Kategorie: Geschichte

Revolution in Deutschland vor 90 Jahren (Teil III)

Die deutsche Novemberrevolution 1918 war erst der Auftakt für fünf Jahre revolutionärer Erschütterungen. 1918 bis 1923 erlebte Deutschland so viele Massenbewegungen, Streiks, Generalstreiks, Erhebungen, Demonstrationen und bürgerkriegsähnliche Konflikte wie nie zuvor und auch nie mehr danach. In jenen revolutionären Jahren engagierten sich Millionen bisher passiver Arbeiter in einem bislang unvorstellbaren Ausmaß und so schwollen Arbeiterparteien und Gewerkschaften binnen kurzer Zeit stark an.
Der Generalstreik gegen den Kapp-Putsch war spontan ausgebrochen und gleichzeitig die größte Manifestation der Einheit der Arbeiterbewegung in der Praxis. Die Bildung einer Arbeiterregierung wäre in dieser Situation ein Fortschritt gewesen.




Wie gewonnen – so zerronnen

Im Ruhrgebiet und in Teilen des mitteldeutschen Industriegebiets mündete der Generalstreik in einen bewaffneten Arbeiteraufstand. Im durch Kohlebergbau und Stahlindustrie geprägten Ruhrgebiet vertrieb die spontan gebildete „Rote Ruhrarmee“ rasch die reaktionären Armeeeinheiten. Doch wenige Tage nach dem Zusammenbruch des Militärputsches erhob die Konterrevolution wieder ihr Haupt. Im „Bielefelder Abkommen“ stimmten auch die USPD-Führer der Entwaffnung der „Roten Ruhrarmee“ zu. Nun mobilisierte die Konterrevolution frische Truppen gegen die Arbeiter des Ruhrgebiets und richtete dort ein Blutbad an, dem viele Arbeiter zum Opfer fielen. So folgte auf die revolutionäre Chance, die im Generalstreik losgetretene Dynamik weiter zu treiben, eine vorübergehende Niederlage. Allerdings war die herrschende Klasse nicht stark genug, um alle sozialen und demokratischen Errungenschaften der Novemberrevolution auszulöschen und eine Diktatur zu errichten.

Die Erfahrung im März 1920 rückte die politische Stimmung in der Arbeiterklasse weiter nach links. Bei der Reichstagswahl im Juni 1920 konnte die USPD zu Lasten der SPD stark an Stimmen zulegen.

Reichstagswahl 1920: Ergebnisse für die Arbeiterparteien

  • SPD 5,6 Millionen Stimmen
  • USPD 4,9 Millionen Stimmen
  • KPD: 441.000 Stimmen

Die KPD blieb somit immer noch eine winzige Minderheit in der Arbeiterklasse. In wichtigen Großstädten und Industriegebieten war die Stärke der USPD noch viel offenkundiger.

Reichstagswahl 1920, Ergebnis für Berlin:

  • USPD 456.000 Stimmen
  • SPD 186.000 Stimmen
  • KPD 14.000 Stimmen

Stärkung und Spaltung der USPD

Im Sommer 1920 war die USPD an ihrem Höhepunkt angelangt. Sie hatte zeitweilig knapp 900.000 Mitglieder, 55 Tageszeitungen, 81 Reichstagsabgeordnete, in Sachsen, Thüringen und Braunschweig sogar mehr Landtagsabgeordnete als die SPD. Sie hatte auch im Deutschen Metallarbeiterverband und anderen ADGB-Gewerkschaften einen entscheidenden Einfluss erkämpft. Doch nicht nur in der USPD radikalisierte sich die Mitgliedschaft weiter nach links. Auch in der SPD bildete sich damals ein neuer linker Flügel heraus, der sich auf marxistische Traditionen berief und besonders in Sachsen und Thüringen stark und einflussreich war. In jenem Sommer etwa unterstützten auch die Führungen von SPD, USPD und ADGB einen Aufruf zum Boykott von Truppentransporten der Reichswehr gegen Sowjetrussland. Auf der Grundlage massiver Streikbewegungen erlebten die freien Gewerkschaften im ADGB in jenen Jahren einen noch nie dagewesenen Zuwachs; bis 1922 stiegen die Mitgliedszahlen kontinuierlich weiter an.

In der radikalisierten USPD setzte nun eine breite Diskussion über die Zukunftsperspektiven und insbesondere einen Beitritt zur Kommunistischen Internationale (KI) ein. Die KI war im Frühjahr 1919 gegründet worden und hatte eine starke Anziehungskraft, weil sie die erfolgreiche Russische Oktoberrevolution von 1917 verkörperte und radikalisierte Arbeiter in aller Welt darin eine Hoffnung erblickten. So erfreute sich die KI in jenen Jahren eines starken Zulaufs, zumal sich in vielen Ländern aus den alten sozialdemokratischen, reformistischen Parteien heraus neue kommunistische Parteien entwickelten. Die USPD war in dieser Frage in zwei Lager gespalten. Beim Parteitag in Halle im Oktober 1920 kam es zur entscheidenden Debatte und Abstimmung. Schließlich stimmten die Delegierten mit 237 Ja-Stimmen gegen 156 Nein-Stimmen für die Kommunistische Internationale.

Von den knapp 900.000 USPD-Mitgliedern vollzogen 300.000 Mitglieder diesen Schritt und schlossen sich der im Dezember 1920 durch Vereinigung mit der kleinen KPD gebildeten Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands (VKPD, später wieder KPD) an. 300.000 verblieben in der USPD, weitere 300.000 Mitglieder waren fortan in keiner Partei organisiert. Während der Parteitagsbeschluss von Halle die Radikalisierung der aktiven Arbeiterbasis der USPD ausdrückte, verblieb die Mehrheit der Hauptamtlichen, der Reichstagsabgeordneten und der Tageszeitungen in den Händen der („Rest“-)USPD, die 1922 mehrheitlich wieder in der SPD aufging. Eine kleine Minderheit, die diese Vereinigung 1922 nicht mit machte, blieb unter dem Namen USPD weiter bestehen und ging 1931 in der SAP auf, einer linken Abspaltung von der SPD.

Mit der Vereinigung vom Dezember 1920 wurde die KPD – zwei Jahre nach ihrer Gründung – erstmals zu einer Massenpartei. Doch nach wie vor war die Partei landesweit schwächer in der Arbeiterklasse verankert als SPD und USPD. Bei den Berliner Wahlen im Februar 1921 errang die KPD 112.000 Stimmen gegenüber 197.000 Stimmen für die USPD und 221.000 Stimmen für die SPD. In sieben Landtagswahlen im Winter 1920/21 kam die KPD auf 1,44 Millionen Stimmen gegenüber 1,48 Millionen für die USPD und 5,3 Millionen für die SPD.

Mit der Herausbildung als Massenpartei waren die Probleme und Herausforderungen der KPD längst nicht gelöst, sondern sie fingen erst richtig an. Um die Gesellschaft zu verändern, musste sie erst die Mehrheit der Arbeiterklasse auf ihre Seite ziehen und in Wort und Tat für ein revolutionäres Programm gewinnen. Ein Ausdruck dieses Bemühens um eine „Einheitsfront“ mit den Mitgliedern und Anhängern der anderen Arbeiterparteien und parteilosen Arbeitern war 1921 ein offener Brief an Gewerkschaften, SPD und USPD. Darin bot die KPD den gemeinsamen Kampf für eine gleitende Lohnskala (gegen die einsetzende Inflation), für Organe des proletarischen Selbstschutzes (gegen faschistische Attentate und Terroranschläge) und für Arbeiterkontrolle der Produktion durch die Betriebsräte an. Die SPD-Führung lehnte dieses Angebot rundum ab, zeitgenössische Berichte deuten jedoch darauf hin, dass eine Mehrheit der SPD-Ortsvereine diese Zielsetzungen begrüßte.

Märzaktion 1921

Eine neue Krise und einen neuen Rückschlag erlebte die KPD allerdings wenig später im Zusammenhang mit der „Märzaktion“. In dem von chemischer Industrie und Bergbau geprägten Bezirk Halle, einer ihrer Hochburgen, hatte die VKPD kurz zuvor mit 197.000 Stimmen mehr Wähler mobilisert als USPD (75.000) und SPD (70.000) zusammen. Als die preußische Landesregierung Polizeikräfte in das Industrierevier schickte, um die Arbeiter zu entwaffnen, leisteten die Bergarbeiter Widerstand und eskalierte der Konflikt. Die Arbeiter der Leuna-Werke streikten. Die VKPD rief in ganz Deutschland zum Generalstreik auf. Doch der Funke sprang nicht auf die anderen deutschen Industriegebiete über – auch nicht, als Anhänger einer „Offensivstrategie“ in der VKPD der Empörung der Arbeiterklasse mit Dynamit und (vorgetäuschten) Anschlägen auf eigene Parteibüros künstlich „nachzuhelfen“ versuchten.

Die Märzaktion endete mit einer Niederlage der VKPD und führte zu einer ersten ernsthaften Krise für die vereinigte Partei. Paul Levi (Foto S. 22), ein alter Weggefährte von Rosa Luxemburg, der im Februar 1921 aufgrund seiner Kritik an der „Offensivstrategie“ als KPD-Vorsitzender zurückgetreten war, sah sich nun in seiner Haltung bestätigt. In seiner Broschüre „Unser Weg. Wider den Putschismus“ kritisierte er die in der Märzaktion deutlich gewordenen putschistischen Tendenzen. Weil er diese Schrift von vornherein öffentlich gemacht hatte, wurde Levi aus der Partei ausgeschlossen – und mit ihm eine Reihe anderer erfahrener Personen und Gewerkschafter wie Reuter, Brass, Malzahn, Däumig und Hoffmann. Auch Lenin, Revolutionsführer und Regierungschef in Russland, verzieh Levi seinen Disziplinbruch nicht und unterstützte den Ausschluss. Allerdings wird Lenin auch mit den Worten zitiert:
„Levi hat den Kopf verloren. Er war allerdings der einzige in Deutschland, der einen zu verlieren hatte.“

Levi schloss sich übrigens der USPD an und engagierte sich nach der Vereinigung mit der SPD am linken SPD-Flügel. Er wurde Reichstagsabgeordneter und starb Anfang 1930 in Folge eines Sturzes aus seiner Berliner Wohnung.

Die fehlgeschlagene Märzaktion und die darauf folgende Krise der Partei waren allerdings keine entscheidende Niederlage für die KPD. Ende 1921 bilanzierte die Zentrale den aktuellen Stand mit 360.000 Mitgliedern, 33 Tageszeitungen, 20 Druckereien, 13 Reichstagsabgeordneten, 57 Landtagsabgeordneten, und weit über 2000 kommunalen Mandaten. In 80 Gemeinden hatte sie Ende 1922 die absolute und in 170 die relative Mehrheit. Auf dem ADGB-Kongress 1922 waren 90 von 691 Delegierten Kommunisten. KPD-Mitglieder hatten eine Mehrheit in 60 ADGB-Ortskartellen. Über 400 Mitglieder der Partei bekleideten hauptamtliche Positionen in den Gewerkschaften.

Die KPD stabilisierte sich damals als zweitstärkste und wichtigste Partei in der Kommunistischen Internationale außerhalb der Sowjetunion. Sie war ein Bezugspunkt vor allem für politisch fortgeschrittene Teile der organisierten Arbeiterschaft und verkörperte die Hoffnung, durch eine Revolution in Deutschland die Isolation der Russischen Revolution zu überwinden. Auf ihren Kongressen 1921 und 1922 diskutierte und beschloss die KI u.a. auch Grundsatzerklärungen zur parlamentarischen Arbeit, zur Frage der Einheitsfront-Taktik und zur Bildung von „Arbeiterregierungen“. In diesem Sinne sprach sich der KPD-Parteitag Anfang 1923 unter dem Einfluss des „rechten“ KPD-Flügels für die Möglichkeit aus, unter strikt definierten Bedingungen zumindest auf Landesebene eine „Arbeiterregierung“ mit Vertretern der SPD zu bilden. Unter dem Druck der Massen könnten so die SPD-Führer „vom linken Flügel der Bourgeoisie zum rechten Flügel der Arbeiterbewegung“ rübergezogen werden, so der damalige Parteivorsitzende und „rechte“ Kommunist Heinrich Brandler, während der „linke“ Parteiflügel der KPD eine „Einheitsfront nur von unten“ zwecks Loslösung der Arbeiter von der SPD forderte.

Der Kongress kam den Bedenken der „Linken“ entgegen, kittete den Riss zwischen den beiden Parteiflügeln mühsam und beschloss: „Die Arbeiterregierung ist weder die Diktatur des Proletariats noch ein friedlicher, parlamentarischer Aufstieg zu ihr. Sie ist ein Versuch der Arbeiterklasse, im Rahmen und vorerst mit Mitteln der bürgerlichen Demokratie, gestützt auf proletarische Organe und proletarische Massenbewegungen, Arbeiterpolitik zu betreiben“, heißt es in dem Beschluss: „Die Existenz der Arbeiterregierung erfordert eine Niederkämpfung der Gegenrevolution, der Produktionssabotage sowie des gesamten Widerstands der Borgeoisie gegen die Arbeiterregierung und ihr Programm.“ Eine Landesarbeiterregierung müsse den vorgegebenen gesetzlichen Rahmen „restlos und rücksichtslos für die proletarischen Klasseninteressen ausnutzen“, was auch einen scharfen Konflikt mit der kapitalistischen Reichsregierung auslösen könne.

Diese Diskussion im Januar 1923 war keine rein akademische mehr. In Sachsen und Thüringen bestanden schon damals – Anfang 1923 – Minderheitsregierungen linker Sozialdemokraten, die auf eine „Tolerierung“ durch die KPD-Landtagsangeordneten angewiesen waren. Die Entwicklung im Krisenjahr 1923 wurde allerdings überschattet durch die extrem zugespitzte wirtschaftliche und politische Lage. Die Ereignisse in diesem „Inflationsjahr“ überschlugen sich förmlich und boten – nach der Novemberrevolution 1918 und dem Generalstreik gegen den Kapp-Putsch 1920 – wiederum eine hervorragende revolutionäre Chance für die Arbeiterklasse und die KPD.

Die Deutsche Revolution vor 90 Jahren Teil I
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