Kategorie: DDR

Gedanken zum 13. August: Alle Mauern weltweit einreißen!

Der 50. Jahrestag des Berliner Mauerbaus und der systematischen Abriegelung der knapp 1400 Kilometer langen DDR-Westgrenze bietet in diesen Tagen Anlass für eine Welle von Gedenkveranstaltungen und eine neue antisozialistische Propagandalawine.


Kapitalisten und ihre bürgerlichen Medien und Ideologen wollen uns wieder einmal unentwegt einreden, dass jeder Versuch, den Kapitalismus zu überwinden und die Gesellschaft in Richtung Sozialismus zu verändern, mit Unterdrückung, Mauer und Stacheldraht enden müsse.

Darum müsse man eben den real existierenden Kapitalismus und das für sie “heilige Privateigentum an Produktionsmitteln und die Milliardenvermögen einer winzigen Minderheit eben hinnehmen, behaupten sie. Dass dieser runde Jahrestag dem bürgerlichen Mainstream willkommenen Anlass bietet, um wenigstens ein paar Tage lang von einer neuen hereinbrechenden kapitalistischen Weltwirtschaftskrise, der zunehmenden sozialen Ungleichheit hierzulande und den aktuellen Massen-Protestbewegungen rund um das Mittelmeer abzulenken, war nicht anders zu erwarten. Wenig überraschend ist auch die Tatsache, dass die LINKE-Parteivorsitzende Gesine Lötzsch schon zum zweiten Mal in diesem Jahr von vielen Medien wider besseres Wissen als so etwas wie eine “unverbesserliche Kommunistin” dargestellt wird. Dabei wird ein Halbsatz aus der mit ihrem Namen und dem ihres Ko-Vorsitzenden Klaus Ernst versehenen Erklärung zum 13. August (“Der Mauerbau war zugleich ein Produkt des Kalten Krieges...“) bewusst aus dem Zusammenhang gerissen, um sie als “Ewiggestrige” zu verunglimpfen, die angeblich den Mauerbau rechtfertige. Das ist nebenbei gesagt auch miserabler Journalismus und wird früher oder später auf seine Urheber zurückfallen.

In Sachen Stalinismuskritik brauchen wir MarxistInnen von keiner Seite Nachhilfeunterricht. Ich erinnere mich gut an die 1980er Jahre, als ich und andere MitstreiterInnen über Sozialismus-Modelle diskutierten und dabei die Zustände in der damaligen DDR und ihren “Bruderstaaten” nicht vom rechtssozialdemokratischen, bürgerlich-liberalen Standpunkt, sondern aus einer linken, marxistischen, revolutionären Sichtweise heraus kritisierten. “Das ist militanter Antikommunismus”, empörten sich damals einige “Stamokap-Jusos”, die noch bis 1989 jeden Dezember den Geburtstag des 1953 verstorbenen Sowjet-Diktators Stalin feierten, seit 1990 jedoch längst ihren Frieden mit der rechten Sozialdemokratie und dem Staatsapparat gemacht und dort Karrieren hingelegt haben.

Das war weder Sozialismus noch Kommunismus

Doch davon ließen und lassen wir uns nicht beirren. Wir waren und sind der Überzeugung, dass eine auf Staatseigentum an Produktionsmitteln basierende Planwirtschaft auf Dauer nicht mit bürokratischen und totalitären Kommandomethoden gedeihen kann. Und dass man eine Bevölkerung auf Dauer nicht “einsperren” und ihre Reisefreiheit einschränken kann. In diesen nicht-kapitalistischen Staaten herrschte weder Sozialismus noch Kommunismus.
Als Alternative für diese Länder vertraten wir nicht die Rückkehr zum Kapitalismus durch Privatisierung der Industrien, Banken und Ländereien, sondern den Aufbau einer echten sozialistischen Demokratie. Deren wesentliche Voraussetzungen hatte Lenin Anfang 1917 – gestützt auf die Lehren der Pariser Kommune von 1871 – beschrieben:

  • Durchschnittlichen Facharbeiterlohn und Wähl- und Abwählbarkeit aller Funktionäre,
  • Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit durch ein rollierendes System, in dem alle gleichzeitig arbeiten und verwalten,
  • Kein stehendes Heer, sondern bewaffnetes Volk.

Nach der Erfahrung des letzten Jahrhunderts müssten wir noch hinzufügen: Freiheit für alle politischen Parteien, die das Staatseigentum akzeptieren und die sozialistische Demokratie nicht mit Waffengewalt stürzen wollen. Schon 1936 warnte der russische Revolutionär Leo Trotzki, dass die stalinistische Bürokratie in der Sowjetunion das Staatseigentum an Produktionsmitteln nur verteidigen würde, so lange es die materielle Grundlage für ihre Privilegien hergebe. Er wurde vier Jahre später für seine konsequente Stalinismuskritik von einem Agenten Stalins ermordet. Seine weitsichtige Prognose bewahrheitete sich endgültig in den 1980er Jahren, als die bürokratischen Planwirtschaften in der damaligen Sowjetunion und Osteuropa zunehmend in die Krise gerieten. Mit ihren totalitären Kommandomethoden hatte es die Staatsbürokratie in den osteuropäischen Ländern mittlerweile geschafft, viele positive Errungenschaften der Planwirtschaft zu zerstören. Und weil die derart sabotierte Planwirtschaft nicht mehr genug für ihre Privilegien hergab, wurden Mitte/Ende der 1980er Jahre bekennende "Marxisten-Leninisten" wie Boris Jelzin (damals KP-Chef in Moskau) oder Michail Gorbatschow (1983 bis 1991 Generalsekretär der KPdSU) fast über Nacht zu glühenden Verfechtern der kapitalistischen Marktwirtschaft! Schon allein dieser rasche "Sinneswandel" zeigt, wie hohl und nichtssagend die jahrzehntelangen Bekenntnisse dieser "Apparatschiks" zum Sozialismus gewesen sind.
Natürlich war die jahrzehntelange Teilung Europas und Deutschlands in einen östlichen und westlichen Einflussbereich eine Folge des Zweiten Weltkriegs. Dabei dürfen wir niemals vergessen,

  • dass das deutsche Kapital 1933 Hitler und die Nazis finanzierte und an die Macht brachte und von seiner Diktatur, die die organisierte Arbeiterbewegung zertrümmerte und später den industriellen Massenmord organisierte, enorm profitierte.
  • dass der von Hitler systematisch vorbereitete Überfall des faschistischen Deutschland auf die stalinistische Sowjetunion zig Millionen Menschen das Leben kostete und die Zivilisation um Jahrzehnte zurückwarf,
  • dass die Nazis und ihre Verbündeten letztlich vernichtend geschlagen wurden, Stalins Rote Armee ab 1943 Richtung Westen marschierte und schließlich bis Berlin, Wien und zur Elbe vordrang,
  • in den von der Roten Armee kontrollierten Gebieten Kapitalismus und Großgrundbesitz abgeschafft und Staaten nach dem Vorbild der Sowjetunion geschaffen wurden.

Anders als etwa in Jugoslawien, wo die Kommunistische Partei nach der Vertreibung der deutschen Nazi-Wehrmacht aus dem Widerstandskampf der Partisanen heraus die Macht übernahm, setzte die sowjetische Besatzungsmacht in ihrem Machtbereich loyale Mitglieder der Kommunistischen Parteien in die wichtigsten Staatsämter ein. So auch in der 1949 gegründeten DDR, wo eine Gruppe um den aus dem Moskauer Exil eingeflogenen KPD-Funktionär Walter Ulbricht die Schlüsselpositionen übernahm. Vergessen wir bei aller scharfen Kritik an stalinistischen Methoden, an der Gleichschaltung und einsetzenden Verfolgung kritischer Kommunisten auch in der SED nicht, dass die Enteignung großer Industrien und Ländereien für sich genommen ein fortschrittlicher Akt war und damals in ganz Deutschland von der Mehrheit der Bevölkerung gefordert wurde. Davon zeugen noch heute entsprechende Artikel in den Landesverfassungen von Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bremen und Kapitalismuskritik selbst in CDU-Programmen aus jener Zeit. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren begriffen viele Menschen, dass die explosive Mischung aus Kapitalismus, Militarismus und Faschismus die Welt an den Abgrund geführt hatte und ein radikaler Neuanfang ohne Enteignung der großen Kriegsgewinnler unvorstellbar sei.

Der Vorschlag Stalins, ein vereinigtes, entmilitarisiertes und neutrales Deutschland zu schaffen, scheiterte Anfang der 1950er Jahre am Widerstand der Westmächte. Somit war klar, dass die Sowjetmacht, um eine Kettenreaktion zu vermeiden, ihren westlichen Vorposten DDR nicht preisgeben würde. Die Niederschlagung des Aufstands in der DDR vom 17. Juni 1953 durch sowjetische Panzer und schließlich der Mauerbau und die Abriegelung der DDR-Grenze im August 1961 boten den Bürgerlichen und ihren Ideologen im Westen einen willkommenen Vorwand, um jede kapitalismuskritische Äußerung lächerlich zu machen. “Geh doch nach drüben, wenn es Dir nicht passt”, lautete das geflügelte Wort in jenen Jahrzehnten in der Alt-BRD.

Der Westen und die stalinistischen Länder

Die westlichen Kapitalisten arrangierten sich notgedrungen damit, dass sie die DDR und Osteuropa verloren hatten. Sie und ihre Geheimdienste sahen weder den Mauerbau 1961 noch den Fall der Mauer 28 Jahre später kommen. Jahrzehntelang setzten Herrschende in Ost und West auf eine “friedliche Koexistenz”, eine faktische gegenseitige Stabilisierung und gute Ost-West-Geschäfte. 1983 vermittelte der damalige CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß der DDR einen Milliardenkredit und freundete sich persönlich mit SED-Generalsekretär Erich Honecker an. 1987 wurde Erich Honecker als Staatsgast in der Bundesrepublik empfangen. Hätte der damalige Kanzler Helmut Kohl (CDU) mit der Möglichkeit gerechnet, dass die Massenproteste für mehr Demokratie in der DDR ab Spätsommer 1989 zum raschen Fall der Berliner Mauer und zur Auslösung der DDR durch Anschluss an die Bundesrepublik führen würden, dann wäre er Anfang November nicht nach Polen gereist und dort am 9. November von der Grenzöffnung überrascht worden.

Seit dem Ende der DDR und der stalinistischen Regimes in Osteuropa 1990 hatten die Kapitalisten über 20 Jahre Zeit, um weltweit die Überlegenheit ihres Systems zu demonstrieren. Das Ergebnis ist für sie niederschmetternd. Mit der Privatisierung der DDR-Wirtschaft und Zerstörung vieler industrieller Standorte sind ganze Landstriche zwischen Ostsee, Erzgebirge und Eisenach ausgeblutet und Millionen auf der Suche nach Arbeit nach Westdeutschland oder andere Länder ausgewandert. Letztes Jahr traf ich bei Recherchen in Thüringen eine Frau, die zufällig am 13. August 1961 geboren wurde (Herzlichen Glückwunsch!) und die in der Ex-DDR sehr viele LeidensgenossInnen hat. Die dreifache Mutter war, wie in der DDR üblich, als Facharbeiterin voll berufstätig und verlor 1991 ihre Arbeit. Trotz Weiterbildung, Umschulungen und AB-Maßnahmen in den 1990er Jahren hat sie nie wieder eine unbefristete Arbeitsstelle bekommen. Seit zwölf Jahren arbeitet sie in einem 400-Euro-Job und kommt bei einem Stundenlohn von vier Euro weder in den Genuss von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall noch von bezahltem Urlaub. Ein Schicksal von vielen. Kein Wunder, dass sich manche nach der in der DDR-Planwirtschaft gegebenen Vollbeschäftigung, sozialen Absicherung und relativ sicheren Lebensperspektive zurücksehnen. Mit der 1989 erkämpften Reisefreiheit können heute viele mangels Geld wenig anfangen. Dass es hier 40 Jahre eine nicht-kapitalistische Gesellschaft mit einer Art kollektiver Absicherung gegeben hat, wirkt noch Jahrzehnte nach. Ost und West sind nach wie vor noch in vielem verschieden. “Der Sozialismus ist eine gute Idee, die in der DDR nur schlecht verwirklicht wurde”. Dieser Aussage stimmte in einer repräsentativen Umfrage auf dem Gebiet der Ex-DDR eine Mehrheit zu. So jedenfalls gab es das Statistische Bundesamt im Datenreport 2004 bekannt. Auffallend ist auch, dass die Bindung an Kirchen und Religionen im Osten viel geringer ist als im Westen Deutschlands. Der Versuch der Herrschenden, auf dem Gebiet der DDR alles zu beseitigen, was überhaupt an die Existenz einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft vor 1990 erinnern könnte, ist fehlgeschlagen. Die Ende 1989 von einer übrig gebliebenen Minderheit bisheriger SED-Mitglieder gebildete PDS, inzwischen durch Zusammenschluss mit der WASG in der Partei DIE LINKE aufgegangen, ist in den 1990er Jahren nicht verschwunden, wie es die Herrschenden gehofft hatten, sondern stärker geworden.

Rosa Luxemburg hatte Recht, als sie von der weltweiten Alternative “Sozialismus oder Barbarei” sprach. Das gilt im 21. Jahrhundert mehr denn je. Die Erfahrung und das Ende der DDR lehren uns, dass es nicht möglich ist, den Sozialismus – oder was sich so nennt – mit militärischen Mitteln zu exportieren und in einem Land oder gar in einem halben Land aufzubauen und obendrein Menschen gewaltsam von Reisen in die kapitalistische Welt abzuhalten. Dafür musste und muss unsere Bewegung bis heute einen hohen Preis zahlen. Eine sozialistische Demokratie muss weltweit erkämpft und internationalistisch organisiert werden.

Die Mauern müssen weg!

50 Jahre nach dem 13. August ist es an der Zeit, nicht nur die Erfahrungen des Stalinismus nüchtern aufzuarbeiten, sondern den Blick nach vorne zu wagen und alle Mauern in aller Welt einzureißen. So etwa auch die militärisch streng bewachte und menschenverachtende Mauer zwischen den USA und Mexiko oder die Mauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten. Vergessen wir auch nicht den nassen Todesstreifen im Mittelmeer, in dem verzweifelte Menschen aus Afrika oder Asien Monat für Monat auf der Suche nach etwas Arbeit und Menschenwürde ertrinken – und die EU-Behörden schauen ebenso tatenlos zu wie Schiffsbesatzungen, die sich bloß keinen Ärger einhandeln wollen. Oder was ist mit den Mauern, hinter denen sich die Reichen und Superreichen in Europa und Nordamerika einigeln, weil sie ihren verschwenderischen Luxus nicht so offen zeigen wollen?

Nicht zuletzt sollten wir endlich auch die Mauern im Denken einreißen, die viele von uns noch hemmen. So etwa das dümmliche Vorurteil, dass der Kapitalismus von ewiger Dauer und die Menschen “nicht reif” für eine solidarische, sozialistische Gesellschaft seien. Während ich diese Zeilen am heutigen 13. August schreibe, demonstrieren in Israel wieder viele hunderttausend Menschen unterschiedlichster Herkunft, Glaubensbekenntnisse und religiöser Richtungen gemeinsam gegen unhaltbare soziale Zustände in ihrem Land – so viele wie noch nie zuvor seit der Staatsgründung 1948. Sie fühlen sich ermutigt durch jüngste Massenproteste von Ägypten bis Spanien. Das ist eine reale Bewegung, die mit weitsichtigem politischem Programm und kluger Führung auch das Potenzial hätte, die von den Herrschern willkürlichen hochgezogenen realen und ideologischen Mauern zwischen Juden und Arabern einzureißen und gemeinsam endlich ein Land zu schaffen, in dem Milch und Honig fließen. Und dabei Rassismus, Fundamentalismus, Antisemitismus, Anti-Islamismus und alle anderen reaktionären Ideologien für immer zu entsorgen.

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