Kategorie: Amerika |
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Venezuela: Bilanz der Betriebsbesetzung bei Mitsubishi |
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Am 22. März einigten sich die Unternehmensführung von MMC Automotriz und die Singetram (Neue Generation – Gewerkschaft der Mitsubishi-Arbeiter) über eine Wiederinbetriebnahme des Werks in Barcelona, im Bundesstaat Anzoátegui (Venezuela). Damit ist die seit fast zwei Monaten dauernde Besetzung der Fabrik durch die Belegschaft zu Ende. | |||
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Die Singetram versuchte mit diesem beispielhaften Arbeitskampf eine Reihe von wichtigen Verbesserungen für die ArbeiterInnen zu erwirken. Dabei hatte sie eine Reihe von teils sehr mächtigen Kontrahenten gegen sich (Polizeioffiziere im Dienste des Unternehmens, reaktionäre Richter, die bürgerlichen Massenmedien, reformistische GewerkschaftsführerInnen und SpitzenpolitikerInnen). Sie hatten also nicht nur die Interessen eines sehr bedeutenden multinationalen Konzerns, sondern auch jene des bürgerlichen Staatsapparates offen herausgefordert. Die Belegschaft von MMC verfügt über eine sehr starke Organisation und konnte sich der vollen Unterstützung durch die bolivarischen Basisorganisationen in der Region sicher sein; angesichts dieser gegnerischen Übermacht mussten sie jedoch nun einen Schritt zurück gehen. Vor allem der massive Druck seitens des Arbeitsministeriums (MINPPTRASS) hat schließlich den Ausschlag gegeben. Die Singetram argumentiert das jetzige Abkommen als notwendige Gefechtspause, um die Arbeiterbewegung in der Autoindustrie und im Bundesstaat Anzoátegui stärker zu organisieren und zu vereinen, um darauf aufbauend in der nächsten Runde eine bessere Ausgangsposition im Kampf gegen das Kapital zu haben. Die Verhandlungen Im Zuge der Verhandlungen forderte das Arbeitsministerium von den Gewerkschaftsführern von Mitsubishi die schnellstmögliche Zustimmung zu einem Abkommen mit der Unternehmensleitung. Ein zentraler Punkt in der Auseinandersetzung war die Frage der Kündigung von 135 Arbeitern des Subunternehmens Induservis. Die Singetram hatte zu Beginn der Betriebsbesetzung die Forderung aufgestellt, dass diese 135 Kollegen als Teil der MMC-Stammbelegschaft wieder eingestellt werden müssen. Dabei stützten sie sich auf den Artikel 77 des Arbeitsrechts, der vorsieht, dass der bei MMC praktizierte Einsatz von Arbeitskräften über ein Subunternehmen in dieser Form nicht gesetzeskonform ist. Das Arbeitsministerium lehnte diese Forderung entschieden ab, weil dies eine Kettenreaktion auch in anderen wichtigen Industriesektoren auslösen würde. Denn bei der PDVSA, bei SIDOR und selbst im öffentlichen Dienst und bei Kommunalbetrieben ist überall ein beachtlicher Teil der Belegschaft über Subunternehmen und zu schlechteren Bedingungen als die Stammbelegschaft beschäftigt. Die Haltung von Marea Socialista Einen wichtigen Faktor in der ganzen Gleichung stellte auch die Führung der linken Gewerkschaftsströmung Marea Socialista (Sozialistische Flut) dar, die in den Gewerkschaften der Autoindustrie relativ einflussreich ist und deren bekanntester Vertreter Stalin Perez ist, der auch schon im deutschsprachigen Raum als Hoffnungsträger von Teilen der radikalen Linken mehrfach hofiert wurde. Schon zu Beginn der Betriebsbesetzung bei MMC weigerte sich die Marea Socialista den Arbeitskampf auf andere Betriebe der Autoindustrie auszuweiten. Und jetzt lobt sie in ihrer öffentlichen Stellungnahme zu dem Abkommen (Llegaron a un acuerdo los trabajadores y la empresa Mitsubishi) die positive Rolle des Arbeitsministeriums als Schlichter in den Verhandlungen! Die Rolle der Bürokratie und ihre Interessen an einer Kooperation mit dem japanischen Imperialismus Was steckt hinter dieser nicht gerade arbeiterfreundlichen Haltung des Arbeitsministeriums in diesem Konflikt? Die Bürokratie fürchtet ausgehend von einem beispielgebenden Arbeitskampf bei Mitsubishi einen generellen Anstieg des Klassenkampfes. Die Mitsubishi-Arbeiter könnten leicht zum Vorbild für viele andere Belegschaften werden. Und die Regierung ist derzeit sehr bestrebt, Arbeitskämpfe zu kanalisieren und in ruhige Bahnen zu lenken. Gerade im Konflikt bei Mitsubishi dürfte es auch handfeste wirtschaftliche Interessen geben. Die staatliche Erdölfirma PDVSA steht vor dem Abschluss wichtiger Joint Ventures mit japanischen Unternehmen zum Ausbau der Erdölförderung im Orinoco-Delta. Erst am 19. März besuchte Energieminister Rafael Ramirez Tokio und führte Verhandlungen mit dem japanischen Handelsminister (siehe auch: Japan, Venezuela Sign Orinoco Oil Cooperation Deal). Es kann mit größter Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass bei diesen Verhandlungen die japanische Seite ein sofortiges Ende der Arbeitskonflikte in den Werken von Toyota und MMC in Venezuela als Bedingung für die Unterzeichnung dieser Wirtschaftskooperation gefordert hat. Venezuela wird von der aktuellen Weltwirtschaftskrise schwer getroffen. Vergangenes Wochenende verabschiedete die Regierung ein Maßnahmenpaket gegen die Krise: Haushaltskürzungen (wenn auch nicht im Sozialbereich) entsprechend den erwarteten Ausfällen bei den staatlichen Einnahmen aufgrund des gesunkenen Erdölpreises; eine dreiprozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine Erhöhung des Mindestlohns um 20% in zwei Etappen, was angesichts der hohen Inflationsrate einem Reallohnverlust gleichkommt. Diese Politik ist jedoch völlig unzureichend angesichts des Ausmaßes der Krise. Die Staatsverschuldung wird trotzdem massiv steigen. Der Einbruch beim Erdölpreis hat für Venezuela schwerwiegende Folgen. Einen Ausweg kann es nur geben, wenn bei den Banken, in der Produktion, bei der Lebensmittelverteilung und in anderen Schlüsselsektoren der Wirtschaft die Interessen der Kapitalisten angegriffen werden. In den vergangenen Wochen hat Chávez zwar mehrfach sehr lautstark gedroht, bis jetzt folgten den Worten jedoch noch keine konkreten Taten. Zurück zum Arbeitskampf bei Mitsubishi: Mittlerweile wurde bei einer Betriebsversammlung, an der rund 1000 Arbeiter teilgenommen haben, für die Annahme des Verhandlungsergebnisses gestimmt. Die Betriebsbesetzung ist damit zu Ende gegangen. Viele Arbeiter haben mit Tränen in den Augen diesem Ergebnis zugestimmt, auch wenn wichtige Forderungen der Betriebsbesetzung durchgesetzt werden konnten: die Kündigung der Arbeiter von Induservis wurde rückgängig gemacht, diese Kollegen werden jedoch nicht Teil der Belegschaft der MMC; die Familien der bei einem Räumungsversuch durch die Polizei ermordeten Arbeiter werden finanziell entschädigt; die Kollegen von Induservis arbeiten ab sofort unter den selben Bedingungen wie die Arbeiter von MMC; für die Zeit der Besetzung wird den Arbeitern der volle Lohn rückwirkend ausbezahlt; die Wegzeit von und zur Arbeit wird als Teil der Arbeitszeit gerechnet. Auch wenn damit wichtigen Forderungen der MMC-Belegschaft und ihrer Gewerkschaft nachgegeben wurde, so mussten doch die Arbeiter erkennen, dass die Regierung, in die sie bisher so große Hoffnungen setzten, dem Arbeitskampf ein Ende setzen wollte. Sozialismus erfordert die Vergesellschaftung der Produktionsmittel in den Händen der Menschen, wie Präsident Chávez selbst mehrfach betont hat. Betriebsbesetzungen, die Durchsetzung einer echten Kontrolle der ArbeiterInnen und der Basisgemeinden über die Industrie, die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates wären die richtigen Mittel zur Überwindung des Kapitalismus. Wenn ArbeiterInnen die Fabriken besetzen, um ihre Rechte zu verteidigen und die Regierung und der Staatsapparat dann Druck auf sie ausüben, ihren Kampf wieder abzubrechen oder ein Abkommen mit multinationalen Konzernen oder heimischen Kapitalisten zu schließen, was die Fortführung der kapitalistischen Ausbeutung bedeutet, dann schafft dies nicht nur eine Kluft zwischen den Massen und der Regierung, weil der Widerspruch zwischen den Reden des Präsidenten und der konkreten Politik der Beamten in den Ministerien offensichtlich wird. Dies führt auch dazu, dass die Menschen das Vertrauen in die Revolution selbst verlieren. Die venezolanische Arbeiterbewegung benötigt heute mehr denn je eine echte revolutionäre Führung, die auch eine Alternative zur UNT-Führung (Gewerkschaftsdachverband) darstellen kann. Dies ist umso wichtiger, da die UNT-FührerInnen ihren Aufgaben, nämlich die Arbeiterbewegung auf der Grundlage eines revolutionären Programms innerhalb der bolivarischen Bewegung zu vereinen, nicht gerecht werden kann. Nach dem Ende der Betriebsbesetzung können sich die Genossen der Singetram jetzt voll auf die Vereinigung der Gewerkschaftsbewegung nach den Prinzipien revolutionärer und klassenkämpferischer Gewerkschaftsarbeit konzentrieren. Das jetzt geschlossene Abkommen ist nicht das Ende des Kampfes, sondern ein zeitlich befristeter Waffenstillstand. Ein völliger Sieg wäre nur möglich gewesen, wenn der Arbeitskampf auf die gesamte Autoindustrie und Arbeiterbewegung im Allgemeinen übergesprungen wäre. Das ist die wichtigste Lehre vorerst. Vor dem Hintergrund der tiefen Krise der Autoindustrie bedeutet das jetzige Abkommen nur eine Verschiebung des Konflikts. Mitsubishi musste teure Zugeständnisse an die Gewerkschaft machen, es ist nur eine Frage der Zeit bis der nächste Angriff kommt. Die nächsten Auseinandersetzungen kann die Gewerkschaft aber nur gewinnen, wenn sie zu einem Bezugspunkt für die gesamte venezolanische Arbeiterbewegung wird. Der Kampf bei Mitsubishi muss Teil des allgemeinen Kampfes für die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und für den Aufbau einer echten Arbeiterdemokratie sein. Dieser Artikel basiert auf der Stellungnahme der Corriente Marxista Revolucionaria (CMR) |