Kategorie: Geschichte |
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Von Stalin bis Putin - Russland als Alternative zum Westen? |
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Vortrag von Alexander Kalabekow bei der Veranstaltung „100 Jahre Russische Revolution“ am 4. November 2017 in Wiesbaden. |
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In Russland wird der 100. Jahrestag der Russischen Revolution auf verleumdende Art und Weise begangen. Die historische Bedeutung der Oktoberrevolution ist völlig entstellt und wird als Phase der Wirren in Russland dargestellt. Ebenso sind Lenin und Trotzki ihrer wirklichen Rolle und Bedeutung beraubt. Jüngst wurde die neue Serie „Trotzki“ produziert, die diesen als sex- und kriegssüchtigen Narzissen darstellt und ein völlig falsches Bild seiner Rolle während und nach der Oktoberrevolution zeichnet. Das ganz geschieht natürlich aus Furcht davor, dass die Massen in Russland wieder revolutionäre Ideen aufgreifen, sich organisieren und sich der parasitären Oligarchie und erneut des Kapitalismus entledigen könnten. Der Grund dafür, dass wir uns heute hier treffen und die Oktoberrevolution diskutieren, ist, dass wir verstehen müssen, wieso die Revolution erfolgreich war, was zu ihrer Degeneration führte und wieso die Sowjetunion zusammenbrach. Denn nur wenn wir Klarheit darüber haben, werden wir in der Lage sein den Kapitalismus durch eine internationale proletarische Revolution global zu stürzen und den Sozialismus aufzubauen.
Ted Grant schreibt in seinem Buch „Russia: From Revolution to Counter-Revolution“: „Die Krise des Stalinismus war eine Krise des bürokratischen Systems der Kontrolle und Planung, welche die Vorzüge der Planwirtschaft untergrub.“ (S.241) Meiner Meinung nach bringt dieser Satz den Grund für den Zusammenbruch der Sowjetunion auf den Punkt. Die materialistische Geschichtsauffassung erklärt, dass ein gesellschaftliches System nur bestehen kann, wenn sich die Produktivkräfte entwickeln können. Wenn die Produktivkräfte jedoch mit den Produktionsverhältnissen in einen Konflikt geraten, ruft dies Revolutionen auf den Plan der Geschichte. Auch die Krise des Stalinismus war ein Ausdruck des Widerspruchs zwischen der immensen Produktivkraft der staatlichen Planwirtschaft und den Produktionsverhältnissen, nämlich der bürokratischen Planung und Kontrolle. Dieser Widerspruch war auf zwei Weisen zu lösen. Einer Revolution von unten, die die bürokratische Kaste entmachtet und Arbeiterdemokratie und Arbeiterkontrolle gebracht hätte. Das hätte wiederum eine gesunde Entwicklung hin zum Sozialismus bedeutet. Die andere Möglichkeit war eine Konterrevolution, also der Zusammenbruch des proletarischen Bonapartismus und die Restauration des Kapitalismus. Wieso es zum letzteren kam, möchte ich im Folgenden nachzeichnen. Ausgangspunkt meiner Betrachtung ist das Ende des Zweiten Weltkriegs. Durch den Sieg der Sowjetunion eröffnete sich eine Phase der umfassenden Konsolidierung der Macht der stalinistischen Bürokratie, die sich endgültig als herrschende Kaste festigte. Einer der Hauptgründe war die Festigung dieses proletarischen Bonapartismus in den osteuropäischen Ländern und die Revolution in China. Insbesondere aber die schnelle Überwindung der Zerstörung des Kriegs erfüllte die Menschen mit Hoffnung und gab den Massen das Gefühl, dass die Bürokratie zumindest eine relativ progressive Rolle spiele. Ohne Entwicklungshilfe, sondern allein durch den geplanten Einsatz von Ressourcen und dem kolossalen Einsatz der Bevölkerung konnte die industrielle Produktion bereits 1948 den Stand von 1940 überschreiten und 1952 hatte sich die industrielle Produktion im Vergleich zu 1940 verdoppelt. Zwischen 1945 und 1964 wuchs das Nationaleinkommen der Sowjetunion um 570%. Mitte der 80er war die Sowjetunion eine Supermacht, mit einem gigantischen militärischen Sektor und Platz eins in der Produktion von Stahl, Eisen, Kohle, Öl, Gas, etc. Ein äußerst beeindruckender Fortschritt fand auf dem Gebiet der Wissenschaft statt. Das Raumfahrtprogramm war dem Westen weit voraus. Der erste Satellit (Sputnik), der eine Erdumlaufbahn erreichte und der erste Mensch im Weltraum (Juri Gagarin) starteten in der Sowjetunion. Noch heute werden selbst von der NASA sowjetische Raketen genutzt, um Satelliten ins All zu befördern. Weitere Fortschritte wurden in der Gesundheitsversorgung und Bildung erreicht. Das Analphabetentum wurde fast völlig beseitigt. Die Sowjetunion hatte die meisten Ärzte pro Einwohner und die meisten Wissenschaftler und Ingenieure. Dieser Fortschritt lässt sich gut an der Geburtenrate festmachen, die ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs rapide steigt. Diese außerordentliche Entwicklung fand jedoch nur sehr eingeschränkt auf dem Gebiet der Konsumgüter statt und so blieb der Lebensstandard in der Sowjetunion entsprechend niedrig. Um daraus resultierende Aufbegehren und revolutionäre Prozesse zu unterbinden, musste die bürokratische Kaste auf enorme Repression setzen. Insgesamt erfolgte die Entwicklung der Produktivkräfte in der Sowjetunion unter enormer Korruption und fatalem Missmanagement durch die Bürokratie. Dies führte zu massiver Verschwendung von materiellen Ressourcen, Umweltverschmutzung und Verschwendung von Arbeitskraft und oftmals unbrauchbaren oder qualitativ miserablen Gütern. Hier spiegelt sich der Hauptwiderspruch einer staatlichen bürokratischen Planwirtschaft wider. In einer Gesellschaft, in der sich die gesamte Ökonomie in den Händen des Staates befindet, wirken die Marktmechanismen nicht mehr. Die einzig mögliche Kontrolle ist die bewusste Kontrolle durch die Massen in jeder Phase der Erstellung und Anwendung des Plans. Stattdessen wurde die Planung über mehr als eine Millionen Produkte von oben herab bestimmt. Dies erfolgte stets mit dem Ziel, die Privilegien und die Stellung der Bürokratie zu sichern. Die Produktion erfolgte dabei oftmals nach singulären Zielen. Z.B.: eine Tonne Nägel, oder eine Million Nägel. Dabei stand aber außen vor, wie die Beschaffenheit dieser Nägel sein sollte. Hauptsache das Ziel wurde erreicht und der Fabrikmanager konnte seine Prämien einstecken. Nach Stalins Tod (5. März 1953) setzt sich in der Kommunistischen Partei (KPdSU) der bürokratische Flügel um Nikita Chruschtschow durch. Dieser beginnt als neuer Generalsekretär mit der sogenannten Entstalinisierung. Stalin wird zum alleinigen Sündenbock für alle Verbrechen und Missstände in der sowjetischen Gesellschaft erklärt. Dabei war Stalin stets Repräsentant der Interessen der bürokratischen Kaste. Diese versuchte sich jetzt dadurch aus der Verantwortung zu ziehen, indem die härtesten Gesetze gelockert wurden, etwas Raum für Kritik gegeben wurde und insbesondere durch die Steigerung der Produktion von Konsumgütern. Letzte brachte einen gewissen Anstieg der Lebensqualität der Massen. Diese kleinen Zugeständnisse an die ArbeiterInnen sollten die starke Gärung und Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse und der Intelligenz mildern, sowie den Protesten in der DDR und den Gulags Einhalt gebieten. Dass sich aber der eigentliche Charakter einer sich von der Masse immer weiter entfremdenden Bürokratie nicht geändert hatte, sieht man insbesondere an der Revolution in Ungarn 1956. Das war eine revolutionäre Bewegung von unten, die Formen von Arbeiterkontrolle und Arbeiterdemokratie in Form von Sowjets wieder hervorbrachte. Jedoch wurde dies von Chruschtschow blutig niedergeschlagen. Ein weiteres Beispiel sind Aufstände in Nowotscherkassk, Karaganda, Temirtau und weiteren Städten im Jahr 1962. Dies waren insbesondere Streiks in Folge von Lohnsenkungen und Preiserhöhungen. Auch diese wurden blutig niedergeschlagen und es ging dabei soweit, dass keine Berichterstattung erfolgte. Der Grund dafür war, dass eine Revolution von unten den bürokratischen Apparat hinweggefegt hätte, also die ganzen Apparatschiki ihre Privilegien, Häuser und gesellschaftliche Stellung verloren hätten. Schließlich stellte sich im Großen und Ganzen die gesamte Bürokratie gegen Chruschtschow, aus Angst, dass die Reformen die Macht der Bürokratie in Gefahr bringen könnten. Vor allem deshalb, weil in den 60er Jahren die Wachstumsraten langsam zurückgingen und damit der Lebensstandard der Massen. Diese Faktoren führten zusammen mit der immensen Repression zu Streiks und Protestbewegungen. Grund für den Rückgang des Wachstums war aber gerade das Missmanagement durch die Bürokratie, die eine Partizipation der Massen an der Planung nicht ermöglichte. Im Oktober 1964 wurde Chruschtschow durch einen Coup entmachtet und sein Platz durch Breschnew besetzt, der als Repräsentant des den Reformen feindlich gesinnten bürokratischen Flügels die Repression erhöhte und Reformen zurücknahm. Außerdem folgte eine Kampagne der Dämonisierung Chruschtschows als Sündenbock für die Korruptheit der Bürokratie. Um den Rückgang des Wirtschaftswachstums zu überwinden, erfolgte eine Öffnung zum Weltmarkt. Es wurde mit der Theorie des Sozialismus in einem Land und damit mit dem Versuch ökonomischer Autarkie gebrochen. Was einerseits ein enormer Vorteil hätte werden können, da die Sowjetunion auf diese Weise Zugang zu neuer Technik und Ideen hätte, war auf der anderen Seite eine unübersehbare Offenlegung der Ineffizienz und Korruptheit der bürokratisch geplanten Wirtschaft. Dabei bestand ein gigantisches Potential für eine enorme wirtschaftliche Entwicklung, hätten die UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken), Osteuropa und China auf einen gemeinsamen demokratischen Wirtschaftsplan gesetzt. Stattdessen verfolgten die stalinistischen Bürokratien in den jeweiligen Republiken ihre engen nationalen Interessen. Ab den 1970er Jahren war die relativ progressive Rolle der Bürokratie in der Entwicklung der Produktivkräfte ausgeschöpft (1979: 3,9% Wachstum, 1982: 2,5%). In den 1980er Jahren war die Sowjetunion ein gigantischer wirtschaftlicher Komplex mit 50.000 Industrieanlagen und einer Produktion von 20 Millionen Produkten. Unter diesen Umständen war die bürokratische Planung ein völliges Hindernis geworden. Das zeigt sich unter anderem auch an der Wissenschaft. Die SU hatte mehr Wissenschaftler und Ingenieure als jedes andere Land. Und in der theoretischen Forschung war sie in vielem voraus. Aber generell lag das Niveau sowjetischer Technologie hinter dem der am höchsten entwickelten kapitalistischen Länder zurück. Deshalb konnte die SU auch nicht mit der Arbeitsproduktivität z.B. der USA mithalten. Schlimmer stand es um die Landwirtschaft. 1982 ernährte ein Landarbeiter sechs Menschen während in den USA ein Landarbeiter 40 Menschen ernährte. Der Mangel an hochwertiger moderner Maschinerie und an demokratischen Entscheidungsmöglichkeiten, Austausch mit anderen Produzenten, Kooperativen, etc. sorgte für ein niedriges Niveau an Motivation bei den Landarbeitern. Hinzu kam Missmanagement durch die Bürokratie. Große Anteile der Ernten gingen verloren, weil diese nicht in der Lage war dafür zu sorgen, dass die Ernten richtig gelagert und verteilt wurden. Wenn auch der Lebensstandard der Massen anstieg, wuchsen in der Periode unter Chruschtschow und Breschnew die Einkommen und Vorteile der Bürokratie umso schneller. Insbesondere die höheren Schichten der Bürokratie führten ein Leben in unermesslichem Luxus. Sie lebten in Villen, hatten eigene Urlaubshotels, fuhren elegante Autos aus Europa und USA, hatten eigene Läden und Kliniken usw. Dieser Lebensstil, der ständige Kontakt mit dem Westen und die völlig ausgelöschte Verbindung zur Oktoberrevolution und den revolutionären Bolschewiki, führten zu einer dramatischen Veränderung der Psychologie der herrschenden Kaste in der Sowjetunion. Während Breschnew den Übergang zum Kommunismus verkündete, also nach marxistischer Definition einer Gesellschaft ohne Staat, wurde gerade der staatliche Apparat, also die riesige und repressive Bürokratie, die über die Arbeiterklasse herrschte, immer stärker. Jegliches demokratische Recht war eine zu große Gefahr, da der erste Punkt, der von den Massen in Frage gestellt werden würde, die Privilegien der Bürokratie waren. Diese Privilegien abzuschaffen wäre aus ökonomischer Sicht völlig richtig gewesen, aber vom Standpunkt der Bürokratie hätte es deren Ende bedeutet. Das war die materielle Basis des totalitären Regimes. Anstatt die Verwaltung zu vereinfachen und auf die demokratische Teilhabe der Massen zu setzen, wuchs der bürokratische Apparat, sodass die Anzahl von Bürokraten im Verhältnis zu Arbeitern höher war als in jedem kapitalistischen Land. Die bürokratische Kaste umfasste rund 20 Millionen Menschen. Die Politik war nicht bestimmt durch die Interessen der ArbeiterInnen und das Voranbringen der Gesellschaft, sondern durch die Interessen der stets wachsenden Armee und Bürokratie. Dies war eines der Haupthindernisse der Entwicklung der Produktivkräfte in der Sowjetunion. Im Grunde gingen jährlich 30-50 % des von den sowjetischen Arbeitern produzierten Reichtums auf Grund von bürokratischem Missmanagement, Diebstahl und Korruption verloren. Dabei war zu Zeiten Breschnews die materielle Basis für eine gesellschaftliche Entwicklung in Richtung Sozialismus gegeben. Also die Teilung der Gesellschaft in Kasten in der SU war überwindbar, deren Ursache in erster Linie die Teilung der Arbeit, insbesondere zwischen Kopf- und Handarbeit, ist. 1980 gab es 120 Millionen Facharbeiter und Fachkräfte in der SU, die all die Korruption und das Missmanagement sahen, aber durch den repressiven Apparat und die konservativen Interessen der Bürokratie war kein Raum für Kritik und Verbesserungen, da dies unmittelbar bestraft wurde. Dies gilt auch für die Wissenschaft. Anstelle einer umfassenden Entwicklung der Gesellschaft durch die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse wurde nur gefördert, was dem Status der Bürokratie dienlich war. In den frühen 80er Jahren befand sich die sowjetische Gesellschaft in einer absoluten Sackgasse. Der Widerspruch zwischen der ökonomischen Basis und der Rolle der bürokratischen Führung war extrem und führte zu Spaltungen innerhalb der Bürokratie. 1985 wurde Michail Gorbatschow zum Generalsekretär der KPdSU gewählt. Dieses Ereignis bildete einen Wendepunkt. Gorbatschow stand erneut für Reformen ein, die die bürokratische Herrschaft über die Ökonomie und die Gesellschaft im Allgemeinen lockern sollten. Er sprach von mehr Demokratie, Wahl von Betriebsleitern, Wahlen innerhalb der Kommunistischen Partei, etc. Das erfolgte mit der Hoffnung, die Ökonomie anzukurbeln und Wachstum zu verzeichnen. Diese Reformen hatten erneut nichts mit Arbeiterkontrolle und Arbeiterdemokratie zu tun, da diese nicht zusammengehen mit einem bürokratischen System, sondern sollten lediglich die schwersten Fesseln der stagnierenden sowjetischen Wirtschaft überwinden. Betrachtet man die Jugend in der SU zu dieser Zeit, so waren eine allgemeine Demoralisierung, Zynismus und Frustration verbreitet. Dies spiegelte sich in Trunkenheit, Verelendung, Diebstahl, Hooliganismus und sonstigem antisozialen Verhalten wieder. Der Alkoholkonsum vervierfachte sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg. Jeder Siebte konnte als Alkoholiker klassifiziert werden. 1985 wurde berichtet, dass 27 Millionen ArbeiterInnen ernste Alkoholprobleme hatten. Dies führte ebenso zu Problemen in der Produktion. Gorbatschow versuchte dem ganzen einen Riegel vorzuschieben durch ein Alkoholverbot. Dies hatte jedoch zufolge, dass ein Schwarzmarkt für Alkohol entstand und zweitens, dass die Steuereinnahmen massiv sanken. In dieser Situation suchte ein stetig wachsender Teil der Bürokratie einen Ausweg durch den Kapitalismus. Da deren Privilegien an ihre Position innerhalb des bürokratischen Apparates gebunden waren, konnten sie ihre Villen, Datschen, Autos, etc. nicht an ihre Nachkommen weitergeben, da diese weiterhin Staatseigentum waren. Die Stagnation der Ökonomie und die steigende Wut der Massen gefährdeten ihre Position. Auch wenn Gorbatschow nicht die Restauration des Kapitalismus in Russland wollte, legte er den Grundstein für diese Entwicklung. Als Vorsitzender des Obersten Sowjets Russlands war der Moskauer Stadtparteichef Boris Jelzin de facto Präsident der Russischen Föderation. Unter seinem Kommando nahm der Russische Kongress die Deklaration über die Souveränität Russlands an, was Jelzins Autorität und Macht festigte. Die Regierung der Russischen Föderation unter Jelzin vertrat den pro-bürgerlichen Flügel der Bürokratie, der die komplette kapitalistische Restauration propagierte. Am 12. Juli 1990 trat Jelzin aus der KPdSU aus, mit ihm weitere führende Köpf des offen pro-kapitalistischen Flügels. In den vorhergegangenen sechs Monaten hatten 130.000 Mitglieder die KPdSU verlassen. Der pro-bürgerliche Flügel begann sich zu organisieren. Im Oktober 1990 stimmte der Oberste Sowjet der UdSSR für einen Plan für eine „Marktwirtschaft“. Ausländischer Besitz an Unternehmen wurde zum ersten Mal erlaubt. Die Repräsentanten des Weltimperialismus schöpften Hoffnung und warfen ihr ganzes Gewicht in die Waagschale der entstehenden russischen Bourgeoisie. Jelzin wurde im Juni 1991 zum Präsidenten der Russischen Teilrepublik (RSFSR) gewählt. In der ersten Hälfte des Jahres 1991 sank das Bruttoinlandsprodukt um zehn Prozent, was zu weiteren Streiks in den Kohlebergbaurevieren führte. Gorbatschow versuchte alles zusammenzuhalten durch das Balancieren zwischen den verschiedenen Flügeln der Bürokratie, was nur zu weiteren Spannungen innerhalb dieser führte. Die Bürokraten waren nur am Erhalt ihrer Privilegien, Positionen und Einkommen interessiert, aber die Krise hatte ihre Position effektiv untergraben. Insbesondere die alten Stalinisten waren alarmiert und zunehmend verzweifelt. Im Zuge der einbrechenden Macht des politischen Zentrums und der ökonomischen Krise kamen alle Widersprüche zwischen der Moskauer Zentralbürokratie und den einzelnen anderen rivalisierenden Republiken an die Oberfläche. Die Nationale Frage trat wieder in den Vordergrund. Jede Bürokratie wollte die eigene Republik kontrollieren. Litauen war die erste Republik, die eine einseitige Unabhängigkeitserklärung aussprach. Da eine militärische Unterbindung nicht erfolgreich war, sah sich Gorbatschow gezwungen, das Auseinanderbrechen der SU anzunehmen. Folge der Forderungen der baltischen Staaten, Georgiens und Moldawiens nach Austritt aus der Union war der Vertrag über die Union Souveräner Staaten. Im Grunde das offizielle Anerkennen des Zusammenbruchs der SU. Der harte Kern der Stalinisten versuchte darauf hin im August 1991, Gorbatschow durch einen Putsch zu stürzen, scheiterte jedoch. Trotz allem war Gorbatschow gezwungen, als Generalsekretär der KPdSU zurückzutreten. Jelzin profitierte von dieser Situation und erhielt nach einem Kampf innerhalb der Bürokratie durch den Obersten Sowjet außerordentliche Vollmachten, also die Möglichkeit, per Dekret zu regieren. Die Konterrevolution ging so weit, dass sie die sowjetische Flagge durch die alte russische Flagge ersetzte, das zaristische Regime in schönem Licht darstellte, zaristische Symbole wiedereinführte und sich faschistische Gruppierungen profilieren konnten. Die Idee von „Mutter Russland“ wurde wiederbelebt, die Orthodoxe Kirche wurde rehabilitiert. Insbesondere wurde eine verleumderische Kampagne gegen die Oktoberrevolution und die Planwirtschaft gestartet. Was aber gescheitert ist, ist nicht die Planwirtschaft, sondern die bürokratische Kontrolle und Planung einer staatlichen Wirtschaft, in der die bewusste Planung und Kontrolle der Massen nicht geduldet wurde. Eine demokratische Planung und Umsetzung durch die ArbeiterInnen hätte durch ihre Kreativität und durch ihr konkretes Wissen über Produktionsabläufe und über ihre Bedürfnisse, jeglichen Mangel und Ineffizienz unmöglich gemacht. Auf Grund ökonomischer Implikationen stellte sich Jelzin gegen die Unabhängigkeit der Republiken. Darauffolgend formten im Dezember 1991 Russland, die Ukraine und Weißrussland die Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS). Acht weitere Republiken folgten. Mit dem Rückhalt durch den imperialistischen Westen putschte Jelzin 1992 gegen den Kongress. Weil der Flügel, der gegen die kapitalistische Restauration [bzw. eine zu rasche Restauration] stand, in verschiedene Fraktionen gespalten war, die jeweils ihre eigenen Interessen verfolgten, also den Erhalt ihrer jeweiligen Privilegien, unfähig war den Massen eine Alternative zu bieten, setzte sich der Jelzin-Flügel durch. Es folgten massive Privatisierungen von Industrie und Land. Die ehemaligen Bürokraten raubten sich auf mafiöse Weise alles, was sie unter die Finger bekommen konnten und wurden zu Oligarchen. Die Folgen der Restauration des Kapitalismus waren Hyper-Inflation und der Kollaps der Produktion. Das Ganze hatte natürlich vernichtende Folgen für die Bevölkerung Russlands. Alles Elend der kapitalistischen Gesellschaft in einer massiven Krise fand Einzug in Russland: extreme Armut, Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Gewaltverbrechen, weiterer Anstieg des Alkoholismus, Mangelernährung, Zerstörung der Gesundheitsversorgung. Die Lebenserwartung für Männer sank um rund zehn Jahre. Erst 1997 verzeichnete Russland erstmals seit 1991 ein positives Wirtschaftswachstum. Doch bereits 1998, als die Krise in Asien die Weltfinanzmärkte erschütterte, brachen Russlands Börse, Anleihenmarkt und Währungsmarkt zusammen. Die russische Zentralbank erlaubt dem Rubel eine unkontrollierte Entwertung, was eine massive Inflation zur Folge hatte. Russland war 1999 bankrott. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die USA zur einzigen Supermacht der Welt. Die westliche Bourgeoisie ging davon aus, dass nach der Restauration des Kapitalismus Russland ihre Halbkolonie werden würde. Der US-Imperialismus intervenierte in der ehemaligen Einflusssphäre der Sowjetunion. Die NATO-Osterweiterung, die Spaltung Jugoslawiens und Bombardierung Serbiens zusammen mit dem ökonomischen Kollaps erzeugten ein tiefes Gefühl nationaler Erniedrigung in der Gesellschaft Russlands. Die sich in Russland entwickelnde Bourgeoisie, die sich hauptsächlich aus den hohen Funktionären der Bürokratie der Sowjetunion herausbildete, war in zwei Lager geteilt. Die einen fungierten als Agenten des westlichen Imperialismus, der andere Teil verfolgte einen extrem nationalistischen Kurs. Der letztere konnte sich insbesondere aus drei Gründen durchsetzen. Zum einen waren die einzelnen Republiken zu schwach, um sich auf dem Weltmarkt halten zu können und mussten deshalb Handelsbeziehungen mit Russland eingehen. So entwickelte sich der russische Imperialismus. Durch die Abhängigkeit dieser Staaten von Öl und Gas konnte Russland in den ehemaligen Sowjetrepubliken die eigenen ökonomischen Interessen durchsetzen. Zum anderen brachte die Krise selbst eine Stärkung der russischen Ökonomie. Auf Grund der Entwertung des Rubels konnten die meisten Russen keine ausländischen Waren kaufen, was zu einer erhöhten Nachfrage nach inländischen Waren führte und damit zur Ankurbelung der russischen Industrie. Schließlich stieg der internationale Ölpreis. All das führte zur wirtschaftlichen Erholung Russlands.
Jelzin verlor im Zuge dieses Prozesses seine Popularität und Korruptionsvorwürfe gegen ihn und weitere Familienangehörige wurden laut. Da die Aussichten auf eine Wiederwahl immer unwahrscheinlicher erschienen, wurde er 1999 dazu bewegt, zurückzutreten und den Weg für Wladimir Putin freizumachen. Mit Putin setzte sich damit auch endgültig der dem Westen feindlich gesinnte Teil der Oligarchie durch. Heute wird der russische Staat von einer parasitären und räuberischen Oligarchie regiert. Wie bei jedem anderen kapitalistischen Land wird die Außenpolitik von den Interessen der nationalen Bourgeoisie diktiert. Und da Außenpolitik die Fortführung der Innenpolitik ist, nutzt Putin jedes Mittel, um die Interessen der russischen Oligarchie außerhalb der Russischen Grenzen zu schützen. Die Oligarchie besitzt Großunternehmen und Banken, die sie aus der staatlichen Wirtschaft geraubt haben. Diese großen Monopole sind eng verbunden mit dem bürgerlichen Staat, der in ihrem Interesse regiert. Sie brauchen hierbei einen starken Regenten aus Furcht vor den Massen und wegen der Kämpfe zwischen den verschiedenen Teilen der Oligarchie. In Russland herrscht heute Staatskapitalismus. Die Diktatur der Bourgeoisie zeigt sich hier in ihrer Blöße, anders als zum Beispiel in Deutschland, wo sie sich noch hinter dem Feigenblatt der bürgerlichen Demokratie versteckt. Putin dient den Interessen der Oligarchie dadurch, dass er jegliche Kritik am und Abweichung vom Status Quo zerschlägt und vorteilhafte Bedingungen für seine Wirtschaftsfreunde schafft, zu stehlen und sich zu bereichern. Die Opposition ist kastriert oder eingesperrt, Meinungsfreiheit auf ein Minimum reduziert. Putin stützt sich hauptsächlich auf die Polizei und das Militär, balanciert aber gleichzeitig zwischen den Klassen. Dabei nutzt er in erster Linie demagogische und nationalistische Rhetorik und versucht dadurch Stärke zu zeigen, dass er sich auf militärische Abenteuer wie in Tschetschenien, Georgien, der Ukraine und Syrien einlässt. Das sind Charakteristika eines bürgerlichen Bonapartismus. Einem Krisenregime, in dem die gesellschaftlichen Widersprüche zu groß sind, um innerhalb einer bürgerlichen Demokratie verwaltet werden zu können. Russlands Partizipation auf dem Weltmarkt ist sehr begrenzt und hauptsächlich auf den Handel mit Öl und Gas beschränkt. Auch sind die Ziele des russischen Imperialismus eingeschränkt und sind hauptsächlich durch strategische und militärische Erwägungen diktiert. So war z.B. das Eingreifen in der Ukraine rein militärischen Interessen untergeordnet. Durch die Einsätze in der Ukraine und Syrien hat Putin kurzweilig seinen Rückhalt gestärkt. Aber von Nationalismus allein wird niemand satt und die Oligarchie in Russland ist verhasst. In Russland herrscht eine der größten Scheren zwischen Arm und Reich vor. Zwei Drittel des gesellschaftlichen Reichtums liegen in den Händen von Millionären und 26% in den Händen von Milliardären. Die oberen 10% beherrschen 87% des Finanzvermögens privater Haushalte. Im Zeitraum von 2000 bis 2016 ist die Zahl der allgemeinbildenden Schulen von 68.100 auf 42.600 gesunken. Statistiken zu Krankenhäusern und Polikliniken existieren gar nicht. Russland ist derzeit wohl das einzige Land, in dem die Ansteckungsrate mit AIDS steigt. 38 Millionen ArbeiterInnen sind prekär beschäftigt. Das Fernsehen dient als reines Sprachrohr des Kremls. Auf 1000 Bürger kommen 5,8 Angestellte des Ministeriums für Innere Angelegenheiten gegenüber 2,1 in der alten UdSSR. Der repressive Apparat ist also noch gewachsen. Die Liste ließe sich unendlich fortführen. |