Wir sprachen mit Nigel Pearce, ehemaliges Vorstandsmitglied der britischen Bergarbeitergewerkschaft NUM. Als junger Bergarbeiter hat er an dem vor 25 Jahren, im März 1984, begonnenen 12monatigen Bergarbeiterstreik aktiv teilgenommen. Der Streik endete im März 1985 mit einer Niederlage. Erstveröffentlichung dieses Interviews im März 2004.
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Du hast 1984-85 von Anfang bis Ende mitgestreikt. Was waren Auslöser und Anlaß dieses Arbeitskampfs?
Anders als damals wird heute weitgehend akzeptiert, daß der Streik ein politischer war und Premierministerin Thatcher ebenso wie der Chef der Nationalen Kohlebehörde, MacGregor, ihn aus politischen Gründen gezielt vorbereitet haben. Die britische Gewerkschaftsbewegung war in den 1970er Jahren sehr stark und mächtig. Thatcher strebte eine weitgehende Privatisierung und drastische Kürzungen im öffentlichen Dienst an. Hierzu mußte aus ihrer Sicht der Widerstand der Gewerkschaften gebrochen werden. Die NUM war bis dahin so etwas wie eine Speerspitze der Bewegung. Daher die gezielte Provokation, um die NUM in den Streik zu zwingen und zu besiegen. Im Vorfeld des erwarteten Streiks wurden Gesetze geändert und seit 1981 gezielt darauf hingearbeitet, die Kohlereserven der Kraftwerke massiv aufzustocken und in der Gewerkschaft Zwietracht zu säen, um sich in einigen Regionen Streikbrecher heranzuzüchten. Der entscheidende Zündfunke für den Streik war vor 25 Jahren die Ankündigung, die Zeche Cortonwood in Yorkshire stillzulegen. Die Gewerkschaft rief dann unverzüglich zum Arbeitskampf auf.
Ein 12 Monate langer Streik und dann die Niederlage - hat sich das gelohnt?
Wie es in einem alten Sprichwort heißt: Ich bedaure keine einzige Minute. Natürlich paßt mir die Niederlage nicht. Hat es sich gelohnt? Man sagte uns zuerst: wir schließen 70 Bergwerke. Jetzt haben sie 200 geschlossen. Die Warnungen der Gewerkschaft vor einem weitgehenden Zechensterben waren richtig. Die Niederlage der Bergarbeiter bedeutete für die Konservativen und Kapitalisten grünes Licht. Sie haben danach zügig gewerkschaftsfeindliche Gesetze durchgezogen und eine Gewerkschaft nach der anderen besiegt. Die verstaatlichte Industrie wurde privatisiert und weitgehend zerstört - wie etwa Werften, Kohlebergbau oder Stahlindustrie. Es war richtig, daß wir kämpften, darauf bin ich immer noch stolz. Dieser Streik war ein Wendepunkt in der Geschichte der Arbeiterbewegung.
Was waren die Folgen der Niederlage im Streiks?
Erste Konsequenz war die weitgehende Zerstörung der Bergbauindustrie. Die Arbeiterbewegung wurde zurückgeworfen. Betrieblich und politisch hat dies gewaltige Verwerfungen mit sich gebracht. Überall starteten Angriffe auf Arbeiter. In den Arbeiterorganisationen selbst wurde die rechte sozialpartnerschaftliche Linie des "neuen Realismus" gestärkt. Die Wurzeln von Tony Blairs Siegeszug ("New Labour") in der Labour Party liegen in jener Epoche.
Was sind für Dich die Lehren aus dem Streik?
Eine der wichtigsten Lehren ist die Notwendigkeit der Einheit der Arbeiterklasse. Einheit bedeutet Stärke und mit Einheit können wir alles erreichen. Spaltung bedeutet Schwäche und selbst kleine Spaltungen können sehr destruktiv sein. Spaltungen können auch dazu beitragen, einen bitter ausgefochtenen Kampf extrem in die Länge zu ziehen. Ein Grund für unsere Niederlage lag darin, daß die Streikfront in Nottinghamshire nicht stand und dies für den damaligen Labour-Führer Neil Kinnock und manche Führer anderer Gewerkschaften einen Vorwand bot, um sich im Grunde von unserem Streik zu distanzieren. Hätten sie uns die gebotene Unterstützung praktisch zukommen lassen, dann hätten wir gesiegt.
Was für eine Zukunft hat der Kohlebergbau in Großbritannien heuten überhaupt noch?
Die Zukunft sieht düster aus. Die Überreste des Kohlebergbaus sind 1992 privatisiert worden, die Gewerkschaft fordert immer noch die völlige Wiederverstaatlichung. Derzeit sind nur noch 13 Untertage-Bergwerke in Betrieb, die Zechenschließungen gehen weiter. In der nächsten Zeit steht die Schließung des Bergwerks Selby an, damit werden wieder viele Arbeitsplätze verschwinden, darunter auch mein eigener. In zwei Jahren werden nur noch 5 oder 6 Zechen in Betrieb sein. In 10 Jahren soll es, so eine Regierungsprognose, kein funktionierendes Bergwerk mehr geben. Aber das ist typisch für die Kurzsichtigkeit der Kapitalistenklasse, daß maßgebliche Kreise meinen, das Land braucht keine starke industrielle Basis mehr. Es ist ein großer energiepolitischer Fehler, wenn man bald auch noch die letzte Zeche absaufen läßt
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