Kategorie: Amerika |
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Zum Klassencharakter der venezolanischen Revolution |
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Hugo Chávez wird in der "revolutionären" Linken zumeist als "Linkspopulist" und bürgerlicher Bonapartist hingestellt. Man möchte hinzufügen, dass diese wenig durchdachten Bezeichnungen dazu dienen, die eigene "revolutionäre" Untätigkeit zu rechtfertigen. Dass ein solches Urteil der Realität nicht standhalten kann, soll hier gezeigt werden.
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Was die Bezeichnung - genauer: den Vorwurf - des "Linkspopulismus" betrifft, so wollen wir uns nicht lang damit aufhalten. Der Begriff ist bar jeder Wissenschaftlichkeit. Wenn damit eine Politik gemeint sein soll, die sich in Worten auf die Arbeiterklasse stützt, während sie andere Zwecke verfolgt, dann erklärt das noch lange nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse aus denen ein solches Régime hervorgehen soll und in wessen Klasseninteresse er steht. Für manche Linke, desorientiert nach den Erfahrungen des Zurückweichens der 1990er, mag die ungewohnte Rhetorik einer Revolution, die Massenmobilisierungen in den bunten Nationalfarben und die endlose Begeisterung des Volks für Hugo Chávez befremdend wirken. Sie ziehen daraus den Schluss, dass Chávez die Bewegung für sich instrumentalisiert, dem Volk "nach dem Munde redet", um seine Macht zu sichern. Im Wesentlichen ist das nichts anderes als der Standpunkt der Oligarchie und des Imperialismus. Im Economist hieß es über Chávez einmal, dass er sich die Stimmen des Volks durch Sozialprogramme erkaufe. Doch manchmal kommt das Unverständnis in scheinbar wissenschaftlicherem Gewande daher. Die marxistische Kategorie des Bonapartismus wird hervorgezaubert, um zu erklären, warum Chávez im Grunde nur die Arbeiterklasse für seine eigenen bürgerlichen Zwecke benutzt und warum sein Verrat an der Revolution schon vorgezeichnet ist. Schlagen wir bei den Klassikern nach. Was genau ist eigentlich mit dem Begriff Bonapartismus gemeint? Wir wollen zunächst die Theorie des Bonapartismus, wie sie von Marx, Engels, Lenin, Trotzki und Ted Grant entwickelt wurde, anhand verschiedener historischer Präzedenzfälle kurz zusammenfassen und dann eine klassenmäßige Einschätzung der venezolanischen Revolution vornehmen. Marx und Engels Karl Marx entwickelte in der Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution von 1848 bis 1851 das politische Phänomen des Bonapartismus. Der Begriff versucht die absolute Herrschaft des Einzelnen aus dem Verhältnis und der Entwicklung gesellschaftlicher Kräfte zu erklären. Die konkrete Form, die diese Herrschaft annehmen kann, ist dabei abhängig von der jeweiligen historischen Stufe der Gesellschaftsentwicklung, und davon, ob sie aus der Geburtskrise eines Regimes oder der Krise seines Niedergangs hervorgeht. Während die idealistisch inspirierte Geschichtswissenschaft die Macht des Einzelnen, seine politische wie persönliche Biographie, seine Launen und Marotten in einem zufälligen Durcheinander geschichtlicher Willkür auflöst, zeigte Marx, welche Kräfte die Grenzen für jede Form der politischen Herrschaft bestimmen. Dies gilt auch für Regimes, welche scheinbar über der Gesellschaft schweben und alle Klassen und Gesellschaftsgruppen ihrem unbedingten Diktat unterworfen haben. Im "Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte" beschreibt Marx eine Form des Bonapartismus, wie sie in den Auseinandersetzungen der Bourgeoisie mit allen übrigen Klassen, allen voran dem Proletariat, entsteht. Die Bauernklasse, die erdrückende, seit der Großen Revolution zumeist konservative Mehrheit, bildet den Hintergrund der Ereignisse. Auf sie sollte sich "Napoléon Le Petit" letztlich stützen. Das Proletariat hat gerade erst begonnen, sich seiner historischen Aufgaben bewusst zu werden und betritt noch in Person des proletarischen Handwerkers die politische Bühne. Marx unterscheidet diese gesellschaftlichen Bedingungen klar von jenen, die nach der ersten französischen Revolution den Onkel an die Macht gebracht haben und stellt die Herrschaft des "Chefs des Lumpenproletariats" als lächerliche Imitation des klassischen Bonapartismus dar. Der "klassische Bonapartismus" ging aus einer sozialen Revolution hervor, brachte den Bauern Land und den Soldaten der Eroberungskriege Ruhm. Die Variante des Neffen versuchte nur in der Sprache der Großen Revolution etwas viel Kleineres zu vollbringen. Die Revolution von 1848 war eine politische Umschichtung innerhalb der herrschenden Klasse, keine fundamentale Umwälzung. Dies ist nicht der Ort, der Geschichte der zweiten französischen Republik bis zu ihrem Untergang im einzelnen nachzugehen. Es soll genügen, die wichtigsten Stationen in der Interpretation Marxens zusammenzufassen. Es ist die Geschichte einer bürgerlichen Klasse, die die Staatsgewalt unter ihre direkte Kontrolle bringen wollte, ohne vom "Volk" unmittelbar politisch abhängig zu sein. Dazu hatte sich die Methode des bürgerlichen Parlamentarismus über Jahrhunderte in England bewährt. Marx erkannte, dass die Republik - würde sie nicht unter zu direktem Druck des Volkes stehen, die ideale Regierungsform der verschiedenen Fraktionen des Kapitals sei, um gemeinsam regieren zu können. In der Zeit seit der ersten französischen Revolution war aber der "Totengräber" der bürgerlichen Herrschaft, das Proletariat, auf den Plan der Geschichte getreten. Die politischen Herrschaftsgelüste der Bourgeoisie wurden durch den unberechenbaren Faktor des Proletariats in die Schranken gewiesen. Schon in der ersten französischen Revolution war die Macht in die Hände einer anderen Klasse, des kleinbürgerlichen Radikalismus, gefallen. Diese hatte, gründlicher als es die Bourgeoisie vermocht hätte, mit dem Feudalismus gebrochen. Die Gefahren des Radikalismus saßen dem Bourgeois, der sich mit dem Hause Orléans bereits arrangiert hatte, noch in den Knochen. Und mit dem jungen Proletariat hatte er einen zunehmend selbstbewussten Gegner vor sich. Die demokratischen Forderungen des Februars 1848, wenn sie sich nicht mehr eindämmen ließen, mussten in ungefährliche Bahnen gelenkt werden. Im Kampf mit der Demokratie zentralisierte die Großbourgeoisie im Laufe der Jahre 1848 bis 1851 die Macht auf sich, während die restlichen gesellschaftlichen Gruppen ohnmächtig zusehen mussten. Die einzige echte Opposition gegen diesen Prozess, die junge Arbeiterklasse, war im Juni 1848 durch eine Koalition aller anderen gesellschaftlichen Gruppen niedergemetzelt worden. Als die politischen Errungenschaften der Republik nach und nach rückgängig gemacht wurden, konnten die republikanische Bourgeoisie und das Kleinbürgertum keine Kräfte dagegen mobilisieren, ohne als "sozialistisch" gebrandmarkt zu werden. Selbst der bürgerliche Liberalismus galt plötzlich als "sozialistisch". "Die Bourgeoisie hatte die richtige Einsicht, dass alle Waffen, die sie gegen den Feudalismus geschmiedet, ihre Spitze gegen sie selbst kehrten" . Mit der revolutionären Energie zu spielen, welche in der Arbeiterklasse schlummerte, hätte die soziale Herrschaft der Bourgeoisie in Frage gestellt. Deshalb musste das Bürgertum die politische Herrschaft auf eine immer engere Basis stellen, bis die Republik zur Farce verkommen, schließlich unregierbar geworden war und durch einen coup d'état (Staatsstreich) hinweggefegt wurde. Folgen wir kurz dem Passionsweg der bürgerlichen Republik: Das Proletariat war bereits geschlagen, da fällt die Konstituierenden Versammlung durch militärische Erpressung, und mit ihr die republikanische Bourgeoisie. Die Junitage des Jahres 1849 enden für die kleinbürgerliche Demokratie in einer Schmach, die monarchistische Mehrheit der Nationalversammlung setzt sich über die republikanische Verfassung einfach hinweg. Im März 1850 fällt das allgemeine Wahlrecht, die Nationalversammlung wird zum Organ der Ordnungspartei, welche an ihren inneren Widersprüchen zwischen Legitimisten (Bourbonen) und Orléanisten desintegriert. Durch die politische Unsicherheit wird der Ruf nach einem Putsch durch Louis Bonaparte laut und der Chef des Pariser Lumpenproletariats, der seine Macht mit "Schnaps und Knoblauchswurst" zu sichern weiß, unterwirft das Land. Wie der Onkel stützt er sich dabei auf den Parzellenbauern und das "Übergewicht der Armee". Dabei ist der Parzellenbauer von 1851 jedoch bereits durch tausend monetäre Fäden vom städtischen Bürgertum abhängig. Die Exekutivmacht des Staats verselbständigt sich und scheint über den Klassen zu stehen. So sehr sie sich auch im konkreten gegen die literarischen und politischen Vertreter der Bourgeoisie wenden mag - man denke an die Pressezensur und die Verfolgung kritischer Journalisten, die betrunkenen Soldaten Bonapartes, welche die schaulustigen Bourgeois am Tage des Staatsstreichs auf der Straße zusammenschossen - die neue Herrschaft stellte für Marx dennoch eine entschieden bürgerliche Diktatur dar. Indem also die Bourgeoisie, was sie früher als "liberal" gefeiert, jetzt als "sozialistisch" verketzert, gesteht sie ein, daß ihr eignes Interesse gebietet, sie der Gefahr des Selbstregierens zu überheben, daß, um die Ruhe im Lande herzustellen, vor allem ihr Bourgeoisparlament zur Ruhe gebracht, um ihre gesellschaftliche Macht unversehrt zu erhalten, ihre politische Macht gebrochen werden müsse; daß die Privatbourgeois nur fortfahren können, die andern Klassen zu exploitieren und sich ungetrübt des Eigentums, der Familie, der Religion und der Ordnung zu erfreuen, unter der Bedingung, daß ihre Klasse neben den andern Klassen zu gleicher politischer Nichtigkeit verdammt werde; daß, um ihren Beutel zu retten, die Krone ihr abgeschlagen und das Schwert, das sie beschützen solle, zugleich als Damoklesschwert über ihr eignes Haupt gehängt werden müsse. Bonaparte versucht "bald diese, bald jene Klasse bald zu gewinnen, bald zu demütigen", "unklares Hinundhertappen" ist seine prinzipielle politische Methode. Er stützt sich dabei in ständigem Kampf mit der Bourgeoisie einerseits auf die Bauern, andererseits auf das Volk im allgemeinen. Die Widersprüche können aber nicht gelöst werden, es entsteht ein Regime der permanenten Krise: "Er ist jedoch nur dadurch etwas, daß er die politische Macht dieser Mittelklasse gebrochen hat und täglich von neuem bricht....Indem er ihre materielle Macht beschützt, erzeugt er von neuem ihre politische Macht." Der Bonapartismus "möchte als Wohltäter aller Klassen erscheinen" , und muss sich doch letztlich auf eine Produktionsweise, auf ein Prinzip der Eigentumsform stützen. Diese Betrachtungsweise lässt eine Charakterisierung eines Klassencharakters zu. Lenin und Trotzki Lenin und Trotzki führten Marxens Tradition fort. In Lenins Werk zur Staatstheorie, Staat und Revolution, fasst er für sich den Grundgedanken der Theorie noch einmal zusammen: Ausnahmsweise indes kommen Perioden vor, wo die kämpfenden Klassen einander so nahe das Gleichgewicht halten, dass die Staatsgewalt als scheinbare Vermittlerin momentan eine gewisse Selbständigkeit gegenüber beiden erhält. So die absolute Monarchie des 17. und 18. Jahrhunderts, so der Bonapartismus des ersten und zweiten Kaiserreichs in Frankreich, so Bismarck in Deutschland. Ähnlich Trotzki: Steckt man symmetrisch zwei Gabeln in einen Korken, dann kann er bei starken Schwankungen nach beiden Seiten sich sogar auf einem Stecknadelkopf halten: das eben ist das mechanische Modell des bonapartistischen Superarbiters. Der Grad der Solidarität einer solchen Macht, sieht man von internationalen Bedingungen ab, wird bestimmt durch die Stabilität des Gleichgewichts der antagonistischen Klassen im Innern des Landes. Bzw. andernorts: Gewiss, eine solche Regierung hört nicht auf, Kommis der Eigentümer zu sein. Doch sitzt der Kommis dem Herrn auf dem Buckel, reibt ihm den Nacken wund und steht nicht an, seinem Herrn gegebenenfalls mit dem Stiefel über das Gesicht zu fahren. Die Russische Revolution Für den russischen Marxismus war die korrekte Einschätzung des Charakters der verschiedenen einander ablösenden Perioden der Revolution von überlebenswichtigem Interesse. Es fand - unter dem Druck der revolutionären Massen - eine sukzessive Verschiebung der politischen Macht weg von den direkten bürgerlichen Vertretern in der Regierung hin zu den sich nach rechts entwickelnden kleinbürgerlichen Demokraten statt. Die im März 1917 (nach dem neuen Kalender) an die Macht gelangte Regierung präsentierte sich vor den Volksmassen als ihr Vertreter und suchte die Duldung durch die Arbeiterräte. Doch mit der Fortsetzung des Kriegs verflog bald der Einmütigkeitstaumel der Märztage. Das Verhältnis der relativen Stabilität verlor im Laufe seiner kurzen Existenz links und rechts an Unterstützung. Immer mehr bürgerliche Minister mussten im Interesse der Bourgeoisie und ihrer Kriegspolitik durch Sozialrevolutionäre und Menschewiki ersetzt werden. Die Bourgeoisie konnte ihre Herrschaft angesichts der Stärke der Massenbewegung nur mehr durch die Vertreter der kleinbürgerlichen Demokratie ausüben, die wiederum auf keinen Fall in Konflikt mit den wahren Herren - dem Großgrundbesitz, der Industrie und dem englisch-französischen Imperialismus - geraten wollte. Lieber heute als morgen hätten diese "Demokraten" mit den Sowjets Schluss gemacht, und doch gründeten sie ihre Legitimation auf die Zustimmung der Räte. In diesem Widerspruch gefangen, konnten sie das Land nicht mit bonapartistischem Terror unterwerfen. Als es Anfang Juli zu spontanen Arbeiterdemonstrationen kommt, beginnt eine Hetzjagd auf die Bolschewiki. Unter diesen spezifischen Bedingungen gelingt es Kerenski, zum Ministerpräsident einer mit "uneingeschränkten Vollmachten" ausgestattete Regierung aufzusteigen. Einerseits teilt er Schläge gegen die "deutschen Agenten", d.h. die radikale Arbeiterbewegung in Form der Bolschewiki aus, andererseits schreckt er seine eigene Massenbasis mit der Gefahr einer offenen Diktatur der Bourgeoisie. Der Menschewik Fedor Dan drückte es in jenen Tagen so aus: "Wir müssen ihr [der provisorischen Regierung] uneingeschränkte Vollmachten erteilen, damit sie die Anarchie von links und die Konterrevolution von rechts an der Wurzel untergrabe..." Was folgt, ist der verzweifelte Versuch, durch Zugeständnisse an die Bourgeoisie und ihre Generale die drohende Militärdiktatur zu verhindern: So wird beispielsweise die Todesstrafe an der Front eingeführt und ein Dekret erlassen, das den Abschluss von Bodentransaktionen einschränkt. Das Pendel schwingt weiter nach rechts, die Regierung zerfällt nach wenigen Wochen. Während Kerenski in der Moskauer Staatsberatung theatralisch seine Aufopferung für die Nation beschwört, lehrt draußen ein großer Streik der Nation das ungebrochene Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse. Die Bourgeoisie drängt bereits auf eine endgültige Abrechnung mit der Revolution, der Räteherrschaft, der Demokratie. Sie sucht nach einem starken Mann aus dem Militär, nach einem "echten" Louis Bonaparte. Sie glaubt ihn in der Borniertheit von General Kornilow gefunden zu haben, doch die Stärke der Arbeiterklasse verhindert letztlich seinen Sieg. Lenin schätzte nach den Julitagen die Situation so ein, dass sich das Land am Rande eines Bürgerkriegs befände, was die "klassische Grundlage für den Bonapartismus" wäre. Die ersten Schritte Richtung Bonapartismus seien von Kerenski schon gesetzt worden. Der Bonapartismus in Russland ist kein Zufall, sondern das natürliche Produkt der Entwicklung des Klassenkampfes in einem kleinbürgerlichen Land mit einem beträchtlich entwickelten Kapitalismus und einem revolutionären Proletariat. Geschichtliche Stufen wie der 20. und 21. April, der 6. Mai, der 9. und 10. Juni, der 18. und 19. Juni und der 3. bis 5. Juli sind alles Landmarkierungen, die sehr klar zeigen, wie die Vorbereitungen für den Bonapartismus getroffen werden. Es wäre ein sehr großer Fehler zu glauben, dass eine demokratische Situation den Bonapartismus ausschließen würde. Im Gegenteil, in genau einer solchen Situation (wie die Geschichte Frankreichs zweimal bewiesen hat) erhebt sich der Bonapartismus, unter einem gewissen Verhältnis, zwischen den Klassen und ihrem Ringen. Trotzki entwickelt in seiner "Geschichte der Russischen Revolution" diesen Gedanken genauer. Er ortet lediglich "Elemente des Bonapartismus" in Kerenskis Herrschaft. Als eigentlicher "Schicksalslenker" der Nation wartet aber Kornilow auf seinen 18. Brumaire. Kerenski ist für Trotzki deshalb kein ganzer Bonaparte, weil sich in seiner Person lediglich der vergängliche Moment des Gleichgewichts zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse ausdrückt. Er verfügt über keine materiellen Mittel, d.h. in erster Linie eine treue bewaffnete Formation, um diese Stabilität längerfristig aufrechtzuerhalten. Mit umso gewaltigeren Phrasen versucht daher der gelernte Advokat die Nation einzuschüchtern. Er musste an die russische Bourgeoisie und Russlands Verbündeten im Ersten Weltkrieg appellieren, ihnen zeigen, dass es ihm um die Fortsetzung des Kriegs ernst war. Trotzki fasste es so zusammen: "Ohne die Macht des Bonapartismus zu besitzen, besaß die Kerenskiade alle seine Laster." Zunächst schien es Ende Juli 1917 so, als ob der Höhepunkt der Verfolgung der Bolschewiki tatsächlich den Beginn der bonapartistischen Konterrevolution bedeuten würde. Es gab eine starke Dynamik in Richtung einer bonapartistischen Machtübernahme. Nur die erfolgreiche Mobilisierung gegen den Putsch General Kornilows, welche den Bolschewiki den Weg zur Macht ebnete, konnte die Militärdiktatur noch aufhalten. Der Weg zum Faschismus - Hindenburg, Brüning, Papen, Hitler Trotzki analysiert auch die politischen Krisenregimes der Zwischenkriegszeit mit dem Instrumentarium des Bonapartismus. In seiner Analyse des Aufstiegs des Faschismus in Deutschland erklärt er, dass die Regierungsformen vor der Machtübernahme Hitlers einen sich zuspitzenden bonapartistischen Charakter trugen. Die Regierung Brüning bezeichnet er als vorbonapartistisch, insofern als sie das Gleichgewicht der Klassen emporhob: "Im Reichstag fand Brüning eine Mehrheit, die ihn der Notwendigkeit enthob, mit dem Reichstag zu rechnen." Er regiert mit Notverordnungen am Reichstag vorbei. Schon in der Wiederwahl Hindenburgs liegen Elemente des Bonapartismus, zumal es ein Votum für einen starken Mann ist, der von vielen als Garant für die Verhinderung eines Bürgerkriegs gesehen wird. Dieser Prozess der Verselbständigung der Bürokratie vom Parlamentarismus führt schließlich dazu die Bande mit dem Reichstag zu zerreißen. (...) Mit dem rechten Ellbogen stützt sie [die Regierung von Papens] sich auf Hitlers Schulter. Mit der Polizeifaust wehrt sie sich auf der linken gegen das Proletariat. Darin liegt das Geheimnis ihrer "Stabilität", d.h. der Tatsache, dass sie im Moment ihrer Entstehung nicht zusammenbrach. Für Trotzki hielt es allerdings bereits zum Amtsantritt der Regierung Papen für wahrscheinlich, dass ihr nicht einmal die "Hundert Tage" beschieden sein werden. Als ähnlich instabil sollte sich die Regierung Schleicher erweisen. Der "klassische Bonapartismus" entwickelte sich unter Bedingungen, als der Bourgeoisie ihr historisches Produkt und "Totengräber", die Arbeiterschaft, noch nicht als numerisch und politisch starke Klasse gegenüberstand. Unter den konkreten Verhältnissen der Zwischenkriegszeit musste eine solche Regierung zwangsläufig ein Krisenregime darstellen. Die bloße Macht eines Polizeistaats würde mit der Arbeiterbewegung, die zwar geschwächt, aber nicht zerschlagen war, nicht fertig werden. Die Massenbewegung der organisierten Arbeiterklasse muss mit einer bewaffneten radikalen Massenbewegung bekämpft werden - zu diesem Schluss kommt die deutsche Bourgeoisie seit Anfang der 1930er Jahre immer klarer. Es handelt sich nach Trotzki aber nicht um die bloße "offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten Elemente des Finanzkapitals" (Dimitroff): Wie aber die Spitzen der liberalen Bourgeoisie seinerzeit außerstande waren, aus eigener Kraft mit Monarchie, Feudalität und Kirche fertig zu werden, so sind die Magnaten des Finanzkapitals außerstande, aus eigener Kraft mit dem Proletariat fertig zu werden. Sie brauchen die Hilfe des Kleinbürgertums. Zu diesem Zweck muss es aufgepeitscht, auf die Beine gebracht, mobilisiert und bewaffnet werden. Doch diese Methode ist gefährlich. Während die Bourgeoisie sich des Faschismus bedient, fürchtet sie ihn. Dies ist nicht der Ort, Trotzkis Faschismustheorie im Detail nachzuzeichnen. Für unsere Zwecke soll es uns genügen, das Verhältnis der einander ablösenden Regierungen zu analysieren. Die zugespitzten Klassenkämpfe unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise machten die Herrschaft der Bourgeoisie über parlamentarisch-demokratische Wege zunehmend unmöglich. Die bonapartistischen Regierungen erwiesen sich allerdings als zu schwach, um die Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit auszugleichen. Durch extra-staatliche Gewalt muss die Herrschaft der Bourgeoisie komplettiert werden. Einmal an der Macht, wendet sich der Faschismus gegen seine kleinbürgerlichen Kettenhunde ("Röhmputsch") und wandelt sich letztlich, wie Trotzki bereits im Zusammenhang des italienischen Faschismus feststellte, zu einer "militärisch-bürokratischen Diktatur bonapartistischen Typs" . Am Ende des faschistischen Kampfes um die Macht steht also erneut eine Form der bonapartistischen Herrschaft. Der qualitative Unterschied zwischen Papen und dem an die Macht gekommenen, stabilisierten Faschismus liegt darin, dass im ersten Falle das Gleichgewicht der Kräfte auf äußerst hohem Klassenkampfniveau entsteht. Papen ist bloßer "Knoten unpersönlicher geschichtlicher Kräfte" , ein Knoten, der jederzeit zerrissen zu werden droht. Trotzki erwartete auf der anderen Seite für den Fall, dass Hitler an die Macht kommen würde, "Erschütterungen, mit dem Risiko eines langwierigen Bürgerkrieges" . Angesichts der lähmenden Politik von SPD und KPD blieben diese Zusammenstöße aus. Hitler konnte ohne wesentlichen Widerstand der organisierten Arbeiterbewegung die bonapartistische Diktatur errichten. Am Ende thront die Hitlersche Bürokratie über der Gesellschaft, unterwirft Arbeiterklasse wie die Reste des freien Unternehmertums und stabilisiert sich angesichts des kriegsvorbereitungsbedingten Aufschwungs. Der ganze Prozess führte zu einer noch weitergehenden "politischen Expropriation" der herrschenden Klasse, des Bürgertums. Zwar machte Hitler sein Versprechen wahr und führte Deutschland in die Revanche für den Ersten Weltkrieg. Hier offenbart sich deutlich, welchem Herr er diente. Doch sollte sich dabei die nationalsozialistische Bürokratie mit Hitler an der Spitze so weit der Kontrolle durch die Bourgeoisie entziehen (Judenvernichtung, Kriegsstrategie), dass von einem Exekutivorgan des Finanzkapitals im direkten Sinne nicht gesprochen werden kann. Der faschistische Staat war eine besondere Form des Bonapartismus. Die Degeneration der Sowjetunion Die vorangegangenen historischen Beispiele vollzogen sich alle auf der Grundlage kapitalistischer Produktionsverhältnisse. Im Falle der Sowjetunion lag eine ganz andere Klassenkonstellation dem Prozess zu Grunde. Die wirtschaftliche Rückständigkeit und die Isolation nach dem Scheitern der ersten revolutionären Welle nach dem Weltkrieg bildeten den Hintergrund der Tragödie. Die (wenn auch undemokratisch organisierte) Planwirtschaft bot einen Spielraum für die Konsolidierung der Macht der Arbeiterbürokratie. Grundlage des bürokratischen Kommandos ist die Armut der Gesellschaft an Verbrauchsgegenständen mit dem daraus entstehenden Kampf aller gegen alle. Wenn genug Waren im Laden sind, können die Käufer kommen, wann sie wollen. Wenn die Waren knapp sind, müssen die Käufer Schlange stehen. Wenn die Schlange sehr lang wird, muss ein Polizist für Ordnung sorgen. Das ist der Ausgangspunkt für die Macht der Sowjetbürokratie. Sie "weiß", wem sie zu geben, und wer zu warten hat. Trotzki fasst den Werdegang seiner Analyse des Stalinismus in seiner Schrift "Arbeiterstaat, Thermidor und Bonapartismus" zusammen. Er räumt ein, dass er seine Einschätzung revidieren musste, auch deshalb, weil lange nicht klar war, in welche Richtung sich das Stalinsche Zentrum bewegen würde. Die Schwierigkeit bestand auch darin, dass es sich seiner Meinung nach um ein noch nie da gewesenes sozioökonomisches Phänomen handelte. Die Diskussionen der 1920er Jahre waren immer wieder in den Kategorien der Großen Französischen Revolution geführt worden. So mancher Teilnehmer hielt nach dem sowjetischen Thermidor Ausschau, mitunter ohne genauer zu definieren, was darunter eigentlich gemeint war. Trotzki weist darauf hin, dass es bei der Abfolge von Robespierre - Thermidor - Direktorium - Bonaparte nur um Verschiebungen der politischen Macht zwischen Handwerkertum, mittlerer Bourgeoisie und Finanzkapital handelte. Der Prozess vollzog sich auf der Grundlage der neuen bürgerlichen Eigentumsverhältnisse. Hinter dem Schreckgespenst, das oft als "Thermidor" in der russischen Diskussion auftauchte, verbarg sich die Gefahr einer kapitalistischen Restauration aus dem rechten Flügel der Sowjetbürokratie selbst. Die stalinistische Bürokratie regulierte nach Trotzki die Widersprüche, die sich "zwischen Stadt und Land, zwischen Proletariat und Bauernschaft (diese beiden Widerspruchspaare sind nicht identisch), zwischen den nationalen Republiken und ihren Distrikten, zwischen den verschiedenen Gruppen der Bauernschaft, zwischen den verschiedenen Gruppen des Proletariats, zwischen den verschiedenen Verbrauchergruppen und schließlich zwischen dem Sowjetstaat insgesamt und seiner kapitalistischen Umgebung" auftun, mehr noch: sie ist Produkt dieser Widersprüche. Und weiter: "Die Bürokratie reguliert diese Widersprüche, indem sie sich über die arbeitenden Massen erhebt." Die Logik der Zentralisation der Macht reißt jeden Aspekt der Gesellschaft in ihren Sog, wird totalitär: Die Widersprüche innerhalb der Bürokratie selbst haben zur Auslese eines kommandierenden Ordens geführt; die Notwendigkeit der Disziplin innerhalb dieses Ordens hat zur Herrschaft einer einzelnen Person und zum Kult um den unfehlbaren Führer geführt. Im Betrieb, im Kolchos, auf der Universität, in der Regierung, überall herrscht ein und dasselbe System vor: Der Führer und sein treues Gefolge - alle anderen folgen dem Führer. Stalin war nie Massenführer und konnte seiner Natur nach nie Massenführer sein; er ist der Führer der bürokratischen "Führer", ihre Krönung, ihre Personifizierung. Trotz aller Konterreformen im Überbau bestand Trotzki allerdings bis zu seiner Ermordung 1940 auf der Charakterisierung der UdSSR als "entarteter Arbeiterstaat unter der Diktatur der Bürokratie" : Historisch gesehen, wurde die Sowjetdemokratie letzten Endes durch den Druck der sozialen Widersprüche gesprengt. Das machte sich die Bürokratie zunutze und entriss den Massenorganisationen die Macht. In diesem Sinn kann man von einer Diktatur der Bürokratie und sogar von der persönlichen Diktatur Stalins sprechen. Doch diese Usurpation war nur möglich und ließ sich nur aufrechterhalten, weil der soziale Inhalt der bürokratischen Diktatur durch die Produktionsverhältnisse definiert wird, die die proletarische Revolution geschaffen hat. In diesem Sinne kann man mit vollem Recht sagen, daß die Diktatur des Proletariats in der Diktatur der Bürokratie unzweifelhaft ihren wie immer entstellten Ausdruck gefunden hat. Die Chinesische Revolution In China hatten die internationalen Kräfteverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg in Kombination mit der traditionellen Schwäche des chinesischen Bürgertums die Macht in die Hände der Kommunistischen Partei (tatsächlich eine von Kleinbürgern geführten Partei, die sich auf die Bauernschaft stützte) fallen lassen. Die Arbeiterklasse hatte an der Revolution praktisch keine Rolle gespielt. Der maoistische Hinweis auf die "Führung der Arbeiterklasse" lässt sich nur im historischen Maßstab rechtfertigen, weil Mao im Laufe des Prozesses zum Machterhalt Maßnahmen ergreifen musste, die nach der traditionellen marxistischen Vorstellung der Arbeiterklasse zufielen: Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Errichtung einer geplanten Wirtschaft. Die Führung lag dabei nicht bei der Klasse selbst. Im Gegenteil: Sie wurde völlig politisch entmündigt und zuweilen durch prokapitalistische Politik in Zaum gehalten. Da die Revolution nie eine eigenständige Rolle der Massen im politischen Prozess auf nationaler Ebene erlebt hatte, ergab sich auch keine dem sowjetischen "Thermidor" entsprechende Phase - es gab kein "Zurückrollen" der Revolution. Im Endeffekt ergab sich trotz der unterschiedlichen Genesis des maoistischen und des stalinistischen Regimes ein ähnliches politisches System - ein bürokratisch deformierter, bonapartistisch regierter Arbeiterstaat. Die ungelösten Fragen der Nationswerdung, der Landverteilung und der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur standen einer Entwicklung auf bürgerlicher Basis entgegen und zwangen die Maoisten auf den Weg der permanenten Revolution. Eine wirtschaftliche Vorwärtsentwicklung verlangte die fortschreitende Enteignung der Imperialisten sowie ihrer lokalen Handlanger. Dem kapitalistischen System wurde so das Rückgrat gebrochen, ohne dass eine klassische proletarische Revolution stattgefunden hatte. Die Macht konnte nur auf Grundlage der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln (bzw. zumindest der Schlüsselindustrien und Banken) abgesichert werden. Dies war nach Ted Grant trotz der historischen Rückständigkeit dieser Länder möglich, wegen der faulenden Überreife des Weltkapitalismus hinsichtlich der sozialistischen Revolution. Aber die gesamte Geschichte zeigt, dass dort, wo...die neue fortschrittliche Klasse unfähig ist, ihrer Aufgabe, die Gesellschaft zu verändern, gerecht zu werden, diese Aufgabe oft (vielleicht auf reaktionäre Art und Weise) von anderen Klassen oder Kasten umgesetzt wird. So wandelten sich in Japan große Teile der feudalen Großgrundbesitzer zu Kapitalisten, und in Deutschland ... führten die landbesitzenden Junker Ostpreußens unter Bismarck und der Monarchie die nationale Einigung Deutschlands durch - eine Aufgabe der bürgerlich-demokratischen Revolution. Grant schrieb dazu bereits 1949, also noch bevor die Notwendigkeit eines unmittelbar bevorstehenden Übergangs zu sozialistischen Methoden ins Bewusstsein der maoistischen Führung getreten war: Die Revolution in China beginnt mit einer bonapartistischen Deformation, nicht weil es in den Notwendigkeiten der Revolution innewohnen würde, sondern im Gegenteil wegen den besonderen nationalen und internationalen gesellschaftlichen Umständen,... . Es hat viele Bauernkriege in China gegeben und was normalerweise passiert wäre, wäre, dass die Führung sich mit der Bourgeoisie verschmelzen würde, sobald sie in den Städten einrückt und es eine klassische kapitalistische Entwicklung geben würde. Der Marxismus lehrt, dass die Bauernbewegung eine Führung in den Städten entweder in der Bourgeoisie oder im Proletariat finden muss. Wo es die Bourgeoisie ist, da haben wir natürlich eine kapitalistische Entwicklung. Wo das Proletariat die Führung übernimmt, haben wir die sozialistische Revolution. Hier haben wir eine merkwürdige Variante von letzterem, weil die Bauernbewegung eine zentralisierte Führung in der Form der stalinistischen Partei hat, die ihre Wurzeln in Moskau hat. Indem sie sich auf die Bauernschaft stützt, rückt sie in den Städten ein, nicht mit dem Ziel und dem Erscheinungsbild einer wirklichen kommunistischen Partei, sondern mit dem Ziel, ihre Macht durch Manövrieren zwischen den Klassen zu errichten. Sie macht das, indem sie ihre soziale Basis in das Proletariat verlagert - nicht als die direkte Vertreterin des Proletariats wie bei einer bolschewistischen Partei - sondern auf bonapartistische Weise. Grant modifiziert hier die Position Trotzkis, der ein Verschmelzen der Bauernpartei KPCh mit der Bourgeoisie der Städte vorhergesagt hatte. Die Verschmelzungstendenzen waren zwar gegeben, doch unter den konkreten Kräfteverhältnissen auf internationaler Ebene wie im Innern musste sich der Bonapartismus gegen diese Tendenzen wenden, um an der Macht bleiben zu können. Die Frage einer erfolgreichen Industrialisierung mit einer nach Plan arbeitenden Landwirtschaft waren für das Regime überlebenswichtig. Hätte es nicht das Vorbild der UdSSR gegeben und wäre es aus geopolitischen Gründen für die USA besser gewesen, China finanziell und militärisch zu protegieren, vielleicht hätte sich China auf den Weg einer bürgerlichen Diktatur begeben. Eine kurze Periode zwischen 1949 und 1950 war die weitere Vorgangsweise innerhalb der Führung der KP noch umstritten. Einmal "sich nach einer Seite gelehnt", wie die Chinesen sagen, geriet China in einen Sog, der unausweichlich in der völligen Expropriation der Bourgeoisie enden musste. Für das Dorf hieß das, den Einfluss der ländlichen Bourgeoisie, der reicheren Bauern, zu brechen. In mehreren Vergesellschaftungskampagnen hatte die Führung der KP versucht, der Probleme Herr zu werden. Der Widerstand der Bauernschaft konnte allerdings nicht gebrochen werden. Als diese Methoden scheiterten, trat Mao die Flucht nach vorn an. Die Kollektivierungsbewegung von 1955/56 und schließlich der "Große Sprung nach vorn" von 1958 waren der Versuch, den gordischen Knoten der ländlichen wie industriellen Entwicklung zu zerschlagen. Der Widerstand des Dorfes erwies sich allerdings als hartnäckig. Die technische Rückständigkeit verbunden mit der Korruptionsanfälligkeit einer armen Gesellschaft wogen schwer. Die Unmöglichkeit, auf bürokratische Weise einen integrierten Wirtschaftplan zu erstellen, gaben den Marktbefürwortern wieder Auftrieb. In der Phase unmittelbar nach dem Großen Sprung wurde die Landwirtschaft wieder entdeckt. Wie die Kaiser über die Jahrhunderte gegen das aufkommende Handwerk, das Handelskapital und den rudimentären Feudalismus gekämpft hatten, auf dass die größtmögliche Zahl in der Landwirtschaft arbeite - so gab die KP nach dem Großen Sprung die Parole aus "Die Landwirtschaft als Basis, die Industrie als führender Faktor", was sich de facto auf "alle Kräfte in die Landwirtschaft" hinauslief. Damit wurden aber die spontanen kapitalistischen Züge der Bauernschaft gestärkt. Verbunden mit den fehlenden demokratischen Kontrollmechanismen begann sich die Gesellschaft wieder nach dem alten Muster auszudifferenzieren. Die ländlichen "Kader" nahmen die Funktion der alten kaiserlichen Beamten ein, während an der Basis der Gesellschaft der ländliche Kapitalismus erwachte. Mao erkannte die soziale Sprengkraft dieser Entwicklung einerseits und die zersetzende Wirkung der Bürokratisierung auf die Planwirtschaft andererseits. Mehr noch: Er sah in diesen Spannungen die Chance, mit Hilfe der Armee wieder zum unbestrittenen Führer der Partei, und damit zum mächtigsten Mann des Landes, aufzusteigen. So schuf er durch seine Verbindungen zur Volksbefreiungsarmee die Roten Garden, mit denen er die Parteibasis einschüchtern wollte. Er wollte gesellschaftliche Kräfte kontrolliert mobilisieren, anstatt einen Militärputsch zu erzwingen. Erst als sich die Roten Garden in streitenden Fraktionen spaltete - und zwar entlang der Bruchlinien, die auch durch die Gesellschaft als Ganzes liefen - musste er sukzessive die Macht des Militärs einsetzen. Arbeiter, arme Bauern machten ihrem Unmut Luft. Bürgerkriegsartige Zustände erfassten das Land. Die UdSSR drohte China anzugreifen. All das waren die Faktoren, die auf eine Befriedung durch das Gewehr hinausliefen. Am Ende des Prozesses stand die totale Kontrolle des Militärs über alle gesellschaftlichen Bereiche. Die schiere Macht des Schwerts sollte nun das erreichen, was der erhoffte Bauernkommunismus des Großen Sprungs nicht herbeiführen hatte können. Damit war allerdings der Drahtseilakt nicht beendet. Um die Gefahr eines Militärputsches durch seinen Stellvertreter Lin Piao abzuwenden, musste Mao die verstoßene alte Garde zurückholen. Er mobilisierte die Parteibürokratie gegen die Armee, um selbst die Herrschaft über die Armee sicherzustellen. Maos Politik war zu jedem Zeitpunkt in höchstem Maße von der politischen Konjunktur der Klassengegensätze und den Konflikten innerhalb der Bürokratie bestimmt. Je nach Lage des Kräfteverhältnisses tat er sich mit der einen oder anderen Fraktion zusammen, um sich gegen die jeweiligen Gegner zu wenden. Ideologische Festigkeit wäre für einen Bonapartisten nur hinderlich gewesen. Einen "ideologischen Faden" zu finden, der sich durch die Karriere des Mao Tse-Tung zieht, ist daher nicht möglich - außer man erhebt die ideologische Willkür, die für eine permanente Zick-zack-Politik notwendig ist, zum politischen Programm. Die Vorgehensweise des "Großen Vorsitzenden" war bis zuletzt empirisch motiviert gewesen. Versuche, einen "marxistisch-leninistischen" Flügel um Liu Schao-tschi einerseits und einen nationalistischen Flügel um Mao andererseits auszumachen, müssen an den Tatsachen scheitern, schon allein weil der "Marxismus-Leninismus" sowjetischer Prägung ebenfalls eine nationalistische Ideologie darstellte und allerhand ideologische Kehrtwendungen seit der Machtübernahme Stalins vollzogen hatte. "Linke" schlugen in "rechte" Positionen um, und vice versa. Im Grunde handelte es sich nur um Schattierungen verschiedener Einschätzungen über die weitere Vorgehensweise in der Bürokratie selbst. Der Stalinismus ist ein Krisenregime, dessen ständige Angst vor politischen Unruhen permanent Spaltungen in der herrschenden Clique erzeugt. Die Selbstzerfleischung der herrschenden Schicht, nur vergleichbar mit dem historischen Präzedenzfall UdSSR, hatte ihre materielle Basis im Widerspruch zwischen einer politisch entrechteten, zum Kapitalismus neigenden Bauernschaft und der Unfähigkeit der nationalen Bourgeoisie, die Wirtschaft im Konflikt mit dem Imperialismus eigenständig zu entwickeln. Diese Zusammenkunft musste schließlich die Bauernarmee in Richtung Vergesellschaftung vorwärts stoßen und den Klassencharakter des neuen Staats auf eine neue Ebene heben. Das internationale Vorbild der UdSSR war dafür ausschlaggebend. Die gegenseitige Hemmung der Klassen führte zum Aufstieg des Bonaparte Mao. Bürgerliche Herrschaftsformen vs. proletarischer Bonapartismus in der kolonialen Revolution Eine ähnliche Entwicklung wie in China konnte in Vietnam, Laos, Kambodscha, Burma, Syrien, Angola, Mosambique, Benin, Äthiopien, Kuba und im Jemen beobachtet werden. In diesen Fällen wurde im Kampf mit dem Imperialismus der Kapitalismus abgeschafft. Das Gros der Wirtschaft wurde verstaatlicht, Quantität schlug in Qualität um - es kam zur Bildung deformierter Arbeiterstaaten. In anderen Ländern wurde dieser Punkt nicht überschritten. Es kam nur zu Teilverstaatlichungen im Interesse der nationalen Bourgeoisie, die sich im Kampf gegen den internationalen Monopolkapitalismus durchsetzen wollte. So etwa im Falle Cárdenas in Mexiko der 1930er oder in Ägypten Nassers. Trotzki selbst sah nie eine Situation, bei der der Versuch der nationalen Befreiung vom Imperialismus im Sinne des "Staatskapitalismus" in eine Revolution gegen den Kapitalismus als Ganzes umschlug, ohne dass dem Proletariat dabei eine tragende Rolle zukam. Bonapartismus "sui generis"? Die spezifische Klassensituation exkolonialer Länder, sowie die Paria-Situation im kapitalistischen Weltsystem ergeben gerade auch in Lateinamerika kompliziertere Fragestellungen bezüglich Staat und Arbeiterklasse. Die Entdeckung und Ausplünderung Lateinamerikas war eine der zentralen Motoren der ursprünglichen kapitalistischen Kapitalakkumulation in Europa, in Lateinamerika kann man diese Jahrhunderte als Periode der "ursprünglichen Deakkumulation" bezeichnen. Die partielle Integration in den Weltmarkt bedeutete die Schaffung von Exportenklaven, in denen über Jahrhunderte die höchsten Mehrwertraten in der entstehenden kapitalistischen Ökonomie zu erzielen waren. Die Akkumulation dieses Mehrproduktes erfolgte allerdings in den kolonialen (und später den imperialistischen) Zentren. Der Aufschwung der kapitalistischen Akkumulation in Europa bedeutete am anderen Ufer des Atlantiks Verarmung der lateinamerikanischen Massen, unfreie Arbeitsverhältnisse (von feudalen Arbeitsverhältnissen bis hin zum Sklaventum) und die Entstehung einer geschichtsohnmächtigen "nationalen" Oberschicht, die unfähig ist auch nur eine der historischen Aufgaben des Bürgertums wie Landreform oder eine stabile Demokratie zu erfüllen. Trotzki erkannte in diesem kombinierten, aber in den Auswirkungen konträren Prozessen die Gesetzmäßigkeit der "kombinierten und ungleichen Entwicklung". Unter dem Eindruck der französischen und nordamerikanischen Revolution entwickelten sich auch in Lateinamerika im frühen 19. Jahrhundert revolutionäre Unabhängigkeitsbewegungen. Führungspersönlichkeiten wie Simón Bolívar, Simón Rodríguez, José Antonio Artigas, José Martí, Sucre... waren die politischen und militärischen Eltern dieser politischen Unabhängigkeit, endeten in Folge aber allesamt als tragische Helden, da ihre Bewegungen von der "eigenen" Oligarchie unterdrückt und verraten wurden. Mit Blick auf den Klassencharakter der ehemaligen Kolonien konnte die kleine Oberschicht Lateinamerikas nur zwischen der völligen Unabhängigkeit und Einheit Lateinamerikas verbunden mit der sozialen Revolution oder der Beibehaltung der bestehenden sozialen Ordnung, inklusive dem Verzicht auf eine eigenständige kapitalistische Entwicklung entscheiden. Die kreolische Elite entschied sich dazu, ihren gegebenen Status als Brückenkopf kolonialer Ausbeutung beizubehalten, ermordeten und verrieten die Unabhängigkeitshelden, ohne jedoch den Klassenkonflikt in den Jahrzehnten nach der politischen Unabhängigkeit völlig unterdrücken zu können. Die schlussendliche Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise in Lateinamerika war eher dem Fortschritt in den kapitalistischen Zentren geschuldet, als einer autonomen Entwicklung. Die Entwicklung hin zum Imperialismus verlangte in den ehemaligen Kolonien eine ökonomische Struktur, die fähig war die ausländischen Kapitalinvestitionen aufzunehmen. Als Bündnispartner diente hier wiederum der Klasse der einheimischen Großgrundbesitzer und Händler. Ergebnis war die Fortsetzung der sektoralen Integration in den Weltmarkt, die aufgrund der höheren Vitalität der wirtschaftlichen Aktivitäten jedoch weit größere Landstriche und Bevölkerungsteile umfasste und damit die soziale Dynamik weit mehr beeinflusste als es die koloniale semi-feudale Produktionsweise konnte. Immer größere Ländereien wurden der exportorientierten Plantagenproduktion einverleibt (und damit eine große Klasse von landlosen lohnabhängigen Bauern geschaffen), moderne Häfen, Transport- und Kommunikationsstrukturen gebaut, Banken und Produktionsbetriebe gegründet. Der Aufstieg des Kapitalismus in Lateinamerika bedeutete für die breite Masse einen weiteren Verarmungsschub, der über Jahrzehnte bis ins zwanzigste Jahrhundert anhielt. Die entstehende einheimische Bourgeoisie war ökonomisch und politisch schwach. Der kapitalistische Markt war voll auf den vom Imperialismus kontrollierten Außenmarkt ausgerichtet und daher sehr krisenanfällig, eine breite gesellschaftliche Basis konnte sich die wirtschaftliche und politische Elite so nicht sichern (vergleiche etwa die Möglichkeit der europäischen und nordamerikanischen Staaten die Führung der Arbeiterklasse dank Extraprofite aus der imperialistischen Ausbeutung materiell und ideell ins bürgerliche System einzugliedern). Die lateinamerikanische Form der bürgerlichen "Demokratie" war daher immer ein elitäres und schwachbrüstiges Projekt, das in versteckter oder offener Form immer die starke Hand der Militärs und/oder US-amerikanerischer Interventionen bedurfte, um am Leben zu bleiben. Durch die sozialen Erschütterungen, die durch die fallenden Welthandelspreise nach Ende des Ersten Weltkrieges ausgelöst wurden, entstand in lateinamerikanischen Nationen die Notwendigkeit, und im Zuge der steigenden Rohstoffpreise während des Zweiten Weltkrieges auch die temporäre Möglichkeit, einer binnenmarktorientierten wirtschaftlichen Entwicklung. Vorreiter dieser Entwicklung war hier Mexiko. In der mexikanischen Revolution von 1911/12 wurde die herrschende exportorientierte Oligarchie besiegt und durch eine binnenorientierte sogenannte "Revolutionselite" ersetzt. Diese neue "Elite" orientierte sich an einer autonomen mexikanischen Entwicklung, ohne dass es dafür eine soziale Basis in Form einer national orientierten Bourgeoisie gegeben hätte; diese musste erst geschaffen werden. Das Regime stützte sich für dieses Projekt der bürgerlichen Modernisierung daher auf die breite Masse der landlosen Bauern und die Arbeiterklasse. Diese sozialen Schichten wurden seit der Revolution institutionell über staatliche und quasi staatliche Organisationen (Gewerkschaften, Bauernorganisationen,...) an den Staatsapparat und seine kapitalistische Modernisierungspolitik gebunden. Erleichtert wurde diese Politik, die später in den Grundzügen in Ländern Lateinamerikas nachvollzogen wurde, durch das Bündnis der kommunistischen Parteien mit ihrer "nationalen" Bourgeoisie. Die lateinamerikanischen kommunistischen Parteien, sind in ihrer Mehrheit erst nach der Stalinisierung der Sowjetunion entstanden, und machten jeden Schwenk der reformistischen Außenpolitik der Sowjetunion mit. Arbeiterintellektuelle wie der Gründer der Sozialistischen Partei Mariategui in Peru oder Juan Antonio Mella, einer der Gründer der Kommunistischen Partei Kubas, orientierten sich in der verschärften fraktionellen Auseinandersetzung in der Komintern zwar deutlich an der "Internationalen Linken Opposition" Trotzkis, starben aber zu früh um in den jungen Kommunistischen Parteien eine klassenunabhängige, internationalistische Position durchzusetzen. Wo die KommunistInnen an revolutionären Bewegungen teilnahmen. oder diese anführten geschah dies gegen den Willen Moskaus und/oder auf individuellen Entscheidungen der Parteimitglieder. Ihren Höhepunkt erreichte diese Politik in Mexiko unter der Präsidentschaft von Cárdenas. Basierend auf einer Streikwelle, die sich ab 1934 ausbreitete wagte Cárdenas, die Eisenbahnen und die Erdölindustrie komplett aus den Händen mulinationaler Konzerne zu enteignen. Damit nicht genug übergab er die Leitung dieser Unternehmen an die Gewerkschaften. In Abwesenheit einer tragfähigen einheimischen Bourgeoisie wurden also ehemals private Betriebe verstaatlicht, um so Raum für eine bürgerliche nationale Entwicklung einzuleiten. Der selben Logik folgend wurde die Leitung dieser Betriebe an die über zwei Jahrzehnte domestizierte und den Staat gebundene Bürokratie der Arbeiterorganisationen übergeben. In einem zu seiner Zeit nie veröffentlichten Artikel aus dem Jahr 1938 beschäftigt sich Trotzki mit der Frage eben dieser mexikanischen Nationalisierungen. Das Phänomen der Politik von Cárdenas beschrieb er dabei folgendermaßen: "In den industriell rückständigen Ländern spielt das Auslandskapital eine entscheidende Rolle. Hieraus entspringt die relative Schwäche der nationalen Bourgeoisie in Bezug auf die Arbeiterklasse. Somit werden besondere Bedingungen für die Staatsmacht geschaffen. Die Regierung schwankt zwischen ausländischem und einheimischen Kapital, zwischen einer schwachen einheimischen Bourgeoisie und einer relativ starken Arbeiterklasse hin und her. Dies gibt der Regierung einen bonapartistischen Charakter sui generis und mit einem speziellen Charakter." Diese Arbeitsthese Trotzkis stellt die Analyse und Praxis der MarxistInnen in der venezolanischen Revolution keineswegs in Frage. Wie wir später noch zeigen werden, unterscheidet sich Trotzkis Methode und Praxis gegenüber der Politik von Cárdenas in keinem Haarbreit von der aktuellen Praxis der MarxistInnen in der venezolanischen Revolution. Zuerst jedoch wollen wir hier die Gelegenheit nutzen, die Unterschiede zwischen Cárdenas und Chávez und der jeweiligen historischen Situation herauszuarbeiten. Cárdenas war, wie später Péron in Argentinien, integraler Bestandteil der herrschenden bürgerlichen politischen und ökonomischen Elite, die sich aus den gegebenen Gründen teilweise auf die Organisationen der Arbeiterklasse und die landlose Bauernschaft stützen musste. Die Wahl von Chávez im Jahr 1998 jedoch war völlig losgelöst von und gegen die Interessen der herrschenden Oligarchie gerichtet. Seine Wahlbewegung stützte sich auf soziale Organisationen in den Stadtvierteln und im Militär, seinem Wunsch auch führende Gewerkschafter (die selben Persönlichkeiten die heute als FührerInnen des klassenkämpferischen Flügels der UNT gelten) in seine Wahlbewegung zu integrieren wurde von Seiten jener nicht entsprochen. Die ursprünglichen Ziele der bolivarischen Revolution waren sehr bescheiden: eine demokratische Verfassung, soziale Reformen, eine Landreform und nationale Souveränität. Allein die sich entfalteten Klassenwidersprüche ließen eine solche Entwicklung nicht zu. Anstatt die Klassenauseinandersetzung zu zähmen, löste der Wahlsieg von Chávez und die eingeleitete Massenpolitisierung im Zuge der Diskussion um die neue Verfassung eine Verschärfung der Klassenwidersprüche ein, ein Prozess gegen den er sich nicht wehrte, sondern den er in den kommenden Jahren sogar immer wieder von der revolutionären Bewegung einfordert. Die Reaktion der Oligarchie, Putsch und Unternehmeraussperrung (2002 und 2003), die "Peitsche der Konterrevolution" halfen den revolutionären Prozess zu radikalisieren. Als letztes Mittel ergriff die bürgerliche Opposition das verfassungsmäßige Recht des Abwahlreferendums während der Amtszeit. Nach einer wochenlangen Wahlschlacht stimmten am 15. August 2004 56 Prozent der WählerInnen für seinen Verbleib im Amt. Seither liegt die Opposition völlig zerschmettert am Boden, das aufgescheuchte und verängstigte Kleinbürgertum lässt sich kaum noch mobilisieren, die oppositionellen Parteien schaffen es nicht mehr eine gemeinsame politische Strategie zu formulieren, und ihre Repräsentanten sind ein Jahr vor der kommenden Präsidentschaftswahl völlig diskreditiert und chancenlos, wie es auch die Parlamentswahl vom 4. Dezember eindrucksvoll unterstrich. Chávez ist ehrlich bemüht, sein Land voranzubringen, aber er ist kein Marxist, zeigt und zeigte sich in verschiedenen zentralen Situationen, in denen es ein leichtes gewesen wäre mit dem Kapitalismus radikal zu brechen, zögerlich. Gleichzeitig musste er sich aus eigener Erfahrung eingestehen, dass es Venezuela auf Basis des Kapitalismus nicht möglich ist, grundlegend voranzukommen. Er hat auf diese Situation reagiert und machte es zu seinem ausgesprochenen Ziel, die "Produktionsverhältnisse" zu ändern, wenn man auch als Marxist anmerken kann, dass seine bevorzugte Variante, nämlich die Bildung von Kooperativen, diesem Ziel nicht gerecht werden wird. Wenn man seine Schwankungen und Halbheiten in den Mittelpunkt der Analyse stellt, muss man zum Ergebnis kommen, dass seine Politik bar jeder bürgerlichen Logik ist. Zumindest bar jedes halbwegs vernunftbetonten und intelligenten bürgerlichen Halb-, Ganz-, oder "sui generis"-Bonapartismus. Seine hohe Popularität nach dem Sieg im Abwahlreferendum im August 2004, nutzte er etwa nicht um die revolutionäre Bewegung zu beruhigen und zu institutionalisieren. Stattdessen verkündet Chávez die "Zehn neuen Strategien", den "Grossen Sprung nach vorne", ruft die "Revolution in der Revolution" aus, unterschreibt Dekrete zur Enteignung privater Betriebe (mittlerweile auch solche die auf niedriger Kapazität produzieren, insgesamt 1149), übergibt staatliche Firmen der Arbeiterselbstverwaltung, nimmt Abschied vom "Dritten Weg" und besteht darauf, dass die bolivarische Revolution nur im Sozialismus verwirklicht werden könne, lässt zu, dass die Milizbewegung in weiten Teilen von Gewerkschaften und Bauernorganisationen dominiert ist, unterstützt den "Krieg gegen den Großgrundbesitz, bezeichnet die Bürokratie in "seiner" MVR als größte Gefahr für die Revolution, und fordert in seiner sonntäglichen Fernsehshow Menschen dazu auf, in allen Stadtvierteln, ökonomischen Einheiten etc. parallel zu den bürgerlichen Institutionen Komitees zu formen, die "Mutterzellen des Sozialismus im 21. Jahrhunderts"...... alles geschehen in wenigen Monaten nach dem Referendum. Es braucht schon eine gehörige Portion Phantasie um in all diesen Maßnahmen die Handschrift eines (getriebenen) bürgerlichen Politikers zu erkennen, vor allem angesichts der Tatsache, dass die große Schwäche der venezolanischen Revolution eben gerade darin liegt, dass sie bisher keine starken und permanenten Organe der proletarischen Klassenherrschaft hervorgebracht hat. Wahr ist vielmehr, dass Chávez in den vergangenen Jahren nicht nur der Dynamik der Bewegung nachgegeben hat, sondern auch die Klassenauseinandersetzung anstachelte und ermunterte anstatt sie zu behindern, und dies in so zentralen und letztendlich die Revolution entscheidenden Fragen wie den Eigentumsverhältnissen in der Industrie und der Ländereien. Interessant ist zudem, dass in der Auseinandersetzung mit der staatlichen Bürokratie (und aufgrund eines damit verbundenen innergewerkschaftlichen Konfliktes) die neue Gewerkschaftsbewegung UNT ihre Unabhängigkeit vom Staatsapparat bei gleichzeitiger Unterstützung für den Präsidenten betont und lebt. Die Frage Arbeiterbewegung oder "Bolivarianismus", wird so nur von den Rechten, mit der Oligarchie verbundenen Kräften in der UNT gestellt - und von Politsekten aller Façons. Die Entwicklungsperspektiven der venezolanischen Revolution und von Hugo Chávez selber sind in mehrere Richtungen offen und hängen von internationalen Entwicklungen genauso ab, wie vor allem von der Entwicklung der innervenezolanischen Klassenauseinandersetzung. Eines jedoch ist klar: mit Chávez gibt es kein Zurück mehr zu einem normalen kapitalistischen Staatswesen. In Wirklichkeit stellt sich die Frage nicht allzu kompliziert: Mit Chávez ist die städtische Armut, die Arbeiterklasse, die Bauernbewegung und die Mehrheit der Armee, gegen ihn steht die einheimische Bourgeoisie, der Imperialismus, und die Mehrheit des Kleinbürgertums, deren öffentlich formulierte Strategie es ist, ihn tot zu sehen, um eine militärische Intervention, die zweite Option, vermeiden zu können. Anhand dieser einfachen Tatsache wird jede historische Herleitung überflüssig, jede "theoretische" Konstruktion des "Chávez bonaparte bourgeois" zu einer Vergewaltigung des Marxismus. So unbewusst hat die Geschichte seit Beginn der Zeit noch nie agiert, als dass die gesellschaftlichen Klassen die Repräsentanz ihrer Klasseninteressen wechselseitig verwechselt hätten. Was wir in Venezuela sehen können ist die "permanente Revolution" in voller Entwicklung. Ruhig und zuversichtlich arbeiten die MarxistInnen der Internationalen Marxistischen Strömung am Aufbau der marxistischen Strömung im Rahmen der bolivarischen Bewegung. "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern." Wir kommen nicht umhin hier festzustellen, dass die scholastische Marxismusverdrehung der Bonapartismus-"TheoretikerInnen" sowohl in der politischen Diskussion als auch in der revolutionären Praxis auf voller Länge scheitert. In der venezolanischen Realität schaut dieses Scheitern folgendermaßen aus: eine konterrevolutionäre Demonstration in Caracas im August 2005 bringt ca. 200 aufgescheuchte und hysterische Kleinbürger auf die Strasse. Auffälligstes Element dabei: ein Block namens "Bandiera Rossa", zu deutsch "Rote Fahne". Diese Politsekte materialisiert ihren Gedanken in Taten und gehört zu den Hardcore-Sektoren der Konterrevolution. Ihre Analyse: Chávez ist ein bürgerlicher Bonapartist. Immerhin lässt sie ihrer Analyse Taten folgen und bekämpft dieses "bürgerliche Regime" mit allen Mitteln. Als sich revolutionäre Studierendenorganisationen auf der Zentralen Universität in Caracas trafen, um eine Einheitsfront zu bilden, stürmte Bandiera Rossa den Ort des Treffens, setzte Schusswaffen und Tränengas ein, um zu verhindern, dass "das bonapartistische Regime sich auf der Universität organisatorisch verankert". Es ist nicht richtig, die Anhänger der Idee der "Chávez = Bonapartist" pauschal in die Nähe konterrevolutionärer Terroristen zu rücken, allerdings müssen jene sich die Feststellung gefallen lassen, dass sie analytisch Revolution und Konterrevolution nicht immer säuberlich voneinander trennen können/wollen. Argumente wie "die hohe Inflation frisst die Löhne auf.", "Chávez hetzt die Polizei auf Streikende", "hier funktioniert nichts, Chávez ist für die Guarimba-Sabotageakte verantwortlich", "die Auslandsinvestitionen haben 2004 zugenommen".... sind empirisch richtig oder zumindest teilrichtig, verwechseln aber die Urheberschaft der widersprüchlichen gesellschaftlichen Dynamiken, die eine Revolution per definitionem freisetzt. Wenn man basierend auf diesem empirischen Befund dann zum Schluss kommt, dass wir es mit "Staatskapitalismus" oder "Bonapartismus" usw. zu tun hätten, dass die CTV von staatlichen Eingriff geschützt werden muss, während man die UNT als "Staatsgewerkschaft" bezeichnet, hat man keine Chance aktiv in die revolutionäre Bewegung zu intervenieren, weil man argumentativ und de facto bereits im Lager der Konterrevolution steht. Die venezolanische Revolution ist für uns MarxistInnen nicht nur eine theoretische, sondern in erster Linie eine praktische Herausforderung. Eine revolutionäre Organisation, der es unmöglich ist in einer Revolution eine revolutionäre Organisation aufzubauen, allein weil sie schon an aufgeworfenen theoretischen und methodischen Fragestellungen scheitert, ist es nicht wert als eine solche genannt zu werden. Während unsere venezolanische Schwesterorganisation ihren dritten Kongress feiert, nachdem sie gemeinsam mit der internationalen Kampagne "Hände weg von Venezuela" führend am Kampf um die Nationalisierung unter Arbeiterkontrolle beteiligt war und ist, wird nun von Teilen der "ultra-revolutionären" Linken "die Frage aufgeworfen, ob wir in Venezuela überhaupt von einer Revolution sprechen können und welchen Charakter der gegenwärtige Prozess in Venezuela hat." Wir scheuen es nicht, unsere Herangehensweise an die bolivarische Revolution mit der Haltung Trotzkis zu Cárdenas zu vergleichen. Lassen wir Trotzki weiter zur Problemstellung verstaatlichter Betriebe im Rahmen des Kapitalismus sprechen: "Diese Maßnahmen bleiben völlig innerhalb des Rahmens des Staatskapitalismus. In einem halbkolonialen Land jedoch befindet sich der Staatskapitalismus unter heftigem Druck des ausländischen Privatkapitals und ihrer Regierungen und kann sich ohne die aktive Unterstützung der ArbeiterInnen nicht halten. Daher kommt es, dass die Regierung, ohne die wahre Macht aus der Hand zu geben, den Arbeiterorganisationen eine beachtenswerte Verantwortung für die Produktion in den nationalisierten Betrieben lässt. Was sollte die Politik der Arbeiterpartei in diesem Fall sein? Es wäre jedenfalls ein desaströser Fehler, ein vollständiger Betrug, zu behaupten, dass der Weg zum Sozialismus, nicht über die proletarische Revolution, sondern über die Enteignungspolitik verschiedener wirtschaftlicher Sektoren durch den bürgerlichen Staat und deren Überführung in die Hände von Arbeiterorganisationen wäre. Aber um diese Frage geht es nicht. Die bürgerliche Regierung selbst hat die Nationalisierung durchgeführt und ist gezwungen, die Arbeiter in das Management der nationalisierten Industrie teilhaben zu lassen. Man kann diese Frage natürlich umgehen, indem man die Tatsache zitiert, dass solange das Proletariat die Macht nicht erobert hat, die Teilnahme der Gewerkschaften im Management von staatskapitalistischen Unternehmen, keine sozialistischen Resultate hervorbringen wird. Eine solche negative Haltung von Seiten der revolutionären Flügels jedoch würde von den Massen nicht verstanden werden und opportunistische Positionen stärken. Für MarxistInnen geht es nicht darum den Sozialismus in den Händen der Bourgeoisie aufzubauen, sondern darum, "die Situationen, die ein Staatskapitalismus eröffnet, zu nutzen, um die revolutionäre Bewegung der Arbeiter voranzubringen." Wir haben bereits weiter oben herausgearbeitet, dass uns ein Vergleich von Mexiko 1938-Venezuela 2005 ungeeignet erscheint, um die venezolanische Revolution zu verstehen, und trotzdem ist die Haltung von Trotzki zu den Cárdenas-Verstaatlichungen bestens geeignet, den Unterschied zwischen Sektierertum und Marxismus zu beleuchten. Während der schablonenhafte Sektierer jeden lebenden Prozess in seine Schemata hineinpresst und die Arbeiterklasse permanent, mal ängstlich - mal hysterisch, vor den möglichen Gefahren warnt, sehen MarxistInnen in jedem sich auftuenden Konflikt und gesellschaftlichem Widerspruch, die Chance die Ausgangsposition der Arbeiterklasse und damit jene der sozialistischen Revolution zu verbessern. Welche Richtung die venezolanische Revolution in Zukunft einschlägt, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht definitiv vorausgesagt werden, diese Frage ist offen, und wird nicht durch theoretische Herleitungen, sondern durch die lebenden Klassenkräfte entschieden werden. Bevor ein historischer Prozess nicht alle in seinem Schoß schlummernden Kräfte zum Ausdruck gebracht hat, kann und darf er von MarxistInnen nicht vorzeitig begraben werden. Trotzki selber arbeitet in der Analyse von Cárdenas mit dem sehr sperrigen provisorischen Arbeitsbegriff der "Regierung eines bonapartistischen Charakters sui generis und mit einem speziellen Charakter". Er verortet diese Radikalisierung des Prozesses 1938 im Rahmen der mexikanischen Revolution ab 1911 und weist auf die zeitliche Beschränktheit seiner momentanen Einschätzung hin: "Um die Enteignungen in den Augen der bürgerlichen öffentlichen Meinung zu kompromittieren, präsentieren sie sie als "kommunistische" Maßnahme. Historische Ignoranz vermischt sich hier mit bewusster Täuschung. Das halbkoloniale Mexiko kämpft für seine nationale Unabhängigkeit, sowohl im politischen, als auch im ökonomischen. Das ist die fundamentale Bedeutung der Mexikanischen Revolution zu diesem Zeitpunkt." Und losgelöst von aller methodischen Herangehensweise ist es eine Grundvoraussetzung dass MarxistInnen im historischen Maßstab erkennen können, was progressiv ist und was nicht. Trotz der staatskapitalistischen Grenzen der mexikanischern Verstaatlichungen, zögert Trotzki nicht diese als historischen Fortschritt uneingeschränkt willkommen zu heißen: "Ohne Illusionen zu erliegen und ohne Angst vor Verleumdung, unterstützen die fortschrittlichen ArbeiterInnen die mexikanischen Menschen in ihrem Kampf gegen die Imperialisten voll und ganz. Die Enteignung des Erdöls bedeutet weder Sozialismus noch Kommunismus. Aber es ist ein hoch-progressiver Akt der nationalen Selbstverteidigung. Marx hat Abraham Lincoln klarerweise nicht für einen Kommunisten gehalten; dies hat Marx jedoch nicht davon abgehalten seine tiefste Sympathie für jenen Kampf, den Lincoln angeführt hat, auszudrücken." Und er beließ es nicht bei dieser Aussage, sondern in weiteren Artikeln und Briefen rief er die britische Arbeiterbewegung und ihren organisatorischen Ausdruck, die Labour Party, dazu auf, auf konkrete Maßnahmen zu setzen, um die Nationalisierungen und den mexikanischen Prozess in seiner Gesamtheit gegenüber der Aggression des Imperialismus zu schützen: "Feste Entschlossenheit ist notwendig, um die kriminelle Hand der imperialistischen Gewalt zu paralysieren. Ich ende daher so wie ich begonnen habe: die öffentliche Weltmeinung wartet auf die feste Stimme der britischen Labour Party!" Damit nicht genug, ließ er sich auf eine öffentliche Polemik mit Diego Rivera ein, die schließlich mit dem politischen und persönlichen Bruch zwischen Trotzki und der bekanntesten Figur der entstehenden Vierten Internationale und seinem persönlichen Gastgeber in Mexiko führte. Teil dieser Auseinandersetzung war u.a., dass Trotzki vehement verteidigte, dass Mexiko, das durch den Boykott seines Erdöls durch die USA und Großbritanniens schwer getroffen war, Handelsbeziehungen zu Nazi-Deutschland aufnahm und dafür sogar symbolische diplomatische Gesten, wie die Entfernung eines antinazistischen Wandbilds Riveras am Flughafen von Ciudad Mexiko in Kauf nehmen musste. Seine Begründung: Als halbkoloniales Land unter wirtschaftlicher Blockade ist Mexiko nicht in der Lage, sich seine Handelspartner und politischen Gesten frei auszuwählen. Die venezolanische Revolution Nach diesem Streifzug wollen wir die allgemeinen Wesenszüge noch einmal zusammenfassen. Der Bonapartismus erhebt sich über eine besondere Konstellation der Klassen, in der Form der "Herrschaft des Schwertes". Er teilt auf der einen Seite Schläge nach unten aus und verdient sich damit die Dankbarkeit der Ausbeuterklassen (bzw. der Bürokratie im Falle des Stalinismus). Auf der anderen Seite verwehrt er sich gegen jede Ambition der wirtschaftlich herrschenden Klasse auf direkte politische Mitbestimmung. Er verfolgt ihre politischen VertreterInnen mit dem langen Arm des Staatsapparats und schüchtert sie ein. Die allumfassende politische Unfreiheit der gesamten Gesellschaft ist sein allgemeinster Wesenszug. Zusätzlich wendet er sich auch mit Zugeständnissen an Teile der unterdrückten Klassen/Schichten, sofern der wirtschaftliche Spielraum dafür vorhanden ist. Doch dies dient nur als Flankenschutz für die Diktatur. Wie kommt es zu bürgerlich bonapartistischen Regimes? Das Bürgertum kann einerseits mit demokratischen Methoden die Herrschaft über die Arbeiterklasse und die Bauernschaft nicht mehr aufrecht erhalten. Andererseits gelingt es den unterdrückten Klassen nicht, durch ihre eigenen Organe die Macht des alten Staatsapparats zu zerschlagen. Eine Situation der gegenseitigen Hemmung tritt ein. Das alte bürgerliche System wird nicht mehr mit den unterdrückten Massen fertig, die alten herrschenden Klassen wünschen sich nichts seliger als einen starken Mann, der mit der Revolution aufräumt. Der Ruf nach gewaltsamer Schlichtung der Klassenwidersprüche steigt. Durch den Putsch scheint der Kampf "so geschlichtet, daß alle Klassen gleich machtlos und gleich lautlos vor dem Kolben niederknien" (Marx). Im Lichte der marxistischen Theorie zeigt sich daher die Absurdität der Behauptung, Chávez sei ein bürgerlicher Bonapartist. Wir erleben in Venezuela keineswegs eine Einschränkung der politischen Beteiligung aller Klassen. Man muss sogar ohne Übertreibung sagen, dass Venezuela das demokratischste Land der Welt ist, ein Land in dem sich alle Klassen wie nirgendwo sonst am politischen Leben beteiligen: ArbeiterInnen können offen über Enteignung unter Arbeiterkontrolle diskutieren, gleichzeitig ruft im Privatfernsehen die Oligarchie zum Sturz von Chávez auf. Eben weil Venezuela so demokratisch ist, treten auch alle Widersprüche der Klassenherrschaft offen zu Tage. Erinnern wir uns daran, was Lenin über die Monate nach der Februarrevolution schrieb. Auch in Venezuela ist die bürgerliche Demokratie der klassische Boden dafür, dass der Ruf nach einem Bonaparte laut wird, um zunächst die bürgerliche Demokratie, dann jede Form der politischen Kontrolle selbst durch die politischen VertreterInnen der Oligarchie zu unterdrücken. Die neue Verfassung hat die Stellung des Präsidenten gestärkt, heißt es. Formal betrachtet beinhaltet die Neufassung der Konstitution Elemente bonapartistischer Herrschaftsmethoden (z.B. Plebiszite). Doch in der gesellschaftlichen Realität hat Chávez dem Druck der Massen die Schleusen geöffnet, anstatt die Bewegung gleichzuschalten. Chávez selbst rief die WählerInnen der kommenden Parlamentswahlen dezidiert nicht dazu auf, seine Wahlbewegung, die MVR, zu wählen, sondern die Kandidaten der "bolivarischen Vielfalt". In seiner Rolle als national-revolutionärer kleinbürgerlicher Demokrat hat er dem revolutionären Prozess zweifellos einen mächtigen Anstoß gegeben. Allerdings: Die an die Oberfläche drängenden Widersprüche, sichtbar gemacht durch die demokratische Form der Herrschaft der Bourgeoisie, verlangen früher oder später nach einer Entscheidung. "Echte" Demokratie und die Klassenherrschaft der Bourgeoisie sind unvereinbar. Wenn sich im Volk eine Mehrheit für die Enteignung einer Minderheit findet, dann stellt das die Grundfesten der bürgerlichen Gesellschaft in Frage. Zur Zeit liegt die Opposition nach drei gescheiterten Kampagnen (der Putschversuch im April 2002, die Aussperrung des folgenden Winters und das Abwahlreferendum 2004) und dem hilfslosen Agieren im Vorfeld der Dezemberwahl 2005 am Boden. Noch zeichnet sich keine Person ab, die den venezolanischen Bonaparte mimen könnte. Die bürgerliche Opposition ist am Boden zerschmettert und politisch handlungsunfähig. Sie wird immer wieder zu den Mitteln von Terrorakten und Mordanschlägen greifen, steht aber einer zur Zeit noch ungebrochenen revolutionären Welle gegenüber. Die Konterrevolution ist gezwungen, auf eine bessere Situation warten zu müssen, um losschlagen zu können. Wer heute von bürgerlichem Bonapartismus in Venezuela spricht, begeht den "unwesentlichen" Fehler, nicht zwischen Revolution und Konterrevolution unterscheiden zu können! Zerschlagung des alten Staatsapparats Was nun aber "ist" der venezolanische Staatsapparat? Es ist scholastisch, die Frage nach dem Klassencharakter des heutigen venezolanischen Staats per se zu stellen. Als solcher bleibt er immer ein Instrument der Oligarchie, korrupt und unreformierbar - ein bürgerlicher Staatsapparat - allerdings einer der längst nicht mehr normal, also im Sinne der Bourgeoisie funktioniert. Wieso sollten bürgerliche Generäle ansonsten gegen einen von ihnen vollständig kontrollierten Staatsapparat putschen wollen? Wir müssen aber vielmehr die Frage stellen, in welche Richtung sich die Revolution entwickelt und was das für den Staatsapparat heißt. Natürlich: Er ist historisch das Instrument der besitzenden Klasse, aber sie kann ihn zur Zeit nicht so einfach für ihre Zwecke verwenden. Durch die ansteigende Revolution, durch den Druck der Massen hat der traditionelle Staatsapparat an Funktionstüchtigkeit für die Bourgeoisie eingebüßt. Diese scheinbare "Unabhängigwerdung" des Staatsapparats hat aber eine andere Ursache als im Falle einer bonapartistischen Herrschaft. Während beim Bonapartismus alle Klassen vor dem Schwert des Staatsapparats niederknien, entwickelt sich der Klassenkampf in Venezuela ungehindert - ganz ohne einen starken Schiedsrichter. Der Marxismus lehrt: Es ist unmöglich, den vorhandenen Staatsapparat für die Eroberung der Macht durch das Proletariat zu verwenden. Durch genau diese Erfahrung geht die venezolanische Revolution gerade. Selbst ein Teil der Bolivarischen Bewegung, der an der Spitze des Staatsapparats steht, könnte diesen Weg gehen. Von vornherein alles als "bürgerlich" und konterrevolutionär abzutun, was mit dem Staatsapparat zu tun hat, wäre ein großer Fehler. Wir wissen aus der Geschichte, dass auch in anderen Revolutionen (neben den bereits erwähnten Entwicklungen der degenerierten Arbeiterstaaten nach 1945, muss hier vor allem an die portugiesische Revolution von 1974 erinnert werden) ein Flügel des Staatsapparats (konkret des Militärs) auf die Seite der Revolution gewechselt ist. Innerhalb des Korsetts eines bürgerlichen Staatsapparats vollzieht sich zur Zeit eine klassenmäßige Differenzierung. Eine Schicht der FührerInnen der Bolivarischen Bewegung - auch im Staatsapparat selbst - erkennt zusehends die Unmöglichkeit einer friedlichen Koexistenz mit der Oligarchie und findet in der erstarkenden Arbeiterbewegung eine gesellschaftliche Stütze. Mehr noch: Sie erkennt die Unmöglichkeit, mit dem bürgerlichen Staatsapparat ihr Reformwerk zugunsten der Bevölkerung umzusetzen. Auf Regierungsebene werden fortschrittliche Gesetze erlassen, doch auf dem Weg durch den Verwaltungsapparat geht die Initiative irgendwo verloren. Oder aber die Polizei wird - entgegen den Weisungen des Ministeriums - auf lokaler Ebene gegen ArbeiterInnen eingesetzt, die ihren Betriebe unter ihrer Kontrolle wieder in Gang setzen wollen. Dagegen will sich der linke Flügel des Bolivarianismus wappnen. Eine der VertreterInnen dieser Schicht ist Arbeitsministerin Maria Cristina Iglesias. Sie erklärte bei einer nationalen Versammlung der ArbeiterInnen für die Wiederinstandsetzung von Firmen Ende Oktober, wie der Kampf "mit einem unserer Ziele in Verbindung gebracht wird, dass nämlich die ArbeiterInnen die Produktion selbst leiten und die Regierung ebenfalls von ArbeiterInnen geführt wird. "Zur Zeit liegen die Kräfteverhältnisse so, dass sie objektiv zunehmend im Interesse der Arbeiterklasse agiert, wenn auch ohne klares Programm und klare Perspektiven. Diese Tendenzen gilt es zu unterstützen, natürlich ohne die eigene unabhängige Position aufzugeben: Die Unsicherheiten und Halbheiten dieser Elemente müssen aufgezeigt werden, jeder brauchbare politische Ansatz, inklusive jene des Präsidenten, müssen von MarxistInnen jedoch aufgenommen und mit der Methode des Übergangsprogramms für die Bewegung fruchtbar gemacht werden. Die Verteidigung der (bürgerlich-)demokratischen Errungenschaften muss dafür verwendet werden, um für die Schaffung proletarischer Machtorgane zu agitieren. Beschleunigt sich die Dynamik Richtung Verstaatlichung der Banken und Schlüsselindustrien, dann wird sich der Widerspruch zwischen einem unwilligen Staatsapparat und den Erfordernissen der Revolution nur noch mehr vergrößern. Der Prozess läuft auf die Notwendigkeit eigener Machtorgane durch das revolutionäre Proletariat und das arme Kleinbürgertum hinaus. MarxistInnen wie die internationale marxistische Strömung und die dazugehörige Corriente Marxista Revolucionaria in Venezuela sowie der Funke in Deutschland und Österreich geben dieser gesellschaftlichen Tendenz einen bewussten politischen Ausdruck. Eine organisierte Sowjet- oder Fabrikrätebewegung existiert in Venezuela noch nicht. Die vereinzelten Betriebe unter Arbeiterkontrolle haben im Oktober 2005 wichtige Schritte gesetzt, sich zu vernetzen. Ein neuer, proletarisch-demokratischer Staatsapparat, der den alten bürgerlich-korrupten ersetzen könnte, ist erst vereinzelt embryonal in Form von Arbeiterkomitees vorhanden. Andere Erfahrungen der Massenorganisation wie die bolivarischen Zirkel im Zuge des Aprilputsches, und die UBEs im Zuge der Referendumskampagne von 2005 sind momentan wieder bedeutungslos geworden. Darin liegt die größte Gefahr für die Revolution. Wie aber steht es mit der Gefahr eines neuen proletarischen Bonapartismus? Fehlt eine proletarisch-demokratische Machtstruktur, die den bürgerlichen Staatsapparat stürzen könnte, so besteht das Risiko, dass der linke Flügel des Bolivarianismus im Alleingang "für das Volk" mit der Oligarchie brechen wird. In einem solchen Fall würde die revolutionäre Bewegung dies als ihren Sieg betrachten. Ergebnis einer solchen Kräftekonstellation kann, angesichts des globalen Scheitern dieses Gesellschaftssystems, nur ein äußerst schwacher proletarischer Bonapartismus sein. Schon heute sehen wir im Falle mancher unter Arbeiterkontrolle verstaatlichter Unternehmen, beziehungsweise in staatlichen Betrieben, die der Cogestion, also der revolutionären Mitbestimmung unterliegen, den Konflikt zwischen "von oben" bürokratisch eingesetzten Managern und dem demokratischen Selbstverständnis der Bewegung. In einer zweiten Welle würde die Arbeiterklasse versuchen, den bürokratisch deformierten Arbeiterstaat zu demokratisieren. Eine notwendige Schlussbemerkung Die venezolanische Revolution ist nicht als isoliertes Phänomen zu betrachten. Ganz Lateinamerika ist von politischer, sozialer und wirtschaftlicher Zerrüttung gezeichnet. Die Überwindung des Kapitalismus in nur einem lateinamerikanischen Land wäre der Funke der einen kontinentalen revolutionären Brand auslösen wird. "Aber wir brauchen doch die revolutionäre Partei!" sagt nun der Sektierer. "Aber die Massen werden nicht darauf warten, dass diese aufgebaut ist" sagen wir. Unabhängig von der Diskussion über die venezolanische Revolution, die mit jahrelanger Verspätung in die Zirkel der von der Realität des Klassenkampfes hermetisch abgeriegelten Politsekten gedrungen ist, versuchen die Massen ein ums andere Mal ihr Leben zu verbessern. Man stelle sich vor, sie warten nicht darauf, dass die selbsternannten Cheftheoretiker ihnen grünes Licht dafür geben! In Abwesenheit einer Partei vom Format der Bolschewiki in Russland 1917 und revolutionären Führern wie Lenin und Trotzki nehmen die lateinamerikanischen Massen jene Instrumente zu Hand, die sie finden können und sind gezwungen aus eigener Erfahrung zu lernen. Die MarxistInnen der Internationalen Marxistischen Strömung haben diesen Prozess bereits vor Jahren verstanden und dementsprechend gehandelt. Wir können und wollen uns den denunziatorischen Ton der Publikationen gewisser linker Zirkel nicht leisten. In Lateinamerika und in Venezuela im besonderen reden wir zur Massenbewegung. Die revolutionäre Bauernbewegung Venezuelas (Frente Ezequiel Zamorra) bildet ihre Kader mit den Publikationen unserer internationalen Strömung aus. Die Nationalisierung von INVEPAL und INVEVAL wäre ohne die politische Orientierung und die praktische Solidaritäts- und Informationsarbeit durch die Corriente Marxista Revolucioanrio und der von uns mitgetragenen internationalen Kampagne "Hände weg von Venezuela" nie, oder zumindest nicht zu jenem entscheidenden und weichenstellenden Zeitpunkt passiert. Dieser Umstand wird auch von Politsektierern anerkannt, allerdings unter Hinweis darauf, dass die dann darauf erfolgte Gewerkschaftsauflösung in INVEVAL unter Zustimmung des CMR erfolgt sei. Dazu ist folgendes zu sagen: die lokale UNT in Carabobo wird von jenen GenossInnen dominiert, die heute ihre Energie in das Projekt des Aufbaues der PRS stecken - und die übrigens bei den vergangenen Parlamentswahlen vom Dezember 2005 0,3 Prozent der Stimmen in dieser Hochburg erreichte. Das potentielle Werkzeug zur Befreiung der Arbeiterklasse namens PRS zeichnet sich gerade eben durch Potentialität aus - die durch politische und methodische Fehler sich bisher nicht in materielle Gewalt wandeln konnte. Nicht nur, dass dieser Sektor zum Kampf um die Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle nichts beigetragen hat, weil es sich dabei um einen "Propaganda-", aber keine "Aktionslosung" handle, wurde die CMR nach dem Sieg der ArbeiterInnen von den Entwicklungen in der Firma abgeschnitten. Die Fehlentwicklungen liegen daher ungeteilt im Verantwortungsbereich jener, die heute als die politisch-proletarische Alternative präsentiert werden. Dass es auch anders geht, sieht man in INVEVAL, wo das CMR bis heute eine wachsende organisatorische und politische Verankerung im Betrieb hat, auch hier gilt: der Test ist die Praxis und diesen Vergleich haben wir genauso wenig zu scheuen wie die theoretische Auseinandersetzung. Ein anderes gutes Beispiel der organischen Unfähigkeit die Bedürfnisse der Arbeiterklasse zu verstehen und aufzunehmen ist auch der aktuelle gewerkschaftspolitische Umstand, dass die CMR ihre gesamte politische Autorität ausspielt um zu verhindern, dass ein Sektor der UNT im Alleingang mit der Organisierung eines nationalen Gewerkschaftstages vorprescht der als einzige Tagesordnungspunkte "Statuten" und "Wahlen" vorsieht, was die noch junge nationale Organisation spalten würde. Unterdessen nimmt die CMR, als einzige organisierte politische Kraft in der UNT den Slogan der Arbeitsministerin nach Betriebsbesetzungen durch die UNT auf. Erstes Resultat dieser Initiative des CMR ist der Beschluss der UNT von Mérida 18 Betriebe mit 12.750 Arbeitsplätzen zu übernehmen . Und obwohl wir in Venezuela inmitten der politischen Auseinandersetzung mit einigen FührerInnen der venezolanischen Arbeiterbewegung stehen, hindert dies uns nicht kollegiale Beziehungen zu den Repräsentanten aller klassenkämpferischen Strömungen in der UNT und in der bolivarischen Bewegung im Allgemeinen zu halten. Über politischen und strategischen Meinungsdifferenzen hinweg fällt es uns nicht schwer, die historische und aktuelle Bedeutung eines jeden und jeder klassenkämpferischen Strömung anzuerkennen. Dies äußert sich u.a. auch dadurch, dass die Kampagne "Hände weg von Venezuela" durchaus nicht nur VertreterInnen einer spezifischen politischen Strömung nach Europa und die USA einlädt, um die Anerkennung der UNT in der Arbeiterbewegung der imperialistischen Länder voranzutreiben. Und wir nehmen auch dies gerne auf uns: ja, wir haben Hugo Chávez die Bücher "Aufstand der Vernunft", "Verratene Revolution" und "Die Permanente Revolution" geschenkt und wir freuen uns, dass er diese Werke studiert hat. Wir haben ein Übergangsprogramm für den Jugendbereich geschrieben und dies ist ein Attraktionspol für Dutzende Jugendgruppen und -zirkel im ganzen Land geworden. Wir geben auch marxistische Vorträge in Ministerien, Fabriken und Massenorganisationen und scheuen uns auch nicht davor, neben unseren eigenen Publikationen sowohl kommunale als auch nationale Radio- und Fernsehsender zu nutzen, um regelmäßig Programm zu machen. Und Alan Woods hat die eiserne Blockade der reformistischen Berater rund um den venezolanischen Präsidenten gesprengt und mit Chávez konferiert. Wir können auch nichts Schlechtes dabei erkennen, dass neben Gesandten von Tony Blair, ATTAC und Vertretern der im Hemd der Frankfurter Schule auftretenden Etappentheoretikern auch ein Marxist der für die sozialistische Revolution in Venezuela und international steht, sich mit dem Führer der bolivarischen Revolution unterhält und austauscht. In Europa wenden wir uns an die Arbeiterbewegung. Wir sehen unsere Aufgabe klar darin, die bolivarische Revolution nicht zuletzt in den imperialistischen Nationen, gegen die Lügen und konterrevolutionären Aktionen der imperialistischen Regierungen zu verteidigen. Und: Nach Jahren der Niederlagen, der ideologischen Selbstzufriedenheit der Bourgeoisie ist die bolivarische Revolution der erste sichtbare Scheitelpunkt, dass sich die Zeiten gewandelt haben. Nationalisierung unter Arbeiterkontrolle etwa ist angesichts der Massenarbeitslosigkeit ein Slogan der auch in Europa von Bedeutung ist und durch die venezolanische Revolution ihren Praxistest besteht. Und während Sektierer angesichts der Sozialismusdiskussion in Venezuela nur säuerlich ihren Mund verziehen, sehen wir in dieser Debatte die Chance, diesen Gedanken wieder in der Arbeiterbewegung Europa und den USA zu verankern. Nach Jahrzehnten des Rechtsruckes der traditionellen Arbeiterorganisationen in den imperialistischen und exkolonialen Ländern ist es für Tausende Betriebsräten und Gewerkschaftsaktivisten durchaus keine sekundäre Frage, ob sich, beginnend in Venezuela, die Debatte und Zielorientierung einer Gesellschaft "Sparzwang" und Standort oder eben Sozialismus lautet. Der Aufbau einer revolutionären Partei und der ehrliche Einsatz in der bolivarischen Revolution ist kein Widerspruch, sondern die einzige richtige und ehrliche Methode für Revolutionäre. Wir möchten an dieser Stelle an die Haltung der Bolschewiki in der russischen Revolution erinnern. Der Slogan Lenins im Jahr 1917 war nicht: "Nieder mit der Provisorischen Regierung", sondern: "Nieder mit den 10 bürgerlichen Ministern", "Alle Macht den Sowjets" und "Land, Brot und Friede". Dies übrigens auch zu einem Zeitpunkt als die Reformisten nicht nur die provisorische bürgerliche Regierung, sondern auch die feste Mehrheit in den Sowjets hatten. Redet man mit der revolutionären Bewegung, dann ist es zuwenig mit Negativslogans an die Bewegung heranzutreten und man stößt auf völliges Unverständnis, wenn man diese zusätzlich noch in schrillen Tonfall des Denunzianten von sich gibt. Im Gegensatz zu all unseren Kritikern haben wir einen entscheidenden Pluspunkt aufzuweisen: Die internationale marxistische Strömung steht inmitten der venezolanischen Klassenauseinandersetzung. Dies ist kein Zufall, sondern das Resultat unserer Analysefähigkeit und unserer Anwendung marxistischer Methoden. Lateinamerika steht vor der Alternative einer kontinentalen Barbarei oder der kontinentalen Revolution und wir haben entschieden, unsere analytischen, theoretischen und praktischen Mittel im Kampf um den Sozialismus beizusteuern. |