Kategorie: Geschichte

Die Novemberrevolution 1918: Räterepublik vs. bürgerliche Demokratie

Die revolutionären Stürme der Geschichte beginnen gewöhnlich mit einer Krise an der Spitze der Gesellschaft. Im Jahr 1918, inmitten des tobenden Weltkrieges, war die deutsche herrschende Klasse von einer solchen Krise erfasst. War zu Beginn des Ersten Weltkrieges die Kriegsbegeisterung unter den Massen noch groß, verpuffte schon bald die Wirkung der mächtigen Propagandamaschinerie der nationalen Einheit. Die Stimmung schlug um. In dieser Atmosphäre von Krise und wachsender Unzufriedenheit entzündete sich die Revolution.

Bundesarchiv, Bild 183-18594-0045



Krise von oben

Die deutsche Raubpolitik gegenüber den imperialistischen Rivalen hatte Schiffbruch erlitten, während die Maßnahmen zur Niederhaltung der Werktätigen im eigenen Land zunehmend an Wirksamkeit verloren. Die Widersprüche des deutschen Imperialismus drängten immer weiter an die Oberfläche. Einerseits machte die Rüstungsindustrie riesige Profite und andererseits brachte der Krieg Millionen von Toten. Die Massen hungerten und lebten an der Heimatfront im Elend. Das führte in der Arbeiterklasse und unter den Soldaten zu einer enormen Politisierung, die sich zunehmend nach links radikalisierte.

Auch die Revolution in Russland im Jahr 1917 hatte einen großen Einfluss und inspirierte die Arbeiterklasse weltweit. Das erste Mal in der Geschichte der Menschheit hatten die Arbeiter in einem Land die Macht erfolgreich erkämpft und gehalten. 

Inmitten dieses keimenden Aufbegehrens von unten stand die deutsche herrschende Klasse vor einer bedrohlichen Realität: ihr wichtigstes Machtmittel, die Armee, drohte auseinanderzufallen. So war das Regime gefangen zwischen der Aussicht den Krieg zu verlieren und von revolutionären Erhebungen in Deutschland gestürzt zu werden.

Um der drohenden Revolution in Deutschland doch noch entgegenzuwirken, ernannt Kaiser Wilhelm II. eine neue Regierung. Er machte am 3. Oktober Max von Baden zum Kanzler und die SPD wurde erstmalig als Koalitionspartner in die Regierung mit aufgenommen. Durch die Oktoberreformen – mehrere Verfassungs- und Gesetzesänderungen – wurde aus dem deutschen Kaiserreich nun eine parlamentarische Monarchie.

Die SPD, die bereits 1914 die Arbeitermassen mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten verraten hatte, zögerte nicht, beim Rettungsversuch des deutschen Imperialismus mitzuhelfen. Doch eine neue bürgerliche Regierung mit einem Monarchen an der Spitze reichte trotz SPD-Beteiligung nicht aus. Die Massen wollten eine grundlegende Veränderung ihrer Lebensbedingungen und die Forderungen nach Frieden und nach der Abdankung des Kaisers wurden immer lauter.

Der Kieler Matrosenaufstand entfacht die Revolution

Als erstes handelten die Matrosen der Hochseeflotte in Wilhelmshaven an der Nordsee. Nach den verheerenden Verlusten der Frühjahrsoffensive empörten sie sich am 29. Oktober über den Befehl der Marineleitung, erneut gegen die Flotte Englands auszulaufen. Dieser letzte Versuch, die „Ehre Deutschlands zu retten“, hätte für die Matrosen den sicheren Tod bedeutet – dazu waren sie nicht mehr bereit. Sie wollten Frieden. Daraufhin meuterten die Matrosen, wobei viele in Gefangenschaft gerieten. Doch das konnte sie nicht mehr ruhig halten und am 3. November kam es erneut zur Meuterei in Kiel, um die inhaftierten Kameraden zu befreien. Aus einem Aufstand wurde eine Revolution und die Soldaten gründeten in Kiel den ersten Soldatenrat.

Nach der Meuterei in Kiel am 3. November 1918 weiteten sich die Proteste und Unruhen schnell auf andere Städte in Deutschland aus. Am 7. November wehten in dutzenden Städten rote Fahnen überall dort, wo Arbeiter- und Soldatenräte entstanden waren. Wo auch immer größere Massenansammlungen waren, wurden Sprecher und Delegierte gewählt, die die Räte direkt vertreten sollten.

Arbeiter- und Soldatenräte

Räte sind keine Erfindung von Marx und Engels oder Lenin und Trotzki. Sie entstanden als spontane und natürliche Organisationsform der Massen, wie bereits in der Pariser Kommune von 1871 sowie in den Revolutionen in Russland 1905 und 1917.

Im Gegensatz zu bürgerlichen Parlamenten, wo man alle vier bis fünf Jahre einen Vertreter der herrschenden Klasse wählen darf, der schließlich nur seinem „Gewissen“ verpflichtet ist, waren die Delegierten der Räte rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar. Delegierte waren unter der Kontrolle von Massenversammlungen, wo jeder das Recht hatte zu sprechen. Niemand sollte für einen vorbestimmten Zeitraum oder gar auf Lebenszeit gewählt werden und in keiner Form Privilegien aus seiner Position ziehen. Damit sollte dem Karrierismus die Basis entzogen werden.

„Die Sowjets [die russischen Räte] – das Kampforgan der unterdrückten Massen – widerspiegelten und äußerten naturgemäß die Stimmungen und den Wechsel in den Ansichten dieser Massen ungleich schneller, vollständiger, zuverlässiger als irgendwelche andere Institutionen (das ist übrigens einer der Gründe, warum die Sowjetdemokratie die höchste Form der Demokratie ist).“ (Lenin Werke Nr. 28, S. 270)

Die Autorin Evelyn Anderson schreibt über die Räte in Deutschland: 

„Aber die Räte waren nicht nur die einfache Nachahmung der russischen Sowjets. Die deutschen Arbeiter- und Soldatenräte waren spontane Schöpfungen der deutschen Revolution, so wie die russischen Sowjets aus der russischen Revolution geboren waren. Sie waren nicht infolge ausländischer oder sektiererischer Propaganda entstanden, sondern als die natürliche Organisationsform der Massenrevolte.

In den ersten Tagen der Novemberrevolution wurden in allen Betrieben, Bergwerken, Häfen und Kasernen Arbeiter- und Soldatenräte gewählt. Die Massen waren in Bewegung. Wo immer Massen zusammenkamen, bestimmten sie Sprecher und wählten Delegierte, die in ihrem Namen als direkte Beauftragte zu sprechen hatten.“ (Hammer oder Amboss, S. 64, Nest-Verlag)

Konterrevolution von Innen

Die SPD-Führung beobachtete die Situation mit großer Besorgnis. Für Sozialdemokraten wie Friedrich Ebert war ihr Ziel bereits erreicht, als sie zu Koalitionspartnern im Kabinett von Max von Baden ernannt wurden. Dennoch forderten sie die Abdankung des Kaisers. Dies jedoch nicht, um die Forderungen der Revolution zu erfüllen, sondern um sie zu stoppen. Ebert sagte noch kurz vor der Revolution zu Max von Baden: „Wenn der Kaiser nicht abdankt, dann ist die soziale Revolution unvermeidlich. Ich aber will sie nicht, ja, ich hasse sie wie die Sünde.“ Max von Baden verkündete ohne Zustimmung des Kaisers dessen Abdankung – die Revolution konnte er damit nicht mehr verhindern.

Am 9. November erreichte sie auch Berlin. Gegen Mittag strömten hunderttausende Menschen aus den Fabrikvierteln in Richtung Zentrum. Sie wussten nicht, ob sie auf schießende Truppen treffen würden. Neben Plakaten wie „Schluss mit dem Krieg“ und „Weg mit dem Kaiser“ waren auch solche mit der Botschaft an die Soldaten zu sehen: „Brüder! Nicht schießen!“. Sie wussten noch nicht, dass die Truppen nicht mehr hielten. Sie schossen tatsächlich nicht und schlossen sich mit den Arbeitern zusammen. Gegen Mittag war Berlin in ihren Händen.

Die SPD erkannte, dass der einzige Weg, die Revolution noch aufzuhalten, darin bestand, sich an die Spitze der Massen zu stellen. Mit genau diesem Ziel wurde Gustav Noske als bekannter Mehrheitssozialdemokrat schon am 4. November nach Kiel entsandt. Er sollte dort die Lage stabilisieren und für Ruhe und Ordnung sorgen. Die Soldaten, die sich im Kriege gerade erst politisiert hatten, empfingen ihn enthusiastisch als einer von ihnen. Noske konnte in Kiel zwar vorerst die Bewegung eindämmen, doch das hinderte die Revolution nicht sich auszubreiten.

Das Ziel der SPD bestand nun darin, das zu erreichen, was Noske bereits in Kiel auf kleinerer Ebene erreicht hatte. Durch den Krieg wurden Millionen von Menschen in ganz Deutschland politisiert, die vorher niemals politisch aktiv waren. Die Massen schauten auf die existierenden Arbeiterparteien, die SPD und die USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei), die sich 1916 von der SPD abgespalten hatte. Insbesondere aber die SPD wurde von den Arbeitern als ihre Partei wahrgenommen. 

Das wusste die SPD zu nutzen. In den meisten Städten und Regionen, in denen sich Räte bildeten, versuchte die SPD diese zu lenken. So gab es oft schon vorab geheime Treffen zwischen den städtischen SPD- und USPD-Führungen, wo sie Vorschläge für die Delegierten der Räte aushandelten. Bei den Massenwahlen wurden diese Vorschläge oft nur noch bestätigt. Dabei setzte die SPD vor allem darauf, Wahlen möglichst nicht in Betrieben stattfinden zu lassen. Nur in wenigen Städten, in denen schon eine längere sozialistische Tradition bestand, entstanden Räte tatsächlich aus den Betrieben heraus.

Der Rat der Volksbeauftragten

Als sich die Berliner Massen gegen Mittag im Stadtzentrum einfanden, war Philipp Scheidemann (SPD) gerade beim Mittagessen. Alarmiert von der Stimmung, beschloss er kurzerhand, die freie deutsche Republik auszurufen. Kurze Zeit später rief der Spartakist Karl Liebknecht die sozialistische Republik aus. Jedoch war der Einfluss der SPD größer. 

Am Morgen des 10. November fanden in den Berliner Betrieben und Kasernen Wahlen von Arbeiter- und Soldatenräten statt. Die SPD konnte das nicht mehr verhindern. Stattdessen versuchte sie, die Wahlen und die gewählten Vertreter zu beeinflussen. Am Nachmittag, bei der Vollversammlung, ließ sie den Rat der Volksbeauftragten von den anwesenden Delegierten bestätigen, den sie als sozialistische Regierung bezeichneten. Kurz vorher wurde die Zusammensetzung des Rats zwischen der SPD und USPD verhandelt und bestand aus jeweils drei SPD- und drei USPD-Abgeordneten.

Der Name „Rat der Volksbeauftragten“ entstand nicht zufällig, sondern war eine Anlehnung an den „Rat der Volkskommissare“ in Sowjetrussland. So konnte die SPD-Führung zum einen die USPD als linkes Feigenblatt und zusätzlich den Namen als linken Anstrich verwenden. Der Rat der Volksbeauftragten sollte von dem Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte kontrolliert werden. Jedoch hatte der Vollzugsrat kaum Entscheidungsmacht.

Die SPD stellte es so dar, als würde sie ein sozialistisches Programm durchsetzen und appellierte in ihren Reden bei der Vollversammlung und vorab in ihrem Zentralorgan, dass es dafür nun die Einheit der Arbeiterbewegung bräuchte. Der erhebliche Einfluss, den die SPD zu dieser Zeit innehatte, zeigte sich darin, dass die Arbeiter und insbesondere die Soldaten diesem Aufruf folgten.

Jeder, der sich gegen die Bildung des Rates der Volksbeauftragten in der vorgeschlagenen Zusammensetzung stellte, wurde mit Feindseligkeiten und Forderungen nach Einheit konfrontiert. Das galt selbst für Karl Liebknecht, der versuchte das abgekartete Spiel zu entlarven. Er betonte, dass jene, die heute auf der Seite der Revolution zu sein scheinen, vorgestern noch ihre Feinde waren. Doch die Delegierten begegneten ihm mit Rufen nach „Einigkeit! Einigkeit!“.

Am selben Tag veröffentlichte der Rat der Volksbeauftragten eine Erklärung, in der er Pläne für Reformen verkündete. Dazu gehörte die Aufhebung des Belagerungszustandes, die Gewährleistung des Vereins- und Versammlungsrechts, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Einführung des Achtstundentags. Das waren wichtige Errungenschaften für die Arbeiterklasse. Jedoch nutzte die SPD diese Maßnahmen im Jahr 1918, um die Arbeiterklasse zu desorientieren und die revolutionäre Situation zu stabilisieren. Sie verkauften diese Reformen als den Sozialismus und schufen damit Illusionen. Sie lenkten von der Notwendigkeit ab, das Privateigentum an den Produktionsmitteln abzuschaffen.

Wer übernimmt die Macht?

Es entstand eine Situation der Doppelmacht: Die Arbeiter- und Soldatenräte – die Form der Arbeitermacht – standen neben einer bürgerlichen Regierung in Form des Rats der Volksbeauftragten. Die SPD hatte nicht das Ziel, den Kapitalismus zu überwinden, sie wollte eine parlamentarische Demokratie schaffen, die den alten Staatsapparat weitgehend unberührt lassen würde.

Die Situation der Doppelmacht konnte nicht auf Dauer aufrechterhalten werden – es gab nur zwei mögliche Auswege. Entweder übernahmen die Arbeiter- und Soldatenräte die Macht, indem sie die bürgerliche Staatsmaschinerie zerschlugen und ersetzten, oder die Konterrevolution würde erfolgreich sein und die Räte beseitigen.

Aus diesem Grund setzte sich die SPD maßgeblich für baldige Wahlen zur Nationalversammlung ein, damit sie die Räte ersetzen konnte. Die Wahlen sollten zu Beginn des Jahres 1919 stattfinden. Die zentristische USPD – eine Partei, die zwischen Reformismus und Revolution schwankte – zeigte sich in dieser Frage weniger eindeutig. Ein Flügel favorisierte eine utopische Kompromisslösung, in der die Räte und das Parlament nebeneinander existieren sollten, während der revolutionäre Flügel für die Übernahme der Macht durch die Räte plädierte.

Rosa Luxemburg – die ideologische Führerin des Spartakusbundes – erklärte, dass man nicht durch parlamentarische Arbeit mittels Mehrheitsentschluss zum Sozialismus kommen kann. Den Reformisten und Zentristen hielt sie vor, dass sie vergessen haben, „daß die Bourgeoisie nicht eine parlamentarische Partei, sondern eine herrschende Klasse ist, die sich im Besitze sämtlicher ökonomischer und sozialer Machtmittel befindet.“ (Rosa Luxemburg, Die Nationalversammlung) Die herrschende Klasse besitzt die Produktionsmittel, kontrolliert die staatlichen Institutionen wie Polizei, Schulen und Universitäten sowie andere Machtmittel, wie die Presse etc.

„Diese Herren Junker und Kapitalisten sind nur so lange ruhig, wie die revolutionäre Regierung sich damit begnügt, kleine Schönheitspflästerchen auf das kapitalistische Lohnverhältnis zu kleben. Sie sind nur brav, solange die Revolution brav ist, d. h. solange der Lebensnerv, die Schlagader der bürgerlichen Klassenherrschaft: das kapitalistische Privateigentum, das Lohnverhältnis, der Profit, unbehelligt bleibt. 

Geht es dem Profit an den Kragen, wird das Privateigentum ans Messer geliefert, dann hört die Gemütlichkeit auf.“ (Ebd.)

Sie argumentierte weiter:

„Sobald die famose Nationalversammlung wirklich beschließt, den Sozialismus voll und ganz zu verwirklichen, die Kapitalsherrschaft mit Stumpf und Stiel auszurotten, beginnt auch der Kampf. Wenn die Bourgeoisie ins Herz getroffen wird – und ihr Herz schlägt im Kassenschrank –, wird sie auf Tod und Leben um ihre Herrschaft ringen, tausend offene und versteckte Widerstände gegen die sozialistischen Maßnahmen auftürmen.

All das ist unvermeidlich. All das muß durchgefochten, abgewehrt, niedergekämpft werden – ob mit oder ohne Nationalversammlung. Der ‚Bürgerkrieg‘, den man aus der Revolution mit ängstlicher Sorge zu verbannen sucht, läßt sich nicht verbannen. Denn Bürgerkrieg ist nur ein anderer Name für Klassenkampf, und der Gedanke, den Sozialismus ohne Klassenkampf, durch parlamentarischen Mehrheitsbeschluß einführen zu können, ist eine lächerliche kleinbürgerliche Illusion.“ (Ebd.)

Rosa Luxemburg hegte keine Illusionen bezüglich der Absichten der SPD. Sie wollte vor allem verdeutlichen, dass die Entscheidung für eine Nationalversammlung stets eine Stärkung der Bourgeoisie und eine Schwächung der Arbeiterklasse mit sich bringt. Eine Nationalversammlung bedeutet, sich im Rahmen des bürgerlichen Staates zu bewegen, der immer die Interessen der Kapitalistenklasse schützt. Abhängig davon, ob der Kapitalismus gerade im Aufschwung oder in der Krise ist, werden mal mehr oder weniger Zugeständnisse an die Arbeiterklasse gemacht.

Die sozialistische Demokratie – die Rätemacht – hingegen legt die ökonomische und soziale Macht in die Hände der Arbeiterklasse, also der Mehrheit der Gesellschaft. 

Was wollte der Spartakusbund?

Der Spartakusbund hatte sich während des Ersten Weltkriegs vorerst unter dem Namen „Gruppe Internationale“ als revolutionäre Opposition gegen den Krieg zusammengefunden. Zu ihren bekanntesten Köpfen gehörten Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Clara Zetkin, Franz Mehring und weitere. Als einzige stellten sie sich von Anfang an gegen den imperialistischen Krieg und blieben den Prinzipien des Marxismus treu.

Im Programm des Spartakusbundes – „Was will der Spartakusbund?“ – wurden verschiedene Maßnahmen aufgezeigt, um die Räte voranzubringen. Darunter fanden sich Maßnahmen zur Sicherung der Revolution, welche unter anderem die Entwaffnung der Polizei, Offiziere, nicht-proletarischer Soldaten und aller Angehörigen der herrschenden Klasse umfassten. Des Weiteren wurde die Beschlagnahme von Waffen und Munition, die Bewaffnung der proletarischen Bevölkerung sowie die sofortige Beschlagnahme aller Lebensmittel zur Sicherung der Volksernährung vorgeschlagen. 

Auf politischem und sozialem Gebiet schlugen sie die Abschaffung der Einzelstaaten, Parlamente und Gemeinderäte und die Übernahme ihrer Funktionen durch Arbeiter- und Soldatenräte sowie deren Ausschüsse und Organe vor. Sie forderten Wahlen von Arbeiterräten im ganzen Land, bei denen die gesamte erwachsene Arbeiterschaft und Soldaten, ohne Offiziere und Kapitulanten, ihre Vertreter wählen sollten. Diese Vertreter sollten jederzeit abberufen werden können. Alle Räte sollten Delegierte für einen Zentralrat wählen, der den Vollzugsrat als oberstes Organ der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt bestimmen sollte. Lokale Räte sollten jederzeit auch diese Vertreter abwählen können, falls sie nicht im Sinne der Arbeiter handelten. 

Zudem forderten sie die Abschaffung von Standesunterschieden wie Orden und Titel sowie eine vollständige rechtliche und soziale Gleichstellung der Geschlechter. Weitere soziale Maßnahmen umfassten die Verkürzung der Arbeitszeit und Umgestaltung des Ernährungs-, Wohnungs-, Gesundheits- und Erziehungswesens. Um all das umzusetzen, schlugen sie vor, alle dynastischen Vermögen und Einkünfte für die Allgemeinheit zu konfiszieren, Staatsschulden und Kriegsanleihen abzuschaffen und Grund und Boden von landwirtschaftlichen Groß- und Mittelbetrieben sowie Banken, Bergwerke, Industrie- und Handelsgroßbetriebe zu enteignen. 

Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte

Beim Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte vom 16. bis zum 21. Dezember nahmen Delegierte aus ganz Deutschland teil. Die Mehrheit der Delegierten unterstützte den Vorschlag für Wahlen zur Nationalversammlung. Allerdings war die Zusammensetzung des Kongresses sehr fragwürdig. Von den 488 Delegierten waren nur 187 Lohnarbeiter. Der Rest der Delegierten wurde zum einen durch die frisch politisierten Soldatenräte gestellt und von Hauptamtlichen der Parteien und Gewerkschaften, insbesondere der SPD.

Die Stimmung außerhalb des Kongresses war wesentlich radikaler, insbesondere in Berlin. Dort organisierten die Revolutionären Obleute – eine Organisation revolutionärer Arbeiter, die maßgeblich den Widerstand gegen den Krieg in den Betrieben organisierten – und der Spartakusbund gemeinsam Demonstrationen, um Druck auf die Delegierten des Kongresses auszuüben. Tausende von Arbeitern folgten den Demonstrationen und Streiks während des Kongresses. 

Diese Situation war paradox: Die Arbeiter außerhalb des Kongresses forderten „Alle Macht den Räten“, während der Reichskongress genau das ablehnte und die Macht an die bürgerliche Regierung – den Rat der Volksbeauftragten – bis zu den Wahlen der Nationalversammlung übertrug.

Der November 1918 markierte lediglich den Beginn der Revolution, und die Massen erkannten schnell, dass der Sturz des Kaisers und die Ausrufung der Republik im Wesentlichen wenig an ihrer Lebenssituation verändert hatten. Es kam daher bald zu einem erneuten Anstieg von Streiks. Rosa Luxemburg vertrat die Ansicht, dass der Klassenkampf sich wieder verschärfen und die Führungen der SPD und USPD entlarven würden.

Eine eigenständige Partei schaffen?

Mit zunehmenden Streiks und einer wachsenden Radikalisierung der Massen bestand großes Potenzial, die Arbeiterklasse in Richtung einer Räterepublik zu führen. Doch dafür hätte es eine geschulte marxistische Führung wie in Russland 1917 unter Lenin und Trotzki gebraucht. Zu Beginn der Revolution war der Spartakusbund jedoch eine kleine Gruppe innerhalb der USPD, die eher einem Netzwerk als einer organisierten revolutionären Kraft glich. Es gab keine organisierte Fraktion oder Strömung in der SPD oder USPD.

Obwohl viele radikalisierte Arbeiter und Soldaten zum Spartakusbund stießen, waren sie größtenteils jung und unerfahren. Einige dieser Genossen forderten, sich von der USPD abzuspalten und eine eigene kommunistische Partei zu gründen. Rosa Luxemburg war skeptisch gegenüber dieser einer übereiligen Abspaltung, aus Angst, sich von den Massen zu isolieren. Karl Radek, der als Gesandter der Sowjetrepublik in Deutschland war, befürwortete hingegen die Gründung einer eigenen Partei und konnte mit seiner Autorität aus Russland überzeugen.

Die jungen Genossen waren vor allem der Ansicht, dass die Gründung einer eigenständigen revolutionären Partei das sei, was ein echter Bolschewik getan hätte. Für Lenin war dies jedoch keine prinzipielle Frage. Es ging nicht darum, ob man innerhalb oder außerhalb der USPD arbeitet, sondern darum, dass es keine gut ausgebildeten Kader mit fundierten Kenntnissen in Theorie und Praxis gab.

Eine gestandene Kaderorganisation hätte auch innerhalb der USPD arbeiten können, da sie die wichtigste Anlaufstelle für die junge, radikalisierte Arbeiterschaft war. Doch eine Kaderorganisation kann man nicht erst während der revolutionären Ereignisse aus dem Boden stampfen. Sie muss geduldig über jahrelanger Vorarbeit geschaffen werden. 

Linksradikalismus 

Beim Gründungskongress der KPD Ende Dezember überwog die Ungeduld. Die jungen Genossen waren bei diesem Kongress in der Mehrheit. Sie wollten das alte System abschaffen und mit ihm alle Organisationen, einschließlich Parteien und Gewerkschaften. Daher lehnten sie die Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung und die Arbeit innerhalb der Gewerkschaften vehement ab.

Rosa Luxemburg und andere erfahrene Genossen plädierten hingegen deutlich für die Teilnahme an den Wahlen. Sie erkannten, dass viele Arbeiter große Illusionen in die SPD und USPD hatten. Die junge KPD hätte die Bühne der Parlamentswahlen nutzen können, um den Massen ihr Programm vorzustellen. Auf lange Sicht hätte sich der Reformismus der SPD und USPD entlarvt und die KPD hätte die Massen mit ihrem revolutionären Programm praktisch überzeugen können.

Trotzdem entschied sich die Mehrheit der KPD für den Boykott der Wahlen. Dabei sollte jedoch nicht allein den jungen KPD-Genossen die Schuld gegeben werden. Rosa Luxemburg selbst äußerte in ihren Artikeln starke Kritik an den Wahlen und der Nationalversammlung, die sie als Ablenkung geißelte und den Arbeiterräten gegenüberstellte. Sie schrieb beispielsweise am 23. Dezember in der Roten Fahne:

„Die Teilnahme an der Nationalversammlung kann heute für wirkliche Verfechter der Revolution und des Sozialismus nichts gemein haben mit dem herkömmlichen Schema, mit der althergebrachten ‚Ausnützung des Parlaments‘ zu sogenannten ‚positiven Errungenschaften‘. Nicht im alten Trott des Parlamentarismus, nicht, um an den Gesetzesvorlagen kleine Besserungsflicken und Schönheitspflästerchen anzubringen, auch nicht, um ‚Kräfte zu messen‘, Heerschau der Anhänger zu halten oder wie all die bekannten Redensarten aus der Zeit der bürgerlich-parlamentarischen Tretmühle und aus dem Wortschatz der Haase und Genossen heißen. 

Jetzt stehen wir mitten in der Revolution, und die Nationalversammlung ist eine gegenrevolutionäre Festung, die gegen das revolutionäre Proletariat aufgerichtet wird. Es gilt also, diese Festung zu berennen und zu schleifen. Um die Massen gegen die Nationalversammlung mobil zu machen und zum schärfsten Kampf aufzurufen, dazu müssen die Wahlen, dazu muß die Tribüne der Nationalversammlung ausgenutzt werden.“ (Rosa Luxemburg, Die Wahlen zur Nationalversammlung, S. 472-473)

Obwohl sie sich bewusst war, dass eine Verbindung zum Bewusstsein der Massen hergestellt werden musste, unternahm sie hierbei selbst zu wenig, um die jungen Genossen in dieser Hinsicht zu schulen. Gleichzeitig war Rosa Luxemburg überzeugt, dass die linksradikalen Tendenzen in der KPD eine vorrübergehende Erscheinung waren und dass die Genossen aus ihren Erfahrungen lernen werden. 

Ein einschneidendes Problem war, dass die besten Köpfe der KPD – Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches und andere – ermordet wurden, als die Revolution gerade erst begonnen hatte. So musste die Arbeiterklasse und die Ende Dezember durch den Spartakusbund und andere revolutionäre Gruppen gegründete KPD durch eine harte Schule von Fehlern und Niederlagen gehen.

 

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