Kategorie: Geschichte

100 Jahre Betriebsräte: Es begann mit einem Blutbad

Heute vor 100 Jahren wurde eine Großdemonstration vor dem Reichstag in Berlin von der preußischen Polizei blutig unterdrückt. 42 Menschen starben, 105 wurden verletzt.


Die Demonstranten waren einem Aufruf der Arbeiterparteien USPD und KPD gefolgt und protestierten für volle demokratische Rechte der Betriebsräte und gegen den Entwurf eines Betriebsrätegesetzes. Als ein vermeintlicher Höhepunkt und größte Errungenschaft der Deutschen Revolution vor 100 Jahren gilt für viele das 1920 verabschiedete Betriebsrätegesetz. Am 24. März 2020 findet dazu ein zentraler Festakt des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) statt. Jedoch war dies kein Ergebnis der Vernunft “aufgeklärter” und “moderner” Unternehmer oder einer langfristigen “sozialpartnerschaftlichen” Reformpolitik von SPD und Gewerkschaften, sondern ging Hand in Hand mit dem Druck revolutionärer Bewegungen von unten, die blutig niedergeschlagen wurden.

Die deutsche herrschende Klasse hatte in Form des Ersten Weltkriegs versucht, Europa zu erobern und war gescheitert. Angesichts dieses Scherbenhaufens und der eigenen geschwächten Position blieb ihr nur eine realistische Option übrig: Sie musste sich erst einmal mit den SPD- und den Gewerkschaftsführern zusammentun, die ihr wieder auf die Beine halfen und dafür im Gegenzug einige Zugeständnisse erhielten.

Revolution und Rätebewegung

Geburtsstunde der Sozialpartnerschaft in Deutschland war das "Burgfriedensabkommen" von 1914. Während des Ersten Weltkrieges kamen sich die Spitzen der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände näher. Doch ab 1917 nahm die Unzufriedenheit der Massen mit den schlechten Lebensverhältnissen unter der Kriegswirtschaft zu und die Stimmung innerhalb der Arbeiterklasse begann sich zu radikalisieren. Angesichts dieser Situation bildeten die Generalkommision der Gewerkschaften und die Spitzen der Großindustrie eine Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG), welche im November 1918 im sogenannten "Stinnes-Legien-Abkommen" mündete. In diesem Abkommen waren die Unternehmer widerwillig zur Anerkennnung längst überalterter gewerkschaftlicher Forderungen bereit: Acht-Stunden-Tag, Anerkennung von Tarifverträgen, Anerkennung der Gewerkschaften als "berufene Vertreter der Arbeiterschaft" und Einrichtung von Betriebsräten. Doch bei genauerer Betrachtung war dies nicht das Ergebnis einer guten Verhandlungsstrategie der Gewerkschaften, sondern des "Drucks der Straße". Wie in Russland 1917 löste auch in Deutschland der Krieg eine Revolution aus, welche sich im November 1918 innerhalb weniger Tage in Form der Rätebewegung über das ganze Land ausbreitete und alle wichtigen Industriezentren erfasste. Mit der Bewegung der Arbeiter- und Soldatenräte kam es zur spontanen Bildung von demokratischen Organen, die sich auf die Masse der Bevölkerung stützten und faktisch die politische Macht ausübten. Wie in jeder Revolution stellte sich auch hier knallhart die Machtfrage: Sozialistische Rätedemokratie oder Herrschaft des Kapitals mit einer bürgerlichen, parlamentarischen Demokratie?

Aufgrund der Angst vor einer "deutschen Oktoberrevolution" waren die führenden Köpfe des Unternehmerlagers durchaus bereit, sich mit den Gewerkschaften und den noch vor dem Krieg als "vaterlandslose Gesellen" geschmähten SPD-Führern, welche die revolutionäre Massenbewegung nur als lästige Störung ihrer reformistischen Strategie sah, zu arrangieren und diese in den bürgerlichen Staat einzubinden.

Am besten brachte Ende Dezember 1918 Jakob Reichert, Geschäftsführer des "Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller", die Haltung seiner Klasse auf den Punkt:
"Tatsächlich war die Lage schon in den ersten Oktobertagen klar. Es kam darauf an - Wie kann man die Industrie retten? Wie kann man auch das Unternehmertum von der drohenden, über alle Wirtschaftszweige hinwegfegenden Sozialisierung, der Verstaatlichung und der nahenden Revolution bewahren? Einen überragenden Einfluss schien nur die organisierte Arbeiterschaft zu haben. Daraus zog man den Schluss - inmitten der allgemeinen großen Unsicherheit, angesichts der wankenden Macht des Staates und Regierung, gibt es für die Industrie nur in der Arbeiterschaft starke Bundesgenossen, das sind die Gewerkschaften."

In der Satzung der Zentralarbeitsgemeinschaft vom 4. Dezember 1918 lautete das Ziel "gemeinsame Lösung aller die Industrie und das Gewerbe in Deutschland berührenden wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen sowie aller sie betreffenden Gesetzgebungs- und Verwaltungsangelegenheiten".

Zerschlagung der Arbeiterräte

Für die herrschende Klasse war die Auflösung und notfalls auch gewaltsame Zerschlagung der im November 1918 neu gebildeten Arbeiter- und Soldatenräten das Gebot der Stunde. Die SPD-Führung stand ihr hier zur Seite und machte sich gleich an die Arbeit. Unter ihrem Einfluss beschloss die Mehrheit des Reichsrätekongresses die Selbstentmachtung. Die oberste Macht sollte einem Parlament, der Nationalversammlung, übergeben werden. Bei der Auflösung der Räte bis Ende 1919 verbündete sich die SPD-Führung mit den Freikorps. Diese waren reaktionären Truppenverbände und eine Keimzelle der späteren Nazibewegung und wandten blutige Waffengewalt an. Jedoch bestand der Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte auf eine Verankerung der Räte in der Weimarer Verfassung. Auch die SPD-geführte Regierung sprach sich für einen Ausbau der "wirtschaftlichen Demokratie " und die Einführung von Betriebsräten aus. Jedoch unternahm sie alles, um die von weiten Teilen der Arbeiterschaft geforderte Sozialisierung der Großindustrie zu verzögern und auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben. Trotz der Niederschlagung der Räte konnten die Errungenschaften der Revolution nicht einfach abgeschafft werden, sondern es mussten wenigstens einige Zugeständnisse an die sich weiter nach links radikalisierende und immer kampfbereitere Arbeiterschaft gemacht werden, um diese zu beruhigen. Artikel 165 der 1919 beschlossenen Weimarer Verfassung erklärte die Arbeiterschaft als berufen, "gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken". Dieser Artikel sicherte den abhängigen Beschäftigen "zur Wahrung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen" gesetzlich festgelegte Vertretung in Form von Betriebsräten, Bezirksarbeiterräten und einem Reichsarbeiterrat zu.

Diese Aussage stellte sich jedoch als leeres Stroh heraus. Das Anfang 1920 vorgelegte Betriebsrätegesetz war nur ein magerer Abklatsch der ein Jahr zuvor in großen Umfang versprochenen Arbeiterrechte und "Rätestrukturen". Während noch 1919 von einem Zweikammersystem , von Arbeiter- und Wirtschaftsräten auf allen Ebenen und der aktiven Mitwirkung der Räte bei der Sozialisierung der Industrie die Rede war, wurden in den Beratungen die Kompetenzen der Betriebsräte weiter eingeengt. Schließlich wurde festgelegt, dass der Betriebsrat für eine "möglichste Wirtschaftlichkeit" der Betriebsleitung zu sorgen habe, den Betrieb vor "Erschütterungen" bewahren solle und einer Friedenspflicht unterworfen sei. Statt Mitbestimmungsrechten bei Unternehmensentscheidungen gab es nur noch Mitbestimmung bei der Arbeitsordung. Mit den Arbeiterräten hatten diese "Betriebsräte" nicht mehr viel gemein.

Betriebsrätegesetz 1920

Als die Nationalversammlung am 13. Januar das vorgelegte Betriebsrätegesetz behandelte, fand vor dem Reichstagsgebäude eine Großdemonstration von USPD, KPD und linken Gewerkschaftern gegen den Gesetzesentwurf und für mehr demokratische und soziale Rechte statt. Die sich unter dem Kommando des preußischen Innenministers Wolfgang Heine (SPD) befindende Polizei begegnete dieser Demonstration mit Gewalt und richtete ein Blutbad an. 42 Menschen starben, 105 wurden verletzt. Daraufhin trat der Ausnahmezustand in Kraft, welcher es der Reichswehr erlaubte, sponatane Streiks und Aufbegehren der Arbeiterklasse im Keim zu ersticken. Das Betriebsrätegesetz trat schließlich am 4. Februar in Kraft. Nur zwei Monate nach der blutigen Niederschlagung der Demonstration löste der Kapp-Putsch, ein Versuch reaktionärer Militärs in Deutschland eine Militärdiktatur zu errichten, den größten Generalstreik in der deutschen Geschichte aus. Daraufhin kam es im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland zu bewaffneten Arbeiteraufständen. Die Chance auf eine Machtübernahme durch die Arbeiterklasse wurde jedoch vertan. Allerdings waren die politischen Folgen unübersehbar.

Die durch die erfolgreiche Abwehr des Putsches stark gewachsene USPD beschloss auf ihrem Parteitag mehrheitlich den Anschluss an die Kommunistische Internationale (KI) und somit gab es Ende 1920 in Deutschland zwei Massenparteien der Arbeiterbewegung: SPD und KPD. Durch die Vereinigung mit der USPD wuchs der Einfluss der KPD in den Betriebsräten und Gewerkschaften. Programmatisch wurde von den Gewerkschaften, die seit 1918 stark angewachsen waren, die Mitbestimmung als ein Weg zur Selbstbestimmung und Sozialismus verkündet. Innerhalb der Gewerkschaften wurde die Opposition gegen die "Sozialpartnerschaft" immer lauter und die Mehrheiten auf Kongressen, die sich für einen Verbleib in der Zentralarbeitsgemeinschaft aussprachen, wurden immer dünner.

Die Unternehmer begannen – spätestens nach dem Abflauen der Revolution im Herbst 1923 und der damit einsetzenden Stabilisierung des Kapitalismus – die Sozialpartnerschaft schrittweise auszuhöhlen. So wurde 1923 der Acht-Stunden-Tag abgeschafft und die Zentralarbeitsgemeinschaft mit dem gleichzeitigen Austritt von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden 1924 aufgelöst. Die verblieben Errungenschaften der Novemberrevolution wurden spätestens unter dem Hitlerfaschismus 1933 liquidiert. Auch viele gemäßigte Gewerkschaftsführer und SPD-Politiker waren den Repressionen und der Vernichtungsmaschinerie der Nazis ausgeliefert.

Friedrich Engels betonte einst, dass die Stärke und Unbesiegbarkeit der deutschen Arbeiterbewegung darin liege, dass sie einen “Kampf nach seinen drei Seiten hin führt: nach der theoretischen, der politischen und der praktisch-ökonomischen (Widerstand gegen die Kapitalisten) – im Einklang und Zusammenhang und planmäßig”. In diesem Sinne gilt es, die Erfahrung vor 100 Jahren genau zu studieren und daraus zu lernen. Auch heute drängt das Unternehmerlager zunehmend auf eine Aushöhlung der “Sozialpartnerschaft” und erkämpften Errungenschaften. Uns stehen harte Zeiten und Kämpfe bevor.

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