Kategorie: Geschichte

Was lernen wir aus dem Bauernkrieg?

Dass der DGB Nordwürttemberg mit einer Ausstellung in Stuttgart an Friedrich Engels erinnert, ist gut und löblich. Fraglich sind allerdings einige Aussagen und Kommentare der Verfasser, die das Lebenswerk und politische Erbe des bedeutenden Weggefährten von Karl Marx und Pioniers des wissenschaftlichen Sozialismus verzerren. Als Beispiel sei hier der Deutsche Bauernkrieg genannt.

Bild: Foto_Fan01 auf Pixabay


Im Jahre 1850, ein Jahr nach der endgültigen Niederlage der Revolution von 1848/49, schrieb Friedrich Engels seine historische Abhandlung über den revolutionären deutschen Bauernkrieg von 1525. In der Ausstellungstafel über diese Schrift befassen sich die Autoren gar nicht erst mit deren eigentlichem Inhalt. Stattdessen schießen sie sich auf einige Sätze ein, die Engels in der Einleitung zu diesem Werk schrieb:

„Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition. […] Es ist an der Zeit, gegenüber der augenblicklichen Erschlaffung, die sich nach zwei Jahren des Kampfes fast überall zeigt, die ungefügen, aber kräftigen und zähen Gestalten des großen Bauernkriegs dem deutschen Volke wieder vorzuführen. Drei Jahrhunderte sind seitdem verflossen, und manches hat sich geändert; und doch steht der Bauernkrieg unsern heutigen Kämpfen so überaus fern nicht, und die zu bekämpfenden Gegner sind großenteils noch dieselben. Die Klassen und Klassenfraktionen, die 1848 und 49 überall verraten haben, werden wir schon 1525, wenn auch auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe, als Verräter vorfinden.“ 

Engels begründet also seine Beschäftigung mit dem deutschen Bauernkrieg damit, dass aus ihm wichtige Lehren für die Revolution von 1848 gezogen werden können. Das erzürnt unsere Autoren und sie werfen ihm vor: „Er [Engels] nahm also gerade nicht die verlorene Revolution [von 1848/49] in den Blick und legte sich Rechenschaft ab über das, was 1848 in Deutschland passierte, sondern verglich die Situation mit einer anderen deutschen Revolution ein paar hundert Jahre zuvor. […] Ganz so, als müsse man über ‚die ökonomische Lage und den soziale Schichtenbau Deutschlands 1525‘ [MEW 7/330] etwas wissen, um gegen die deutschen Verhältnisse 1850 zu sein.“

Dieses Argument ist schlicht falsch und es verwundert, dass die Autoren es nicht besser wissen. Denn Friedrich Engels nahm nicht nur, wie von ihnen richtigerweise erwähnt, aktiv an der Revolution von 1848 teil. Er und Marx arbeiteten auch theoretisch minutiös die Revolution und die Gründe für deren Niederlage auf. Und zwar sowohl während des Geschehens in Form von zahlreichen Artikeln in der Neuen Rheinischen Zeitung als auch in einer gemeinsamen Rede vor dem Bund der Kommunisten. Und 1851/52 schrieb Engels gar ein ganzes Buch über die Revolution von 1848 und die Gründe für ihr Scheitern: „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“ . Neben den in der Ausstellung behandelten Schriften gehört diese zu den wichtigsten und bekanntesten Schriften Engels‘. Schwer vorstellbar, dass die Autoren der Ausstellung sie nicht kennen.

Alles Schnee von gestern?

Unsere Autoren zielen aber auf eine andere Frage ab: Können und sollten wir aus den Revolutionen und revolutionären Klassenkämpfen der Vergangenheit für die Gegenwart lernen? „Was nützt uns der Schnee von gestern?“, würden sie vielleicht fragen. Heute sei doch sowieso alles anders. „Was nützt es etwas über ‚die ökonomische Lage und den soziale Schichtenbau Deutschlands 1525‘ [MEW 7/330] [zu] wissen, um gegen die deutschen Verhältnisse 1850 zu sein?“ Unsere Autoren stehen vermutlich eher auf dem Standpunkt Henry Fords, für den Geschichte nichts weiter war als „just one damn thing after another“.

Marx und Engels waren hingegen der Auffassung, dass die Geschichte der menschlichen Gesellschaft ein Prozess mit eigenen Gesetzmäßigkeiten ist. Natürlich: Nichts wiederholt sich; die Situation 1525 ist eine andere als 1848 oder 2021. Aber in jeder revolutionären Situation können ähnliche Phänomene beobachtet werden: Der Prozess der Bewusstseinsentwicklung und Radikalisierung der Massen, die anfängliche Naivität und Gutgläubigkeit der revolutionären Massen, dank derer sie der List und den Lügen der Herrschenden zum Opfer fielen; wie wichtig es für die revolutionäre Klasse ist, Nägel mit Köpfen zu machen, konsequent durchzugreifen und sich nicht auf verlogene Kompromisse mit der herrschenden Klasse einzulassen; wie Sieg oder Niederlage von der Einheit der revolutionären Klasse abhängen – all das (und noch viel mehr) sind die entscheidenden Lehren, die wir aus der Erfahrung des

Bauernkrieges von 1525 lernen können. Lehren, die heute noch genau so aktuell und entscheidend für den Erfolg einer Revolution sind, wie sie es 1848 waren. Jeder ernsthafte Revolutionär sollte deswegen gerade auch im Jahre 2021 Engels‘ Schrift über den deutschen Bauernkrieg lesen.

Die Gutgläubigkeit und Kompromisslereien mit Fürsten und Königen führten 1525 und 1848 die revolutionären Klassen in die Niederlage: Zu Beginn des Bauernkrieges 1525 standen die Bauern kurz vor dem Sieg. Der Aufstand der Bauern war scheinbar plötzlich gekommen und hatte die überheblichen Fürsten überrumpelt. Tausende Bauern standen bewaffnet vor der Burg des Fürsten, welcher keine Möglichkeit mehr hatte, irgendeine nennenswerte Streitkraft zu seiner Verteidigung zu mobilisieren. Die Bauern hätten die Burg nur stürmen und den Fürsten gefangen nehmen müssen, um zu siegen. Ein Sieg, der nahezu blutlos errungen worden wäre, da niemand da war, der ernsthaften Widerstand hätte leisten können.

Die Fürsten boten jedoch einen Waffenstillstand an und versprachen mit den Bauern zu verhandeln. Sie beteuerten, sie würden die Forderungen ihrer Untertanen ernst nehmen und appellierten an den guten Willen, an den Menschenverstand und die Gutmütigkeit der revolutionären Bauern. Diese gingen heim. Einige Wochen später fanden Verhandlungen statt, in denen der Fürst den Bauern keinen Millimeter entgegenkam. Die Verhandlungen scheiterten. Doch die inzwischen verstrichene Zeit hatte es dem Fürsten ermöglicht, ein Söldnerheer zusammenzuziehen und die demobilisierten Bauern abzumetzeln und ein abscheuliches Blutbad anzurichten.

Genau dieselbe Taktik wurde 1848 angewandt, als sich die bürgerlichen Abgeordneten ein Jahr lang in der Frankfurter Paulskirche den Mund fusselig redeten, während die Fürsten Truppen zusammenzogen, um die Revolution in Blut zu ertränken. Das ist bis heute die Taktik der herrschenden Klasse geblieben – in jeder Revolution, ja selbst in jedem Streik oder Arbeitskampf: Die Mobilisierung der Arbeiter wird abgeblasen, stattdessen gibt es Verhandlungen. Doch ohne die mobilisierten und kampfbereiten Arbeiter im Rücken zu haben, fehlt ihren Vertretern in den Verhandlungen jede Kraft, die Forderungen der Arbeiter durchzusetzen.

Sowohl 1525 als auch 1848 führte der Verrat der bürgerlichen Kräfte, die sich im entscheidenden Moment mit dem Adel gegen die ausgebeuteten Massen verbündeten, zur Niederlage. Sie hatten schließlich mehr mit den Fürsten gemein als mit hungernden Arbeitern und Bauern. Sowohl 1525 als auch 1848 schlug sich die Bourgeoisie zunächst, wenn auch widerwillig, auf die Seite der Revolution. Doch sobald es darum ging, ernsthaft mit der Fürstenmacht Schluss zu machen, bremste sie die Revolution aus. Zu viel Angst hatte sie davor, dass die revolutionären Massen, wenn sie einmal ihre Macht verstanden hatten, nicht beim Sturz der Fürstenherrschaft Halt machten und sich gegen die Bourgeoisie wenden würden. Auch wenn die Bourgeoisie im Absolutismus auf direkte politische Macht verzichten musste, so war der absolutistische Staat wenigstens ein gutes Werkzeug, um die Arbeiter und verarmenden Bauern in Schach zu halten. Indem die Bourgeoisie die Revolution ausbremste, die Mobilisierung von neuen revolutionären Truppen verzögerte und in geheimen Verhandlungen mit den Fürsten stand, gab sie diesen Zeit, eine konterrevolutionäre Streitmacht aufzustellen, um die Revolution brutal niederzuschlagen.

Marx und Engels zogen in ihrer „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850“ die Lehren aus diesen Erfahrungen: Das Proletariat wird in der Bourgeoisie nie einen revolutionären Verbündeten im Kampf gegen die Reste des Feudalismus finden. Das Proletariat darf daher unter keinen Umständen nur das Anhängsel der liberalen Bourgeoisie sein, sondern muss zu jedem Zeitpunkt einen unabhängigen Klassenstandpunkt bewahren. Sobald die Bourgeoisie auf die Seite der Konterrevolution übergeht, muss das Proletariat eigenständig den revolutionären Kampf gegen Adel und Bourgeoisie aufnehmen.

Das ist eine der wichtigsten Lehren des Marxismus. In der Russischen Revolution 1917 und in jeder kolonialen Revolution seitdem, hat dieses Prinzip, die Klassenunabhängigkeit des Proletariats zu jedem Zeitpunkt, über Sieg oder Niederlage entschieden. Wer will, dass die Arbeiterklasse das vergisst, bereitet die nächste Niederlage vor.

Würde die Menschheit nicht aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen und das Rad bei jedem Mal neu erfinden, wären wir zu ewiger Rückständigkeit verdonnert. Aus Erfahrungen zu lernen, um zukünftige Aufgaben zu bewältigen, ist entscheidend für den Erfolg menschlichen Handelns. Wir tun es im Alltag, Wissenschaft und Technik basieren darauf. Dies für die Geschichte der menschlichen Gesellschaft abzustreiten, ist absurd, passt aber zu dem verbitterten Feldzug unserer Autoren gegen die Dialektik in anderen Ausstellungstafeln.

Revolutionäre, klassenbewusste Arbeiterinnen und Arbeitern müssen heute die revolutionären Prozesse der Vergangenheit gründlich studieren, vom Spartakusaufstand im Jahre 70 v. Chr. über den deutschen Bauernkrieg von 1525 und die bürgerlichen Revolutionen 1640, 1776, 1789 oder 1848 bis hin zu den proletarischen Revolutionen von 1871, 1917, 1918, 1936, 1968, 1978, 2011 oder der revolutionären Welle, die Ende 2019 Lateinamerika und den Nahen Osten erschütterte. Nur die Lehren aus den Erfahrungen vergangener Kämpfe wappnen uns für den zukünftigen Sieg.

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