Kategorie: Asien |
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Auftrag ausgeführt? |
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10 Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins stehen islamische Fundamentalisten vor der Machtübernahme. Der Autor erklärt, wie es möglich ist, dass die recht kleine Miliz der ISIS riesige Teile des Landes in so kurzer Zeit übernehmen konnte? |
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Die imperialistische Intervention der USA und ihrer Verbündeten im Jahre 2003 wurde uns damals als Mission zum „Sturz des Diktators Saddam Hussein“ präsentiert. Der Krieg brachte aus der Sicht Washingtons das gewünschte Ziel, und der damalige US-Präsident George W. Bush konnte mit folgenden denkwürdigen Worten an die Weltöffentlichkeit treten: „Mission accomplished“ – „Auftrag ausgeführt“.
Wir hielten dem damals entgegen, dass der Sturz von Hussein Aufgabe der irakischen Bevölkerung sein muss. Anstatt ein stabiles, bürgerlich-demokratisches Regime zu etablieren, errichteten die USA ein Marionettenregime unter Präsident Mailiki, unter dem der Irak 2012 als achtkorruptestes Land der Welt eingestuft wurde. Sie brachten keine Demokratie, sondern bauten ein Regime auf, das ihre ökonomischen und geostrategischen Interessen durchsetzen sollte.
Die Arbeitslosenrate betragt offiziell 16%, inoffiziellen Schätzungen zufolge jedoch bis zu 35%. Weil der Kapitalismus in diesem Land kein einziges Problem losen kann, heizen die Eliten die religiösen Konflikte an, um die Wut der Massen auf Ziele zu richten, die sie selbst in ihrem Herrschaftsanspruch nicht gefährden.
Schon als die Imperialisten mit dem Lineal die Grenzen der heutigen Staaten im Mittleren Osten zogen, waren diese Konflikte eingeplant. Sie sollten es den Imperialisten ermöglichen, die Region weiter zu dominieren, auch nachdem sie offiziell entkolonialisiert wurden. Die verbrecherischen Methoden des Imperialismus sind die eigentliche Ursache für die endlosen Konflikte, die wir im Mittleren Osten, aber auch zwischen Pakistan und Indien, in Nigeria u.a. sehen.
Doktor Frankenstein
Die Maliki-Regierung stützt sich auf die schiitische Mehrheit im Land. Die kurdische Minderheit regelt ihre Angelegenheiten mittlerweile weitgehend autonom. Seit 2012 gibt es, vor allem in sunnitischen Gebieten, eine wachsende Protestbewegung, die von der Maliki-Regierung gewaltsam unterdrückt wird, was dazu fuhrt, dass man die irakische Armee und Polizei dort als Nachfolger der US-Armee betrachtet. Die SunnitInnen waren zu Zeiten Saddams die dominante Kraft im Irak. Die SchiitInnen und KurdInnen wurden unterdrückt. Mit Saddams Sturz verloren die SunnitInnen ihre einflussreiche Position im Staat. Deshalb kämpfen die sunnitischen Clanführer jetzt gegen Maliki. Die jüngsten Entwicklungen müssen in diesem Kontext betrachtet werden.
Die irakische Armee bricht zusammen, weil die Moral der Truppe extrem niedrig ist. Als die großteils schiitischen Soldaten, die von Maliki in erster Linie zur Unterdrückung der anderen Volksgruppen eingesetzt werden, mit heranrückenden, bewaffneten Gruppen konfrontiert wurden, die sich als Befreier der SunnitInnen darstellten, wussten sie, dass diese von der Bevölkerung mit Sympathie empfangen werden wurden. Das vom Imperialismus in den letzten Jahren geschaffene Gebilde im Irak steht auf derart wackeligen Beinen, dass es den bewaffneten religiösen Gruppen der ISIS (Islamischer Staat im Irak und in (Groß-)Syrien) relativ leicht gefallen ist, sich zu etablieren.
Die Medien berichten, dass eine halbe Million Menschen aus Mossul geflohen sind. Doch im Nachhinein stellte sich heraus, dass eine betrachtliche Anzahl in die Stadt zurückgekehrt ist. Nachdem die Aufständischen die Kontrolle über die Stadt erlangt hatten, sanken die Preise und die Stromversorgung verbesserte sich. Die Fundamentalisten gaben sich ernsthafte Muhe, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, und sehen von einer Umsetzung ihrer Scharia-Ideologie vorerst ab, um mit anderen sunnitischen Kampfgruppen und ehemaligen Hussein-AnhängerInnen zusammenarbeiten zu können.
Die ISIS allein verfügt nur über 10-12.000 Kämpfer. Eine solch schwache Kraft hatte ein derartig großes Gebiet nicht allein übernehmen können, wäre die Revolte unter den SunnitInnen nicht schon längst am Köcheln gewesen. Das Maliki-Regime hat also Grund genug, die Stärke von ISIS zu übertreiben. Sie können nicht zugeben, dass sie sich die momentane Situation selbst zuzuschreiben haben. Stattdessen reden sie von einer islamisch-fundamentalistischen Verschwörung. Doch die SunnitInnen unterstützen ISIS nur insofern, als sie gegen den gemeinsamen Feind Maliki kämpft. Als ISIS seine Version der Scharia in Städten wie Raqqa in Nordsyrien durchsetzen wollte, wurde sie von der Bevölkerung vertrieben. Das wird auch im Irak geschehen. Früher oder später wird es Konflikte zwischen ISIS und der Bevölkerung geben, denn die normalen Menschen im Irak sind keine DschihadistInnen. Wie alle werktätigen Menschen wollen sie in Ruhe leben, mit einem stabilen Lebensstandard und in Frieden. Nur die US-Invasion im Irak und die bitteren Erfahrungen mit der Maliki-Regierung haben die Bedingungen dafür geschaffen, dass große Teile der Bevölkerung solche Gruppen vorerst unterstützen.
Der Irak zerfällt
Ohne eine massive Militärintervention aus dem Ausland wird es Maliki nicht möglich sein, die sunnitischen Gebiete zurückzuerobern. Doch die wird es nicht geben. Die USA haben eingesehen, dass jede Intervention den Konflikt nur weiter anheizen wurde. Ihnen schwebt eine „Regierung der nationalen Einheit“ aus SchiitInnen, SunnitInnen und KurdInnen vor. ISIS und die diversen sunnitischen Gruppen werden hingegen nicht nach Süden durchmarschieren können. Der Südirak ist hauptsächlich von SchiitInnen bevölkert, die bereits Freiwilligenarmeen bilden. Alles deutet auf einen Bürgerkrieg hin. Dieses Horrorszenario ist die Folge der imperialistischen Invasion im Jahre 2003. Menschen, die jahrzehntelang friedlich miteinander gelebt haben, bekriegen sich nun. Und selbst von ihrem eigenen, beschränkten Klassenstandpunkt aus haben die imperialistischen Mächte einen Fehler nach dem anderen begangen. Unter Bush wollten sie der Welt zeigen, dass sie das Sagen haben und jedes Abweichen von ihrer Linie mit völliger Vernichtung beantworten. Doch nun steht der US-Imperialismus entblößt und hilflos vor der Welt. Washington wollte Syrien bombardieren und musste einen Rückzieher machen. In der Ukraine hat man viel Lärm gemacht, doch die Annexion der Krim durch Russland musste Obama hinnehmen. Auch der Situation im Irak stehen die USA hilflos gegenüber.
Am blutigen Zerfall des Irak lässt sich auf kapitalistischer Grundlage nichts mehr ändern. Die nationale Frage ist eine materielle Frage, eine Frage des Brotes. Schiitische ArbeiterInnen haben kein Interesse daran, SunnitInnen zu unterdrücken, iranische ArbeiterInnen haben kein Interesse an den Machtprojektionen ihrer Herrscher. Die ArbeiterInnen der Region haben jedes Interesse daran, all diese Regimes zu stürzen. Der Imperialismus stützt die verfaulten Regimes in der Region aus materiellem und strategischem Interesse heraus. Die Lösung kann nur sein, die Wirtschaft so zu entwickeln, dass sie den Menschen dient, die dort leben.
Doch das kann nur bedeuten, die Ökonomie der Profitlogik der multinationalen Konzerne, die diese Länder beherrschen, zu entreißen. Die Ressourcen dieser reichen Region müssen endlich dafür verwendet werden, eine moderne Infrastruktur und gute Wohnungen für alle zu bauen sowie ein gutes Gesundheits- und Bildungssystem zu errichten.
Der Arabische Fruhling im Jahr 2011 sowie die revolutionäre Bewegung im Iran zwei Jahre zuvor haben gezeigt, wie ein Ausweg aus dieser Krise aussehen kann. Keine der Mächte, die sich um den Irak streiten, hat der Bevölkerung etwas zu bieten. Nur auf Grundlage einer sozialistischen Gesellschaft können die Menschen die bestehenden Ressourcen, die sie brauchen, um ihre Länder wieder aufzubauen und die nationalen Konflikte zu beenden, auch für sich ausschöpfen.
Auch im Irak gilt: Sozialismus oder Barbarei! |