Kategorie: Geschichte

Das rote Burghausen: Die Schlacht beim Glöckelhofer

Geschichte ist geronnene Erfahrung. Wenn wir die Lehren aus den Niederlagen und Erfolgen der Vergangenheit nicht verstehen, werden wir in Zukunft auch nicht siegen können. Ein Blick nach Burghausen (Oberbayern) ist lehrreich.

Bild: privat


Burghausen an der Salzach hat die längste Burg der Welt und liegt in Südostoberbayern an der österreichischen Grenze. Seit dem 1. Weltkrieg ist Burghausen durch die Entstehung der Wacker Chemie und der Neustadt eine Arbeiterstadt.

In der Weimarer Republik war hier die Arbeiterschaft rot. Die meiste Zeit hindurch waren KPD und SPD relativ gleich stark. Gegen die aufkommenden faschistischen Banden waren sich die Arbeiter weitgehend trotz der falschen Linie der damaligen Führung von SPD und KPD im fernen Berlin einig. Die SPD-Führung im Reich nannte die Kommunisten „Kommunazis“, andererseits wurde die SPD von der KPD als „sozialfaschistisch“ attackiert. Auch ohne die damaligen Werke des russischen Revolutionärs Leo Trotzki über Deutschland und die Notwendigkeit einer Arbeitereinheitsfront gelesen zu haben, kamen die Arbeiter spontan auf eine richtige Haltung. Die Arbeiter in vielen Klein- und Mittelstädten spürten direkt vor Ort, dass die Nazis keinen Unterschied machten zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten. Ergo war Zusammenhalt geboten.

Die von den Chefs der Wacker Chemie geförderten Nazis konnten im Wacker-Werk nur eine Betriebsgruppe mit 40 Leuten organisieren. Damals beschäftigte Wacker hier insgesamt 1.200 Arbeiter. Die Nazis waren im Betrieb auf das Labor O unter dem Chemiker Dr. Basel beschränkt. Letztendlich machte sich aber doch das Fehlen einer wirklich marxistischen Arbeiterpartei spätestens im Januar 1933 schmerzhaft bemerkbar. Der Aufruf der KPD zum Generalstreik verhallte. Trotz aller Gemeinsamkeiten im Kampf gegen die Nazis hatten die Kommunisten ihre Mehrheit bei Wacker verloren, die sie bis 1924 hatten. Das war vor allem die Folge der falschen ultralinken Politik unter der KPD-Vorsitzenden Ruth Fischer 1924/25 und der ultralinken Wende unter Stalin und Thälmann ab 1928. Zudem wurden viele kommunistische Arbeiter ab dem Krisenjahr 1929 bei Wacker entlassen. Jetzt aber zu einem Beispiel von erfolgreich praktizierter Arbeitereinheitsfront, welches bis heute Mut macht.

Antifaschismus in Aktion – Einheit in der Praxis

Für den 7. Juni 1932 luden die örtlichen Nazis den damaligen ADGB-Kreisvorsitzenden zu einer Debatte in den heute noch existierenden Gasthof Glöckelhofer in Burghausen ein. Dort wollten sich der kaufmännische Angestellte Ludwig Malcomeß und ein Reichsredner der NSDAP als „Sozialisten“ verkaufen. Es kam aber anders. Mehrere hundert Gewerkschafter sowie der (sozialdemokratische) Reichsbanner unter Georg Schenk als auch die KPD unter Führung von Alois Haxpointner zerschlugen im wahrsten Sinn des Wortes diese Naziprovokation. Aber lassen wir ein Dokument aus der damaligen Zeit selbst sprechen.

In der Anklageschrift des Landgerichtes Traunstein vom Oktober 1932 ist zu lesen:

Dokument Anklageschrift vom 11.Oktober 1932 Landgericht Traunstein

„Schon vor Beginn der Versammlung saßen Sozialdemokraten und Kommunisten im Wirtshausgarten. An ihren Tischen fielen Äußerungen wie „Den Buben (gemeint waren die Nationalsozialisten) werden wir es heute schon noch zeigen“. Auch „vom Darm herauslassen“ war die Rede. Außerhalb des Versammlungssaal befanden sich viele Sozialdemokraten und Kommunisten. Im Versammlungssaal waren 50 bis 60 linksgerichtete Sozialdemokraten und Kommunisten. Nach Beginn der Veranstaltung begannen sie mit dem Lied „Brüder zur Sonne zur Freiheit“ und der „Internationale“ die Veranstaltung der NSDAP zu verhindern. Sie hielten auch Bier und Limonadenflaschen zum Zuschlagen bereit. Es war die planmäßige Absicht erkennbar, die Versammlung der NSDAP zu sprengen, als nun noch Brunnhuber, der Führer der Burghauser Sozialdemokraten, in verdächtiger Weise unmittelbar neben der elektrischen Lichtschaltungsanlage Aufstellung nahm. Er hörte die Aufforderung der Nationalsozialisten, sich zu entfernen. Brunnhuber weigerte sich jedoch, dieser Aufforderung nachzukommen. Malcomeß erklärte daraufhin, dass er nunmehr von seinem Hausrecht Gebrauch mache und verlangte wiederholt von Brunnhuber, dass er den Saal verlassen solle. Brunnhuber leistete jedoch der wiederholten Aufforderung zum Verlassen des Saales keine Folge, zumal er in seiner Weigerung durch den Zuruf des Kommunisten Haxpointner „Nein Brunnhuber du bleibst“ noch bestärkt wurde. Als sich der Nationalsozialist Ambros Bauer mit einigen SS-Leuten auftragsgemäß am Lichtschalter zu diesem Schutze postieren wollte, wurde er plötzlich von sozialdemokratisch- kommunistischer Seite mit einem Stuhl zu Boden geschlagen. Fast zur gleichen Zeit sprang in einem anderen Teil des Saales der Kommunist Rißl den SA Mann Zierhut an, dieser konnte jedoch den Angreifer zur Seite stoßen.

Im nächsten Augenblick war er aber schon von Kommunisten umzingelt. Diese warfen mit Stühlen und schlugen den SA-Mann Zierhut nieder. Aus diesen Vorfällen entwickelte sich in wenigen Sekunden eine allgemeine Saalschlacht, bei der von sozialistisch, kommunistischer Seite wie von nationalsozialistischer Seite mit Stühlen Biergläsern, Aschenbechern und Salzbüchsen zugeschlagen und geworfen wurde. Die Nationalsozialisten, die sich zunächst auf die Abwehr der zusammenarbeiteten Sozialdemokraten und Kommunisten beschränken, gingen alsbald über diese Abwehr hinaus, im einzelnen ereignete sich folgendes:
1. Der Kommunist Zinner war es gewesen, der den Nationalsozialisten Bauer ohne jeden Anlass einen Stuhl auf den Kopf geschlagen hatte, so dass Bauer zusammenbrach. 2. Der Kommunist Zinner fiel über den von seinem Parteigenossen niedergeschlagenen Nationalsozialisten Zierhut her und drückte ihm die Kehle zu. Währenddessen schlugen seine Parteigenossen den Zierhut mit Fäusten und mit Füssen. 3. Der Sozialdemokrat Höcketstaller wollte mit einem Stuhl einem Nationalsozialisten einen Schlag auf den Kopf versetzen, der Schlag ging jedoch fehl. 5. Der Sozialdemokrat Schenk verbarg sich hinter seinem Parteigenossen Wimmer und warf einen Stuhl auf den Nationalsozialisten Hagenberger. Gleichzeitig wurde mit einem weiteren Stuhl auf den Nationalsozialisten Malcolmeß einschlagen. 6. Der Kommunist Haxpointner schlug mit einem Stuhl auf mehrere Nationalsozialisten ein. (Landgericht Traunstein 11.10.1932, Auszüge)

In diesem Stil fährt die Anklageschrift fort. Gegen 21 Uhr 30 beendete die herbeigerufene Landespolizei die Saalschlacht. Der Glöckelhofer glich einem Trümmerhaufen. Die Landespolizei rettete die Nazis vor der totalen physischen Niederlage. In die Krankenhäuser Altötting und Burghausen wurden 24 schwer verwundete Personen gebracht. Die meisten davon waren Hitlerfaschisten. Die Nazifaschisten waren geschlagen und wurden sogar noch den Stadtberg hinunter verfolgt. Der Naziführer Malcomeß konnte sich der Verfolgung durch eine rasante Flucht entziehen. Nicht aber der Nazirechtsanwalt Dr. Remmler. Er wurde bis ins Café Winklmeier am Stadtplatz 57 verfolgt. Am Hinterausgang stellten ihn KPD-Aktivisten. Sie schlugen ihn so zusammen, dass Remmler sein Leben lang zu 25% erwerbsgemindert war. Später machte Remmler eine steile Karriere in der Nazipartei. Das Kräfteverhältnis in Burghausen war damit klargestellt. Der KPD-Reichstagsabgeordnete Hans Beimler nannte in seiner letzten legalen Rede in Deutschland in Burghausen am 11.02.33 die Schlacht beim Glöckelhofer: „Ein Musterbeispiel für die kommende rote Einheitsfront“ und in Verkennung der Lage: „Ein Beispiel für den kommenden Sieg der KPD“. Dabei assistierten ihm Alois Haxpointner aus Burghausen und der KPD-Funktionär Anton Griebl aus Neuötting.

Die Nazis kommen an die Macht

Im November 1932 verloren die Nazis in Deutschland bei den Reichstagswahlen zwei Millionen Stimmen. Der Höhenflug der Partei schien beendet zu sein. Auch in Burghausen ging der Stimmenanteil der Nazis zurück. Im Wahlkampf erklärte der bekannte Kommunist Simon Vorburger aus Burghausen: „Wenn Hitler kommt, kommt der Krieg“. Alois Haxpointner plädierte im Wahlkampf für ein „rotes Burghausen in einem roten Rätedeutschland“. In dieser Situation intervenierte der „Reichsverband der deutschen Industrie“ beim Reichspräsidenten Paul von Hindenburg mit der Forderung, Hitler zum Kanzler zu ernennen. Die Industrie hatte einfach zu viel Geld in die Nazipartei investiert. Gleichzeitig waren sie davon überzeugt, dass nur die Nazipartei mittels Zerschlagung der Arbeiterbewegung und der versprochenen Aufrüstung ihre Kapitalverwertungsprobleme beheben könnte. So sah es auch die Direktion der Wacker Chemie vor Ort.

Zunächst aber folgte mit der Ernennung von General Schleicher zum Reichskanzler im Dezember 1932 ein letztes kurzes Zwischenspiel vor dem 30. Januar 1933. Schleicher wurde aber schnell wieder abserviert. Sein Versuch, die Nazipartei mit Hilfe des ranghohen Nazifunktionärs Gregor Strasser zu spalten, ging nicht auf. Auch sein Ansinnen, den ADGB in die Regierung zusammen mit „gemäßigten Nationalsozialisten“ einzubinden, schlug fehl. Die „Querfrontkonzeption“ des angeblich „sozialen Generals“ ging ins Leere.

Am 30. Januar 1933 ernannte dann Hindenburg Adolf Hitler zum Kanzler. In Berlin fand eine große Siegesparade der Nazis statt. In München und im Landkreis Altötting wurde der Naziaufmarsch wegen Glatteis abgesagt. Die KPD forderte im Reich wie auch in Südostoberbayern zum Generalstreik auf. Die SPD hingegen gab die Anweisung heraus, „legal zu bleiben“, denn Hitler sei „legal zur Macht gekommen“. Das war offener Verrat und irritierte auch viele Basismitglieder des Reichsbanner. In Altötting demonstrierten jedoch am 31. Januar mehrere hundert Kommunisten gegen die „offene faschistische Diktatur“. Die Anführer waren der aus Neuötting stammende Anton Griebl und Alois Haxpointner aus Burghausen. Am Ende sprach der KPD-Unterbezirksleiter Wimmer aus Mühldorf am Inn. Erstaunlich war, dass in Altötting noch demonstriert wurde. In München hingegen wurden am selben Tag Demonstrationsversuche der KPD von SA und Landespolizei unterbunden.

Der bürgerliche „Burghauser Anzeiger“ berichtete am 1. Februar sehr negativ über die kommunistische Demonstration in Altötting. Im Kommentar der Zeitung ist die Befürchtung herauszulesen, dass auch die hitzige örtliche KPD „Unruhen schaffen könnte“. Letzteres war auch die Absicht der KPD unter Alois Haxpointner. Das in der Bayerischen Volkspartei (BVP) organisierte Bürgertum sehnte sich nach Ruhe, auch wenn der Reichskanzler Hitler hieß.

Allerdings ging auch der Generalstreikaufruf der KPD in Burghausen nicht auf. Das hatte mehrere Gründe. Die allgemeine KPD-Propaganda vor 1933 sprach vom „Zentrumsfaschismus“ (bezogen auf die katholische Zentrumspartei), vom „Sozialfaschismus“ (bezogen auf die SPD), ja sogar vom „Trotzkifaschismus“ (bezogen auf den aus der Sowjetunion verbannten Revolutionär Leo Trotzki, der damals die Linke Opposition in der Kommunistischen Internationale koordinierte). Durch den inflationären Gebrauch des Begriffes „Faschismus“ hatte man die Arbeiter abgestumpft. Die Besonderheit des tatsächlichen Hitlerfaschismus war dadurch auch für viele Arbeiter nicht mehr erkennbar. Der jahrelange verbissene Kampf gegen die Sozialdemokratie führte zu einer politischen Entfremdung innerhalb der Arbeiterklasse. Auch wenn in Burghausen die Nazis gemeinsam verprügelt wurden, folgten die Arbeiter in der Wacker Chemie 1933 mehrheitlich der Sozialdemokratie. Da die Gewerkschaft den an sich richtigen Aufruf der KPD zum Generalstreik ablehnte, musste der Aufruf scheitern. Die KPD auch in Burghausen hatte sich durch die separate Organisierung ihrer Mitglieder in der RGO (Revolutionäre Gewerkschaftsopposition) von der Mehrheit der Arbeiter bei Wacker selbst isoliert. Nachdem dies klar wurde, forderte der KPD-Kunstschütze Simon Vorburger zum bewaffneten Widerstand auf, um die Sozialdemokraten mitzureißen. Der Vorschlag wurde aber von aber von Haxpointner und Breu als „abenteuerlich“ abgelehnt.

Foto: Alois Haxpointner, ab 1930 Vorsitzender der KPD in Burghausen. Im März 1933 bis Dezember 1933 im Zuchthaus Bernau. Von Dezember 1935 bis zur Befreiung im KZ Dachau. 1946 zum Kreisrat der KPD gewählt. Ab 1955 bis 1965 aus Entäuschung über die Entwicklung in Osteuropa SPD-Mitglied. Dann parteilos. Zeitzeugen berichten, dass für Haxpointner die SPD zu rechts war. 1979 in Traunstein verstorben. Quelle: privat.


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