Der Funke der Revolution ging vor 100 Jahren vom Kieler Matrosenaufstand aus. In Kiel folgten am vergangenen Wochenende rund 1000 Menschen dem Aufruf eines linken Bündnisses zur Demonstration unter dem Motto „Auf der Route der Matrosen“. Der Demonstrationszug orientierte sich an der historischen Marschroute der rebellischen Matrosen und Arbeiter vom ehemaligen Flottenstützpunkt über verschiedene Betriebe bis in die Innenstadt.
In Schleswig-Holstein erinnert bereits seit einem halben Jahr eine Wanderausstellung mit regionalem Bezug daran, dass Anfang November 1918 die kriegsmüden Arbeiter und Soldaten die Macht in der Stadt in ihren Händen hielten. Die zwei knallroten Schiffscontainer mit der Aufschrift „Novemberrevolution 1918 – Aufbruch in Schleswig-Holstein“ standen im Mai bereits in Kiel und sind nach einer sommerlichen Tour kreuz und quer durch das Land zwischen Nord- und Ostsee in der vergangenen Woche rechtzeitig zum Jubiläum wieder in die Landeshauptstadt zurückgekehrt. Dort stehen sie in dieser Woche vor der Alten Fischhalle, Wall 65. In der Halle selbst, im Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum, ist noch bis zum 17. März eine große Sonderausstellung zum Matrosenaufstand zu sehen.
Die mit bekannten und bisher unbekannten Dokumenten gespickten Container laden zum Eintauchen in jene bewegten Tage ein, als kaiserliche Matrosen den Befehl verweigerten, weil sie in einer sinnlosen Seeschlacht nicht sterben wollten. Die Arbeiter und Bauern in Uniform fanden in Werften und Fabriken Verbündete, überwanden furchtlos die Repression, bildeten Arbeiter- und Soldatenräte und schrieben Geschichte. Zu den führenden Köpfen gehörte der Thüringer Metallarbeiter und USPD-Mann Karl Artelt, der bis zu seinem Tod in der DDR 1981 der Jugend seine Erfahrungen vermittelte. Rote Fahnen über Kiel zeigten, wer die Macht hatte. Rasch erfasste die Revolution das gesamte Deutsche Reich. Der Krieg wurde beendet. Kaiser und Fürsten traten ab. Aus Angst, alles zu verlieren, akzeptierten die Herrschenden Zugeständnisse, für die Generationen in der Arbeiterbewegung gekämpft hatten: Acht-Stunden-Tag, Frauenwahlrecht, Tarifautonomie und vieles mehr.
In Schrift, Bild, Ton und Interviewfilmen vermittelt die Ausstellung tiefe Einblicke in die Stimmung jener Tage, die unzumutbaren Zustände und Klassenbarrieren auf den Schlachtschiffen und die Kriegsmüdigkeit der Massen, die sich spontan Bahn brach. Geknechtete Menschen wuchsen über sich selbst hinaus. Die Außenseiten der Container nennen Etappen der Vorgeschichte und der nachfolgenden Wochen, in denen die Räte als Keim einer neuen Massendemokratie kastriert und beseitigt wurden. Eine Landkarte zeigt, wie sich die Revolution auch ohne Internet und trotz Medienblockade in Windeseile zwischen Nord- und Ostsee ausbreitete, weil reisende Kuriere die Botschaft übermittelten. Unterdessen verdrängte der aus Berlin als „Feuerwehrmann“ zur Eindämmung der Revolution herbeigeeilte SPD-Reichstagsabgeordnete Gustav Noske rasch Artelt von der Spitze des Soldatenrats und ließ die von den Arbeitern requirierten Waffen einsammeln. Im Grunde hasste Noske die Revolution genauso wie viel später SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der 2004 beim Gewerkschaftstag der Bahngewerkschaft Transnet erklärte: „Norbert und ich haben früher die Revolution geplant, die wir heute gemeinsam verhindern müssen.“ Damit meinte er den damaligen Gewerkschaftsvorsitzenden Norbert Hansen, der mit ihm Ende der 1970er Jahre im Juso-Bundesvorstand saß. Dass Schröder im Sinne von Gustav Noske sich so offen dazu bekannte, die „Revolution verhindern“ zu müssen, spricht Bände.
Das Projekt Revolutionsgedenken in Schleswig-Holstein hatte 2016 die damalige SPD-geführte Kieler Landesregierung gestartet. So nimmt bei der Interpretation der Revolution die rechtssozialdemokratische Ideologie breiten Raum ein und werden die Räte als kurze und chaotische Zwischenetappe auf dem Weg zum vermeintlichen „Happy End“ der bürgerlichen Weimarer Republik dargestellt. Dass damit der alte Staatsapparat bewahrt wurde und die herrschende Klasse später auch den rechten SPD-Führern einen Tritt in den Hintern versetzte, unterstreicht eine zentrale Erkenntnis: Eine Revolution kann nicht auf halbem Wege stehen bleiben.
In ihrem Geleitwort zur Ausstellung erhebt die neue CDU-Bildungsministerin und Wirtschaftsanwältin Karin Prien den Zeigefinger und warnt: „Die revolutionäre Bewegung mündete schon bald in Ansätzen einer Räterepublik und führte vor allem in Berlin und München zu Radikalisierung und Militanz.“ Die gewaltsame Niederschlagung der Räte durch Freikorpssoldaten, eine Keimzelle der Nazis, bleibt indes ebenso unterbelichtet wie die Tatsache, dass Noske als Reichswehrminister dabei eine entscheidende Rolle spielte. So bleibt dem bewussten Besucher dieser sehenswerten Ausstellung nur übrig, die Fakten aufmerksam zu studieren und unter Rückgriff auf Lebenserinnerungen von Aktivisten der Rätebewegung wie Richard Müller und zeitgenössische Publizistik von Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und anderen sich ein eigenes Urteil zu bilden. Der Funke hat zur Novemberrevolution ein Sonderheft herausgebracht und organisiert in den kommenden Wochen Informations- und Diskussionsveranstaltungen zum Thema.
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