreste öffentlich zur Schau gestellt. So erging es vielen radikalen Reformern, welche sowohl die geistigen aber auch die weltlichen Macht- und Besitzverhältnisse in Frage stellten.

Wieso der Arbeitsfetisch?

Auch Luther bezog klar Stellung gegenüber der sich erhebenden bäuerlichen Bevölkerung. In einer Schrift äußerte er sich folgendermaßen: „Man soll sie [die Bauern] zerschmeißen, würgen und stechen [...]!“. Darum ließ sich die Obrigkeit natürlich nicht zweimal bitten und schlug die Bauernaufstände gewaltsam nieder. Schätzungsweise 100.000 Bauern fielen diesem Klassenkampf zum Opfer.

Mit Zwingli und Calvin wirkten zwei Reformatoren in der Schweiz. Der Calvinismus gilt dem bürgerlichen Soziologen Max Weber als Katalysator für die Entwicklung des Kapitalismus. Kern dieser „Wahlverwandtschaft“ sei die Prädestinationslehre der calvinistischen Theologie, die besagt, dass schon vor der Geburt jedes
Menschen feststehe, ob man zu den Auserwählten oder Verdammten gehöre. Aufgrund dieser Prädestination wisse niemand, zu welcher Gruppe er oder sie gehöre. Weil der einzige Indikator für eine Erlösung im Jenseits weltlicher Erfolg sei, kann diese Gnadengewissheit über disziplinierten Fleiß und rastlose Arbeit im Diesseits erlangt werden.

Religionen gehören in die Klassengesellschaft

Nach Weber definierte sich so die Arbeitsethik neu. Vor der Reformation erfüllte die Arbeit den Zweck, die materiellen Bedürfnisse zu decken. Laut ihm liefert der Protestantismus die kulturelle Grundlage für das kapitalistische Wirtschaftssystem, denn die quälende Ungewissheit der Prädestinationslehre führt zu einer Kultur strenger Wirtschaftlichkeit, nüchterner Selbstbeherrschung und Mäßigkeit im Dienste der Leistungsfähigkeit. Es galt, Besitztum zu erhalten und durch rastlose Arbeit zu vermehren. Dies entspricht durchaus dem kapitalistischen Prinzip der Akkumulation von Kapital und Reinvestition von Gewinnen.

Dennoch greift das zu kurz. Die Geburt der Lohnarbeit lässt sich vielmehr mit dem marxistischen Ansatz der „Ursprünglichen Akkumulation“ erklären. Darunter wird unter anderem der Prozess verstanden, in dem die herrschende Klasse der unterdrückten, bäuerlichen Bevölkerung noch die letzten Überbleibsel ihrer Produktionsmittel in Form von Boden entreißt. Nach der Niederschlagung der Bauernaufstände eignete sich die Obrigkeit gemeinschaftlich genutzte Güter und Böden der Landbevölkerung an. Entwurzelt von der Allmende waren Bauern fortan dazu verdammt, ihre Arbeitskraft an Lehnsherren oder Fabrikbesitzer der Protoindustrie zu verkaufen.Im Gegensatz zum Idealismus ermöglicht die materialistische Methode des Marxismus eine kohärente Analyse. Die mehr oder weniger zeitgleiche Entwicklung des Protestantismus und des Kapitalismus ist so zu verstehen, dass die ökonomischen Veränderungen in der Übergangszeit zwischen Feudalismus und Kapitalismus einen ideologischen Ausdruck auf religiöser Ebene erforderten. Denn, um die Enteignung der Landbevölkerung zugunsten einer Kapital- und Grundbesitz-Konzentration bei einer kleinen Obrigkeit zu legitimieren, war der Protestantismus mit seiner Prädestinationslehre und dem Arbeitsfetisch dienlicher als der Katholizismus.

 

Kontrastprogramm im Jahr 2017:
Auf den Spuren Thomas Müntzers

Weniger im Rampenlicht als Martin Luther steht sein ehemaliger Weggefährte Thomas Müntzer, der sich als Kirchenmann im Gegensatz zu dem Reformator mit den revolutionären Bauern solidarisierte. Die Bauern lebten damals in Not und Elend und erhoben sich für ein besseres Leben vor dem Tod. Müntzer war Vordenker und Anführer der Bauernkriege und wurde nach seiner Teilnahme an der letzten Schlacht in Frankenhausen 1525 von der Obrigkeit verfolgt und barbarisch hingerichtet.

Auf Müntzers Spuren besuchten Mitglieder der Wiesbadener LINKEN kürzlich die ehemalige freie Reichsstadt Mühlhausen, vor knapp fünf Jahrhunderten letzte Station und Wohnort Müntzers und Zentrum der Revolution. Hier sind Erinnerungen an Müntzer lebendig. Die 1957 aufgestellte Müntzer-Statue hält in einer Hand eine Bibel und in der anderen Hand ein Schwert. „Er suchte zuerst das Bündnis mit den Fürsten und forderte sie auf, mit ihm für die gerechte Sache zu kämpfen. Als es nicht anders ging, war er davon überzeugt, dass ‚die Gewalt dem gemeinen Volk gegeben‘ werden soll. Somit war für ihn das Volk der Schöpfer der Geschichte“, erklärte uns der ortskundige Müntzer-Kenner Walter Bütof. „In der DDR wurde Müntzer als großer Volksheld gefeiert und für mich ist er auch einer. Er hat sein Leben für die Sache gegeben, während andere hinter dem warmen Ofen saßen.“
Nach der grausamen Hinrichtung Müntzers und seiner Mitstreiter unternahm die Obrigkeit alles, um seinen Namen auszulöschen. Erst 325 Jahre später öffnete Friedrich Engels mit seiner Schrift „Der Deutsche Bauernkrieg“ in der Arbeiterbewegung den Blick auf den linken Flügel der Reformation und Müntzers Rolle in der Revolution. Mitte der 1920er erreichten SPD und KPD, dass Müntzer erstmals mit einem Denkmal in Bahnhofsnähe gewürdigt und eine Straße nach ihm benannt wurde.
Zu DDR-Zeiten war das Müntzer-Gedenken staatliche Angelegenheit. In der Kirche am Kornmarkt wurde 1975 ein Bauernkriegsmuseum eingerichtet, das bis heute Ursachen, Verlauf und Folgen der damaligen Revolution darstellt. Derzeit werden in einer Sonderausstellung neben Müntzer auch andere, weniger bekannte Vertreter alternativer Reformationsideen als „Luthers ungeliebte Brüder“ gewürdigt. Fazit: Eine Reise nach Mühlhausen lohnt sich für Linke immer.

Hans-Gerd Öfinger

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