Die Opposition, die gespalten auftrat und die Wahlen überwiegend boykottierte, gewann nur zwei bedeutende Bürgermeisterämter, das in San Cristobal, der Hauptstadt von Táchira, und das in Libertador, der Hauptstadt von Mérida. Die reaktionäre proimperialistische Opposition beendet das Jahr 2017 extrem zersplittert, ihre Mitglieder sind äußerst demoralisiert und es fehlt nach dem Scheitern des Sturzes der Regierung Maduro in der ersten Hälfte des Jahres eine klare Strategie.
Revolutionäre linke Kandidaten gegen die Bürokratie
Die Schwäche der Opposition machte den Weg frei, um die aufgestauten Widersprüche innerhalb des bolivarischen Lagers in den Fokus zu rücken. In einigen Städten kam es zu einer Kampfansage von Vertretern des Chavismus (Chavismo) an die offiziellen Kandidaten der PSUV.
In der Hauptstadt Caracas kandidierte Eduardo Samán für das Bürgermeisteramt in Libertador, das den größten Teil der Stadtmitte und die Wohngebiete der ArbeiterInnen und der Armen im Westen Caracas umfasst. Samán, ein früherer Regierungsbeamter und Minister unter Chavez, ist für seine heftige Opposition gegenüber die Kapitalisten und multinationalen Konzernen, seinen Kampf gegen das organisierte Verbrechen und für die Verteidigung der ArbeiterInnenkontrolle bekannt. Er kandidierte sowohl auf der Liste der PPT (Vaterland für Alle) als auch auf der der Kommunistischen Partei (PCV).
Sein Wahlkampf wurde vom Staat und der PSUV-Bürokratie behindert und es wurde alles unternommen, ihn nicht in den Medien zu Wort kommen zu lassen. Darüber hinaus erschien sein Name nicht auf den Wahlzetteln! Im Endeffekt erreichte er einen Stimmenanteil von 6,6% gegenüber 66% für die offizielle PSUV-Kandidatin Erika Farias. Trotzdem gelang es in seinem Wahlkampf mit vereinten Kräften den überwiegenden Teil der revolutionären Linken aus den Reihen des Chavismus in Caracas zu sammeln.
Andere linke Herausforderer der offiziellen PSUV-Kandidaten waren Jesús Silva für den Rat in Moran (Bundesstaat Lara), der mit 16% der Stimmen ein ordentliches Ergebnis erreichte. Im Wahlbezirk Cajigal (Bundesstaat Sucre) erhielt Augusto Espinoza, der Führer der örtlichen kommunalen Bewegung 51% der Stimmen und schlug damit den Vertreter der PSUV, der 45% erreichte. In Paez (Bundesstaat Apure) gewann der Kandidat der Revolutionären Strömung Bolivar und Zamora, Chema Romero, der in diesem Fall die Unterstützung der PSUV hatte, mit 61% der Stimmen.
Die skandalösesten Beispiele für bürokratische Manöver, mit dem Ziel linke Kandidaten zu verhindern, ereigneten sich in Libertador (Bundesstaat Monaga) und in Simon Planas (Bundesstaat Lara). Im ersten Fall gewann der von der PCV unterstützte Kandidat Régulo Reyna 62% der Stimmen, der Kandidat der PSUV 30%. Unglaublicherweise behauptete der Nationale Wahlrat (CNE) nach der Wahl, dass die Verfassungsgebende Versammlung, deren gewähltes Mitglied Reyna ist, ihm nicht die Erlaubnis erteilt habe, bei den Wahlen zu kandidieren. Obwohl seine Kandidatur vom CNE akzeptiert und er nicht über irgendwelche Hinderungsgründe informiert worden war, so dass sein Name auf dem Wahlzettel stand, erklärte der CNE seine Kandidatur für unwirksam und erklärte den früheren Kandidaten der PCV Presilla zum Sieger. Da Presilla sich weigerte an dieser Farce mitzuwirken, ernannte der CNE einen provisorischen Bürgermeister. Die PCV und die Bevölkerung sind über dieses Vorgehen empört und kämpfen weiter darum, den Sieger Reyna anerkannt zu bekommen.
Im Fall von Àngel Prado in Simón Planas (Bundesstaat Lara) ist die Situation ebenso skandalös. Prado spielt eine führende Rolle in der kommunalen Bewegung in dieser Stadt, zu der tausende armer Bauern und ArbeiterInnen gehören. Er wurde mit großer Unterstützung im Juli 2017 in die Verfassungsgebende Versammlung gewählt. Danach sammelte tausende Unterschriften, die seine Kandidatur für das örtliche Bürgermeisteramt unterstützten. Der Nationale Wahlrat machte eine Kehrtwendung und behauptete, er benötige die Erlaubnis der Verfassungsgebenden Versammlung, um zu kandidieren. Trotz der überwältigenden Unterstützung für seine Kandidatur und der Tatsache, dass viele Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung Kandidaten waren, verweigerte ihm die Präsidentin der Versammlung das Recht zu kandidieren.
Prado, der sich auf die massive Mobilisierung der armen Bauern vor Ort stützt, bestand darauf, dass er auf der Liste der PPT kandidieren wolle und jeder der die PPT wähle, würde für ihn stimmen. Der CNE druckte dann Wahlzettel, auf denen die PPT den offiziellen PSUV-Kandidaten unterstützte. Jedoch trotzten 57% der WählerInnen dieser kafkaesken Situation und stimmten für die PPT und nur 34% für die PSUV. Da aber Prados Name nicht auf den Wahlzetteln stand, bestand der CNE darauf, dass der PSUV-Kandidat Jean Ortiz der Wahlgewinner sei. Daraufhin umzingelten die Massen das örtliche Rathaus, um zu verhindern, dass er vereidigt wurde. Seitdem sind tausende nach Caracas marschiert, haben der Verfassungsgebenden Versammlung und dem Präsidenten eine Petition überreicht und geschworen, nicht aufzugeben bis der rechtmäßige Sieger in sein Amt eingesetzt wird.
Lektionen aus dem Kampf bei den Kommunalwahlen
All diese Konflikte und Spannungen innerhalb der chavistischen Bewegung offenbaren eine Anzahl interessanter Aspekte, obwohl diese sich nur auf einer Minderheit von Kommunen beschränkten.
Erstens, dass die Staats- und Parteibürokratie um jeden Preis an der Macht bleiben will und jeden potenziellen Herausforderer aus der linken Bewegung verhindern wird. Die Maßnahmen, die gegen diese KandidatInnen angewandt werden, ähneln denen, die während der Vierten Republik bis 1998 durchgeführt wurden: politische Patronage, Einschüchterung und Drohungen, Medienabschaltungen, die Verwendung von Staatsressourcen, um Menschen zu überreden, den richtigen Kandidaten zu wählen etc.
Zweitens existiert eine weitverbreitete Stimmung der Wut und der Unzufriedenheit unter den Mitgliedern bolivarischen Bewegung gegenüber der Bürokratie und den Reformisten in der Partei- und Staatsführung, die sich in ihren Augen immer weiter von den ehrlichen Idealen der Bewegung entfernen. Das geht einher mit der tiefen Wirtschaftskrise und der Tatsache, dass die Regierung den Kapitalisten und Teilen der rechten Opposition immer weitere Zugeständnisse macht. Obwohl diese linke revolutionäre Bewegung noch größtenteils unorganisiert und versprengt ist, so haben doch die Kampagne für diese Kandidaten bei den Kommunalwahlen und der anschließende Kampf zur Verteidigung ihrer Siege einen Kristallisationspunkt für den revolutionären linken Chavismus geschaffen und vielleicht zum ersten Mal ein nationales Netzwerk aufgebaut.
Es ist kein Zufall, dass die revolutionäre Linken in ländlichen Gebieten, wo sie enge Beziehungen zu den Kommunen – den Zusammenschlüssen selbstorganisierter Gemeinden – haben, besser organisiert sind. Sie sind in der Lage zumindest Grundnahrungsmittel zu produzieren, um so die schlimmsten Auswirkungen des wirtschaftlichen Niedergangs zu vermeiden. In den Städten hat es andererseits der Kampf um das tägliche Überleben den bolivarischen Massen schwergemacht, sich politisch zu engagieren.
2018: Präsidentschaftswahlen und Wirtschaftskrise
Mit Beginn des Jahres 2018 hat die Niederlage der Offensive der Opposition im ersten Halbjahr 2017 keine grundlegenden Probleme, vor denen die Bolivarische Revolution steht, gelöst. Die tiefe Wirtschaftskrise wird durch die von Washington getroffenen Sanktionen verschlimmert und hat die Regierung zu neuen Verhandlungen über die Auslandsschulden gezwungen. Die Politik Maduros hat sich bei der Schwächung der rechten Opposition effektiv erwiesen und deshalb ist es wahrscheinlich, dass es im kommenden Jahr früh zu Präsidentschaftswahlen kommen wird. Aber in Wirklichkeit hat die Regierung der Kapitalistenklasse in vielen wichtigen Aspekten bereits Zugeständnisse gemacht.
Im staatlichen Ölkonzern PDVSA wurde eine Offensive gegen die Korruption gestartet, in deren Folge ein Dutzend hochrangiger Beamter und sogar der Geschäftsführer des Unternehmens und der Ölminister angeklagt wurden. Es bestehen keine Zweifel, dass es auf allen Ebenen des Konzerns Korruption gibt, aber es drängt sich der Eindruck auf, dass diese Kampagne auch ein Teil der internen Säuberungsaktion gegen Rafael Ramirez ist. Dieser war venezolanischer Botschafter bei der UN (eine Position, die er gezwungenermaßen aufgeben musste) und früherer Geschäftsführer der PDVSA sowie Ölminister und deshalb eine mächtige Person, gegen die ebenfalls ein Strafverfahren eingeleitet wurde.
In der Zwischenzeit hat die Zentralbank eine verrückte Politik des unkontrollierten Gelddruckens verfolgt, so dass die Regierung Weihnachtsgratifikationen bereits vor den Kommunalwahlen vom 10. Dezember auszahlen konnte. Das hat natürlich die bereits bestehenden Probleme mit der Hyperinflation verschärft. Zwischen dem 20. Oktober und dem 08. Dezember hat sich die Geldmenge verdoppelt, wobei sie in fünf aufeinander folgenden Wochen wöchentlich um 9% stieg! Die Geldmenge hat sich in den ersten 11 Monaten des Jahres um 800% erhöht und um 12.000% seit Maduro 2013 gewählt wurde.
Wir haben es in Venezuela in Wirklichkeit mit einer Regierung zu tun, die vermehrt bürokratische und autoritäre Methoden anwendet, um an der Macht zu bleiben und gleichzeitig viele Errungenschaften durch Zugeständnisse an die Oligarchie aufgibt. Wenn andererseits die Opposition an die Macht käme, würde diese einen allumfassenden Angriff starten, um die ArbeiterInnen und die Armen den vollen Pries für diese Krise zahlen zu lassen.
Die herrschende Klasse spielt mit dem Gedanken, den Geschäftsmann Lorenzo Mendoza bei den Präsidentschaftswahlen 2018 kandidieren zu lassen. Er ist einer der mächtigsten Kapitalisten im Lande und kontrolliert den Konzern Grupo Polar, der die Nahrungsmittelproduktion und -verteilung in Venezuela beherrscht. Er hielt sich in sicherer Entfernung zu den gewalttätigen Versuchen der Opposition zum Sturz der Regierung im ersten Halbjahr 2017. Er würde wahrscheinlich mit dem Slogan „Ein Geschäftsmann weiß, wie man die Wirtschaft führt“ kandidieren und vorgeben, unabhängig von der diskreditierten Gewalt der rechten Parteien zu sein.
Wie soll es weitergehen?
Wir haben schon seit Jahren davor gewarnt, dass die Politik der Regierung Maduro den Weg für eine Rückkehr der Oligarchie an die Macht bereitet. Der einzige Ausweg für die revolutionäre Linke in der bolivarischen Bewegung – die wir während des Kommunalwahlkampfs in ihrem Anfangsstadium beobachten konnten – ist die landesweite Organisierung auf der Grundlage eines klaren sozialistischen Programms.
Die Ereignisse im Jahre 2017 haben gezeigt, dass trotz der Rückschläge, welche die Massen erleiden mussten, ein gesunder Klasseninstinkt bei der Abwehr der brutalen Angriffe der Opposition, vorhanden ist. Die Arbeiterinnen und die Armen wissen genau, was ein Sieg der Oligarchie bedeuten würde und dass sie am Ende den Preis bezahlen müssen.
Dieser gesunde Instinkt wird auf zynische Weise von der Bürokratie, mit dem einzigen Ziel an der Macht zu bleiben, ausgenutzt. In dieser Situation muss jede Herausforderung seitens der Linken innerhalb des Rahmens der Bolivarischen Revolution stattfinden. Wenn sektiererische Fehler begangen werden, welche es der Bürokratie möglich machen, diese Gruppen und Tendenzen als Bestandteil der Opposition zu denunzieren, würden sie in den Augen der breiteren Massen diskreditiert werden.
Eine revolutionäre Opposition, die von den Mitgliedern der bolivarischen Bewegung ausgeht, muss als Kerngedanken die Zurückgewinnung der ehrlichen Tradition des Chavismus beinhalten, die von der Basisdemokratie und der Partizipation, die Rechenschaftspflicht der Führer, ArbeiterInnendemokratie und der Kampf gegen den Kapitalismus. Es ist die Bürokratie in der PSUV, welche das Erbe von Chavez verraten hat, nicht die linke Opposition, die innerhalb der Bewegung im Entstehen begriffen ist.
Der Ausgangspunkt einer Bewegung zur Erneuerung des Chavismus muss auf den letzten Erklärungen von Präsident Chavez basieren, in denen er davor warnte, dass zwei zentrale Aufgaben noch ausstehen: der Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft und die Zerstörung des bürgerlichen Staates. Es ist nicht die revolutionäre Linke, die mit der bolivarischen Bewegung gebrochen und ihre Prinzipien verraten hat, sondern vielmehr die Bürokratie.
Wenn die Kommunalwahlen vom Dezember 2017 dazu beigetragen haben, den Boden für eine solche Bewegung zu bereiten, dann wäre das ein guter Anfang.
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