Kategorie: Afrika

Aufruhr kennt keine Grenzen: Die Arabische Revolution hat begonnen

Welch ein gewaltiger revolutionärer Auftakt für das neue Jahr. Erst fegt die spontane Massenbewegung in Tunesien den Diktatur Ben Ali aus Amt und Land. Dann machen Millionen Menschen in Ägypten Geschichte, mischen sich aktiv ein und erschüttern die 30 Jahre alte Mubarak-Diktatur. Die Zusammenstöße in Ägypten und Massenbewegungen in anderen arabischen Ländern dauern an. In Ägypten droht ein offener Bürgerkrieg.



Völlig überrascht, verdutzt und passiv müssen die westlichen Regierungen mit ansehen, wie zwei ihrer wichtigsten Verbündeten und Stützen in der Nahost-Region von einer Revolution erfasst werden. Die Revolution breitet sich in der arabischen Welt zunehmend aus. Bei Redaktionsschluss hat die Bewegung bereits Jordanien und Jemen erfasst, wo die Herrschenden in eifrige Betriebsamkeit verfallen sind, um durch personelle Veränderungen in der Regierung oder zaghafte Reformen von oben eine Revolution von unten zu verhindern.

Mubarak und der Westen

Plötzlich zeigen sich westliche Staatsführer, die Mubarak jahrzehntelang mit Geld und Rüstung unterstützten und gerne seine Rückendeckung für den Krieg in Irak und Afghanistan in Anspruch nahmen, „tief besorgt“ und entdecken, dass auch in Ägypten „Menschenrechte“ zu respektieren seien. Statt Freude darüber, dass Millionen Menschen in Nordafrika für ihre demokratischen und sozialen Rechte furchtlos auf die Straße gehen und hochgerüstete Regimes ins Wanken bringen, zeigen sich westliche Geschäftsleute, Politiker und Medien vor allem besorgt über die neue Instabilität in der ganzen Nahost-Region. Denn diese Region ist allein schon wegen der gewaltigen Ölreserven von zentraler Bedeutung für die kapitalistischen Industrieländer. Öl ist ihr Lebensnerv, der Suez-Kanal von geostrategischer Bedeutung.

Wenn die westlichen Regierungen jetzt plötzlich von „Menschenrechten“ reden, ist das ganz schön heuchlerisch. Sie haben das brutale Mubarak-Regime jahrzehntelang unterstützt, seine Armee und Polizei ausgerüstet und bei so viel Unterdrückung, Brutalität und Folter einfach weggeschaut. Mubarak war eine zentrale Figur bei der Farce von Friedensprozessen und dem Verrat an den Palästinensern. Die westlichen Imperialisten diktierten die Politik dieser angeblich „unabhängigen“ Regierungen in der Region.

Rückblick

In früheren Jahrzehnten gab es noch viele arabische Regierungen, die sich als „sozialistisch“ bezeichneten. Sie führten Verstaatlichungen und andere Maßnahmen im Interesse der Bevölkerungsmehrheit durch. Aber spätestens in den 1980er Jahren wurde dieser Prozess gestoppt. Vor dem Hintergrund der Schuldenkrise wurde 1987 die links-nationalistische Regierung von Habib Bourguiba in Tunesien gestürzt. An seine Stelle trat das Ben Ali-Regime, dass voll auf einen neoliberalen Kurs der „freien Marktwirtschaft“ einschwenkte.
Diese „Marktreformen“ steigerten die Ungleichheit, Armut und Arbeitslosigkeit zunehmend. Die Lebensmittelpreise schossen unter dem Druck der Wall Street und des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach oben. Mehr als 20 Jahre lang verordnete die Ben Ali-Regierung dem Volk diese neoliberale Medizin. Dadurch wurde die nationale Volkswirtschaft geschwächt und verarmte die Masse der Bevölkerung.

Auch in Ägypten fand ein ähnlicher Kurswechsel wie in Tunesien statt, als Präsident Anwar el Sadat 1970 Nachfolger des verstorbenen Präsidenten Gamal Abdel Nasser wurde und das Land zunehmend zu einem Satelliten der USA machte. Nach Sadats Tode setzte Hosni Mubarak diese Politik fort. Auch hier wurden die sogenannten „Wirtschaftsreformen“ 1991 von den USA diktiert. Von 80 Millionen Menschen in Ägypten lebt die Hälfte an oder unter der Armutsschwelle von einem Einkommen von zwei Euro Dollar pro Tag. Diese Verarmung und die extrem ungleiche Verteilung des Vermögens in der Gesellschaft bildete schließlich den Nährboden für die Revolution.
Ägypten, Tunesien und auch andere Regierungen der Region tanzten jahrelang nach der Pfeife des IWF und dienten den USA und der EU. All dies ist jetzt durch den revolutionären Aufbruch in Frage gestellt. Die Herrschenden der westlichen Welt und ihre Regierungen wurden auf dem falschen Fuß erwischt.

Domino-Effekt

Die Ängste der Imperialisten sind begründet. Revolutionen kennen keine Grenzen. Diese von Tunesien und Ägypten ausgehende Bewegung zeigt in allen Ländern der Region Wirkung. Überall sind die Lebensverhältnisse der Bevölkerungsmehrheit so unerträglich geworden und hat sich so viel Ärger und Frust angestaut, dass nur noch ein Auslöser gefehlt hat. So erklären sich auch die Massenproteste in Algerien, Jordanien und Jemen. In den korrupten Ölförderländern am arabischen Golf konzentriert sich unermesslicher Reichtum in wenigen Händen, während die Massen in der arabischen Welt unter Armut, Arbeitslosigkeit und Entbehrungen leiden. Diese Regimes sind ebenso unpopulär wie das Mubarak-Regime. Ein Sturz Mubaraks kann eine Kettenreaktion auslösen, bei der alle dieser Herrscher nacheinander stürzen. Kein Wunder, dass der Kooperationsrat der Arabischen Staaten des Golfes nichts sehnlicher wünscht als ein „stabiles Ägypten“.

Jüngste Enthüllungen über Geheimgespräche zwischen der PLO-Führung und Israel dürften das Unbehagen bei der Masse der Palästinenser gesteigert haben. Ihr Vertrauen in die Führung dürfte stark erschüttert sein, Die Bilder aus Tunesien und Ägypten werden das Denken vieler Palästinenser sicher beeinflussen. Denn die Taktik des sogenannten „bewaffneten Kampfes“, also der individuelle Terrorismus“, hat in die Sackgasse geführt. Mit Bomben und Geschossen ist der Sache des palästinensischen Volkes ebenso wenig gedient wie mit opportunistischer Diplomatie und Unterwürfigkeit. Die Palästinenser können sich nur auf ihre eigene Kraft verlassen. Eine neue Intifada, also ein Massenaufstand der Palästinenser, wird nun wieder wahrscheinlich.

So fürchtet vor allem auch die herrschende Klasse in Israel die Arabische Revolution. Mubaraks Ägypten war einer der engsten Verbündeten Israels in der Region, hat die israelische Gaza-Blockade aktiv unterstützt und die rechte PLO-Führung um Mahmud Abbas gefördert. Die herrschende Klasse in Israel hat keine Angst vor palästinensischen Selbstmordattentätern in Bussen oder Raketen der Hamas, weil sie damit die Existenz ihres Militärapparats rechtfertigen kann. Sie hat ihre eigene Bevölkerung immer bei der Stange gehalten mit dem Hinweis, dass ihr Staat Israel „weit und breit die einzige Demokratie“ sei und „die anderen uns töten wollen“. Eine revolutionäre Massenbewegung in den arabischen Ländern hingegen schafft ganz andere Tatsachen.

Was ist überhaupt eine Revolution?

Eine Revolution ist nichts Romantisches, sondern ein gesellschaftlicher Umbruch, der scheinbar plötzlich eintritt, aber sich über lange Zeit aufgebaut hat. Auch wenn sie meistens spontan ausbricht, ist ihr Ausgang nicht vorherbestimmt, sondern offen und vom Willen und der Entschlossenheit und Organisation der handelnden Akteure abhängig. Zu einer Revolution gehört, dass die Masse der Arbeiterklasse und der Bevölkerung die sozialen und politischen Verhältnisse so unerträglich findet, dass sie sich aktiv einmischt. Hierbei ist die wirtschaftliche Unzufriedenheit nur ein Teil einer breiteren politischen Unzufriedenheit. Die Wut über mangelnde Gerechtigkeit, Ungleichheit und die Korruption des Mubarak-Regimes sitzt tief. In Anlehnung an Lenins Schrift „Staat und Revolution“ lassen sich vier entscheidende Kennzeichen einer Revolution auflisten:
  1. Spaltung der herrschenden Klasse und ihres Regimes. Sie stecken in einer tiefen Krise und können so nicht mehr weiter regieren. Während die einen die Bewegung mit brutaler Härte zerschlagen wollen, raten die anderen zu vorsichtigen und dosierten „Reformen von oben“, um Dampf aus dem Kessel zu nehmen.
  2. Die Mittelschichten, die in „normalen“ und „ruhigen“ Zeiten loyal zu den „Oberen“ halten, schwanken zwischen der herrschenden und der unterdrückten Klasse und sympathisieren mit den revolutionären Kräften. Damit schwindet jegliche noch vorhandene gesellschaftliche Stütze des Regimes.
  3. Die Arbeiterklasse hat keine Angst mehr und ist bereit, unter größten Opfern den Kampf aufzunehmen.
Diese objektiven Bedingungen für eine Revolution sind in Tunesien, Ägypten und anderen Ländern der Region vorhanden. Die Macht liegt auf der Straße. Die Bewegung ist spontan ausgebrochen. Das allein reicht jedoch nicht für einen erfolgreichen Ausgang der Revolution aus. Dazu ist eine starke linke, revolutionäre Organisation und Führung nötig, die die Kräfte bündelt und die Macht übernimmt und absichert. Ohne eine solche Führung und ohne klaren Plan und Perspektive kann sich die Situation in verschiedene Richtungen weiterentwickeln und drohen der Revolution auf Dauer tödliche Gefahren. Kurz vor Redaktionsschluss erfahren wir, dass sich das Mubarak-Regime in Kairo mit brutaler Gewalt an der Macht halten will und seine Nutznießer und Unterstützer als Kräfte der Konterrevolution gegen die demonstrierenden Massen einsetzt. Dies zeigt, dass eine Revolution kein Sonntagsspaziergang ist und die Herrschenden und Privilegierten in aller Regel nicht freiwillig abtreten, sondern sich mit Zähnen und Klauen an der Macht halten wollen und dabei auch über Leichen gehen. Die ägyptischen Massen, die so viel Energie und Opferbereitschaft an den Tag gelegt haben, sind gut beraten, wenn sie sich nicht einlullen und einschüchtern lassen. Sie können sich nur auf die eigene Kraft verlassen. Ein landesweiter Generalstreik ist nötig, um das Regime zu endgültig stürzen.

Eines ist indes sicher: In Ägypten wird nichts wieder so sein wie vorher. Der Geist ist aus der Flasche und er kann nicht wieder eingefangen werden. Die Massen haben ihre kollektive Macht auf der Straße gespürt. Das prägt, macht Mut und zeigt: Revolutionen gehören nicht der Vergangenheit an, sondern stehen gerade auch im 21. Jahrhundert weltweit auf der Tagesordnung.

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