Die arbeitende Bevölkerung musste sich mit bescheidenen Lebensmittelrationen hungernd durchschlagen. Viele Soldaten wollten nicht mehr als „Kanonenfutter“ dienen. Der Funke für die Revolution war der Kieler Matrosenaufstand. „Ich will Dir noch mitteilen, dass, wenn nicht bald der Waffenstillstand kommt, hier die schönste Militärrevolte ausbricht und man gezwungen ist, den Weg nach der Heimat mit dem Gewehr zu ebnen...“, schrieb damals ein kriegsmüder Matrose an seinen Vater. Am 3. November kam es zu Massendemonstrationen für die Freilassung der beim Aufstand Verhafteten. Als ein kaisertreuer Trupp in die Menge feuerte (es gab Tote und Verletzte), schossen die Matrosen zurück. Am 4. November hatte der frisch gegründete Kieler Soldatenrat bereits 40.000 bewaffnete Soldaten hinter sich. Soldaten verbrüderten sich mit Arbeitern. Die zur Niederschlagung der Arbeiter angeforderten Soldaten ließen sich am Bahnhof entwaffnen. Am gleichen Abend noch beschlossen die Vertrauensleute der Großbetriebe den Generalstreik. Am 5. November ruhte die Arbeit; Matrosen besetzten die Werften.
Veränderung „von oben“ aus Angst vor der Revolution
Aus der Einsicht, dass sich etwas „von oben“ ändern müsse, bevor es zu einer Explosion von unten komme, hatte die „Oberste Heeresleitung“ wenige Wochen zuvor abgedankt. Am 3. Oktober wurde eine neue Reichsregierung unter dem Prinzen Max von Baden gebildet, der je zwei Vertreter der sogenannten „Parteien der Reichstagsmehrheit“, nämlich SPD, Zentrum und Fortschrittspartei, angehörten. Mit diesem Schachzug versuchte die herrschende Klasse, durch einige innenpolitische Zugeständnisse ihre Herrschaft zu retten. Die SPD-Führer fühlten sich geschmeichelt. Selbst der Kaiser stellte damals fest: „Auch mit Herrn Ebert (führender SPD-Politiker, die Redaktion) würde ich gerne zusammenarbeiten... Ich habe gar nichts gegen die Sozialdemokratie, nur der Name, wissen Sie, der Name müsste geändert werden.“
Die Gewerkschaftsführer, die 1914 mit Unternehmern und Staat im „Burgfriedensabkommen“ eingewilligt hatten, auf Streiks in Kriegszeiten zu verzichten, hatten sich bereits Anfang 1918 mit den Sprechern der Arbeitgeber auf die Gründung einer zentralen Arbeitsgemeinschaft beider Seiten geeinigt. Ein führender Stahlindustrieller, Reichert, machte Ende Dezember 1918 deutlich, worauf es den Unternehmern ankam: „Tatsächlich war die Lage schon in den ersten Oktobertagen klar. Es kam darauf an - Wie kann man die Industrie retten? Wie kann man auch das Unternehmertum von der drohenden, über alle Wirtschaftszweige hinwegfegenden Sozialisierung, der Verstaatlichung und der nahenden Revolution bewahren? Einen überragenden Einfluss schien nur die organisierte Arbeiterschaft zu haben. Daraus zog man den Schluss - inmitten der allgemeinen großen Unsicherheit, angesichts der wankenden Macht des Staates und Regierung, gibt es für die Industrie nur in der Arbeiterschaft starke Bundesgenossen, das sind die Gewerkschaften“
Der Funke fliegt
Doch die spontane revolutionäre Massenbewegung hielt sich nicht an die höfliche Diplomatie der Führer von SPD und Gewerkschaften. Von Kiel aus sprang der revolutionäre Funke rasch aufs das ganze Land über. In Hamburg, Lübeck, Neumünster und Bremem übernahmen am 5. und 6. November Arbeiter- und Soldatenräte die Macht. In Wilhelmshaven, Rendsburg, Schleswig, Cuxhaven, Brunsbüttel, Schwerin, Rostock, Oldenburg, Lüneburg und Hannover am 7. November, einen Tag später in Köln, Düsseldorf, Dresden, Leipzig, Frankfurt und München. In der bayerischen Hauptstadt wurde im Anschluss an eine riesige Demonstration von 200.000 Menschen ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, der unter der Führung von Kurt Eisner (USPD) die Macht übernahm. Kasernen und Militärgefängnisse wurden gestürmt.
Am 8. November verkündete Max von Baden den Thronverzicht des Kaisers. Am Morgen des 9. November machten sich die Berliner Arbeiter auf den Weg von den Vorstädten in das Berliner Stadtzentrum. Die meisten der in den Kasernen stationierten Soldaten erklärten sich neutral oder marschierten mit. Ab Mittag befand sich Berlin in den Händen der revolutionären Arbeiter und Soldaten. Mit dem Sieg in Berlin erreichte die Revolution in Deutschland ihren ersten Höhepunkt. In den Städten, Fabriken und Kasernen wirkten Arbeiter- und Soldatenräte. Deutschland drohte ebenso für den Kapitalismus verloren zu gehen wir ein Jahr zuvor Rußland. Am 9. November ernannte der liberale Prinz Max von Baden den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert zu seinem Nachfolger. Eberts neugebildetes Kabinett nannte sich „Rat der Volksbeauftragten“ und bestand aus drei SPD- und drei USPD-Vertretern. (Die USPD hatte sich 1917 als linke Abspaltung von der SPD gebildet und konnte in manchen Industriegebieten eine beträchtliche Zahl von Arbeitern organisieren.) Ansonsten jedoch blieben die alten kaiserlichen Ministerien ebenso weiter bestehen wie der alte Verwaltungsapparat.
Doppelherrschaft
Viele Arbeiter dachten, dass nun endlich die neue sozialistische Gesellschaft angebrochen sei. Wenn auch anfänglich der bürgerliche Staatsapparat weitgehend gelähmt war, so war andererseits die Rätemacht nicht konsequent und mit allen Mittel abgesichert. Diese „Doppelherrschaft“ von zwei sich ausschließenden Herrschaftssystemen konnte nicht ewig so anhalten. Die Räte übten zwar zunächst die entscheidende Macht im Lande aus, doch was fehlte, war eine Koordinierung der Räte, um so die Grundlage für einen neuen flächendeckenden Arbeiterstaat zu schaffen. Viele Arbeiter unterschätzten in der ersten Begeisterung die Gefahren, die den Räten drohten. In den Soldatenräten gaben Bürgersöhnchen, Intellektuelle, Unteroffiziere und zum Teil Offiziere höchstpersönlich den Ton an. Zudem hatten die eben erst heimgekehrten Soldaten noch wenig Überblick über die Lage und waren daher für leere Phrasen von „Einheit „und „Ruhe und Ordnung“ anfällig. Ebert war erklärtermaßen Gegner der Räteherrschaft und der Revolution. Aber er war zu klug, als dass er dies in jenen Stunden offen zugegeben hätte. Seine Taktik bestand darin, die Räte zu unterwandern und zu sabotieren. Ebert stand nun an der Spitze des alten, bürgerlichen Staatsapparates, aber er ließ sich seine Regierung von den Berliner Räten absegnen.
„Die Würfel müssen fallen“
„Die von der Geschichte auf die Tagesordnung gestellte Frage lautet: Bürgerliche Demokratie oder sozialistische Demokratie. Denn Diktatur des Proletariats ist Demokratie in sozialistischem Sinne. Diktatur des Proletariats, das sind nicht Bomben, Putsche, Krawalle, Anarchie, wie die Agenten des kapitalistischen Profits zielbewusst fälschen, sondern das ist der Gebrauch aller politischen Machtmittel zur Verwirklichung des Sozialismus. Ohne den bewussten Willen und die bewusste Tat der Mehrheit des Proletariats kein Sozialismus. Die Würfel müssen fallen.“ (Rosa Luxemburg am 20. November 1918). Ebert präsentierte sich den politisch weniger erfahrenen Arbeitern und Soldaten als der Mann aus dem Volke, der die Probleme des kleinen Mannes kennt und jetzt wieder für geordnete Verhältnisse sorgen würde. Mit dem Siegel eines von den Berliner Räten vorerst abgesegneten Reichskanzlers warf er seine ganze Autorität in die Waagschale, um vor „unüberlegten Experimenten“ zu warnen und die „Einheit“ zu beschwören.
Reformen
Ebert und seine Anhänger verstanden es geschickt, die Errungenschaften der Revolution als ihre persönliche Leistung zu präsentieren. Dabei hatte nur die Furcht der Herrschenden vor der sozialistischen Revolution diese Errungenschaften gebracht. Diese Reformen waren nur ein Nebenprodukt der Revolution! Am 15. November 1918 schlossen Arbeitgeber und Gewerkschaften ein Abkommen, in dem auf Papier u. a. der 8-Stunden-Tag, die staatliche Arbeitslosenversicherung, in Kollektivverträgen festgelegte Arbeitsbedingungen und paritätisch besetzte Schlichtungsausschüsse zur Regelung sozialer und arbeitsrechtlicher Fragen zugestanden wurden. Tatsache ist aber auch, dass ab 1923 - spätestens 1933 - all diese Reformen wieder zurückgenommen wurden, sobald sich Unternehmer und Reaktion wieder stark genug fühlten. Die Tätigkeit der Räte beschränkte sich in vielen Städten auf kommunale Aufgaben: Verkehr, Versorgung, Verwaltung. Nur in Berlin und wenigen anderen Städten strebten die Räte bewußt eine grundlegende Umwandlung der Gesellschaftsordnung an. In den meisten anderen Räten gaben die altbekannten örtlichen Parteigrößen, Redakteure der SPD-Parteipresse und Gewerkschaftssekretäre den Ton an. Für sie waren die Räte eine mehr oder weniger lästige Übergangserscheinung.
Die Deutsche Revolution vor 90 Jahren Teil I Die Deutsche Revolution vor 90 Jahren Teil II Die Deutsche Revolution vor 90 Jahren Teil III Die Deutsche Revolution vor 90 Jahren Teil IV
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