Kategorie: Afrika |
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Die Arabische Revolution Manifest der Internationalen Marxistischen Strömung, Teil 2 |
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Im zweiten Teil des "Manifests zur Arabischen Revolution" der Internationalen Marxistischen Strömung (IMT) geht es um die Rolle demokratischer Forderungen in diesen Revolutionen. Vordergründig verfolgt die Ägyptische Revolution demokratische Ziele – wie könnte es nach 30 Jahren blutiger Diktatur auch anders sein. |
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Die Jugend sehnt sich nach Freiheit. Natürlich kann dieses Verlangen nach Demokratie von den bürgerlichen PolitikerInnen missbraucht werden, die nach einer Karriere in einem „demokratischen” Parlament streben. Wir sind jedoch verpflichtet, den Kampf für demokratische Forderungen voll und ganz zu unterstützen, und wir müssen diesen Forderungen einen revolutionären Inhalt geben. Im Zuge eines Streiks oder einer Revolution entdecken die Menschen ihre Würde, sie erkennen ihre Rechte. Nach einem Leben der Friedhofsruhe finden sie ihre Stimme wieder. Die Interviews von Menschen auf den Straßen Kairos haben es deutlich zum Ausdruck gebracht: Arme, des Lesens nicht mächtige Personen erklärten, dass sie mit diesen Demonstrationen ihre Rechte einfordern und mit Respekt behandelt werden möchten. Diese Aufbruchsstimmung ist fixer Bestandteil einer jeden Revolution. MarxistInnen ordnen demokratische Forderungen zwar der Perspektive einer sozialistischen Revolution unter, doch in der Praxis führen die fortgeschrittensten revolutionär-demokratischen Forderungen notwendigerweise zu dem Punkt, an dem die Machtfrage und die Frage einer sozialistischen Umwälzung gestellt werden. Die Russische Revolution ist das beste Beispiel: Im Jahre 1917 eroberten die Bolschewiki die Macht mit der Losung „Frieden, Brot und Land“ – einer Losung ohne klar sozialistischen Inhalt. Theoretisch können alle drei Forderungen unter kapitalistischen Bedingungen erfüllt werden. In der Praxis war dies jedoch nur durch einen Bruch mit der Bourgeoisie und die Machtübernahme durch die ArbeiterInnenklasse möglich. Einige in der Linken vertreten die Meinung, es handle sich in Tunesien und Ägypten lediglich um bürgerlich-nationalistische Bewegungen, nicht aber um Revolutionen im eigentlichen Sinn. Das zeugt von völligem Unverständnis der Bedeutung demokratischer Forderungen unter den heutigen Bedingungen. Die Erfahrung der Russischen Revolution selbst zeigt die Wichtigkeit einer korrekten, d.h. revolutionären Verwendung demokratischer Losungen. Die Forderung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung spielte auch damals eine sehr wichtige Rolle in der Mobilisierung breitester Bevölkerungsschichten für die Sache der Revolution. Zwar kämpfen MarxistInnen für die fortgeschrittensten demokratischen Forderungen, aber sie sehen sie nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel im Kampf für eine grundlegende Umwälzung der Gesellschaft. Das unterscheidet die marxistische Herangehensweise an diese Frage von jener der kleinbürgerlichen DemokratInnen. Die unmittelbare Aufgabe der Ägyptischen Revolution lag im Sturz von Mubarak und seinem Regime. Doch das konnte nur der erste Schritt sein: Die Bewegung öffnete die Schleusen, das revolutionäre Volk betrat die Bühne der Geschichte. Tag für Tag entdeckten sie auf den Straßen ihre eigene Stärke, die Notwendigkeit sich zu organisieren und die Bedeutung von Massenmobilisierungen. Das ist für sich genommen schon eine gewaltige Errungenschaft. Nach 30 Jahren der Diktatur werden sie nicht ohne weiteres eine Neuauflage des alten Regimes zulassen. Die Entwicklung in Tunesien ist ein ausreichender Beweis dafür. Die Massen haben ein Gefühl für ihre eigene Stärke entwickelt und werden sich daher nicht so leicht mit halbherzigen Maßnahmen abspeisen lassen. Sie wissen, dass sie die bisherigen Errungenschaften der Revolution mit ihren eigenen Händen erkämpft haben. Der Kampf für vollständige, konsequente Demokratie wird den Weg zum Aufbau von Gewerkschaften und von ArbeiterInnenparteien freimachen. Dadurch wird auch die Frage der Demokratie in der Wirtschaft und des Kampfes gegen soziale Ungleichheit auf die Tagesordnung gesetzt. Losungen und Taktiken müssen in einer derartigen Situation konkret sein; sie müssen die reale Lage und die tatsächlichen Sorgen der breiten Massen widerspiegeln. Die objektiven Aufgaben der Russischen Revolution waren ebenfalls demokratische und nationale: Sturz des Zaren, formale Demokratie, Befreiung aus dem Abhängigkeitsverhältnis vom Imperialismus, Pressefreiheit. In Ländern wie Ägypten und Tunesien fordern wir heute ebenfalls demokratische Rechte, die sofortige Beseitigung aller reaktionären Gesetze und eine Verfassungsgebende Versammlung. Wir müssen das alte Regime stürzen – nicht nur Ben Ali und Mubarak, sondern auch all die “kleinen Mubaraks”, die “kleinen Ben Alis”. Der gesamte Staat muss gründlich gesäubert werden. Niemand, der im alten Regime eine Rolle gespielt hat, soll in einer künftigen Regierung – auch nicht einer Übergangsregierung – vertreten sein. Warum sollte das revolutionäre Volk, das so viele Opfer gebracht hat, denen die Macht überlassen, die in der Revolution keine Rolle gespielt haben? Mit einem großen Besen müssen die Köpfe des alten Regimes weggefegt werden. Das muss unsere erste Forderung sein. Doch das allein ist nicht ausreichend. Über Jahrzehnte haben sich diese Damen und Herren schamlos bereichert. Sie lebten in obszönem Luxus, während die Menschen zu einem Leben in Armut verdammt waren. Wir fordern deshalb die sofortige Konfiszierung des Vermögens und Eigentums dieser Leute sowie die Enteignung des Vermögens der internationalen Konzerne, mit denen sie unter einem Hut steckten und denen die alten Regime durch ihre Liberalisierungspolitik Tür und Tor öffneten. Das ist die Brücke, die direkt von einem revolutionär-demokratischen zu einem sozialistischen Programm führt. Wer nicht imstande ist, demokratische Forderungen auf revolutionäre Art und Weise einzusetzen, der wird in einer solchen Situation zum ohnmächtigen Zuschauer degradiert. Er wird niemals dazu imstande sein, in einer Massenbewegung eine Rolle zu spielen. Das Wort “Demokratie” hat nicht für jedermann dieselbe Bedeutung. Die Armen verbinden damit eine Lösung ihrer dringlichsten Probleme: Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, hohe Lebensmittelpreise. Diese wirtschaftlichen und sozialen Probleme sind so gravierend, dass keine bürgerliche Regierung sie zu lösen imstande ist. Wer nicht bereit ist, Hand an den obszönen Reichtum der herrschenden Elite zu legen, der reduziert den Begriff “Demokratie” auf eine hohle Phrase. Den Kampf um Demokratie konsequent zu Ende führen zu wollen, heißt die Eigentumsfrage zu stellen und die Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung als unmittelbares Ziel zu formulieren. Deshalb:
Die Forderung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung Gäbe es in Ägypten eine revolutionäre Partei ähnlich den Bolschewiki, sie würde die Machtfrage stellen. Doch mangels einer Führung mit einem klaren Plan, kann die Revolution durch eine Reihe sehr unterschiedlicher Stadien gehen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die revolutionäre Welle noch nicht verebbt. Doch die Massen können nicht in einem Zustand der permanenten Mobilisierung verharren. Sie müssen ihren Lebensunterhalt verdienen. Dadurch wird die revolutionäre Lava zwangsläufig abkühlen. Die Revolution wird daher höchstwahrscheinlich durch eine Phase der bürgerlichen Demokratie gehen. In einer Situation wie in Ägypten unter Mubarak sind demokratische Losungen von ganz besonderer Bedeutung und können zu einem machtvollen Hebel für die Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten werden. Wir müssen für ein Maximum an demokratischen Rechten kämpfen, weil dies die Bedingungen für den Klassenkampf begünstigt. Es macht einen großen Unterschied, ob die ArbeiterInnen unter einem totalitären Regime leben müssen, oder ob sie zumindest grundlegende Rechte haben. Demokratische Forderungen müssen daher in unserem Programm eine zentrale Rolle einnehmen. Dazu gehört auch die Forderung nach einer revolutionären Verfassungsgebenden Versammlung. Wie kommt es dann, dass wir im Fall von Argentinien und Bolivien die Forderung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung abgelehnt haben? Die Erklärung ist recht einfach: Politische Losungen existieren nicht außerhalb von Zeit und Raum, sondern müssen sich aus den konkreten Bedingungen des Klassenkampfes in dem gegebenen Entwicklungsstadium eines Landes ableiten. In Bolivien während der revolutionären Aufstände vom Oktober 2003 und Mai–Juni 2005 war die Losung einer Verfassungsgebenden Versammlung konterrevolutionär. Warum? Damals hatten die bolivianischen ArbeiterInnen zwei Generalstreiks und zwei Aufstände hinter sich; räteähnliche Strukturen in Form der Nachbarschaftskomitees, der Volksversammlungen und der cabildos abiertos hatten sich gebildet. Die bolivianischen ArbeiterInnen hätten in dieser Situation leicht die Macht erobern können. Es hätte ausgereicht, wenn sich die Führung des Gewerkschaftsdachverbandes COB zur neuen Regierung ernannt hätte. Unter diesen konkreten Bedingungen lenkte die Forderung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung die Aufmerksamkeit der ArbeiterInnen nur ab: von der zentralen Aufgabe der Machteroberung in die ungefährlichen Kanäle des Parlamentarismus. Der konterrevolutionäre Charakter dieser Losung zeigt sich nicht zuletzt daran, dass das von der Weltbank und den USA finanzierte Office for Transition Initiatives ebenfalls auf die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung drängte. Und dann wäre da noch das kleine Detail, dass Bolivien bereits eine bürgerliche Demokratie war. Im Fall von Argentinien wurde diese Losung im Argentinazo, dem Aufstand im Dezember 2001, von mehreren linken Gruppen ausgegeben. Vor dem Hintergrund einer bereits existierenden bürgerlichen Demokratie war der Ruf nach einer Verfassungsgebenden Versammlung gleichbedeutend mit der Aussage: “Wir wollen das bürgerliche Parlament, das wir haben, nicht. Stattdessen wollen wir ein anderes bürgerliches Parlament.” Der Unterschied zur heutigen Situation in Tunesien und Ägypten liegt auf der Hand. Nach Jahrzehnten der Diktatur gibt es große Illusionen in die bürgerliche Demokratie. Dies gilt nicht nur für das Kleinbürgertum, sondern auch für die ArbeiterInnenklasse. Das ist einmal der Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen. Wir sind natürlich für Demokratie, aber es muss eine Demokratie sein, die ihren Namen verdient. Es braucht eine neue Verfassung, und deshalb auch eine Verfassungsgebende Versammlung. Doch es wäre falsch, der Armee die Abhaltung der Wahlen zu einer solchen Versammlung zu überlassen. Deshalb muss der Kampf auf der Straße weitergehen. Natürlich dürfen MarxistInnen keine mechanische Herangehensweise an demokratische Losungen haben. Der Kampf um Demokratie ist unter allen Bedingungen den allgemeinen Interessen der sozialistischen Revolution untergeordnet. Die formale Demokratie stellt aus unserer Sicht keinen Wert an sich dar, und im Zuge der Revolution werden die Grenzen der bürgerlichen Demokratie sehr deutlich zum Vorschein kommen. Durch ihre eigene Erfahrung werden die ArbeiterInnen verstehen, dass sie selbst die Macht übernehmen müssen. Das setzt aber einen ernsthaften Kampf um die fortgeschrittensten demokratischen Losungen voraus. Nach Jahrzehnten der autoritären Herrschaft können wir gegenüber der Frage der Verfassung nicht gleichgültig sein. Die Vorgangsweise des obersten Armeerats, dass einige von oben ernannte “Experten” Abänderungsanträge zur alten Verfassung ausarbeiten, welche dann einem Referendum unterzogen werden, lehnen wir als undemokratisch ab. Mubaraks Verfassung kann nicht einfach nur in einigen Punkten abgeändert werden, sondern muss zur Gänze entsorgt werden. Jetzt muss eine demokratische, revolutionäre Verfassungsgebende Versammlung einberufen werden, die eine völlig neue Verfassung diskutiert. Die reaktionäre Rolle der Generäle zeigte sich nicht zuletzt, als die Armee die Proteste auf dem Tahrir-Platz gewaltsam auflöste. Die revolutionäre Bewegung darf es nicht zulassen, dass dieselben Generäle, die Mubarak bis zur letzten Minute unterstützt hatten, weiterhin die Macht im Staat innehaben. Die ArbeiterInnen dürfen der Armeespitze und den “Verfassungsexperten”, die von den Generälen ernannt wurden, kein Vertrauen schenken. An einer Verfassungsgebenden Versammlung darf in der Situation kein Weg vorbeiführen. Doch es bleibt die Frage, wer eine solche Versammlung einberufen soll. Diese Aufgabe darf nicht der Armee überlassen werden, sondern muss von der revolutionären Bewegung, die weiterhin in den Fabriken, Universitäten, auf der Straße für den Kampf für Demokratie mobilisieren muss, übernommen werden. Die Situation in Ägypten, Tunesien, aber auch dem Iran, ist nicht zu vergleichen mit jener im Bolivien der Jahre 2003 und 2005 oder im Argentinien von 2001. Vielmehr ähnelt sie der Lage im Russland der Jahre 1905 und 1917. Ausgehend von den fortgeschrittensten demokratischen Losungen müssen wir die zentrale Frage der Arbeitermacht stellen. Wir MarxistInnen werden folgendermaßen gegenüber den ArbeiterInnen und der Jugend auftreten: “Ihr wollt Demokratie? Wir auch. Aber vertrauen wir nicht den Generälen oder ElBaradei – kämpfen wir gemeinsam für echte Demokratie!" Teile der ägyptischen ArbeiterInnenklasse selbst sind bereits zu diesen Schlussfolgerungen gekommen. Das im Zuge der Proteste gegen Mubarak ausgearbeitete Forderungspaket der Eisen- und Stahlarbeiter von Helwan ist das beste Beispiel dafür: „1. Sofortiger Rücktritt von Mubarak und allen anderen Köpfen des Regimes. 2. Enteignung des Vermögens und des Eigentums des Regimes und all jener, die sich als korrupt erwiesen haben. 3. Sofortiger Austritt aller Arbeiter aus den Gewerkschaften, die vom Regime kontrolliert werden. Für die Gründung unabhängiger Gewerkschaften und Vorbereitung eines Kongresses zur Wahl einer neuen Gewerkschaftsvertretung. 4. Übernahme aller Unternehmen des öffentlichen Sektors, die verkauft oder geschlossen wurden, und Verstaatlichung derselben im Interesse der Bevölkerung. Diese Betriebe sollen eine neue Verwaltung unter Miteinbeziehung der Arbeiter und des technischen Personals erhalten. 5. Bildung von Komitees in allen Betrieben zur Kontrolle der Produktion, der Güterverteilung, der Preise und Löhne. 6. Für die Abhaltung einer Verfassungsgebenden Versammlung und die Wahl von Volksräten, ohne die Verhandlungen mit dem ehemaligen Regime abzuwarten.“ Diese Forderungen sind absolut korrekt. Sie zeugen von einem hohen revolutionären Bewusstsein und decken sich vollständig mit dem Programm, das wir MarxistInnen in dieser Situation entwickelt haben. Das ist das Programm, das den objektiven Anforderungen der Ägyptischen Revolution entspricht. Gewerkschaften Die Revolution wirft die Frage der Organisierung auf. Gewerkschaften waren immer die grundlegendste Organisationsform der ArbeiterInnen. Ohne Organisation wird die ArbeiterInnenklasse immer nur Rohmaterial des kapitalistischen Ausbeutungsprozesses sein. Der Aufbau und die Stärkung der Gewerkschaften haben daher oberste Priorität. In Ägypten und Tunesien standen die Gewerkschaften in einem engen Naheverhältnis zum alten Regime und waren stark mit dem Staat verflochten. Die korrupten GewerkschaftsführerInnen waren in der Regel Mitglieder der Regierungspartei. Ihre Rolle war die einer Polizei in den Reihen der ArbeiterInnenbewegung. Die Basis dieser Gewerkschaftsverbände setzte sich aber trotzdem hauptsächlich aus ganz gewöhnlichen ArbeiterInnen zusammen, die ehrlich für ihre Interessen eintreten wollten. Selbst in bürgerlichen Demokratien gibt es eine naturwüchsige Tendenz zur Einbindung der Gewerkschaftsspitzen in den Staatsapparat. Doch die Geschichte zeigt, dass sich selbst die korruptesten und bürokratischsten Gewerkschaften zu bewegen beginnen und sogar ihren Charakter ändern können, sobald die Klasse zu kämpfen beginnt. Die alte Führung muss dann unter dem Druck der ArbeiterInnen einen Kurswechsel vornehmen oder sie wird zur Seite geschoben und durch eine neue, kämpferischere Führung ersetzt. In Tunesien war die Führung der UGTT durch ihre Unterstützung für das Regime von Ben Ali kompromittiert. Nach der Flucht von Ben Ali war sie umgehend bereit, Teil der von Gannouchi gebildeten Übergangsregierung zu werden. Sie musste jedoch unter dem Druck der eigenen Basis die Regierung bald wieder verlassen. Auf lokaler und regionaler Ebene spielte die UGTT allerdings eine führende Rolle in der Revolution. Es war die UGTT, die zur Gründung der revolutionären Komitees aufrief und somit einen wichtigen Beitrag zur Selbstorganisation leistete. In einigen Gebieten, wie in Redeyef, übernahm die UGTT sogar die Verwaltung der Gesellschaft. Dies zeigt sehr gut, welch ungeheure Bedeutung die Gewerkschaften als Kampfinstrument in der Revolution einnehmen. Alle UGTT-BürokratInnen, die mit dem alten Regime verbunden waren, müssen aus ihren Posten verdrängt werden, allen voran Generalsekretär Abdessalem Jerad, der eine offen streikbrecherische Rolle gespielt hat. Die regionalen Strukturen wie auch die nationalen Verbände, die von der Gewerkschaftslinken angeführt werden und die Mehrheit der UGTT-Mitgliedschaft repräsentieren, sollten umgehend einen außerordentlichen Gewerkschaftskongress einberufen. Jeder Schritt zur Demokratisierung der Gewerkschaften würde von den einfachen ArbeiterInnen mit großer Begeisterung unterstützt werden. Wenn es möglich war, Ben Ali und Gannouchi zu stürzen, sollte es ein Leichtes sein, auch noch die korrupte Gewerkschaftsführung loszuwerden! In Ägypten war es der korrupten Gewerkschaftsführung nicht gelungen, die Streikwelle zu verhindern, wodurch die Revolution eine zusätzliche Dynamik erhielt. Die streikenden ArbeiterInnen richteten sich gegen ihre alte Führung und begannen mit dem Aufbau wirklich demokratischer und kämpferischer Gewerkschaften. Damit haben sie einen unfehlbaren Klasseninstinkt bewiesen. Der Kampf für Demokratie beschränkt sich nicht auf die politische Arena. Er muss auch in den Gewerkschaften und den Betrieben offensiv geführt werden. Die Bewegung scheint auf die Schaffung eines neuen Dachverbandes unabhängiger Gewerkschaften hinauszulaufen. In einer Revolution, wie wir sie jetzt sehen, kann ein solcher Zusammenschluss sogar zur wichtigsten Organisation des ägyptischen Proletariats werden. Doch es wäre ein Fehler, den Kampf innerhalb der alten, offiziellen Gewerkschaften völlig aufzugeben, in denen noch immer wichtige Teil der Klasse organisiert sind. In einigen Fällen werden neue Gewerkschaften in Betrieben oder gar ganzen Wirtschaftszweigen aus dem Nichts entstehen. In anderen Fällen werden die ArbeiterInnen die alten gewerkschaftlichen Strukturen übernehmen und diese zu demokratischen Kampfinstrumenten machen. Die Bürgerlichen verstehen die zentrale Bedeutung von Gewerkschaften. Sie werden versuchen, deren Führung durch Bestechung unter ihren politischen Einfluss zu bekommen, damit die ArbeiterInnen nicht zu revolutionären und sozialistischen Schlussfolgerungen kommen. Die CIA verfügt traditionell über enge Beziehungen zur Führung des US-amerikanischen Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO, der internationalen Gewerkschaftsverbände und der europäischen Sozialdemokratie. Über diese Verbindungen werden sie versuchen, die Gewerkschaftsbewegung unter ihre Kontrolle zu bekommen. Die ArbeiterInnen müssen vor solchen “Freunden” auf der Hut sein, deren einziges Ziel es ist, die revolutionären Kräfte in geordnete Bahnen zu lenken. Das gilt auch für die NGOs, die oft nichts anderes als eine Agentur des Imperialismus darstellen. Die Aufgabe dieser NGOs besteht in erster Linie darin, die Unterdrückten und Ausgebeuteten von revolutionären Abenteuern abzulenken und ehemalige KlassenkämpferInnen in bezahlte Lakaien des Imperialismus zu verwandeln. NGOs haben letztlich die Funktion, die ArbeiterInnenbewegung von eigener Aktivität abzuhalten. Die Aufgabe der Gewerkschaften muss im Sturz des Kapitalismus liegen und nicht darin, das System aufrechtzuerhalten. Ihr erstes Ziel ist es, für einen höheren Lebensstandard, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Wir müssen uns für jede noch so kleine Verbesserung einsetzen. Doch wir müssen auch verstehen, dass es unmöglich ist, die einfachsten Forderungen dauerhaft durchzusetzen, solange die parasitäre Oligarchie das Land, die Banken und die wichtigsten Industrien ihr Eigen nennt. In den Protesten gegen das alte Regime haben sich die Gewerkschaften mit anderen Schichten der Gesellschaft zusammengeschlossen: den Arbeitslosen, den Frauen, der Jugend, der Bauernschaft, den Intellektuellen. Das ist eine absolute Notwendigkeit. Dabei muss sich aber die ArbeiterInnenklasse an die Spitze der Nation stellen und den Kampf gegen alle Formen der Ungerechtigkeit und der Unterdrückung führen. Die revolutionäre Bewegung hat sich in Komitees der verschiedensten Art organisiert. Das ist ein notwendiger Schritt, um der Bewegung eine organisierte Form zu geben. Diese Komitees können aber die Gewerkschaften nicht völlig ersetzen. Die Gewerkschaften stellen eine Schule der Revolution dar und werden eine Schlüsselrolle beim Sturz des alten Regimes sowie beim Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft, bei der Organisierung der verstaatlichten Industrien, bei der Planung der Produktion und der Verwaltung der Gesellschaft einnehmen. Deshalb:
Die Rolle der Jugend Der große deutsche Revolutionär Karl Liebknecht sagte einst: “Die Jugend ist die Flamme der Revolution.” Wie sehr dies heute für die Arabischen Revolution gilt! In jedem Stadium dieser Bewegung spielte die Jugend eine entscheidende Rolle. Es waren junge Arbeitslose ohne Zukunftsperspektive, die als erste in Tunesien und Ägypten auf die Straße strömten. Einige von ihnen waren junge AkademikerInnen, andere kamen aus den Slums. In allen Ländern der Region stellt die Jugend die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung dar. Sie leidet am meisten unter den Auswirkungen der kapitalistischen Krise. 70 % der Jugendlichen in Tunesien unter 25 Jahren sind arbeitslos. In Algerien sind es 75 %, in Ägypten 76 %. Ähnlich ist die Lage in anderen Ländern. Diese Fakten verdeutlichen, in welcher Sackgasse der Kapitalismus steckt. Dabei würden diese Länder ÄrztInnen, LehrerInnen, TechnikerInnen usw. benötigen. Doch es gibt keine Jobs. Selbst viele JungakademikerInnen sind arbeitslos und haben keine Aussicht auf einen eigenen Hausstand, auf die Gründung einer eigenen Familie. Sie werden getrieben von einem tief sitzenden Sinn für Ungerechtigkeit; von dem Zorn auf ein System, das ihnen jede Zukunftsperspektive nimmt und in dem sich eine kleine Elite auf Kosten der Bevölkerung schamlos bereichert. Die einzige Hoffnung, die diesen jungen Menschen bleibt, liegt im Kampf für eine grundlegende Umwälzung der Gesellschaft. Sie haben ihre Angst abgeschüttelt und sind bereit, ihr Leben im Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit zu riskieren. In Tunesien hat sich die revolutionäre Jugendbewegung organisiert und zu Massendemonstrationen vor dem Regierungssitz in Tunis, der Kasbah, aufgerufen. In Massenprotesten der SchülerInnen wurde die Forderung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung erhoben und der Sturz der Regierung gefordert. Die Jugend spielte dabei die Rolle eines Katalysators für die Bewegung, die Ende Februar die Regierung Gannouchi zum Rücktritt zwang. In Ägypten war die Situation sehr ähnlich. Die Geschichte wiederholt sich hier in gewissem Maße. Im Jahre 1917 belächelten die Menschewiki die Bolschewiki als einen “Haufen Kinder” – und sie lagen mit dieser Aussage nicht ganz falsch. Das Durchschnittsalter der bolschewistischen AktivistInnen war in der Tat sehr niedrig. Die Jugend spielt vor allem deshalb in der Revolution eine wichtige Rolle, weil sie weitgehend frei von Vorurteilen, Ängsten und dem Skeptizismus der älteren Generationen ist. Die Jugend ist in jedem Land offen für revolutionäre Ideen. Deshalb müssen sich MarxistInnen an die Jugend wenden. Die Ideen des revolutionären Marxismus und des proletarischen Internationalismus werden dort auf ein Echo stoßen. Deshalb:
Die Rolle von Frauen Einer der inspirierendsten Aspekte der Revolution in Tunesien und Ägypten war zweifelsohne die aktive Beteiligung der Frauen. Die alte Unterwürfigkeit ist plötzlich verschwunden. In Alexandria haben sogar ältere Hausfrauen von ihren Balkonen aus die Polizei mit Töpfen und Pfannen beschossen. Auf den Demonstrationen kämpften junge Studentinnen in Jeans Seite an Seite mit Frauen, die den Hijab trugen. Bereits in den Streiks der letzten Jahre, die den Weg zur heutigen revolutionären Erhebung bereiteten, haben Frauen eine zentrale Rolle gespielt, wie etwa die Textilarbeiterinnen von Mahalla al Kubra. Frauen standen in jeder Revolution an vorderster Front. Verschleierte und unverschleierte Frauen, die sich in Bahrain auf Demonstrationen furchtlos der Polizei entgegenstellen: Das ist Revolution. Sie erinnern an die heroischen Frauen von Paris des Oktobers 1789 oder von Petrograd des Februars 1917. Das politische Erwachen der Frau ist ein sicheres Zeichen dafür, dass wir es hier mit einer wirklichen Revolution zu tun haben. Die Gesellschaft kann nicht vorwärtsschreiten, solange die Frau versklavt ist. Es ist kein Zufall, dass die Kräfte der Reaktion in Ägypten die Demonstration zum Internationalen Frauentag am 8. März auf dem Tahrir-Platz brutal angriffen. Die Arabische Revolution wird ihre entschlossensten und mutigsten KämpferInnen nicht zuletzt aus den Reihen der Frauen rekrutieren. Die vollständige Befreiung der Frau gehört zu den Hauptaufgaben der Revolution. Der Platz der Frauen ist nicht am Herd, sondern auf der Straße, im revolutionären Kampf, Seite an Seite mit den Männern. Sie haben das größte Interesse am Gelingen dieser Revolution. Deshalb:
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