Sie beklagen die starke Medienkonzentration in Venezuela in wenigen Händen. Woran macht sich dies fest?
Der US-Konzern Verizon besitzt die venezolanische Telekommunikation einschließlich Mobilfunk und Internet, die meisten Printmedien und über 90 Prozent der elektronischen Medien, darunter Sender wie Venevision. RCTV, Globovision und Televen befinden sich in privatkapitalistischen Händen und gehören Personen aus der Oligarchie und politischen Rechten, die daneben noch Banken, große Firmen und Ländereien besitzen. Nur sechs Prozent der elektronischen Medien kontrolliert der Staat, auf Alternativsender entfallen derzeit ganze zwei Prozent. Der Chef von Globovision ist – nebenbei gesagt – einer der geistigen Urheber des Mordanschlags auf den Staatsanwalt Danilo Anderson im November 2004. Anderson hatte gegen die Putschisten vom April 2002 ermittelt.
Da fragt man sich, wie unter solchen Umständen trotz dieser eindeutigen Machtverhältnisse im Mediensektor und entgegen den Ratschlägen der Privatsender das venezolanische Volk mehrheitlich zum Präsidenten und zum bolivarischen Prozess hält. Präsident Chávez, der Anfang Dezember wieder für eine neue Amtszeit kandidiert, liegt laut Umfragen um 20 Prozentpunkte vor seinem rechten Herausforderer.
Der Präsident persönlich ist ein großer Kommunikator, der mit seinen Auftritten im Volk und mit seiner Fernsehsendung Aló Presidente bei den Leuten ankommt und glaubwürdig ist. Er versteht es auch, auf unterhaltsame, humoristische und populäre Weise die Lügen seiner Gegner zu widerlegen und sie der Lächerlichkeit preis zu geben. Die alternativen Medien und auch alle führenden Köpfe der Massenbewegung diskutieren ständig über die Rolle der privaten Medien. Auch das hat das Bewusstsein geschärft. Aber klar ist auch, dass die privaten bürgerlichen Medien nach wie vor die Leute manipulieren und beeinflussen, auch ihre Kritiker. Denn es gibt subtile Formen der Beeinflussung und eine Kommunikationskultur, die schwer wiegt.
Wie wollen Sie den Einfluss der privaten Sender zurückdrängen?
Eine Möglichkeit hierzu bietet sich im kommenden Frühjahr, wenn die Sendelizenzen für einige dieser Sender auslaufen und die Regierung entscheiden kann, ob sie diese verlängern will oder nicht. Wer eine Lizenz erhalten möchte, muss dafür auch die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Diese Sender haben nachweislich aktiv am illegalen Staatsstreich im April 2002 mitgewirkt und dabei nicht nur die Meldungen der Putschisten verbreitet, sondern den Putsch auch direkt gelenkt. Damit haben sie nicht nur gegen zahlreiche Gesetze über ein demokratisches Gemeinwesen und gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, sondern auch gegen elementare Menschenrechte. Zivile Gruppen haben daher gegen die Eigentümer der Privatsender Klage beim obersten Gericht eingereicht. Wir warten auf das erste Verfahren, aber die Mühlen der Justiz mahlen immer noch sehr langsam, und das kann lange dauern. Sie stellen darüber hinaus die Macht der Privatsender grundsätzlich in Frage und fordern eine Enteignung großer Medienmogule.
Es macht keinen Sinn, dass ganz wenige Menschen die großen Sender besitzen und damit die öffentliche Meinung manipulieren, während die großen sozialen Organisationen keine starken landesweiten Medien haben. Schon eine Überprüfung und ein Auslaufen der Sendelizenzen aufgrund der Verstrickung der Privatsender mit den Putschisten und ihrer aktiven Rolle bei der Sabotage der Erdölindustrie Ende 2002/Anfang 2003 hätte diesen Effekt. Denn damit haben sie auch den Tod unschuldiger Menschen und riesige wirtschaftliche Schäden zu verantworten. Allein der durch die Sabotage angerichtete wirtschaftliche Schaden lässt sich – direkt und indirekt – auf insgesamt 20 Milliarden Dollar veranschlagen. Die dafür fällige Wiedergutmachung und Entschädigung erfordert einen Entzug der Sendelizenzen und die Enteignung. Präsident Hugo Chávez hat das Volk aufgefordert, Menschenrechte einzuklagen, die von den großen Medien verletzt werden. Ein Parlamentsabgeordneter hat inzwischen gegen den als Kanal 2 bekannten Sender RCTV geklagt und erreicht, dass das Gericht dem Sender das Ausstrahlen von Werbung für Telefonprostitution untersagte. So sind dem RCTV-Besitzer täglich 300 Mio. Bolivar entgangen, mit denen er vermutlich die Kassen der Konterrevolution gefüllt hätte.
Was soll nach einer von Ihnen angestrebten Enteignung aus den Medien werden? Welche Alternativen haben Sie?
Große gesellschaftliche Organisationen wie der Gewerkschaftsbund UNT und die Bauernbewegung Ezequiel Zamora sind im Volke verankert und brauchen endlich die ihnen zustehenden Kommunikationsmittel. ANMCLA und Aporrea fordern zusammen mit vielen UNT-Gewerkschaftern und Bauernaktivisten, dass die Medien in öffentlichen Besitz gehören und unter die Kontrolle des Volkes, der Arbeiter und der gesellschaftlichen Organisationen gestellt werden müssen. Das ist weit mehr als eine reine Verstaatlichung und bedeutet, durch Mobilisierung großer gesellschaftlicher Massenorganisationen die Machtverhältnisse im Mediensektor grundlegend umzukehren.
Rechnen Sie damit, dass die bolivarische Regierung nach einer Wiederwahl des Präsidenten eine solche konsequente Linie einschlägt?
Präsident Chávez hat schon mehrfach den Privatsendern mit einem Entzug der Sendelizenzen gedroht. Aber die internationalen Medienmonopole sind natürlich sehr mächtig und würden sich mit Erpressungsversuchen wehren. Sie würden weltweit jeden Schritt zu Demokratisierung der Medien als angebliches „Ende der Meinungsfreiheit“ in Venezuela anprangern. Die Regierung will sich natürlich in der Weltöffentlichkeit solchen Kampagnen nicht aussetzen. Die sozialen Bewegungen und Massenorganisationen können aber diesen Druck auf die Privatmedien ausüben, denn wir sind nicht direkt dem Meinungsdruck der Weltöffentlichkeit ausgesetzt. Wir sagen, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung ein Menschenrecht ist und nicht nur den Kapitalbesitzern und Unternehmern vorbehalten sein darf. Wir haben gute Argumente dafür, die Macht der Medienmonopole zu brechen und erwarten dann auch von der Regierung, dass sie uns auch aktiv unterstützt, wenn wir für unsere Ziele mobilisieren.
Präsident Chávez hat Anfang 2005 eine Sozialismus-Debatte in der Bevölkerung angestoßen. Was verstehen die Menschen in Venezuela unter Sozialismus?
Der Begriff Sozialismus ist in Venezuela in aller Munde, obwohl allgemein noch nicht sehr klar ist, was darunter zu verstehen ist. Natürlich haben die sozialen Bewegungen und der Präsident schon bestimmte Vorstellungen – etwa die Ablehnung von Kapitalismus, Imperialismus oder Neoliberalismus. Oder es ist die Rede von Brüderlichkeit oder Betrieben mit sozialer Produktion und vom Gegensatz zwischen privatkapitalistischen und gesellschaftlichen Interessen, von Mitbestimmung, Selbstverwaltung und Arbeiterkontrolle im Betrieb. Als dann aber etwa die Arbeiter in der Energieversorgung das Recht auf Wahl der Manager und einen Kampf gegen Bürokratismus und Technokratie forderten, da wurde ihnen von manchen Beamten entgegengehalten, dass hier die Mitbestimmung nicht zum Zuge kommen dürfe, weil die Energieversorgung strategische Bedeutung im Lande habe und nationale Sicherheitsinteressen tangiert würden. Dabei wird jedoch vergessen, dass die Erdölarbeiter Ende 2002/Anfang 2003 durch ihr beherztes Eingreifen die Erdölwirtschaft vor der Sabotage retteten, als Kapitalisten, Manager und Medien zum Boykott der Erdölproduktion aufriefen, um die Regierung Chávez zu Fall zu bringen. Wenn also die Erdölarbeiter in ihrer Industrie die Produktion in eigener Regie aufrechterhalten können, dann gilt das auch für alle anderen Wirtschaftsbereiche. Den Sozialismus erreichen wir nur, indem wir sozialisieren, und nicht mit Kooperativen bzw. einer anderen Form des Privateigentums und der Selbstausbeutung. Die errungenen Gewerkschaftsrechte und Tarifverträge müssen verteidigt und aufgebaut werden. Sozialismus ist mit Privateigentum an den großen Produktionsmitteln unvereinbar und bedeutet Kontrolle der Produktionsmittel durch die Arbeiter.
Was erwarten Sie von der Solidaritätsbewegung in Deutschland und Europa?
Der Imperialismus betrachtet die venezolanische Regierung als seinen Feind, weil sie nicht mehr nach seiner Pfeife tanzt. Darum ist für uns Solidarität in Europa so wichtig, auch wenn manche linke Organisationen Kritik an einzelnen Maßnahmen der Regierung äußern mögen. Diese Regierung verkörpert die Kontinuität sozialer und politischer Errungenschaften und muss daher verteidigt werden. Dies bietet die beste Voraussetzung für weiteren Fortschritt in Richtung Sozialismus. Das Erreichte verteidigen heißt heute konkret, dass wir für die Wiederwahl des Präsidenten Chávez eintreten und uns ebenso dem Imperialismus auch bei einer direkten Aggression entgegen stellen. Die Linke muss sich – allen Differenzen zum Trotz – zur Verteidigung Venezuelas zusammenschließen und Solidarität mit dem venezolanischen Volk üben. Wenn unser revolutionärer Prozess gestoppt würde, hätte dies nicht nur für Venezuela, sondern weltweit katastrophale Folgen.
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