Kategorie: Afrika |
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Die Arabische Revolution Manifest der Internationalen Marxistischen Strömung, Teil 3 |
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Im dritten Teil des "Manifests zur Arabischen Revolution" der Internationalen Marxistischen Strömung (IMT) wird gezeigt, dass diese Revolution den gesamten arabischen Raum erfasst und als Teil eines weltweiten Prozesses zu verstehen ist. Eine Revolution ist kein Einakter. Wir sagen bewusst, die Arabische Revolution habe begonnen. Sie muss erst vollendet werden, damit ihr Sieg gesichert ist. Sie ist ein Kampf lebendiger Kräfte, ein komplexer Prozess mit vielen Erfolgen und Rückschlägen. Der Sturz von Mubarak, Ben Ali und Gannouchi markiert das Ende der ersten Phase. | |||
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Die Revolution ist nicht vollendet Doch der Kampf wird weitergehen: Weder sind die alten Kräfte wirklich gestürzt, noch haben es die alten Machthaber geschafft, die Kontrolle wiederzuerlangen. Die Revolution in Russland 1917 dauerte insgesamt neun Monate, von Februar bis Oktober, als die ArbeiterInnen unter der Führung der Bolschewiki die Macht übernahmen. Jedoch verlief die Revolution nicht entlang einer geraden Linie, sondern entwickelte sich durch allerlei Wirren und Widersprüche. Es gab eine Phase der offenen Reaktion von Juli bis August. Lenin musste nach Finnland fliehen und die Bolschewistische Partei wurde praktisch verboten. Aber dies bereitete nur den Weg für einen erneuten Aufschwung der Revolution. Am Ende stand der Oktoberaufstand. In Spanien gab es einen ähnlichen Prozess nach dem Fall der Monarchie im Jahre 1931 – es folgte ein gewaltiger Aufschwung des Klassenkampfs. Die Niederschlagung der Asturischen Kommune im Oktober 1934 führte zu einer Periode der Reaktion, dem Bienio Negro, den zwei schwarzen Jahre von 1935-36. Es sollte aber nur das Vorspiel zu einem neuen Aufflammen der Revolution sein, das mit dem Sieg der Volksfront in den Wahlen von 1936 begann und zum offenen Bürgerkrieg führte. Am Ende stand schließlich dennoch der Sieg des Faschismus. Nach dem Sturz von Mubarak erschien die Ägyptische Revolution wie ein riesengroßer Karnevalsumzug. Die Menschen kämpfen für Dinge, die ihnen keine bürgerliche Regierung geben kann. Wie den russischen ArbeiterInnen von 1917 ist es den ägyptischen ArbeiterInnen gelungen, einen Tyrannen zu stürzen, aber die Hauptaufgaben sind damit noch nicht gelöst. Der wirkliche Kampf liegt noch vor ihnen. Was hat der Sturz Mubaraks gelöst? Was wurde dadurch erreicht, dass Ben Ali nach Saudi Arabien geflohen ist? Nichts Grundsätzliches wurde gelöst. Die ArbeiterInnen kämpfen für Brot, Arbeit und ein Dach über dem Kopf, nicht für die Farce irgendeiner Form von formaler bürgerlicher Demokratie. Es ruft uns ein altes französisches Sprichwort in Erinnerung: Je mehr sich ändert, desto mehr bleibt alles beim Alten. Durch schmerzvolle Erfahrungen lernen die Massen wichtige Lektionen. Früher oder später werden sie zu dem Schluss kommen, dass die ArbeiterInnenklasse die Macht übernehmen muss. Es wird ein langer Lernprozess sein, ein ausgedehnter Prozess der inneren Differenzierungen in der revolutionären Bewegung. Dieser Prozess hat bereits begonnen. In den revolutionären Komitees werden die moderateren Kräfte, die die Bewegung in ihren früheren Stadien geführt haben und Illusionen in die Armee hegen, bereits von einer neuen Schicht von ArbeiterInnen und Jugendlichen herausgefordert, die alle Kompromisse ablehnen. Letztere fürchten, dass ihnen das, was sie mit ihrem Blut erkämpft haben, durch Betrug wieder abgerungen werden könnte. Und dieses Misstrauen ist gut begründet. Mit dem Fall Mubaraks hat die Ägyptische Revolution ihren ersten großen Sieg gefeiert. Aber keines der fundamentalen Probleme der ägyptischen Gesellschaft ist gelöst. Die Preise steigen weiter, etwa 10 % der arbeitsfähigen Bevölkerung ist laut offiziellen Statistiken arbeitslos – wobei die wirklichen Zahlen wohl viel höher sind. Es gibt einen glühenden Hass gegen die Ungleichheit und die allgegenwärtige Korruption des alten Regimes. Milliarden an US-Dollar öffentlicher Gelder sind irgendwo versickert. Allein der Mubarak-Clan genehmigte sich zwischen 40 und 80 Milliarden Dollar – dies in einem Land, in dem 40 % der Menschen unter der Armutsgrenze leben! Es ist unmöglich, die nächsten Ereignisse vorherzusehen. Eines scheint aber gewiss: Die Revolution wird sich hinziehen und allerlei Auf- und Abschwünge erleben. Noch sind breite Bevölkerungsschichten von der abstrakten Idee der Demokratie berauscht. Dieses Gefühl der Euphorie erfasst sogar die fortgeschrittensten und revolutionärsten Elemente. Eine solche Phase der demokratischen und konstitutionellen Illusionen ist unvermeidlich, sie wird aber nicht lange dauern. Zu gründlich pflügt die Revolution die Gesellschaft um. Sie erweckt neue, vorher passive und scheinbar zurückgebliebene Schichten zu politischem Leben. Und wenn diese Leute „thawra hatta‘l nasr“ (Revolution bis zum Sieg) rufen, dann meinen sie es ernst. Alle Versuche, das politische Gleichgewicht wiederherzustellen, müssen zwangsläufig scheitern. Die Krise des kapitalistischen Systems erlaubt es nicht, die einfachsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen. Eine Reihe von schwachen bürgerlichen Regierungen wird das Land erleben. Ein instabiles Kabinett wird dem nächsten folgen. Wenn der Klassenkampf eine derartige Sackgasse erreicht, tendiert der Staat dazu, sich über die Gesellschaft zu erheben und eine relative Selbständigkeit zu erlangen. Das Resultat ist meist ein instabiles Militärregime, oder, um den marxistischen Begriff zu verwenden, ein bonapartistisches Regime. Allein die Existenz solcher Regimes wird zeigen, dass die Revolution noch nicht zu Ende ist. Trotz aller Appelle an die „nationale Einheit“ polarisiert sich die ägyptische Gesellschaft weiter. Die Revolution verfügt noch immer über ernstzunehmende Reserven in der Gesellschaft. Studierende agitieren an den Unis. ArbeiterInnen streiken und besetzen Fabriken, werfen verhasste Manager und korrupte Gewerkschaftsfunktionäre hinaus. Der Streik der ägyptischen Ölarbeiter hat in nur drei Tagen einen vollständigen Sieg errungen, einschließlich des Rücktritts des Ölministers. Das zeigt, wer wirklich die Macht in der Gesellschaft inne hat. Das Militärregime in Ägypten wird sich nicht lange halten können. Alle Versuche, die „Ordnung“ wiederherzustellen (das heißt, die Herrschaft der Reichen und Mächtigen), sind gescheitert. Die Armee versuchte, die Streiks zu unterbinden, aber ohne Erfolg. Die ArbeiterInnenbewegung befindet sich nicht im Rückzug, im Gegenteil, sie ist in der Offensive. Was können die Generäle tun? Wenn sie es nicht geschafft haben, ihre Panzer im Namen Mubaraks einzusetzen, dann können sie diese umso weniger dafür einsetzen, Streiks in einem angeblich demokratischen Regime niederzuschlagen. Die Generäle werden die Macht an eine zivile (das heißt bürgerlich-kapitalistische) Regierung abgeben müssen. Es wird eine Konterrevolution in demokratischem Gewande sein. Aber es wird für die Konterrevolution nicht einfach sein, die „Stabilität“ wiederherzustellen. Denn für die ArbeiterInnen ist Demokratie kein Selbstzweck: Wenn sie nicht zu einem Anstieg des Lebensstandards und zu neuen Jobs führt, warum sollte man überhaupt für sie gekämpft haben? Wenn all dies vor zehn Jahren passiert wäre, hätten die Machthaber es vielleicht geschafft, ein bürgerlich-demokratisches Regime in der einen oder anderen Form zu etablieren. Der Aufschwung des Weltkapitalismus hätte ihnen ein wenig Spielraum verschafft. Heute aber steckt der Kapitalismus weltweit in einer tiefen Krise. Das ist sowohl der Grund für die revolutionären Prozesse, als auch dafür, dass diese nicht so einfach zu bändigen sein werden. Das kapitalistische System bietet den breiten Massen nichts. Es schafft es nicht einmal, in den USA und Europa für Arbeitsplätze und ein bescheidenes Auskommen für jeden zu sorgen. Um wie viel schwieriger noch ist dies in Ägypten! Die Streiks, die Fabrikbesetzungen, das Hinauswerfen von Managern durch die Belegschaften: Dies alles ist von enormer Bedeutung. Die Revolution ist bis in die Fabriken, bis in jeden Betrieb vorgedrungen. Die ArbeiterInnen Ägyptens schreiten vom Kampf um politische Demokratie zum Kampf um innerbetriebliche Demokratie voran. Die ägyptische ArbeiterInnenklasse nimmt unter ihrem eigenen Banner an der Revolution Teil und stellt eigenständige Klassenforderungen auf. Das ist entscheidend für die Zukunft der Revolution. Die ArbeiterInnen protestieren gegen Korruption und niedrige Löhne. Sie rebellieren gegen vom Staat ernannte Manager und bilden revolutionäre Komitees, die Fabriken und andere Betriebe leiten. Das ist der richtige Weg. Bürgerliche Kommentatoren haben betont, dass viele dieser Streiks ökonomischer Natur sind. Natürlich sind sie das! Die ArbeiterInnenklasse kämpft für ihre unmittelbaren Forderungen. Sie sehen die Revolution nicht nur als Mittel, um formale Demokratie zu erkämpfen, sondern auch für bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, für – ein besseres Leben. Und dieser Kampf kann nicht aufhören, nur weil Hosni Mubarak nicht mehr im Präsidentenpalast sitzt. Für ArbeiterInnendemokratie! In der Stadt Suez brach der Staatsapparat mit all seinen Einrichtungen für vier bis fünf Tage völlig zusammen. Wie vorher schon in Tunesien, bildeten sich revolutionäre Komitees und bewaffnete Straßenkontrollen, um die Bevölkerung vor Übergriffen zu verteidigen. Das zeigt, dass räteähnliche Strukturen keine willkürliche Erfindung von MarxistInnen sind, sondern in jeder Revolution spontan entstehen. Damit ist die zentrale Frage gestellt: Wer verfügt über die Staatsmacht? Der alte Staatsapparat wurde von der Revolution in die Knie gezwungen. Er muss nun durch etwas Neues ersetzt werden. Es gibt eine gesellschaftliche Kraft, die stärker ist als jeder Staat: das revolutionäre Volk. Aber es muss sich organisieren. In Ägypten wie in Tunesien gab es Elemente von Doppelmacht: Ganze Städte und Regionen sind unter die Kontrolle revolutionärer Komitees gefallen. In Tunesien erreichte die revolutionäre Organisation ein höheres Niveau als in Ägypten. Die revolutionären Organe entwickelten sich rund um die lokalen Strukturen der Gewerkschaft UGTT. Nachdem sie die Führungspersönlichkeiten des alten RCD-Regimes fortgejagt hatten, übernahmen sie die Kontrolle über viele Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens in einigen Städten und selbst ganzen Regionen. All das Gerede der herrschenden Klasse über „Chaos“ und „Unsicherheit“ blendet die Tatsache aus, dass sich die arbeitende Bevölkerung hier selbst organisiert hat. Auch sie will Ordnung und Sicherheit wieder herstellen, doch es ist eine andere, eine revolutionäre Ordnung. Nach dem Zusammenbruch der Polizei am 28. Januar, sprang in Ägypten die Bevölkerung ein, um die Sicherheit in den Wohnvierteln sicherzustellen. Sie errichteten Straßenkontrollen, bewaffnet mit Messern, Macheten und Knüppeln. In einigen Bereichen übernahmen die revolutionären Komitees praktisch das gesamte organisatorische Leben ihrer Stadt, einschließlich der Regelung des Straßenverkehrs. Hier sehen wir den Embryo einer Volksmiliz – einer alternativen Staatsmacht. Es geht nun darum, immer mehr Menschen in diese Bewegung hineinzuziehen. Um die Revolution auszuweiten und zu vertiefen, geht es nun darum, überall solche Verteidigungskomitees zu schaffen. Gewählte Komitees zur Verteidigung der Revolution, welche bereits in einigen Gegenden existieren, müssen in jeder Fabrik, in jeder Straße, in jedem Dorf ins Leben gerufen werden. Diese revolutionären Komitees sollten sich auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene vernetzen. Dies wäre der Startpunkt für eine zukünftige demokratische Regierung der ArbeiterInnen, Bäuerinnen und Bauern – eine echte Alternative zu den verrotteten Regimes der Region. Die Internationale Marxistische Strömung fordert daher:
Der internationale Charakter der Revolution war von Anfang an offensichtlich. Andere arabische Länder befinden sich in einer ähnlichen Situation wie Tunesien und Ägypten: steigende Nahrungsmittelpreise, eine sich verschlechternde wirtschaftliche Situation, Arbeitslosigkeit und ungezügelte Korruption. Millionen Menschen müssen tagtäglich ums Überleben kämpfen. Ähnliche gesellschaftliche Umstände führen zu ähnlichen Ergebnissen. Was in Tunesien und Ägypten passiert ist, kann in vielen anderen Ländern passieren – nicht nur in der arabischen Welt. Der Imperialismus versucht sich einzureden, dass es keinen Dominoeffekt geben würde. Doch die Dominosteine haben bereits zu fallen begonnen: Libyen, Marokko, Sudan, Irak, Dschibuti, Jemen, Bahrain und Oman – all diese Länder werden vom revolutionären Strom mitgerissen. Wie in Tunesien und Ägypten, lebt etwa die Bevölkerung Algeriens, Jordaniens und des Jemen in Armut, diktatorisch beherrscht von einer Oberschicht, die sich ihr luxuriöses Leben durch die Plünderung der Gesellschaft finanziert. Im Fall des Irak ist der Kampf der Revolution eng mit dem Kampf gegen Imperialismus und Fremdherrschaft sowie für das Recht der kurdischen Bevölkerung auf Selbstbestimmung verbunden. Gleichzeitig ist es ein Merkmal der Protestbewegung im Irak, die sektiererische Spaltung der Bevölkerung in Sunniten, Schiiten, Araber, Kurden und Turkmenen überwunden zu haben. Gerade diese Spaltung trug dazu bei, dass sich die reaktionären Herrscher so lange halten konnten. Einige der Hauptforderungen der Protestierenden betrifft die steigenden Lebenshaltungskosten, die teilweise durch das Streichen der staatlichen Subventionen von Benzin und Zucker verursacht wurden. Dies ist eine der brennendsten Fragen quer durch die arabische Welt. Die Regime in Jordanien, Algerien und Libyen senkten umgehend Importzölle und Steuern auf Lebensmittel, in der Hoffnung, Unruhen abwenden zu können. Das Regime in Algerien hat allen Grund, eine gesellschaftliche Explosion zu fürchten, die den Aufstand in den Berberregionen des Jahres 2001 in den Schatten stellen könnte. Selbst die ölreichen Monarchien in den Golfstaaten sind besorgt. Kuwait hat 4.600 Euro pro StaatsbürgerIn verteilt, um die Menschen ruhig zu stellen. Doch solche Maßnahmen werden die revolutionäre Erhebung nur hinauszögern. Die westlichen Medien stellten die Bewegung in Bahrain schamlos als einen religiös-sektiererischen Kampf zwischen der schiitischen Mehrheit und der sunnitischen Elite dar. Weit entfernt davon: Auch in Bahrain kämpfen die Menschen gegen Korruption, Diskriminierung und Arbeitslosigkeit, für freie Wahlen, für die Rechte der MigrantInnen und der Frauen und für eine gerechte Verteilung des Wohlstandes. Auch in Bahrain zeigen die breiten Massen dieselbe Entschlossenheit zum Kampf. Die Armee war gezwungen, sich vom Perlenplatz zurückzuziehen. Wieder einmal war die Rolle der ArbeiterInnenklasse ausschlaggebend gewesen: Es war die Androhung eines Generalstreiks der Gewerkschaften, die das Regime zu Zugeständnissen zwang. In den Golfstaaten werden die ArbeiterInnen, die großteils aus dem Ausland stammen, brutal ausgebeutet. Es gibt alleine in Saudi-Arabien 1,1 Millionen pakistanische GastarbeiterInnen. In der Vergangenheit kam es in der Region immer wieder zu Streiks (z.B. 2007 der Streik der Bauarbeiter in Dubai), die von den Massenmedien allerdings totgeschwiegen werden. Für sich selbst genommen, mag das saudische Regime noch eine Bastion der Reaktion im Mittleren Osten darstellen. Mehr und mehr gleicht es aber einem Dampfkochtopf ohne Sicherheitsventil. Unter einem solchen Regime kann eine revolutionäre Explosion äußerst heftig und ohne Vorwarnung passieren. Die saudische Königsfamilie ist korrupt und moralisch verrottet. Sie ist in der Frage der Zugeständnisse, die der Bevölkerung gemacht wurden, bereits gespalten. Denn trotz dieses Entgegenkommens des Regimes zeigen die Menschen zunehmend öffentlich ihre Unzufriedenheit. Wenn der Moment gekommen ist, wird sie auch ihr Öl nicht retten können. Es ist bezeichnend genug, dass sich mittlerweile sogar wahabitische Geistliche gegen die Königsfamilie stellen. Die Arabische Revolution hat auch der revolutionären Bewegung im Iran neuen Schwung gebracht. Offiziere der Revolutionsgarden erklärten offen, nicht mehr auf Demonstrationen feuern zu wollen. Sie riefen die brutalen Basij-Milizen auf, ihre Knüppel zu Hause zu lassen. Diese Risse im Staatsapparat deuten auf eine tiefe Krise des Regimes hin. Jedes Land weist unterschiedliche Bedingungen auf. Daher ist es schwierig zu sagen, wie sich jedes einzelne Regime verhalten wird. Welche politischen Richtungen sich durchsetzen werden, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, die von einem Land zum anderen unterschiedlich sind. Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten waren fast identisch, aber in Libyen ist die Situation grundverschieden. Das Regime verfügt speziell rund um Tripolis über größere soziale Reserven. Der Aufstand war vor allem auf den Osten des Landes begrenzt. Die Revolution ging somit in einen Bürgerkrieg über, dessen Ausgang noch immer ungewiss ist. Gaddafi scheint es egal zu sein, wenn das ganze Land mit ihm untergeht. Nach dem Verlust der Kontrolle über den Osten, mitsamt der zweitgrößten Stadt Libyens, Benghasi, beschloss er, bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Das ganze Land wurde in einen blutigen Konflikt hineingezogen. Große Teile der Armee, selbst ranghohe Militärs, sind zu den Aufständischen übergelaufen. Dies hatte jedoch nicht denselben Effekt wie in Ägypten, weil dort der Stellenwert der Armee ein anderer ist. Eines ist jedoch klar: Alle Länder werden in den revolutionären Schmelztiegel geworfen. Nicht eines dieser Regimes wird am Ende überleben. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die im Wesentlichen von den Kräfteverhältnissen der Klassen und einer ganzen Reihe innerer und äußerer Faktoren abhängen, die unmöglich vorherzusehen sind. Welche Regierungen auch immer am Ende herauskommen werden, sie werden nicht fähig sein, die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Hilflosigkeit des Imperialismus Der Imperialismus bangt angesichts dieser Bewegungen um seinen Einfluss in dieser strategisch so wichtigen Region. Die USA und die EU haben diese Ereignisse nicht vorhergesehen, und sie wissen auch nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Obama traute sich wegen der Beispielwirkung auf andere Staaten nicht, Mubarak öffentlich zum Rücktritt aufzufordern. Er beließ es bei vorsichtig abgewogenen Formulierungen. Wie heuchlerisch klingen doch die Worte „Demokratie“ und „Menschenrechte“ aus dem Munde Obamas, Sarkozys und Merkels! Nach all den Jahrzehnten, in denen die brutale Diktatur in Tunesien unterstützt wurde, sprechen sich plötzlich alle für Demokratie und Menschenrechte aus. Es ist nicht lange her, da pries Frankreichs Präsident Sarkozy Ben Ali als Freund der Demokratie und der Menschenrechte – trotz aller Folterzellen, von denen jedermann wusste. Und auch Washington verschleierte wissentlich die barbarischen Taten der pro-westlichen Diktatoren – nun werden sie dafür belohnt. Die Politik beeinflusst die Wirtschaft und umgekehrt. Der Ölpreis klettert weiter nach oben, weil die Aufstände auch auf andere arabische Staaten überzugreifen drohen, einschließlich auf den Ölgiganten Saudi-Arabien; man fürchtet eine Behinderung der Öllieferungen vom Roten ins Mittelmeer durch den Suez-Kanal. Ein Fass Rohöl der Marke Brent überstieg kurzfristig sogar die 120-Dollar-Marke und notiert nach wie vor über 110 Dollar. Dies könnte wiederum die schwache Erholung der Weltwirtschaft untergraben. Der Imperialismus braucht wirtschaftliche, politische und militärische Stabilität im Nahen Osten. Aber wie soll diese hergestellt werden? Von Anfang an haben die USA um eine einheitliche Strategie gerungen, um auf die sich schnell entfaltenden Ereignisse richtig zu reagieren. Letztlich beschränkte sich die Rolle dieser stolzen Weltmacht in Ägypten auf jene eines hilflosen Zusehers. Ein Artikel in der britischen Zeitung „Independent“ trug den bezeichnenden Titel „Washingtons starke Worte unterstreichen die Ohnmacht der USA“. Wie wahr! So manch kluge Leute behaupten, die Arabische Revolution sei Teil einer imperialistischen Verschwörung. Nichts könnte weniger der Wahrheit entsprechen. Die Bourgeoisie wurde von diesen Ereignissen völlig überrascht. Diese Revolutionen destabilisieren eine ihrer wichtigsten Regionen – nichts, was sie sich wirklich wünschen können. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass diese Bewegungen auch außerhalb der arabischen Welt auf ein Echo stoßen. Der Nahe Osten stellt eine Schlüsselregion für den Imperialismus dar. Die USA verbrachten vier Jahrzehnte damit, dort ihre Position zu festigen. Ägypten war dabei von ganz besonderem Interesse. Nun werden allerdings innerhalb weniger Wochen die Karten neu gemischt. Die reichsten und mächtigsten Staaten der Welt waren angesichts der revolutionären Erschütterungen wie gelähmt. Obama wusste nicht, wie er eingreifen sollte, denn er durfte nichts sagen, was seine saudischen Verbündeten vor den Kopf stoßen hätte können. Acht Prozent des Welthandels passieren den Suez-Kanal. Die USA waren entsetzt über die Möglichkeit, dass der Kanal geschlossen werden könnte – aber sie konnten nichts dagegen tun. Alles, was Obama dazu sagen konnte, war, dass dies die Entscheidung des ägyptischen Volkes sei. Wenn wir uns erinnern, zeigten sich die USA beim Einmarsch in Afghanistan und im Irak bei weitem nicht so nobel zurückhaltend! Man schickte zwar US-Kriegsschiffe zum Suez-Kanal – doch ... nichts geschah. Letztendlich war es eine leere Geste. Zu sehr haben sich die USA die Finger im Irak verbrannt. Ein neuerliches militärisches Abenteuer in Ägypten hätte einen Sturm provoziert – nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt. Nicht eine US-Botschaft im Nahen Osten würde noch stehen; alle US-freundlichen arabischen Regime würden sich Aufständen gegenübersehen. Dennoch: In Obamas „demokratischem“ Samthandschuh steckt nach wie vor die geballte Faust des US-Imperialismus. Die USA haben ein besonderes Interesse an Bahrain, aufgrund der wichtigen strategischen Lage dieses Landes direkt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Hier befindet sich die wichtigste US-Marinebasis der gesamten Region, der Stützpunkt ihrer Fünften Flotte. Trotzdem sahen die USA keine Möglichkeit direkt gegen die revolutionäre Bewegung in Bahrain vorzugehen. Wenn das alles Teil eines imperialistischen Plans gewesen sein soll – dann hat niemand davon Mister Obama erzählt. Im Falle Libyens zögerten sie nicht, Gaddafi zu verurteilen und riefen zu seinem Sturz auf – was sie im Falle Mubaraks bemerkenswerterweise unterließen. Das ist nur ein weiteres Beispiel für ihre Doppelzüngigkeit und ihren Zynismus. Obwohl sie andeuteten, dass ein militärisches Eingreifen nicht ausgeschlossen wäre, zögerten sie zu handeln. In der Stunde der Wahrheit konnten sie nicht den Mut aufbringen direkt einzugreifen. Hillary Clinton meinte, eine Flugverbotszone müsste von den Vereinten Nationen genehmigt werden. Das ist das komplette Gegenteil zum einstigen Vorgehen der USA im Irak. Schlussendlich stimmten die USA unter dem Druck Frankreichs und Großbritanniens für eine Flugverbotszone. Damit wurde der Startschuss für eine offene imperialistische Aggression gegeben. Dabei geht es nicht um einen „humanitären Einsatz“ zur Verteidigung der libyschen Bevölkerung und schon gar nicht um eine Unterstützung für die Revolution. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Der Imperialismus versucht vielmehr mit dieser militärischen Intervention seinen Einfluss in der Region wieder zu festigen, um in der weiteren Folge die begonnene Revolution im Keim zu ersticken. Wir lehnen diese imperialistische Intervention ab. Die libysche Bevölkerung selbst und niemand anderer muss Gaddafi stürzen. Die Wahrheit ist, dass die anfängliche revolutionäre Dynamik, die im Osten des Landes ihren Ausgangspunkt nahm, an Schwung verloren hat, und die konterrevolutionären Elemente im Übergangsrat die Initiative an sich reißen konnten und dieser nun das Schicksal des libyschen Volkes dem westlichen Imperialismus übertragen hat. Daher:
Nirgendwo hat die Arabische Revolution größere Panik ausgelöst als in Israel. Die stärkste Militärmacht in der Region war starr vor Schreck angesichts der Ereignisse in Ägypten. Israels herrschende Clique musste mit ihren Aussagen über die Situation in Ägypten äußerst vorsichtig sein. Benjamin Netanjahu ordnete seinen Ministern an, keine öffentlichen Statements zu machen. Israel appellierte sogar an die Vereinigten Staaten und einige EU-Länder, ihre Kritik an Präsident Mubarak zu mäßigen. Jerusalem versuchte verzweifelt seine Verbündeten davon zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse sei Mubarak zu unterstützen und die Stabilität des ägyptischen Regimes zu gewährleisten. Dies lief aber den Interessen der USA und der EU zuwider. Diese waren ab einem gewissen Punkt zu der Auffassung gelangt, dass ein „geordneter Übergang“ nötig sei, um einen revolutionären Umsturz zu verhindern. Nach Marx kann niemand frei sein, solange er jemand anderen unterdrückt. Israel herrscht über eine zahlenmäßig große, unzufriedene palästinensische Bevölkerung. Diese sieht nun im Fernsehen, dass Tyrannen zu Fall gebracht werden können. Im Westjordanland werden die PalästinenserInnen zwar noch mit Hilfe der Polizeikräfte der palästinensischen Autonomiebehörden unter Kontrolle gehalten. Allerdings ist nicht klar, ob die palästinensischen und israelischen Sicherheitskräfte wirklich in der Lage sind, eine breite Demokratiebewegung niederzuschlagen – schließlich weigerte sich auch die ägyptische Armee auf DemonstrantInnen zu feuern. Der Separatfrieden zwischen Israel und Ägypten von 1979 war ein Verrat an der palästinensischen Sache. Er ist in großen Teilen der arabischen Welt sehr unpopulär. Die Rückendeckung von Ägypten war ein wichtiger Faktor, um die israelische Besatzung über die 1967 eroberten palästinensischen Territorien aufrecht zu erhalten. Der Vertrag von Oslo zwischen Israel und den Palästinensern aus dem Jahr 1993 bedeutete einen erneuten Verrat. Die sogenannten palästinensischen Autonomiegebiete sind nicht mehr als eine Variante der südafrikanischen „Bantustans“, eine Karikatur der „Homelands“. Sie sind nicht in der Lage, die elementarsten Bedürfnisse der palästinensischen Bevölkerung zu befriedigen. Israel blieb Herr im Hause und behielt die Kontrolle. Dadurch kam die palästinensische Bevölkerung vom Regen in die Traufe. Der Sturz von Israels mächtigstem Verbündeten in der Region hat nun die ganze Situation verändert. Die israelische Regierung ist geschwächt; der bisher tief sitzende Glaube an die Möglichkeit einer immerwährenden Besetzung der palästinensischen Gebiete ist erschüttert. Jahrzehnte des so genannten bewaffneten Kampfs und der Verhandlungen haben kein Ergebnis gebracht. Erst durch die revolutionäre Bewegung erscheint die palästinensische Frage wieder in einem neuen Licht. Die herrschende Clique in Israel ist nicht so sehr besorgt über die Raketen und SelbstmordattentäterInnen der Hamas. Ganz im Gegenteil, jede Rakete, die in einem israelischen Dorf einschlägt, hilft der Regierung, die öffentliche Meinung in Israel hinter sich zu bringen. Eine palästinensische Intifada, ein Aufstand der Unterdrückten, vor dem Hintergrund einer Revolution in Ägypten und Jordanien würde die Lage komplett verändern. Von einem rein militärischen Standpunkt aus ist Israel unbesiegbar. Im Falle eines Krieges mit Ägypten wäre ein Sieg Israels sehr wahrscheinlich. Aber wäre ein Sieg über DemonstrantInnen, die ihre Rechte auf den zentralen Plätzen der West Bank, von Gaza und Israel selbst einfordern, ebenso sicher? Diese Frage muss den israelischen Politikern und Generälen schlaflose Nächte bereiten. Der Fall Mubaraks hat einige sehr ernste Auswirkungen auf Israel. Im besten Fall muss der Verteidigungshaushalt erhöht werden, um sich gegen die – in den Augen der israelischen Führung – erhöhte Kriegsgefahr in der Region abzusichern. Dies wäre eine gewaltige Belastung für die israelische Wirtschaft, die schon seit geraumer Zeit in einer tiefen Krise steckt. Neue Kürzungen und Angriffe auf den Lebensstandard der Bevölkerung wären die Folge, und damit letztlich die Intensivierung des Klassenkampfes in Israel. Netanjahu präsentiert sein Land gern als Hort der Demokratie und der Stabilität, das gegenüber der Revolution immun sei. Im Grunde jedoch ist Israel nur ein weiteres Land im Nahen Osten, das von der revolutionären Welle bedroht ist. Die Lebenshaltungskosten in Israel zählen zu den höchsten der Welt, nicht zuletzt durch die jüngsten Preiserhöhungen für Kraftstoff und Wasser. Die Führung der israelischen Gewerkschaft Histadrut dachte bereits laut über die Ausrufung eines landesweiten Generalstreiks nach. Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten werden tief greifende Konsequenzen für die PalästinenserInnen haben. Sie wurden bisher von allen verraten, denen sie ihr Vertrauen schenkten – angefangen bei den vorgeblich befreundeten arabischen Regime bis hin zu ihren eigenen Führungen. Die neuesten Enthüllungen von Wikileaks haben die skandalöse Abhängigkeit des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas von den Israelis und den USA offenbart. Dies muss einen starken psychologischen Effekt auf die palästinensischen Massen haben. Seit nunmehr 40 Jahren übt die PLO ununterbrochen Verrat an der palästinensischen Sache. Hätte sie 1970 die Macht in Jordanien übernommen, die Geschichte der Region wäre anders verlaufen. Aber ihre kleinbürgerlich-nationalistische Führung lehnte es ab, gegen ihre „arabischen Brüder“ zu kämpfen. So konnte das jordanische Königshaus die Beduinen mobilisieren, welche mit Hilfe der pakistanischen Armee tausende PalästinenserInnen abschlachteten. Es ist eine bittere Wahrheit, dass mehr PalästinenserInnen von ihren arabischen „Brüdern“ als von den Israelis umgebracht wurden. Die gleichen Beduinen, die die PalästinenserInnen 1970 attackiert haben, protestieren nun gegen ihren König. Ehemalige Armeeoffiziere warnen das Regime davor, dass es, wenn es nicht schnell Zugeständnisse macht, das Schicksal der Regime Ben Alis und Mubaraks teilen wird. Dies zeigt, dass die Basis des haschemitischen Königshauses bereits bröckelt. Seine Herrschaft hängt an einem seidenen Faden. Die Bewegung breitete sich aus den Gebieten der Beduinen bis nach Amman aus, wo die PalästinenserInnen beheimatet sind, welche die Mehrheit der Bevölkerung Jordaniens ausmachen. Es ist an der Zeit, die Strategie und Taktik des palästinensischen Befreiungskampfes zu überdenken. Die PalästinenserInnen sind zornig und verbittert. Es gab mehrere Versuche, Mobilisierungen gegen Abbas im Westjordanland und gegen die Hamas im Gazastreifen durchzuführen, die aber brutal niedergeschlagen wurden. Selbst Solidaritätsdemonstrationen für die ägyptische und tunesische Revolution wurden von der Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verboten. Nun wurde eine Bewegung gegen die jetzigen Führer der palästinensischen Bewegung, gegen die israelische Besatzung und für die Einheit des palästinensischen Kampfes ins Leben gerufen. Sofort gewann diese Initiative auf Facebook die Unterstützung Zehntausender und rief zu Demonstrationen und Protesten auf. Für die PalästinenserInnen war eine Intifada in Ägypten ein lang ersehnter Traum, der sich nun erfüllte. Der Sturz der reaktionären arabischen Regime ist ein ernster Schlag gegen Israel und den US-Imperialismus. Nun sehen die PalästinenserInnen zum ersten Mal, wer ihre wahren Freunde sind: Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Bäuerinnen und Bauern der gesamten arabischen Welt. Diese Entwicklung markiert einen fundamentalen Wendepunkt in diesem Konflikt. Die PalästinenserInnen haben gesehen, wie ihr Befreiungskampf doch erfolgreich sein könnte; nicht mit Bomben und Raketen, sondern mit revolutionären Massenaktionen. Die ganze Stimmung wird sich verändern. Es wird neue Jugendbewegungen geben, die gegen die Hamas in Gaza und gegen die PLO-Führung im Westjordanland gerichtet sein werden. Die Idee einer neuen Intifada wird zunehmend an Einfluss gewinnen. Die ganze Situation in der Region wäre dann nicht mehr wiederzuerkennen. Für eine sozialistische Föderation! Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die sogenannten arabischen Nationen künstlich vom Imperialismus geschaffen. Diese Teilung basierte nicht auf natürlichen oder historischen Kriterien, sondern folgte den Interessen der imperialistischen Staaten. Das Sykes-Picot-Abkommen teilte den Irak, den Libanon, Syrien und Jordanien zwischen Frankreich und Großbritannien auf. In der Balfour-Deklaration von 1917 erklärte sich Großbritannien zudem mit den zionistischen Bestrebungen einverstanden in Palästina eine neue Heimstätte für das jüdische Volk zu errichten. Im Persischen Golf wurden eine Reihe kleiner Staaten mit großen Ölreserven etabliert. Die saudischen Monarchen waren ursprünglich Wüstenbanditen, bevor sie von dem britischen Zivilverwalter Percy Cox an die Macht gebracht wurden. Skrupellos haben die imperialistischen Mächte den lebendigen Körper der großen arabischen Nation zerstückelt und unter sich aufgeteilt. Die Arabische Revolution wird niemals siegreich sein, wenn sie nicht der Balkanisierung ihrer Region ein Ende setzt. Die Ketten des Imperialismus können aber nur gesprengt werden, wenn sich die Unterdrückten unter dem Banner der Sozialistischen Föderation der arabischen Welt sammeln. Ein mächtiges sozialistisches Commonwealth könnte hier entstehen – vom Atlantik bis an den Euphrat. Auf der Basis einer staatlichen Planwirtschaft würde die Arbeitslosigkeit effektiv bekämpft werden. Ein großes Reservoir ungenützter Arbeitskraft könnte nutzbar gemacht werden. Damit könnten die Probleme in den Bereichen Wohnbau, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur endlich gelöst werden. Mit der koordinierten Nutzung der Unmengen an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ressourcen könnten all diese Länder auf der Basis eines gemeinsamen Plans die Wüsten zum Blühen bringen. Eine neue kulturelle Revolution würde alle Errungenschaften der Vergangenheit in den Schatten stellen. Eine sozialistische Föderation mit voller Autonomie für alle Völker ist der einzige Weg, die nationalen und religiösen Konflikte in der Region beizulegen, die für Jahrzehnte das gemeinsame Leben der Menschen vergiftet haben und nur von einem Krieg zum nächsten führten. Muslime und Kopten, Sunniten und Schiiten, Palästinenser und Juden, Araber, Berber, Maroniten, Kurden, Turkmenen, Armenier und Drusen – sie alle werden ihren Platz in einer Föderation basierend auf absoluter Gleichheit haben. Daher:
Die Ägyptische Revolution ist die Antwort auf all jene SkeptikerInnen und intellektuellen Snobs aus dem Westen, die ständig vom „niedrigen Bewusstsein“ und der „politischen Apathie“ der breiten Massen gesprochen haben. Wir MarxistInnen wissen sehr gut, dass das menschliche Bewusstsein unter normalen Umständen alles andere als revolutionär ist. Im Gegenteil, es ist zutiefst konservativ. Der Widerstand gegen alle Veränderung ist uns als instinktive Überlebensstrategie aus der menschlichen Urgeschichte mitgegeben worden. Deshalb hinkt das Bewusstsein den Ereignissen in der Regel hinterher. Es verändert sich nicht allmählich – es ist nicht heute etwas revolutionärer als gestern und morgen etwas revolutionärer als heute. Genauso wenig wird Wasser, wenn es von 100 Grad auf 0 Grad Celsius abkühlt, zuerst zur Paste, dann zum Gelee, um schließlich zu erstarren. Eine derartige Vorstellung vom menschlichen Bewusstsein wäre metaphysisch und mechanisch. Die Dialektik lehrt uns, dass Dinge sich in ihr Gegenteil verwandeln können und kleine, scheinbar unbedeutende Veränderungen an einem bestimmten Punkt, in der Physik als „kritischer Punkt“ bekannt, explosive Veränderungen hervorrufen können. Das Bewusstsein ändert sich urplötzlich, wenn große Ereignisse es dazu zwingen. Wenn dies passiert, schließt das Bewusstsein schnell mit der Realität auf. Und genau dieser Bewusstseinssprung macht eine Revolution aus. Die breite Masse lernt nicht aus Büchern sondern aus Erfahrungen. In einer Revolution lernen sie viel schneller als unter normalen Umständen. Die ägyptischen ArbeiterInnen und Jugendlichen haben in wenigen Tagen des Kampfes mehr gelernt als in 30 Jahren „normaler“ Existenz. Auf den Straßen haben die Massen ein Bewusstsein für ihre eigene Stärke entwickelt. Sie haben die lähmende Angst vor der uniformierten Bereitschaftspolizei verloren, die von Wasserwerfern und Schlägerbanden in Zivil unterstützt wurde. Sie haben die Kräfte der Reaktion in der offenen Konfrontation zurückgeschlagen und besiegt. Die Revolution ist wie ein riesiges Laboratorium, in dem die verschiedenen, unklaren und miteinander konkurrierenden Forderungen, die von den verschiedenen Organisationen aufgestellt werden, getestet werden. Auf den Straßen entscheiden die Massen, welche Parolen passend sind und welche nicht. Wir werden denselben Prozess immer wieder sehen, nicht nur im Nahen Osten und in Nordafrika, sondern überall auf der Welt. Von Kairo bis Madison 1917 dauerte es etwa eine Woche, bis die Menschen in Indien erfuhren, dass in Russland eine Revolution stattgefunden hatte. Heute kann jeder die Revolution live im Fernsehen verfolgen. Die Situation im Nahen Osten hat weltweit einen enormen Einfluss auf die Menschen. So organisierten etwa die indischen Gewerkschaften und Linksparteien vor kurzem zum ersten Mal seit 32 Jahren einen Generalstreik für höhere Löhne und gegen steigende Lebenshaltungskosten. Allein in Neu-Delhi demonstrierten 200.000 Menschen. Obwohl Indiens Wirtschaft jährlich um 9 % wuchs, nahm die soziale Ungleichheit weiter zu, weil der Reichtum an der Spitze konzentriert wurde. In Tunesien und Ägypten droht die Kette des Kapitalismus an zwei ihrer schwächsten Glieder zu brechen. Die Bürgerlichen werden natürlich betonen, dass dies in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern nicht passieren kann, dass die Situation dort eine völlig andere ist usw. Ja, die Situation ist eine andere, aber nur dem Grade nach. Überall wird die ArbeiterInnenklasse und die Jugend vor derselben Entscheidung stehen: Entweder wir akzeptieren den systematischen Abbau unseres Lebensstandards und unserer Rechte – oder wir kämpfen dagegen an. Das Argument „Das kann nicht hier passieren“ entbehrt jeder rationalen Grundlage. Dasselbe wurde vor einigen Monaten von Tunesien gesagt, als dieses Land noch als das stabilste Nordafrikas galt. Und dieses Argument wurde auch im Bezug auf Ägypten wiederholt, selbst als Ben Ali bereits gestürzt worden war. Innerhalb weniger Wochen war klar, dass es sich um hohle Phrasen gehandelt hatte. Früher oder später wird sich die Frage in jedem Land Europas, in Japan, in Kanada und auch den Vereinigten Staaten stellen. Die Inflation steigt. Insbesondere die Lebensmittelpreise steigen. Das wird überall ernsthafte Folgen haben, vor allem aber in den armen Ländern. Der Weltbank zufolge werden in der kommenden Periode 44 Millionen Menschen zusätzlich in die äußerste Armut absinken. Millionen Menschen kämpfen um Nahrung, Arbeit und ein Dach über dem Kopf – das heißt, um die elementarsten Bedingungen einer halbwegs zivilisierten Existenz. Man möchte meinen, dass dies im 21. Jahrhundert kein großes Problem darstellen dürfte. Aber das altersschwache kapitalistische System schafft es nicht einmal mehr länger, diese Dinge auch nur in Europa und Nordamerika zu gewährleisten. Dies macht die kapitalistischen Gesellschaften zu einem sozialen Pulverfass. Die derzeitige Krise ist keine normale, zyklische Krise des Kapitalismus. Und auch die gegenwärtige Erholung der Wirtschaft ist nicht normal. Das Kapital versucht die ArbeiterInnen mehr denn je auszupressen, um das wirtschaftliche Gleichgewicht wieder herzustellen. Aber dadurch wird die gesamte Situation destabilisiert. Das erklärt zum Teil sowohl die Arabische Revolution als auch den Aufschwung des Klassenkampfs in Europa. Jedes Land der Welt ist von diesem Prozess betroffen. Es ist kein Zufall, dass China in den Chor derjenigen eingestimmt ist, die eine Rückkehr zur „Ordnung“ in Ägypten fordern. Teilweise geht es dabei um wirtschaftliche Interessen. Das chinesische Regime ist an weltweiter wirtschaftlicher Stabilität interessiert, weil es auch weiterhin viel Geld mit Exporten verdienen will. Aber darüber hinaus fürchtet Peking alles, was einen Auslöser für Streiks und Proteste in China selbst darstellen könnte. Die chinesischen Behörden haben daher jeden Protest unterdrückt und im Internet alle Nachrichten über Ägypten blockiert. Im Gegensatz dazu werden alle klassenbewussten ArbeiterInnen die Bewegung der tunesischen und ägyptischen ArbeiterInnen und Jugendlichen stürmisch begrüßen. Der psychologische Effekt der Ereignisse in der arabischen Welt kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Vielen Menschen, vor allem in den entwickelten kapitalistischen Staaten, erschien die Idee der Revolution als etwas Abstraktes und Fremdes. Die Ereignisse, die sich jetzt vor allen Augen auf den Fernsehbildschirmen abspielen, zeigen, dass die Revolution nicht nur möglich sondern notwendig ist. In Europa und den USA existiert ein brennender Hass auf die Finanzmagnaten, die sich schamlos hohe Extrazahlungen genehmigen, während der Rest der Gesellschaft zur Kasse gebeten wird. Dies zeigte sich jüngst sehr deutlich an den dramatischen Ereignissen im US-Bundesstaat Wisconsin. Es ist kein Zufall, dass die ArbeiterInnen aus Madison, der Hauptstadt Wisconsins, Losungen wie „Fight like an Egyptian“ skandierten. Das ist eine Antwort auf die rücksichtslosen Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse – während gleichzeitig von einer „wirtschaftlichen Erholung“ gesprochen wird. In Wisconsin gingen über 100.000 Menschen auf die Straße. Wir sahen auf den Demos Bilder von ArbeiterInnen mit Schildern, welche den Gouverneur in Anlehnung an den ägyptischen Diktator „Hosni Walker“ bezeichneten. Laut wurde skandiert: „Der Diktator von Wisconsin muss gehen!“ Ägyptische ArbeiterInnen haben sogar eine Solidaritätsbotschaft an die ArbeiterInnen von Wisconsin geschickt. Es gab SchülerInnenstreiks, spontane Kundgebungen, und es wurde sogar das Kapitol besetzt. Die Polizei, die entsandt wurde um die Demonstrationen aufzulösen, ging auf die Seite des Volkes über und nahm an der Besetzung teil. Auf ihren Jacken war „Cops for Labour“ zu lesen. Das ist eine äußerst bedeutsame Entwicklung. In Europa kam es im Zuge der Krise ebenfalls zu großen Bewegungen der ArbeiterInnen und der Jugend: in Griechenland acht Generalstreiks binnen zwölf Monaten; eine riesige Streikbewegung in Frankreich, die 3,5 Millionen ArbeiterInnen auf die Straße brachte; große Uniproteste in Großbritannien; ein Generalstreik in Spanien; die Bewegung der MetallarbeiterInnen in Italien. Erst kürzlich gab es den größten Generalstreik in Portugal seit dem Fall der Diktatur im Jahre 1974. Selbst in den Niederlanden waren 15.000 StudentInnen in Den Haag auf der Straße. Vor zwanzig Jahren freuten sich die Bürgerlichen über den Sturz des „Kommunismus“. Aber ihre Freude war verfrüht. Rückblickend wird der Fall des Stalinismus nur das Vorspiel für eine weitaus dramatischere welthistorische Entwicklung sein: Den revolutionären Sturz des Kapitalismus. Überall, auch in den Vereinigten Staaten, steckt das System in der Krise. Überall versucht die herrschende Klasse das volle Gewicht dieser Systemkrise auf die Schultern der ärmsten Bevölkerungsschichten zu laden. Die aktuellen Bewegungen in der arabischen Welt weisen frappierende Ähnlichkeiten mit den Massenbewegungen auf, die zum Sturz der stalinistischen Regime in Osteuropa führten. Auf dem Papier hatten diese Regierungen einen mächtigen Staatsapparat, große Armeen, Polizei und Geheimpolizei zu ihrer Verfügung – aber das war zu wenig, um sich an der Macht halten zu können. Auch werden alles Geld und alle Armeen der Welt die Herrschenden in Europa und den USA nicht retten, wenn die ArbeiterInnen sich erst daran machen, die Gesellschaft zu verändern. Die Massen haben in der Geschichte wieder und wieder die nötige Entschlossenheit und Kampfbereitschaft an den Tag gelegt, die es braucht, um die Gesellschaft zu verändern. Um siegreich zu sein, brauchen sie aber ein klares Programm und eine entsprechende politische Führung. Nur der Marxismus wird dieses Programm anbieten können, nur der Marxismus wird diese Führung hervorbringen. Die Zukunft ist unser.
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