Kategorie: Geschichte

50 Jahre nach Stonewall: Wiederbelebt den LGBTQ-Radikalismus!

Ein Aufstand am 28. Juni 1969 direkt vor der Stonewall Inn Bar in der Christopher Street in New York City markierte einen Wendepunkt im Kampf um die Emanzipation von LGBTQ-Menschen. In dieser Nacht gab es eine Polizeirazzia in der Bar, was zu dieser Zeit in Schwulenbars allzu üblich war. Aber dieses Mal ließen sich die anwesenden Schwulen und Lesben nicht von der Polizei herum schikanieren. Sie stellten sich der New Yorker Polizei in einem beispiellosen Wochenende der Unruhen entgegen. Dieser mutige Akt veränderte die Bewegung und führte dazu, dass Tausende von LGBTQ-Menschen "out of the closet, into the streets" kamen. Es ist wichtig, diese Ereignisse noch einmal zu betrachten und die wichtigsten Lehren für heute zu ziehen.

Bild: wikemedia commons / samchills


LGBTQ Kämpfe vor Stonewall

Für viele kamen die Stonewall-Unruhen wie Blitze aus heiterem Himmel. Aber der Kampf für die LGBTQ-Befreiung hatte schon lange zuvor begonnen. LGBTQ-Menschen aus der Arbeiterklasse gehörten zu den am meisten unterdrückten Schichten der amerikanischen Gesellschaft. Es war damals völlig legal, jemanden wegen sexueller "Devianz" von einem Job zu entlassen, wobei Homosexualität ganz oben auf der Liste dieser sogenannten Abweichungen stand. Ärzte betrachteten Homosexualität als psychische Erkrankung und empfahlen eine intensive Gesprächstherapie oder Elektroschockbehandlung. Homosexuelle wurden manchmal sogar gegen ihren Willen kastriert. Sodomie wurde mit schweren Gefängnisstrafen bestraft und homosexuelles Verhalten in der Öffentlichkeit war illegal.

In der Epoche des "McCarthyismus" waren Antikommunismus und Homophobie eng miteinander verflochten. McCarthy selbst hatte scherzhaft zur Presse gesagt: "Wenn ihr gegen McCarthy sein wollt, Jungs, müsst ihr ein Kommunist oder ein Schwanzlutscher sein." Homosexuelle galten als "Sicherheitsbedrohung" wegen ihres angeblichen "Mangels an emotionaler Stabilität" und ihrer "fehlenden Charakterstärke" und mussten daher aus der amerikanischen Regierung entfernt werden. In diesem Kontext der Unterdrückung und Repression waren LGBTQ-Menschen gezwungen, ihre sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität zu verbergen.

Interessanterweise wurde die erste Organisation, die die Rechte von Homosexuellen verteidigte (wenn wir die Chicago Society for Human Rights ausschließen, die 1924 nur wenige Monate andauerte), 1950 von einem Kommunisten, Harry Hay, gegründet und hieß Mattachine Society. Diese Organisation war die erste derer, die damals als "homophile" Bewegung bezeichnet wurde. Die Kommunistische Partei der USA (CPUSA), der Hay angehörte, akzeptierte jedoch keine Homosexuellen als Mitglieder. Homophobie in der CPUSA war das Ergebnis der beschämenden Taten von Stalins Clique in der UdSSR, die 1934 Homosexualität im Land kriminalisierten, nachdem sie 1922 unter Lenin und Trotzki entkriminalisiert worden war. Homophobie verbreitete sich in den kommunistischen Parteien auf der ganzen Welt.

In dieser besonderen Situation, in der Hay die feste Absicht hatte, seinen LGBTQ -Aktivismus fortzusetzen, während die CPUSA sich weigerte, Homosexuelle in die Partei aufzunehmen, schlug Hay seinen eigenen Ausschluss aus der Partei vor. Er erklärte: "Da Homosexuellen die Mitgliedschaft in der Partei gemäß ihrer eigenen Verfassung verboten war, hatte ich das Gefühl, dass die Mitglieder in Kalifornien, die meine Parteiarbeit kannten, wissen würden, dass ich die Sicherheit der Partei nie gefährdet hatte. Aber wenn diese Angelegenheit in der People's World oder im Daily Worker ausgestrahlt würde, könnten Mitglieder in anderen Staaten das Gefühl haben, dass die Partei beim Schutz der Mitgliedschaft nachlässig war. Ich hatte das Gefühl, dass ein Vorschlag für meinen Ausschluss die kalifornische Partei in ihren Augen entlasten würde, und das war das Wichtige." Hay wurde deshalb ausgeschlossen.

So verpassten die amerikanischen Kommunisten eine einzigartige Gelegenheit, an der Spitze der LGBTQ-Befreiungsbewegung zu stehen. Wir können hier den unermesslichen Schaden sehen, den die stalinistische Degeneration der kommunistischen Bewegung zugefügt hat. Selbstverständlich hat die Homophobie der Stalinisten rein gar nichts damit zu tun, was echte Marxisten verteidigen.

Die Mattachine Society war die wichtigste Organisation, die in den 1950er Jahren für die Rechte von Homosexuellen kämpfte. 1955 wurde die Töchter der Bilitis gegründet. Sie war weniger radikal als Mattachine und eher eine Selbsthilfegruppe für Lesben. Beide Organisationen blieben am Rande der Gesellschaft; Ende der 1950er Jahre hatte Mattachine 230 Mitglieder, während die Töchter der Bilitis 110 Mitglieder hatten.

Wie bei jeder Bewegung zur Emanzipation der Unterdrückten wurde ein Kampf der Ideen, Perspektiven und Methoden geführt. Die LGBTQ-Befreiungsbewegung war hier keine Ausnahme. Einige befürworteten radikale Methoden, während andere versuchten, liberale Politiker und "Experten" zu überzeugen. Letztlich spiegelt dies die unterschiedliche Klassenperspektiven in der Bewegung wider.

Es hat immer eine Schicht in der Bewegung gegeben, die darauf abzielt, sie in "sicheren" Kanälen zu halten, d.h. die Bewegung davon abzuhalten, "zu weit" zu gehen und das gesamte kapitalistische System und seine politischen Vertreter herauszufordern. Einige wollten überhaupt keine Bewegung von den Massen. Zum Beispiel schlug Curtis Dewees von Mattachine in New York vor, dass die Bewegung "von Säulen der Community" geleitet werden sollte, mit dem Grund, dass "strategisch platzierte Individuen mehr tun können, um die öffentliche Meinung im nächsten Jahrzehnt zu verändern, als ein Vielfaches der Anzahl von Personen, die zufällig aus der Gesellschaft ausgewählt wurden". Die Stonewall Ereignisse zeigten, wie falsch diese Sicht war, wo Hunderte von Menschen, die "zufällig aus der Gesellschaft ausgewählt wurden", den Lauf der Geschichte schneller verändern würden als alle liberalen Politiker zusammen.

Die schwulen Aktivisten der damaligen Zeit sahen sich vielen Hindernissen gegenüber, insbesondere der mangelnden Beteiligung von LGBTQ-Menschen selbst. Tatsächlich wollten viele Homosexuelle nicht, dass Menschen ihre wahre sexuelle Orientierung kennen. Sie befürchteten sogar, dass Aktivisten in "gewöhnlicher Kleidung" dazu führen würden, dass sie selbst der Homosexualität verdächtigt würden. Das Argument war: "Wir wollen nicht, dass die Leute wissen, dass wir wie alle anderen aussehen. Solange sie denken, dass jeder eine schreiende Königin mit Wimpern ist, sind wir in Sicherheit. Wir werden nicht verdächtigt." Auch hier würden die Stonewall-Aufstände dazu beitragen, dies zu ändern.

 

"Gay Power!"

Zur Zeit der Stonewall-Aufstände wurden LGBTQ-Personen ständig von der Polizei angegriffen. Die Polizei benutze das was man Fallenstellen nannte: Polizisten verkleideten sich als Zivilisten und machten sexuelle Avancen gegenüber Homosexuellen in einer Schwulenbar oder anderen öffentlichen Plätzen. Wenn es funktionierte, benutzten die Polizisten dies als Rechtfertigung, um die Person zu verhaften. Zwischen 1959 und 1963 wurden in New York City jedes Jahr zwischen 1.000 und 1.300 Menschen wegen „homosexueller Aktivitäten“ festgenommen.

Schwulen-Bars waren oft die einzigen Orte, an denen sich LGBTQ-Menschen sicher fühlen konnten. Aber sie konnten sich der Unterdrückung nicht vollständig entziehen. Polizeirazzien in Schwulenbars waren in der Tat Routine. Während dieser Razzien verhafteten Polizisten Personen, bei denen festgestellt wurde, dass sie „Cross-Dressing“ praktizierten, was zu dieser Zeit illegal war. 1959 schloss die State Liquor Authority ein Dutzend Bars in New York, weil sie Homosexuellen Alkohol ausschenkten, was ebenfalls illegal war. Erst 1966 durften Homesexuelle in der Öffentlichkeit tanzen und Alkohol ausgeschenkt bekommen.

Die Mafia sah hier eine Gelegenheit, ihre Geschäfte auszuweiten, und übernahm die Kontrolle über die Schwulenbar-"Industrie“. Das Stonewall Inn war eine von mehreren Bars, die von der Mafia kontrolliert wurden. Diese Kriminellen nutzten ihre Kontrolle aus, um überteuerte, verdünnte Getränke zu verkaufen und Gäste zu erpressen, die ihre sexuelle Orientierung geheim halten wollten. Die homosexuelle Bevölkerung war in den 1960er Jahren eine immense Einnahmequelle für die Mafia. Aber bei den Polizeirazzien wurde die Mafia selbst nicht verfolgt: Die Polizei informierte sie über die Razzien und die Mafia bezahlte korrupte Beamte, damit sie ihre Geschäfte weiterführen konnte.

Im Fall von Stonewall versuchte die Polizei unter dem Vorwand, gegen die Mafia zu kämpfen, die Bar zu schließen. Die erste Razzia fand am Dienstag, den 24. Juni 1969 statt, um Beweise gegen die Barbesitzer zu sammeln. Laut Ronnie Di Brienza, der zu dieser Zeit dort war, war das allgemeine Gefühl, dass dies nur eine weitere routinemäßige Belästigungsrazzia war, bei der korrupte Polizisten Geld von der Mafia verlangen würden. Er merkte an, dass für drei Tage die Frustration in der gesamten Community deutlich zu spüren war: „Das Hauptthema war: ‚Dieser Scheiß muss aufhören!‘“

Dann, am frühen Morgen des 28. Juni, führte die Polizei eine zweite Razzia im Stonewall Inn durch. Die „Crossdresser“ wurden zusammengepfercht, um im Badezimmer „untersucht“ zu werden, eine demütigende Prozedur, um festzustellen, ob sie gegen die reaktionären Gesetze verstoßen. Doch die Operation verlief nicht wie geplant. Diesmal weigerten sich die Anwesenden, mit der Polizei mitzumachen. Die Gäste, die die Bar verließen, begannen sich, anstatt die Bar wie sonst üblich leise zu verlassen, am Eingang zu versammeln, um zu sehen, was mit ihren Freunden drinnen passierte.

Während Angestellte und „Crossdresser“ in Streifenwagen gesteckt wurden, fing die Menge an, die Polizei auszubuhen und zu verspotten. Eine Lesbe wurde aus der Bar gestoßen und in ein Polizeiauto geworfen. Sie entkam zweimal und es wurde berichtet, dass sie die Menge anschrie: „Warum tut ihr nicht etwas?“ Dann, als sie gewaltsam zurück ins Auto geschleudert wurde, begannen die Demonstranten zu schreien: „Polizeibrutalität! Schweine!“ Der Aufstand hatte begonnen.

Die Menge fing an, die Polizei zu beleidigen, warf Pennies, Flaschen und sogar Pflastersteine auf sie. Nach Jahrzehnten der Demütigung, Unterdrückung und Ausbeutung ließen sie all ihre angesammelte Wut auf die Polizei los. Die Polizisten mussten sich zurückziehen und sich im Stonewall Inn unter einem Regen aus leeren Flaschen verbarrikadieren. Ein Teilnehmer sagte: „In der Bürgerrechtsbewegung sind wir vor der Polizei geflohen, in der Friedensbewegung sind wir vor der Polizei geflohen. In dieser Nacht rannte die Polizei vor uns - den Niedrigsten der Niedrigen - weg.“ Die an diesem Abend anwesenden LGBTQ-Personen räumten den weit verbreiteten Mythos aus, der sie als schwach, verletzlich und passiv darstellte. Sie schrien „Gay Power!“ und „Wir wollen Freiheit!“ an die schockierten und verängstigten Polizisten. Erst das Eintreffen der Bereitschaftspolizei ermöglichte es den Kräften der Repression dieser historischen Nacht ein Ende zu bereiten.

Am nächsten Tag verbreitete sich die Nachricht von dem Aufstand wie ein Lauffeuer. Auf den schwarzen Holztafeln, die die zerbrochenen Fenster des Stonewall Inn ersetzten, waren mit Kreide Slogans geschrieben: „Support Gay Power – C’mon in girls“, “They want us to fight for our country. But they invade our rights” und „Gay Prohibition Corrupt Cops Feeds Mafia“. In dieser Nacht kam es zu einer spontanen Versammlung vor dem Stonewall Inn. Rund 2.000 Menschen versammelten sich und sangen die gleichen Slogans wie am Vorabend, zusammen mit anderen, wie “Christopher Street belongs to the queens!” und “Equality for homosexuals!” Die Kundgebung führte zu einer weiteren Konfrontation mit der Polizei, und die Bereitschaftspolizei wurde erneut als Verstärkung gerufen, um dem Aufstand ein Ende zu bereiten.

An die Stonewall-Aufstände erinnert man sich noch heute, weil sie der Moment waren, in dem die LGBTQ-Community „genug!“ sagte. Mit den Worten eines Teilnehmers: „Wir wurden belästigt, weil wir nichts anderes getan haben, als unseren Spaß zu haben; wobei wir niemanden anderen verletzten. Nun, die ‚Schwulenaufstände‘ bedeuten, dass wir es nicht mehr hinnehmen werden.“

 

Radikalisierung

Die Unruhen lösten sofort eine beispiellose Welle an LGBTQ-Aktivismus aus. Nach den Unruhen wollte eine Schicht von Aktivisten in der Mattachine Society of New York (MSNY), die durch die Ereignisse radikalisiert wurde, dass die Bewegung militanter wird und sich mit dem Rest der Linken im Kampf gegen die Unterdrückung von Schwarzen und gegen den Vietnamkrieg verbündet. In der MSNY wurde ein Aktionskomitee gebildet, dem einige Mitglieder der Töchter der Bilitis beitraten. Dieses Komitee geriet jedoch schnell in Konflikt mit der konservativeren Führung der Organisation, insbesondere mit Dick Leitsch. Bei einem hitzigen Treffen der MSNY erzählte ein Teilnehmer, Leitsch habe gesagt, er wolle, dass die Bewegung „die Gunst des Establishments behält“. Es folgte eine hitzige Debatte, in der Leitsch von einem Aktivisten niedergeschrien wurde, der sagte: „Alle Unterdrückten müssen sich vereinen! Das System hält uns alle schwach, indem es uns getrennt hält.“

Später ging die konservative Fraktion sogar so weit, sich gegen eine Gedenkdemonstration für die Unruhen zu stellen, weil eine solche Demonstration „schwuler Macht“ die liberalen Verbündeten in der Stadtregierung gegen sich aufbringen könnte! Es gibt heute zweifellos ähnliche Elemente in der LGBTQ-Bewegung, die die Pride-Demonstrationen und -Bewegung im Allgemeinen auf Kanälen halten wollen, die für das Establishment sicher sind.

Am Ende bildete das Aktionskomitee eine eigene Organisation - die Gay Liberation Front (GLF). In einem in der Zeitung Ratte veröffentlichten Artikel, der die Gründung der GLF ankündigte und in Form eines Interviews veröffentlicht wurde, wurde die Antwort auf die Frage „Was ist die Gay Liberation Front?“ wie folgt beantwortet:

„Wir sind eine revolutionäre Gruppe von Männern und Frauen, die aus der Erkenntnis entstanden ist, dass eine vollständige sexuelle Befreiung für alle Menschen nicht möglich ist, wenn die bestehenden sozialen Institutionen nicht abgeschafft werden. Wir lehnen den Versuch der Gesellschaft ab, uns sexuelle Rollen und Definitionen unserer Natur aufzuzwingen …“
„Wir - wie alle anderen - werden als Ware behandelt. Uns wird gesagt, was wir fühlen, was wir denken sollen … Wir identifizieren uns mit all den Unterdrückten: dem vietnamesischen Kampf, der Dritten Welt, den Schwarzen, den Arbeitern … all jenen, die von dieser verrotteten, schmutzigen, abscheulichen, abgefuckten kapitalistischen Verschwörung unterdrückt werden .“

Diese Radikalisierung nach links innerhalb der LGBTQ-Bewegung war nicht zufällig. Ganze Schichten der amerikanischen Gesellschaft - insbesondere die Jugend - kamen zu dem Schluss, dass der Kapitalismus und die verschiedenen Formen der Unterdrückung miteinander verbunden sind und dass wir den Kapitalismus bekämpfen müssen, um die Unterdrückten zu befreien. Der GLF ähnliche Organisationen wurden in anderen Ländern wie Großbritannien, Kanada, Frankreich, Italien usw. gegründet. Die GLF in den USA war nur von kurzer Dauer, da sie 1972 aufhörte, aktiv zu sein. Dennoch muss ihr Aufruf, den Kampf von LGBTQ-Menschen mit Arbeitern und Unterdrückten im Allgemeinen zu vereinen, heute wieder aufgenommen werden. Das versuchen die Marxisten der IMT!

 

Wiederbelebung der kämpferischen Tradition

Die erste Gedenkveranstaltung zu den Stonewall-Aufständen fand ein Jahr später, am 28. Juni 1970, statt. Zur großen Freude der Organisatoren nahmen Tausende Menschen an der Demonstration teil. Einer von ihnen sagte: „Das war der Moment, in dem sich die closet-Tür tatsächlich öffnete und die schwule Community ans Licht kam.“ Von da an wurde die Pride-Parade zu einer Tradition, die bis heute andauert. Nicht die parlamentarischen Tricks und der sanfte Druck auf die Liberalen, sondern die heldenhafte Aktion Tausender Menschen, die gegen die NYPD kämpften, gab dem Kampf für die LGBTQ-Emanzipation einen großen Auftrieb. Dies ist es, was der Bewegung ermöglicht hat, Schritte nach vorne zu machen.

Leider hat sich Pride seitdem von seinen militanten Wurzeln entfernt. Die alljährliche Demonstration, die zunächst unter dem Motto „Gay Power“ stattfand, ist heute nichts weiter als ein riesiges Straßenfest, auf dem sich kapitalistische Politiker wie Justin Trudeau und Hillary Clinton willkommen fühlen. Sogar die Polizei taucht bei Demonstrationen in Uniform auf – dieselbe Institution, die die LGBTQ-Menschen in den Stonewall-Jahren unterdrückt hat und dies auch heute noch tut. In diesem Jahr witterte die NYPD zynisch eine Gelegenheit, ihr Image aufzupolieren, und ging sogar so weit, sich für ihre damalige Behandlung von LGBTQ-Personen zu entschuldigen!

Auch die unternehmerische Vereinnahmung der Pride hat Jahr für Jahr zugenommen. Große Unternehmen sponsern die Pride-Paraden und große Banken fügen Regenbögen zu ihren Logos hinzu. 2017 hatte die New York City Pride nicht weniger als 61 Sponsoren! Witeck Communications, ein Kommunikationsunternehmen, das sich auf LGBTQ-Öffentlichkeitsarbeit spezialisiert hat, hat 2016 berechnet, dass die Kaufkraft von LGBTQ-Personen in den USA 1 Billion US-Dollar beträgt. Hierin liegt das materielle Interesse dieser Unternehmen, Pride zu sponsern.

Trotz der schieren Heuchelei und des Geldraubs der Unternehmen ist die Popularität von Pride nichtsdestotrotz ein bemerkenswerter Beweis für die Veränderung der öffentlichen Meinung in Bezug auf LGBTQ-Personen. Während früher die gesamte bürgerliche Gesellschaft von tiefgreifenden homophoben Vorurteilen durchdrungen war, sind heute viele dieser Vorurteile zurückgegangen. 2004 waren 60 Prozent der Amerikaner gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Heute sind 61 Prozent der Amerikaner dafür. Was für eine bemerkenswerte Umkehrung!

Der Weg in Richtung Gleichberechtigung war anstrengend und es dauerte schmerzhaft lange, bis die Errungenschaften für LGBTQ-Menschen zustande kamen. Es dauerte noch bis 2003 warten, bis alle Anti-Sodomie-Gesetze vom Obersten Gerichtshof der USA niedergeschlagen wurden, und bis 2015, bis die gleichgeschlechtliche Ehe im ganzen Land legalisiert wurde. Außerdem ist der Kampf noch lange nicht vorbei. Trotz der Tatsache, dass viele formelle Rechte errungen wurden, bleiben LGBTQ-Personen eine der am stärksten unterdrückten Schichten. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 sind LGBTQ-Menschen 120 Prozent wahrscheinlicher obdachlos als heterosexuelle Menschen. Darüber hinaus erlebten laut dem GLSEN-Bericht 2017 70,1 Prozent der LGBTQ-Schüler in der Schule verbale Belästigung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Zum ersten Mal seit 2007 ist diese Zahl konstant geblieben oder gestiegen. Laut dem Williams Institute leiden LGBT-Personen unter fast doppelt so hoher Arbeitslosenquote wie Nicht-LGBT-Personen, und der Prozentsatz derjenigen, die unter „Ernährungsunsicherheit“ leiden, beträgt 27 Prozent für LGBT gegenüber 15 Prozent für Nicht-LGBT-Personen. Vom FBI gesammelte Daten, die 2016 veröffentlicht wurden, zeigen, dass LGBTQ-Personen mit größerer Wahrscheinlichkeit als jede andere Minderheit das Ziel von Hassverbrechen werden.

Wie das Sprichwort sagt, kann man Demokratie nicht essen. Obwohl viele demokratische Rechte errungen wurden, stehen LGBTQ-Menschen immer noch vor großen Hindernissen auf dem Weg zur wirtschaftlichen und sozialen Gleichstellung.

Und selbst die Errungenschaften der Vergangenheit sind in Gefahr. Dies zeigt sich deutlich am Beispiel der Trump-Administration, die mehrere repressive Maßnahmen gegen LGBTQ-Personen und insbesondere Trans-Personen ergriffen hat. Zum Beispiel erließ Trump ein Verbot für Trans-Menschen, die beim Militär dienen, und hob den Bundesschutz für Trans-Schüler auf, der es ihnen erlaubte, das Badezimmer zu benutzen, das ihrer Geschlechtsidentität entspricht. Im Mai 2019 kündigte Trump eine neue Regel an, die es staatlich finanzierten Unterkünften erlauben würde, Menschen aus religiösen Gründen den Zutritt zu verweigern oder Transgender-Frauen zu zwingen, Badezimmer und Schlafräume mit Männern zu teilen. Außerdem schlug Trump vor, die Geschlechtsidentität nicht länger als eine Form der Geschlechts-Diskriminierung einzubeziehen. Dies würde es Gesundheitspersonal ermöglichen, beispielsweise Eingriffe wie geschlechtsangleichende Operationen abzulehnen. All diese abscheulichen Angriffe sind der Beweis dafür, dass unsere Grundrechte niemals gesichert sein werden, solange der Kapitalismus herrscht.

Heute muss die Bewegung den radikalen Geist der Stonewall-Aufstände wiederbeleben. Viele Menschen sind angewidert von der Heuchelei all jener kapitalistischen Politiker, die bei Pride auftauchen, aber die Sparmaßnahmen wie gewohnt fortsetzen oder die Augen vor der Ungleichheit verschließen, unter denen LGBTQ-Menschen leiden. Sie sind angewidert von der Anwesenheit der Polizei und der großen Unternehmen, die uns alle ausbeuten. Auf keine dieser Leute können wir im Kampf für Emanzipation zählen.

Heute muss der Kampf für Gleichberechtigung mehr denn je mit einem Kampfprogramm gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus verbunden werden. Die Arbeiterbewegung muss den Kampf für LGBTQ-Rechte aufnehmen und ihn mit einer radikalen Transformation unserer Gesellschaft verbinden. Durch die Enteignung des einen Prozents könnten wir die immensen Ressourcen nutzen, die sie auf ihren Bankkonten verstecken, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen. Sobald sich die gesamte Produktionskapazität der Gesellschaft in den Händen der Arbeiterklasse als Ganzes befindet, werden wir in der Lage sein, angemessene Löhne, Bedingungen, Wohnungen, Gesundheitsfürsorge usw. für alle anzubieten. Eine demokratische Kontrolle von Arbeitsplätzen und Schulen würde es uns ermöglichen, Diskriminierung und Vorurteile zu bekämpfen, indem wir alle in Lehr- oder Führungspositionen zur Rechenschaft ziehen. LGBTQ-Gruppen würden die Ressourcen zur Verfügung gestellt kriegen, um auf die spezifischen Bedürfnisse von LGBTQ-Personen einzugehen. Wie die GLF richtig erklärte: „Eine vollständige sexuelle Befreiung für alle Menschen kann es nicht geben, wenn bestehende gesellschaftliche Institutionen nicht abgeschafft werden.“ Und, würden wir hinzufügen, bis sie durch eine Arbeiterregierung und Sozialismus ersetzt werden.

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