Die Verhaftung Öcalans und der kurdische Befreiungskampf
Die Verhaftung Abdullah Öcalans, dem Führer der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) rückte die Unterdrückung des kurdischen Volkes in den Mittelpunkt des Weltinteresses. Die türkische Regierung versuchte Öcalan als blutigen Terroristen zu porträtieren, der für den Tod tausender Türken verantwortlich ist. Es stimmt natürlich, dass viele Soldaten und Zivilisten in dem nun schon 15 Jahre andauernden Krieg der türkischen Armee gegen den kurdischen Separatismus ums Leben gekommen sind. Dafür kann aber kaum einem Mann die ganze Verantwortung anlasten. Denn das ist das Resultat der nationalen Unterdrückung der Kurdlnnen durch die herrschende Klasse in der Türkei, die gleiche Klasse, die alle Arbeiterinnen in der Türkei, egal ob Türklnnen oder Kurdlnnen, unterdrückt. Tausende Kurdlnnen fielen in diesen Jahren dem staatlichen Terror seitens der türkischen Armee in der Südosttürkei zum Opfer.
Arbeiterinnen auf der ganzen Welt müssen den Kampf des kurdischen Volkes gegen diese Unterdrückung durch das türkische Regime unterstützen. Es ist aber sicher nicht ausreichend, sich mit der Sache des kurdischen Volkes zu solidarisieren. Es ist genauso notwendig, die Ursachen für diese Unterdrückung der Kurdlnnen zu erklären und einen konkreten Weg aus ihrer scheinbaren Ausweglosigkeit aufzuzeigen.
Die Verhaftung Abdullah Öcalans ist Teil einer permanenten Offensive gegen die kurdische Minderheit in der Türkei. Die Tatsache, dass keine europäische Macht bereit ist, Öcalan politisches Asyl zu gewähren, zeigt, dass sie allesamt insgeheim die türkische Forderung nach seiner Verhaftung unterstützen.
Öcalan hat in mehreren europäischen Staaten um Asyl angesucht oder zumindest ein internationales Gerichtsverfahren eingefordert. Obwohl alle diese Staaten in der Verfassung das Recht auf Asyl verankert haben, wollte ihn niemand aufnehmen. In der Realität gewähren sie das Recht auf Asyl nur, wenn es ihren eigenen Interessen nützt, womit Öcalan keine Chance mehr hatte.
Öcalans Ansuchen um Asyl
Deutschland stellte anfangs einen Haftbefehl gegen Öcalan aus. Als er letztes Jahr nach Italien kam, weil er eben Asyl suchte, wurde er auf Anfrage Deutschlands verhaftet. Einmal in Haft wollten die deutschen Behörden aber plötzlich nicht mehr die Auslieferung fordern. Die Deutschen wollten ganz einfach nicht mit der heißen Kartoffel in Händen übrigbleiben. Die italienische Regierung wiederum konnte Öcalan nicht an die Türkei ausliefern, weil die italienische Verfassung eine Auslieferung in Länder mit Todesstrafe nicht zulässt, worauf man mit dem Problem alleine dastand. Einziger Ausweg: Auf Öcalan Druck ausüben, damit er das Land wieder verlässt. Gezwungen, aus Italien wieder auszureisen, reiste er auf der Suche nach einem sicheren Hafen scheinbar wochenlang rund um die halbe Welt. Er appellierte an die griechische Regierung, die ihm jedoch nur einen Unterschlupf in ihrer Botschaft in Kenia anbieten wollte. Und dies erwies sich im Nachhinein als Falle.
Dies zeigt, dass die westlichen Regierungen zwar gerne vorn Selbstbestimmungsrecht der kleineren Nationen reden, dass sie es in Wirklichkeit aber immer nur als Kleingeld für ihre eigenen Manöver benutzen.
Der CIA war ganz klar darin involviert, als es darum ging, den türkischen Behörden dabei zu helfen, Öcalan in der griechischen Botschaft in Nairobi aufzuspüren. Die griechische Regierung kollaborierte ebenfalls, als es darum ging, Öcalan zum Verlassen der Botschaft zu bewegen. Sie ließen ihn offensichtlich glauben, dass er in die Niederlande ausgeflogen würde. Es ist offensichtlich, dass die griechische Regierung von den USA enorm unter Druck gesetzt wurde. Immerhin ist die Türkei ein wichtiger Verbündeter der USA in dieser Region.
Die Kollaboration der griechischen Regierung bei der Verhaftung Öcalans hat aber bereits die Lage in Griechenland selbst enorm destabilisiert. Der griechische Ministerpräsident, Kostas Simitis, geriet zu Hause unter politischen Beschuss, weil er Öcalan an die Türkei ausliefern ließ. Griechenlands Aussenminister und zwei weitere Minister mussten wegen dieser Affäre zurücktreten. Und es herrscht in weiten Teilen große Unzufriedenheit über das was man hier als Verrat sieht. Simitis ist auch in der eigenen Partei, der PASOK, mit Widerstand konfrontiert. Die Jugendorganisation der PASOK organisierte Solidaritätsdemonstrationen mit den Kurdlnnen und stellte sich so offen gegen die eigene Parteiführung.
Der New York Times zufolge wissen wir, dass „Papandreou [Aussenminister der PASOK-Regierung] sein Unbehagen über die verpfuschte Diplomatie der Regierung nicht versteckte. Welche Fehler auch immer passiert sein mögen, Griechenland ist teilweise verantwortlich für die Auslieferung Öcalans an die Türkei", sagte Papandreou. „Es gibt ein offensichtliches Gefühl der Erniedrigung in der öffentlichen Meinung, das anerkannt werden muss.“ Die Verhaftung Öcalans, der in Nairobi unter griechischem Schutz stand, bevor er von türkischen Agenten erfasst wurde, war für die meisten Griechen, die mit der kurdischen Sache sympathisieren, verheerend."(New York Times, 19. 2. 99)
Die Popularität von Simitis war bereits sehr niedrig. Diese letzte Affäre wird die Opposition gegen diese Regierung weiter stärken. In der Tat versuchte er angesichts dieser Opposition, sein Gesicht zu wahren, indem er auf anti-türkische Demagogie setzte, und das wird die Spannungen zwischen diesen beiden Ländern, die ja beide NATO-Mitglied er sind, weiter zuspitzen.
Alle europäischen Regierungen sind somit irgendwie mitverantwortlich am Schicksal, das Öcalan nun erwartet. In der Türkei schafften es die Behörden bereits, ein 36-seitiges „Geständnis" aus dem Mann herauszuholen. Wir können uns aber denken, welche Methoden sie einsetzten, um zu diesen Geständnissen zu kommen. Wie The Guardian am 26. 2. 99 kommentierte: „Nur Öcalans Befrager wissen, was er wirklich gesagt hat“, womit wohl angedeutet werden soll, dass Öcalan gefoltert wird.
Öcalan wird nun des Hochverrats beschuldigt, und der türkische Staat will gegen ihn sicher die Todesstrafe verhängen. Die westlichen Regierungen, die ihm alle das Asyl verwehrten, üben nun Druck auf die türkische Regierung aus, dass es zu einem „fairen Verfahren" kommt. Dahinter steckt aber nur die Einsicht, dass eine Hinrichtung Öcalans die Stimmung unter den Kurdlnnen noch weiter radikalisieren würde.
Historischer Hintergrund
Bevor es zu diesen Ereignissen gekommen war, haben wahrscheinlich viele Menschen vom Schicksal der Kurdlnnen wenig bis gar nichts gewusst. Wer sind aber nun die KurdInnen? Die Zahl der Kurdlnnen beträgt ungefähr 24-27 Millionen. Kurdistan umfasst ein Territorium von der Größe Frankreichs. Kurdistan ist heute aufgeteilt zwischen der Türkei, Syrien, Iran, dem Irak, kleinere Enklaven gibt es in den ex-sowjetischen Kaukasusrepubliken. Die Grenzen, die Kurdistan durchziehen, sind völlig willkürlich gegen den Willen des kurdischen Volkes entsprechend den Interessen des Imperialismus bestimmt worden. Diese Grenzen haben Dörfer, Städte, ja sogar Familien geteilt.
Die KurdInnen sind eines der ältesten Völker im Nahen Osten. Sie leben im Gebiet, das heute als Kurdistan bekannt ist, schon seit mehr als 2500 Jahren, lange also bevor die Türken kamen. Sie haben ihre eigene, vom Türkischen und Arabischen völlig verschiedene Sprache mit mehreren Dialekten. Von diesen Dialekten ist der am häufigsten gesprochene Kurmanci. 60% der Kurdlnnen (sogar 90% der Kurdlnnen in der Türkei) sprechen diesen Dialekt. Der andere bedeutende Dialekt ist Sorani und wird von ca. 25% der KurdInnen, vor allem jenen im Iran und im Irak gesprochen. Es gibt eine reiche Literatur in kurdischer Sprache, die bis ins 10. Jhdt. v. Chr. zurückgeht. Die überwältigende Mehrheit der Kurdlnnen sind Moslems, 75% davon sind Sunniten und 15% sind Alewiten.
Die KurdInnen haben in der Geschichte dieser Region immer eine sehr bedeutende Rolle gespielt. Arabischen und armenischen Quellen zufolge hatten die KurdInnen z.B. zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert mehrere wichtige Staaten gegründet. Sultan Salahaddin, der Gründer des Ayyubiden-Staates, der Ägypten, Syrien und Kurdistan umfasste, war Kurde und spielte in der Geschichte eine besonders entscheidende Rolle.
Die Türken, deren Wurzeln in Mittelasien liegen, kamen in das Gebiet der heutigen Türkei erst viel später - nach dem 11. Jahrhundert und gründeten dort das Seldschuken- sowie in der Folge das Ottomanische Reich. Kurdistan war immer heiß umkämpft zwischen dem Ottomanischen und dem Persischen Reich. Die kurdischen Prinzen schafften es in dieser Periode, eine gewisse Autonomie aufrechtzuerhalten, indem sie einmal die eine und dann wiederum die andere Seite unterstützten. 1638 jedoch wurde Kurdistan im Vertrag von Kasri Shirin offiziell zwischen dem Ottomanischen und dem Persischen Reich aufgeteilt. Von nun an wurde Kurdistan zu einem Opfer der Fremdherrschaft.
Verrat durch den Imperialismus
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kämpften die KurdInnen für die Einheit und Unabhängigkeit Kurdistans, wurden allerdings immer besiegt. Am Ende des Ersten Weltkriegs brach die Kurdenfrage wieder auf. Das Ottomanische Reich zerfiel, und die Gebiete, die es beherrschte, wurden in neue Staaten aufgeteilt. 1920 wurde der Vertrag von Sevres zwischen der Türkei und den Alliierten unterzeichnet.
Der Artikel 64 dieses Vertrages lautet: „Falls binnen einen Jahres das kurdische Volk in den Gebieten definiert in Artikel 62 [das Gebiet bekannt als Kurdistan] zeigen sollte, dass die Mehrheit der Bevölkerung dieser Gebiete die Unabhängigkeit von der Türkei wünscht, und falls der Rat [des Völkerbundes] der Ansicht ist, dass diese Menschen zu solch einer Unabhängigkeit fähig sind und empfiehlt, dass sie ihnen gewährt werden sollte, stimmt die Türkei hiermit überein, solch eine Empfehlung zu exekutieren und alle Rechte und Ansprüche über diese Gebiete aufzugeben."
Die Türkei definierte anfangs ihre Grenzen als jene, „welche die Gebiete einschliesst, die von der türkischen und kurdischen Mehrheit bewohnt werden". Ungefähr 70 kurdische Parlamentsabgeordnete waren bei der ersten Sitzung der Großen Nationalversammlung in Ankara anwesend und wurden offiziell als „Parlamentsabgeordnete von Kurdistan" angelobt. Der türkische Vertreter Isrnet Pasha erklärte bei der Unterzeichnung des Vertrages von Lausanne im Jahre 1923: „Die Kurden sind keine Minderheit, sondern eine Nation; die Regierung in Ankara ist die Regierung der Türken wie auch der Kurden."
Diese Aussagen waren ganz einfach dazu da, um die Kurdlnnen an der Nase herumzuführen. Sowohl der Vertrag von Sevres wie auch jener von Lausanne waren schon zu Beginn ihrer Unterzeichnung nichts als totes Papier. Der britische wie auch der französische Imperialismus hatten keine Absicht, den KurdInnen einen eigenen Staat zuzugestehen. Im Aufbau eines modernen türkischen Staates gab es keinen Platz für die Kurdlnnen. Der britische Imperialismus zerriss ganz einfach den Vertrag von Sevres und schickte Kampfflieger gegen die kurdischen Hochburgen in den Bergen.
In der Folge wurde die Existenz der KurdInnen vollkommen geleugnet. Die kurdische Sprache, das Pflegen der kurdischen Kultur, ja selbst das Konzept des „Kurdischen" und „Kurdistans" wurde verboten. Artikel 39 im Vertrag von Lausanne, demzufolge die Staatsbürger der Türkei das Recht hätten, in allen Lebensbereichen frei ihre jeweilige Sprache zu sprechen, wurde offen mit Füßen getreten. Die kurdische Sprache wurde im Bildungssystem wie auch in den Printmedien völlig verboten. Alleine schon von den KurdInnen zu sprechen bzw. die Kritik an ihrer Unterdrückung wurde als schweres Verbrechen gesehen, das massiv bestraft wurde.
Der Verrat der KurdInnen durch den französischen und britischen Imperialismus wurde im Vertrag von Lausanne, der am 24. 7. 1923 unterzeichnet wurde, de facto niedergeschrieben. Darin wurde die Aufteilung der Region zwischen der Türkei, Iran und Irak, ohne die KurdInnen auch nur zu erwähnen, festgelegt. Die Teile Kurdistans, die zum Ottomanischen Reich gehörten, wurden dann noch einmal zerstückelt. Teile davon wurden den britischen und französischen Mandaten, die später Syrien und Irak werden sollten, zugeteilt. Der größte Teil Kurdistans blieb jedoch türkisch.
Als Konsequenz dessen kann es 1925 zu einer riesigen Revolte im türkischen Teil Kurdistans, und zwei Jahre später entwickelte sich eine Widerstandsbewegung, die im Norden und Osten über drei Jahre lang andauerte. Diese Aufstände wurden jedoch von der türkischen Armee nach heftigen Kämpfen niedergeworfen. Die türkische Regierung setzte dann eine Reihe von Maßnahmen durch, um die KurdInnen in die türkische Nation zu absorbieren und um ihre nationale Identität und Kultur zu beseitigen. Das Erlernen der türkischen Sprache wurde Pflicht. Die KurdInnen wurden ab nun offiziell als „Bergtürken" bezeichnet.
Die Unterdrückung der KurdInnen führte zu weiteren Aufständen. Die wichtigsten fanden 1930 in Ararat und 1938 in Dersim statt. Der türkische Staat führte nun permanent einen schmutzigen Krieg in Kurdistan. Seit 1979 herrscht die Türkei in Kurdistan mit Militär- und Notstandsgesetzen.
Bis heute werden die KurdInnen in der Türkei nicht als Minderheit anerkannt, weil anerkannte Minderheiten das Recht haben würden, ihre eigene Sprache zu lehren. 1991 wurde zwar das aus der Militärdiktatur stammende Verbot, die kurdische Sprache im Alltagsleben zu sprechen, aufgehoben, aber Kurdisch darf im Fernsehen und in Schul- oder politischen Texten noch immer nicht verwendet werden.
Die Lage der KurdInnen im Irak und im Iran
Die KurdInnen, die innerhalb der Grenzen des Irak leben, leisteten ebenfalls seit dem Ersten Weltkrieg heftigen Widerstand gegen diese Unterdrückung. Es gab Aufstände in den Jahren 1919-23 und später im Jahre 1933. Die größte kurdische Widerstandsbewegung im Irak begann jedoch 1961 und dauerte bis 1970. Nach dem Sturz der Monarchie 1958 anerkannten die irakischen Herrscher zwar formal die kurdische Identität, es gab jedoch einen andauernden Konflikt zwischen dem irakischen Staat, der seit der Machtübernahme 1968 durch die Baath-Partei in zunehmendem Ausmaß zentralistische und totalitäre Züge annahm, und den KurdInnen, mit ihren Stammestraditionen und ihrem wachsenden Bewusstsein, eine Nation darzustellen.
1970 erreichte die irakische Regierung ein „Abkommen" mit den KurdInnen bezüglich einer autonomen Region. Dies war aber nur eine Hinhaltetaktik seitens Bagdads, das von Anfang an die Bedingungen des Abkommens ignorierte und 1975 einen neuerlichen Krieg provozierte, der in der Folge bis 1991 andauern sollte. Der Iran unterstützte die irakischen KurdInnen, was aber nichts an der Unterdrückung der KurdInnen im Iran selbst änderte. Saddam Hussein machte anfangs aufgrund des enormen Drucks territoriale Zugeständnisse an den Iran. Um diese Gebiete aber zurückzugewinnen, startete er den 8 jährigen Krieg gegen den Iran, in dem die Kurdengebiete im Irak völlig verwüstet wurden. Unter dem Vorwand, dass einige kurdische Fraktionen im Irak-Iran-Krieg von 1980-88 den Iran unterstützt hatten, reagierte Saddam Hussein, indem er ganze Dörfer dem Erdboden gleichmachen und tausende Kurdlnnen durch den Einsatz von chemischen Waffen niedermetzeln ließ.
Saddam Hussein erlitt im Golfkrieg 1991 eine verheerende Niederlage. Unter diesen Bedingungen begannen die KurdInnen abermals zu rebellieren. Spontan erhoben sie sich in den Städten von Sulaimaniyya, Hawlir und Kirkuk im Nordirak, wo die Erdölindustrie konzentriert ist. Inspiriert durch die iranische Revolution gegen den Schah im Jahre 1979 errichteten sie sogenannte „shoras" (eine Art Arbeiterkommitees), die jedoch von den irakischen Truppen blutig niedergeschlagen wurden, wobei der westliche Imperialismus einfach zuschaute. Wieder einmal sehen wir, wie das Schicksal von den Interessen des Imperialismus (in diesem Fall des US-Imperialismus) abhängig war.
Angesichts dieses spontanen Kurdenaufstandes im Nordirak ließen die USA Saddams Elitetruppen, die Republikanischen Garden, unangetastet, worauf jene den Aufstand niederwarfen. Die Imperialisten sahen lieber Saddam an der Macht, als dass sie eine revolutionäre Situation zugelassen hätten. Im Zentrum des Aufstandes, in Sulaimaniyya, gelang es den KurdInnen aber sogar die Republikanischen Garden zu besiegen und zu vertreiben.
Das Problem war, dass niemand eine klare Strategie bezüglich der nächsten Schritte hatte. Die Führer der beiden größten Kurdenparteien im Irak PUK und der KDP verfolgen rein nationalistische Ziele und waren somit unfähig eine vom Klassenstandpunkt ausgehende Perspektive zu entwickeln. Dies hätte bedeutet, an alle Arbeiter im Irak zu appellieren, gemeinsam den Kampf zum Sturz Saddam Husseins zu führen.
Als die kurdische Rebellion zerschlagen war, schufen die USA nördlich des 36. Breitengrades eine Flugverbotszone gerade mit dem Argument, man müsse die KurdInnen schützen. Die zuvor vertriebenen Flüchtlinge konnten nun wieder in ihre Heimat zurückkehren. Doch sofort begann nun ein Krieg zwischen den beiden kurdischen Parteien - der von Massoud Barzani geführten Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) unter Jalal Talabani - um die Vormachtstellung im Nordirak. Dieser Konflikt dauerte von 1994-98. Im September 1998 kamen die beiden Seiten darüber ein, die Macht zu teilen, ein „Parlament" und eine „nationale Regierung" zu bilden.
Der US-Imperialismus benutzte auf seine altbekannte zynische Art und Weise den kurdischen Befreiungskampf gegen Bagdad, um im Nordirak ein eigenes „Protektorat" zu etablieren. Dieser unverschämte Akt hatte natürlich nichts mit der Verteidigung des Selbstbestimmungsrechtes zu tun, sondern diente lediglich der Schwächung des Irak. Der US-Imperialismus ist heutzutage die wichtigste konterrevolutionäre Kraft der Welt. Es war von den kurdischen Führern naiv und dumm zugleich, zu erwarten, dass die USA ihre Interessen vertreten würden. Wie wir schon in unzähligen Situationen vor allem in Nahen Osten aber auch auf dem Balkan sehen konnten, enden die bürgerlichen Führer kleinerer Nationen, die für das „Selbstbestimmungsrecht" eintreten, immer als die Agenten der einen oder anderen imperialistischen Macht.
Die Probleme der irakischen KurdInnen wurden bis zum heutigen Tage nicht gelöst. Die beiden Fraktionen, die KDP und die PUK, sind reine Marionetten der in Konflikt zueinander stehenden imperialistischen Interessen in dieser Region. Dies zeigt sich auch an der Tatsache, dass die PKK in den letzten Jahren im Nordirak immer stärker in Widerspruch zu Barzanis KDP (die ja die Grenzregion zwischen der Türkei und dem Irak kontrolliert) gekommen ist. So kritisierte Barzani die PKK für die Errichtung von Militärstützpunkten im kurdisch-irakischen Gebiet, die dazu genutzt werden, um von dort Angriffe in die Türkei hinein vorzubereiten! Die KDP kontrolliert die für den Handel wichtigste Straße zwischen dem Irak und der Türkei und profitiert von dem ihr übertragenen Recht, Steuern auf diese Handelswaren einzuheben. Dies umfasst auch Erdölexporte des Irak. Um diese profitable Tätigkeit behalten und die guten Beziehungen mit der Türkei aufrechterhalten zu können, ging die KDP scharf gegen die Aktivitäten der PKK im Irak vor. Als Gegenleistung unterstützte die Türkei die KDP im Kampf gegen die PUK. 1997 halfen türkische Truppen der KDP, als es darum ging, einen Angriff der PUK zu stoppen. Die normalen kurdischen ArbeiterInnen und Bauern profitieren davon aber in keinster Weise. Das gesamte Land ist vom UNO-Embargo betroffen, und die irakischen Kurdlnnen leiden wie der Rest der irakischen Bevölkerung.
Vor nicht allzu langer Zeit versuchte die Türkei, ein Abkommen zwischen den beiden opportunistischen, auf Stämmen basierenden kurdischen Guerillabewegungen, KDP und PUK, zusammenzubringen, damit die PKK-Basen im Nordirak geschlossen werden müssten.
Ohne militärische Basen in Syrien und im Irak und ohne eine mit der Guerilla sympathisierende Bevölkerung, die Essen und Unterschlupf bereitstellt und Waffentransporte übernimmt, wird es für die PKK immer schwieriger, ihren Guerillakampf weiterzuführen. Die Massendeportationen von Kurdlnnen lassen diese so wichtige Basis in der Bevölkerung aber immer kleiner werden.
Der iranische Staat praktizierte eine Politik der Unterdrückung gegen die KurdInnen ähnlich wie in der Türkei. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Norden des Iran von der Sowjetunion und der Süden von Großbritannien besetzt. Die KurdInnen konnten nun im von der Roten Armee besetzten Territorium die kurdische Republik von Mahabad ausrufen. Bald danach jedoch, als die sowjetischen Truppen wieder abgezogen waren, vernichtete die Regierung in Teheran mit der Unterstützung Großbritanniens und der USA die Republik von Mahabad.
Als die iranische Revolution 1979 den Schah stürzte, konnten sich die KurdInnen im Nordiran einer gewissen Freiheit erfreuen und bildeten eine autonome Region. Aber auch dies hielt nicht lange. Das neue Regime der Mullahs ging militärisch gegen die KurdInnen vor. Der bewaffnete Widerstand gegen das islamisch-fundamentalistische Regime, der 1979 begann, dauert bis heute noch an.
Die Scheinheiligkeit des US-Imperialismus
Was die türkische Regierung alarmierte, war, dass Anfang der 1990er Jahre die PKK unter Öcalan über große Teile der Osttürkei die Kontrolle gewonnen hat, eigene Beamte ernannte, Steuern eintrieb und mittels eigenem Rechtssystem das Gebiet verwaltete. In diesen Gebieten hatte sich die PKK eine echte Massenunterstützung aufgebaut. Das erklärt die wilde Militärkampagne der türkischen Regierung, wobei unzählige kurdische Dörfer zerstört wurden und viele angebliche Sympathisanten der „Rebellen" wurden gefoltert, verschwanden oder wurden einfach getötet. Zwischen 1991 und 1997 starben etwa 1500 kurdische Nationalisten bei angeblich „ungelösten Verbrechen". Im Januar 1998 deckte jedoch ein Regierungsbericht auf, dass diese Morde von staatlich finanzierten Todesschwadronen ausgeführt wurden.
Bei all dem wird die Scheinheiligkeit der USA noch offensichtlicher. Während sie ständig von der misslichen Lage der KurdInnen im Irak sprechen, verschließen sie vor der Unterdrückung der Kurdlnnen in der Türkei die Augen. Sie erlauben sogar der türkischen Armee, irakisches Territorium zu betreten, um die PKK zu jagen, und zwar trotz des angeblichen „Schutzes" der Kurdlnnen im Nordirak vor dem „bösen“ Saddam Hussein.
Weil Irak und Iran den Interessen der USA im Mittleren Osten im Wege stehen, ist der US-Imperialismus bereit, den kurdischen Minderheiten in diesen Ländern eine begrenzte Unterstützung zukommen zu lassen. So werden kurdische Nationalisten im Irak als „Freiheitskämpfer“ präsentiert, während kurdische Nationalisten in der Türkei als „Terroristen" verfolgt werden. Es stimmt, dass die KurdInnen im Irak brutal unterdrückt wurden. Saddam Hussein schreckte nicht einmal davor zurück, chemische Waffen gegen sie einzusetzen, wodurch Tausende massakriert wurden. Aber was die türkische Armee in den letzten 30 Jahren in der Südosttürkei gegen die eigenen KurdInnen gemacht? Die türkischen Generäle haben 200.000 bis 300.000 Mann, ungefähr die Hälfte der Einsatzkräfte der türkischen Armee in ihren Operationen gegen die kurdischen Separatisten mobilisiert. 50.000 Mann sind dauerhaft in der Südosttürkei stationiert.
Die KurdInnen in der Türkei
Der größte Teil Kurdistans, sowohl in Bezug auf das Territorium wie auch die Bevölkerung, liegt in der Türkei. Dieses Gebiet umfasst ein Drittel der Gesamtfläche des türkischen Staates. Ungefähr 13 Millionen KurdInnen leben innerhalb der Grenzen der Türkei, 8 bis 10 Millionen im Iran, 5 Millionen im Irak und 1,5 Millionen in Syrien.
Ein Drittel der ArbeitsmigrantInnen, die in den letzten 20 bis 30 Jahren die Türkei Richtung Europa verlassen haben, sind KurdInnen. Zählt man dazu noch die KurdInnen aus der Türkei aber auch aus den anderen Teilen Kurdistans hinzu, die in den letzten Jahren aus politischen Gründen nach Europa geflohen sind, kommt man auf etwa 1 Million KurdInnen, die derzeit in europäischen Staaten leben.
70 bis 75 Prozent der KurdInnen in der Türkei leben mittlerweile in den Slums von Ankara und den anderen großen Städten westlich der Hauptstadt zusammen mit Millionen türkischen Arbeiterinnen. Hunderttausende mehr zogen in die Städte in Kurdistan (Diyarbakirs Einwohnerzahl stieg von 380.000 im Jahre 1990 auf mittlerweile ca. 1,5 Millionen) oder flohen, oft illegal, nach Europa. Von denen, die ihre Dörfer in den letzten Jahren verlassen haben, sind laut einem Regierungsbericht schätzungsweise 560.000 zwangsweise von Regierungstruppen evakuiert worden [Der Zweck dieser Deportationen ist es ganz einfach, der PKK das Wasser abzugraben, damit sie nicht so leicht Lebensmittel sowie neue Kämpfer für ihre Guerillatruppen bekommt.] Türkischen Regierungsquellen zufolge sind 80 Prozent der KurdInnen, die vom Land in die Städte ziehen mussten, nun arbeitslos. Investitionen in die Infrastruktur dieser Gebiete fehlen fast zur Gänze.
Ein Journalist von The Guardian besuchte zu Beginn des Jahres ein Dorf in der Südosttürkei und berichtete über die Situation der dort lebenden Kurdlnnen: „Die Männer der Ortschaft Kalkum im Südosten der Türkei kommen jeden Tag zur gleichen Zeit im selben Kaffeehaus zusammen... Ihr Dorf wurde vor mehr als sechs Jahren von der türkischen Armee am Höhepunkt der Kämpfe gegen die PKK, die kurdische Separatistenbewegung, niedergebrannt und evakuiert. Das Kaffeehaus liegt im Zentrum der an Menschenmassen überquellenden Stadt Diyarbakir, wo die Dorfbewohner auf hunderttausende andere Flüchtlinge stießen, die ebenfalls vom umliegenden Land gewaltsam vertrieben wurden.
Die Intensität des Kurdenkrieges hat nachgelassen, nachdem das Militär zehntausende Soldaten in die Region geschickt hat. Das Ausmaß der Deportationen ist aber genauso stark wie zuvor. Der Konflikt bestimmt noch immer die Gedanken der Vertriebenen. ‘Wir wurden alle evakuiert’, sagte ein Mann mit traurigen Augen, ‘und niemand hat einen festen Arbeitsplatz. Einige von uns versuchen, in den Straßen etwas zu verkaufen; einige betteln sogar.” (The Guardian, 2. 1. 1999)
Massenunterstützung für die PKK
Nun wenn wir diese Situation in Betracht ziehen, können wir verstehen, warum die PKK, der militanteste Flügel der kurdischen nationalistischen Bewegung in der Türkei fähig war, in der Südosttürkei eine Massenkraft zu werden. Die PKK genießt die Unterstützung von Millionen KurdInnen in der Türkei.
Wir können natürlich die Bombenanschläge auch auf ZivilistInnen in den Großstädten genauso wenig entschuldigen wie die aus Rache motivierten Morde an jedem, der sich nicht an die Beschlüsse der PKK hält. Diese Methoden waren der Sache des kurdischen Volkes sicher nicht dienlich. In Wirklichkeit haben sie die Position der türkischen Generäle gestärkt, die diese Angriffe als Entschuldigung für ihre eigenen militärischen Kampagnen gegen die KurdInnen und besonders gegen die PKK nutzen.
Das Ziel der kurdischen ArbeiterInnen und Bauern muss es sein, eine Einheit mit den türkischen ArbeiterInnen gegen den gemeinsamen Feind zu bilden, also gegen die Kapitalisten und Großgrundbesitzer, welche die Türkei beherrschen. Das wird man mit terroristischen Bombenanschlägen aber nicht schaffen. Sie müssen die türkischen ArbeiterInnen, die ebenfalls vom türkischen Regime unterdrückt werden, für sich gewinnen. Das ist nun umso wichtiger, da Millionen KurdInnen proletarisiert wurden und in Städten wie Istanbul und Ankara, Seite an Seite mit den türkischen ArbeiterInnen, leben. Sie arbeiten in denselben Fabriken und Werkstätten. Die Lösung für die Probleme der KurdInnen liegt im gemeinsamen Kampf kurdischer und türkischer ArbeiterInnen gegen das türkische Unterdrückerregime.
Zu Beginn ihrer Aktivitäten proklamierte die PKK, dass ihr Ziel nicht nur die völlige Loslösung der kurdischsprachigen Gebiete von der Türkei, sondern auch die Gründung eines Staates, der alle KurdInnen, der Türkei, des Irans, des Iraks und Syriens, vereinen sollte. Keines dieser Regime in der Region würde das zulassen. Und auch die imperialistischen Staaten würden das nicht zulassen. Alle Regime in der Region sind zwar bereit der einen oder anderen Gruppe kurdischer Nationalisten begrenzte Unterstützung zu gewähren, wenn es ihren eigenen Interessen entspricht, aber sie würden niemals die Schaffung eines unabhängigen Kurdenstaates akzeptieren.
Innerimperialistische Konflikte
Die Unterstützung, die jedes dieser Regime der einen oder anderen kurdischen nationalistischen Bewegung zu geben bereit ist, spiegelt nur ihre eigenen engen nationalen Interessen wider. Das irakische Regime unterstützte zu verschiedenen Zeiten verschiedene Fraktionen, das gilt auch für den Iran, Syrien und die Türkei. Würden sie ihnen aber helfen, einen eigenen Staat zu errichten, würde es bedeuten, dass sie einen Präzedenzfall schaffen, was dazu führen würde, dass ihre eigenen KurdInnen die Loslösung fordern würden. Das würde zum zerbrechen des Iraks sowie der Türkei führen. Davon würde der Iran profitieren. Das erklärt auch, warum der US-Imperialismus in gewissem Ausmaß die KurdInnen im Nordirak unterstützt, ihnen aber niemals erlauben würde, ihren eigenen Staat zu gründen, weil dies enormen Druck auf die Türkei ausüben würde, wobei die Türkei in der Folge vom Auseinanderbrechen bedroht wäre.
Das ist der Grund, warum die KurdInnen kein Vertrauen in irgendeine imperialistische Macht setzen dürfen, auch wenn sie von Zeit zu Zeit Unterstützung bekommen sollten. Die Imperialisten werden die Kurdenfrage immer nur als Kleingeld für ihre eigenen Manöver in der Region missbrauchen.
Erdöl ist ein wichtiges Element in diesem Konflikt. Ein großer Teil der irakischen Erdölvorkommen befinden sich in Kurdistan. Das gilt auch für den Iran, der in der Region um Kirmanshah Erdöl fördert. Die Ölresourcen der Türkei sind fast ausschliesslich in Kurdistan (in den Gebieten rund um Batman, Diyarbakir und Adiyaman). Auch Syrien fördert sein Öl nahezu gänzlich in Kurdistan, rund um Cezire. Das Kurdengebiet ist außerdem reich an anderen Rohstoffen, wie Eisen, Kupfer, Chrom, Kohle, Silber, Gold, Uran und Phosphaten.
Es gibt auch Pläne, im Kaspischen Becken nach Öl zu bohren. Wie soll dieses Erdöl transportiert werden? Die bisher gemachten Vorschläge sehen mehrere neue Pipelines voraus. Eine davon würde durch das kurdische Gebiet in der Türkei gehen, die Erdöl von Aserbaidschan und anderen ehemals sowjetischen Republiken, welche Erdöl produzieren, zu einem Terminal in der türkischen Stadt Ceyhan am östlichen Ende des Mittelmeeres befördern würde.
Das ist ein Grund, warum die herrschende Klasse in der Türkei die Kontrolle über dieses Gebiet sicher nicht aufgeben wird. Ein weiterer Grund sind die großen Ambitionen der türkischen Bourgeoisie nach dem Fall der Sowjetunion. Die Türkei will die Erdölfelder im Nordirak annektieren. Diese sind ebenfalls kurdisches Territorium. In der Realität verfolgt die Türkei mit ihren militärischen Vorstößen in den Irak mehrere Interessen: sie jagt die PKK-Kämpferlnnen und sie dienen ihr als Entschuldigung für die Errichtung von Militärstützpunkten im Nordirak. Die vom US-Imperialismus verhängte Flugverbotszone im Nordirak hilft der Türkei beim Verfolgen dieses Ziels.
Syrien hat ebenfalls seine eigenen Ambitionen, wurde jedoch durch den Zusammenbruch der Sowjetunion, die in der Vergangenheit ein wichtiger Verbündeter war, stark geschwächt. Wäre die Sowjetunion noch immer eine Supermacht, hätte die Türkei mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit Syrien nicht mit einem Krieg bedrohen können, um so die Ausweisung Öcalans zu erzwingen. Die türkische Regierung zwang Syriens Präsident Assad, seine Unterstützung für die PKK zurückzuziehen. Die PKK-Kämpferlnnen wurden in der Folge gezwungen, ihre Stützpunkte aufzugeben, die ihnen in Syrien und im von Syrien kontrollierten Bekaa-Tal im Libanon zur Verfügung gestellt worden waren. Das war eine enorme Erniedrigung Assads.
Zwischen der Türkei und Syrien schwelt seit langem ein Konflikt um die türkische Provinz Hatay an der Grenze zu Syrien. Das ist ein Grund, warum Syrien bis Oktober 1998 die PKK in ihrem Kampf gegen die Regierung in Ankara unterstützte (während man natürlich die eigenen KurdInnen im Norden des Landes stillhielt). Das Machtspiel, um das es in der Region geht, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass ein Monat nach der Kapitulation gegenüber der Türkei Syriens Präsident Assad von Russland militärische Unterstützung versprochen bekam.
Der US-Imperialismus ist besorgt über die Position der Türkei, die nach Israel der wichtigste Bündnispartner in der Region ist. Seit Jahren gibt es den Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei. Die imperialistischen Bestrebungen der herrschenden Klasse in der Türkei steigern die Spannungen mit Syrien, dem Irak und Iran. Das erklärt auch, warum die Türkei nun eine de facto-Allianz mit Israel eingegangen ist. Israel liefert Waffen an die Türkei, und die Türkei erlaubt Israel die Abhaltung von militärischen Übungsflügen über türkischem Territorium. Der Unterstützung durch die USA kann sich die Türkei sicher sein. Es war in der Tat auch der Druck des US-Imperialismus, der Griechenland dazu zwang, Öcalan an die Türkei auszuhändigen. Russland mit seinen historischen Verbündeten Syrien und Irak beobachtet die Situation ebenfalls äußerst genau, wie wir bereits gesehen haben.
Der Kampf der PKK in Schwierigkeiten
Die enorme Militäroffensive seitens der türkischen Armee sowie der wachsende Druck durch Syrien führten dazu, dass die PKK militärisch zum Rückzug gezwungen ist. Dies war aber schon vor Öcalans Verhaftung der Fall. In der Tat, die Ironie bei der ganzen Geschichte ist, dass Öcalan erst vor kurzem eine „politische Lösung" für diesen Konflikt vorgeschlagen hat. Sich auf die Beispiele Nordirland, Palästina und der ETA im Baskenland stützend, erklärte die PKK im September 1998 zum zweiten Mal einen einseitigen Waffenstillstand.
Öcalan gab die Forderung nach einem unabhängigen Kurdistan auf und rief die Europäische Union und alle europäischen Regierungen dazu auf, den türkischen KurdInnen eine gewisse Autonomie zuzugestehen. Das ist nicht gerade die Art und Weise, wie man sich die Vorgangsweise eines wirklich kommunistischen Führers vorstellt. Von der westeuropäischen Bourgeoisie können sich die unterdrückten KurdInnen aber keine richtige Hilfe erwarten. Die EU hat wichtige Wirtschaftsverbindungen zur Türkei und plant für die Zukunft sogar den Beitritt der Türkei zur EU. Die europäischen Regierungen beliefern die Türkei mit Waffen, die dann gegen kurdische Männer, Frauen und Kinder eingesetzt werden!
Schon im November, als Öcalan nach Italien flüchtete und um Asyl ansuchte, berichtete The Guardian folgendes: „‘Ich bin nach Italien gekommen, um den Weg für eine politische Einigung zu ebnen’, hat Öcalan auf der Homepage der PKK verkündet. ‘Ich bin gegen jeden Terror, auch wenn er von uns ausgeht. Ich bin bereit, alles nur Denkbare zu tun, damit das sofort gestoppt wird.’ Obwohl jedoch der italienische Präsident und der deutsche Aussenminister gemeint haben, dass Öcalans Ankunft in Europa eine Art Katalysator für Aktionen zur Lösung Kurdenkrise der Türkei darstellen könnte, ist es offensichtlich, dass Ankara niemals mit Leuten verhandeln wird, die man als ‘blutrünstige PKK-Mörder’ bezeichnet." (The Guardian, 25. 11. 98)
Das türkische Militär ist nicht bereit, gegenüber der PKK-Guerilla Kompromisse zu machen. Es drohte Syrien mit einem Krieg und befindet sich nun gegen die KurdInnen in der Offensive. Die Verhaftung Öcalans gab ihnen neues Selbstvertrauen. Nach seiner Verhaftung sandte die türkische Armee tausende Soldaten, Panzerfahrzeuge und Hubschrauber auf irakisches Territorium, um die PKK-Guerilla zu verfolgen.
Im ganzen Land wurden hunderte Verhaftungen vorgenommen. Selbst Öcalans junger Bruder Mehmet, der scheinbar nichts mit der Guerilla zu tun hat, wurde verhaftet. Dies spiegelt die rücksichtslosen Methoden des türkischen Militärs wider. Sie möchten Öcalan mit allen nur möglichen Mitteln brechen und ihn vor den Augen von Millionen von Kurdlnnen, die auf die PKK und ihren eingekerkerten Führer blicken, erniedrigen.
Gegenwärtig ist die Armee zu Gesprächen über eine „politische Lösung" nicht bereit. Sie will das Problem militärisch beseitigen. Sie möchte uns glauben machen, dass der Kampf der KurdInnen bereits verloren ist. Dies zu glauben, wäre aber ein großer Fehler. Zur Zeit befindet sich die PKK auf dem Rückzug, falls aber keine dauerhafte Lösung gefunden werden kann, wird das Problem immer und immer wieder auftauchen.
Die türkische Regierung versteht nicht, dass sie sich mit den Massendeportationen und der erzwungenen Migration der KurdInnen ihr eigenes Grab geschaufelt hat. Indem sie Massen von KurdInnen in die Städte gebracht hat, hat sie den Weg für eine wirkliche Massenbewegung aller Arbeiterinnen in der Türkei geebnet. Im Gegensatz zum Guerillakampf wird solch eine Bewegung auch die Mehrheit der KurdInnen aktiv miteinbeziehen. Und was ebenfalls ganz wichtig ist, sie haben die Basis für einen geeinten Kampf der kurdischen und der türkischen Arbeiter gelegt, was das vorn Militär gestützte Regime bis auf seine Grundfesten erschüttern würde.
Alle Arbeiter in der Türkei sind mit denselben Problemen konfrontiert: Repressionen durch das Militär, schlechte Wohnbedingungen, Arbeitslosigkeit. Diese katastrophale soziale Situation wird durch den Krieg in der Südosttürkei noch weiter verschlechtert. Und was sehr wichtig ist: Sie sind in denselben Gewerkschaften organisiert. In einer auf die Städte sich stützenden Bewegung werden sie sich gegen den gemeinsamen Feind zusammentun.
Die Lösung des Kurdenproblems ist unter kapitalistischen Bedingungen unmöglich. Solange das kurdische Volk unterdrückt und rechtlos bleibt, wird der Kampf immer wieder aufflammen.
Obwohl die türkischen Behörden der PKK das Rückgrat brechen wollen, verbinden sie dies nun mit einer teilweisen Anerkennung der kurdischen Identität. So ist es zum Beispiel nicht mehr verboten, im Alltagsleben die kurdische Sprache zu sprechen. In den Printmedien, dem Fernsehen und im Radio darf die kurdische Sprache aber nicht verwendet werden. Und auch in den Schulen ist Kurdisch verboten. Hätte man vor 20 Jahren ernstzunehmende Zugeständnisse in diesen Fragen gemacht, wäre dies ausreichend gewesen. Jetzt aber ist es, wie so oft, ein Fall von „zu wenig und zu spät“. Halbherzige Maßnahmen reichen nun nicht mehr aus. Auf der anderen Seite bietet aber auch die PKK keine Lösung an.
Es fehlt ihr an einer internationalistischen Perspektive und an einer klaren Herangehensweise an die Probleme der kurdischen Arbeiterinnen und Bauern von einem Klassenstandpunkt aus. Ohne dem ist es aber nicht möglich, die ArbeiterInnen in der Türkei und im restlichen Mittleren Osten für die Sache des kurdischen Volkes zu gewinnen. Ohne einer solchen internationalistischen Perspektive ist die Gefahr von Nationalismus immer präsent. Dies zeigte sich auch in einem vor kurzem veröffentlichten Statement Öcalans. Während er weiterhin das Recht der KurdInnen auf Autonomie verteidigte, machte er der Türkei den Vorschlag, nach Osten hin zu expandieren. Eine wirkliche Autonomie für die KurdInnen wird aber so sicher nicht zu erreichen sein: Das ist nicht die Art und Weise, wie man an die ArbeiterInnen und Bauern in den Ländern östlich der Türkei appelliert!
Dies zeigt uns aber, in welcher Sackgasse sich die Führung der PKK nach 15 Jahren des Guerillakampfes befindet. Die PKK ist weiter denn je von ihrem Ziel, vom Recht auf Selbstbestimmung für das kurdische Volk entfernt. Es ist eine Tatsache, dass unter kapitalistischen Verhältnissen dies auch unmöglich ist. Wie The Economist (20. 2. 99) schrieb, und dabei die Sichtweise des britischen Imperialismus ausdrückte, so „müssen die KurdInnen erkennen, dass es gegenwärtig und in der vorhersehbaren Zukunft im Mittleren Osten keinen politischen Spielraum für einen unabhängigen Staat Kurdistan gibt“. Außerdem rät The Economist dem türkischen Staat: „Ein dauerhafter Frieden kann nur dann geschmiedet werden, falls die KurdInnen, besonders jene in der Türkei, aber nicht nur dort, eine faire Behandlung bekommen, was ihnen bis jetzt immer verweigert wurde.“ Natürlich ignoriert diese Aussage völlig die Rolle des britischen Imperialismus in der Vergangenheit und seinen Anteil am ständigen Verrat der kurdischen Bestrebungen.
Im Kapitalismus ist eine Lösung unmöglich
Nur eine prolongierte Periode wirtschaftlicher Entwicklung würde die Basis zur Lösung der Kurdenfrage legen. Gäbe es für alle Arbeiterinnen, KurdInnen wie auch TürkInnen, genügend Jobs und Wohnungen, würde der Lebensstandard für alle Menschen in dieser Region steigen, dann könnte man von einer „friedlichen" und „politischen" Lösung sprechen. Die Welt steht aber vor einem völlig gegenteiligen Szenario. 40 Prozent der Welt befindet sich bereits in einer Rezession, und der Rest bewegt sich immer schneller in diese Richtung. Vor allem für die unterentwickelten Länder werden die Folgen ein schreckliches Ausmass annehmen. Die Arbeitslosigkeit steigt, der Lebensstandard der Massen ist ständigen Angriffen ausgesetzt.
Kurdistan ist aus ökonomischer Sicht eine besonders rückständige Region. Die Menschen leben in völliger Armut, obwohl das Land potentiell sehr reich ist. Die kolonialen Bedingungen haben eine Entwicklung verhindert. Alle Profite, die in Kurdistan gemacht werden, fließen sofort wieder aus der Region ab. Die Gesellschaft wurde nicht modernisiert, und die feudalen Strukturen der Vergangenheit wurden nicht zur Gänze beseitigt. Die Stammesstrukturen in den ländlichen Gebieten bestehen weiter. Kurdistan ist noch immer durch ein halbfeudales Gesellschaftssystem gekennzeichnet. Es gibt weder eine signifikante Bourgeoisie noch eine Arbeiterklasse im modernen Sinn des Wortes. Anders ausgedrückt, die türkische Bourgeoisie war nicht imstande, die Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution zu vollenden.
In einem Versuch, die Unterstützung für die PKK zu reduzieren, erklärte die türkische Regierung, dass es notwendig sei, mehr Straßen, mehr Schulen und mehr Gesundheitseinrichtungen im Südosten der Türkei zu bauen. Dies ist die Idee, die hinter dem „Süd-Ost-Anatolien-Projekt" steckt, mit dem die Wirtschaft im Südosten der Türkei entwickelt werden sollte. Der Plan sieht Ausgaben in der Höhe von 1,8 Mrd. $ für den Ausbau des Transport-, Gesundheits-, Bildungs- und Telekommunikationssystems sowie des Bergbaus, der Industrie und des Tourismus vor. Die kurdischen Nationalisten sind da aber nicht so optimistisch. Die Auslandsinvestitionen bleiben jedoch unzureichend und viele türkische Geschäftsleute zweifeln, dass Investitionen in diesem Gebiet Profite abwerfen würden.
Die Financial Times berichtete dazu: „Führende Geschäftsleute im rückständigen Südosten der Türkei können nur mitzählen, wie oft die Regierung bereits versprochen hat, die Wirtschaft in dieser Region anzukurbeln. Eine Investitionsoffensive, wie sie nun von Ministerpräsident Bulent Ecevit angekündigt wurde, um so die nach der Verhaftung von Abdullah Öcalan, dem Führer der PKK-Guerillabewegung, in der letzten Woche verärgerten KurdInnen ruhigzuhalten, ist bereits das achte Versprechen dieser Art. Der Ankündigung wurde jedoch keine Kalkulation angefügt, wieviel Geld nun an die Region zugewiesen werden sollte.
Während die Regierung von Investitionen spricht, verstehen die Kapitalisten, dass der Weltmarkt keinen Spielraum für die Entwicklung Kurdistans zulässt. So wird das Geld weiterhin für die Repression und nicht für die Wirtschaftsentwicklung ausgegeben. Der Krieg gegen die PKK kostet der Türkei jährlich 8 Mrd. $.
Eine sozialistische Föderation ist der einzige Ausweg
All das zeigt, dass es unter kapitalistischen Verhältnissen absolut keinen Ausweg für das kurdische Volk gibt. Wie können nun die Bestrebungen der KurdInnen nach Selbstbestimmung erfüllt werden? So lange die Interessen der verschiedenen lokalen und internationalen herrschenden Klassen dominieren, bleibt der Weg Richtung Selbstbestimmung blockiert. Eine wirkliche Autonomie kann nur im Rahmen einer sozialistischen Föderation des Mittleren Ostens, einschließlich der Türkei, erreicht werden.
In einer solchen Föderation wäre eine Autonomie für alle Minderheiten in der Region, auch für die KurdInnen, möglich. Sie hätten das Recht, ihre eigene Sprache zu sprechen, ihre eigene Kultur zu entwickeln usw. Sind einmal die Interessen des Kapitalismus und der Großgrundbesitzer eliminiert, gäbe es sogar die Möglichkeit eines eigenen Kurdenstaates. Einen anderen Weg gibt es nicht.
Alle Regime in der Region unterdrücken ihre eigenen Völker. Es ist daher das Interesse der ArbeiterInnen im ganzen Mittleren Osten, ihre herrschenden Klassen zu stürzen. Deshalb ist in der jetzigen Situation die zentrale Aufgabe in all diesen Ländern der Aufbau echter Arbeiterparteien, die für die Einheit der Arbeiterklasse aller Nationalitäten im Kampf für den Sozialismus arbeiten. Das ist alles andere als eine Utopie, sondern der einzig praktikable Weg.
Es muss uns klar sein, dass die KurdInnen immer dann einer Form von Autonomie nahegekommen sind, wenn es international einen revolutionären Aufschwung gegeben hat. Die Russische Revolution von 1917 stürzte den Zarismus und führte zu einem Rückzug Russlands aus dieser Region. Dies zusammen mit der allgemeinen revolutionären Welle im Anschluss an den Ersten Weltkrieg ließ die Perspektive eines eigenen Kurdenstaates realistisch erscheinen, wie der Vertrag von Sevres aus dem Jahre 1920 zeigte. Als diese Welle jedoch verebbte, gewann die Reaktion wieder die Oberhand, und die KurdInnen (nicht nur jene in der Türkei) wurden niedergeschlagen.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges machte die Präsenz der russischen Truppen im Nordiran in Verbindung mit den Auswirkungen der weltweiten revolutionären Bewegungen die Bildung eines Kurdenstaates im Norden des Iran möglich. Wiederum aber nur, um ein Jahr später vom Iran mit Unterstützung des britischen Imperialismus zerschlagen zu werden.
1979 war es die Revolution der iranischen ArbeiterInnen gegen den Schah, die den KurdInnen im Norden für eine kurze Zeit eine gewisse Autonomie gab. Es wurde eine autonome Region gebildet, die aber wieder aufgelöst wurde, als die Reaktion der Mullahs einsetzte. Hätte es damals im Iran eine wirklich revolutionäre Partei gegeben, dann hätte die Sache ganz anders ausgehen können. Eine sozialistische Revolution war 1979 im lran absolut möglich. Eine solche Revolution hätte den KurdInnen volle Autonomierechte im Norden gegeben, was wiederum die ArbeiterInnen im gesamten Mittleren Osten inspiriert hätte. Das wäre der Startschuss für die Revolution im ganzen Mittleren Osten gewesen. Innerhalb dieses Kontexts wäre eine Lösung der Kurdenfrage wie auch der anderer Minderheiten in dieser Region in Reichweite gewesen.
Dies zeigt, dass in der gesamten Geschichte die Frage der Autonomie der KurdInnen eng verbunden war mit den revolutionären Bewegungen der Arbeiterinnen in der Region aber auch weltweit.
Wir müssen uns auf die Perspektive einer erneuten Welle von Klassenkämpfen im Mittleren Osten stellen. Nur auf diesem Weg sehen wir die Möglichkeit, die despotischen Regime, welche diese Region dominieren, zu stürzen und allen Minderheiten und Völkern das Recht auf Selbstbestimmung zu Teil werden zu lassen.
|