Zwischen Sonntag und Mittwoch haben Truppen des Südlichen Übergangsrates (STC) die Kontrolle über die Interimshauptstadt Aden fast vollständig übernommen und den Präsidentenpalast und den Premier Ahmed Bin Dagher sowie Teile seines Kabinetts unter Hausarrest gestellt.
Diese Ereignisse sind aus einem Konflikt zwischen der von Saudi-Arabien unterstützten Regierung Hadi und dem STC in der Vorwoche hervorgegangen, als die Regierung, Berichten zufolge, hart gegen eine Kundgebung der STC vorgegangen war. In deren Folge beschuldigte der STC die Regierung der Korruption, der Nichtauszahlung von Löhnen sowie der Verantwortung für den Zusammenbruch des jemenitischen Rial (Währung) und setzte die Regierung unter Premier Bin Dagher eine Frist.
Nachdem diese Forderungen nicht erfüllt wurden, fegten Einheiten des STC durch die Stadt, nahmen sie mit Ausnahme einiger Stadtviertel ein und belagerten den Präsidentenpalast erfolgreich. Einigen Berichten zufolge sollen die saudischen Truppen, die den Palast bewachten bei dieser Aktion besiegt worden sein. Außerdem gibt es Berichte, dass die STC-Einheiten bei den Kämpfen mit den Saudis Luftunterstützung durch Düsenflugzeuge der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) erhalten haben sollen.
Am Mittwoch soll ein Abkommen erreicht worden sein, das – sollte es bestätigt werden – für die Separatisten ein Sieg auf der ganzen Linie und eine vollständige Demütigung Saudi-Arabiens und ihres Marionettenregimes bedeutet. Das Abkommen soll folgende Punkte beinhalten: Die gesamte Sicherheit Adens bleibt in den Händen der Truppen der STC und der VAE, der STC wird als Vertreter des Südjemens anerkannt und ist gleichberechtigter Partner in der von Saudi-Arabien geführten Koalition, die aktuelle Regierung wird ihres Amtes enthoben und eine neue gebildet, für die der STC Minister und Gouverneure nominieren wird, die bei Angelegenheiten, die den Süden betreffen, den Vorsitz führen werden, die VAE wird für den Südjemen eine neue Armee aufstellen, die VAE ist für den Wiederaufbau Adens verantwortlich und überwacht die Aufgaben in Zusammenarbeit mit dem STC.
Nachdem die saudischen Truppen aus allen wichtigen Städten herausgeworfen worden sind, bleibt ihnen wenig Handlungsspielraum. Die Koalition ist jetzt eine Geisel des STC, welcher die einzig wirkliche Kraft ist, die im Süden – zumindest in den wichtigsten Städten – am Boden Macht ausübt. Die Regierung Hadi ist zu einer Regierung der Frontlinien reduziert worden, obwohl sie auch hier nicht einmal die Kontrolle über die unzähligen Söldnertruppen, Dschihadisten und Stammestruppen, die von ihr angeworben wurden, hat. Der STC hat seine Absicht bekräftigt, dass er die Saudis bei ihrem Kampf gegen die Huthis, welche 2015 die Macht in Sanaa und dem Norden des Jemens ergriffen haben, unterstützen wird, aber es ist klar, dass er mehr Interesse daran hat, die Al-Qaida in seinen eigenen Gebieten zu bekämpfen, um dort die Macht zu festigen. Die südlichen Truppen erhalten in den von den Huthis dominierten Gebieten wenig Unterstützung und sie sind nicht daran interessiert wegen dieser Gebiete einen Krieg zu führen. Es hat also eine de facto Abspaltung des Südjemens stattgefunden, das unter den Einfluss der VAE und nicht Saudi-Arabiens geraten ist.
Die Beziehung des Südens zum Hadi-Regime
Seit der Vereinigung 1990 hat der Südjemen einige Male gegen die Vorherrschaft des Nordens rebelliert. Nach dem Sturz von Ali Abdullah Saleh in der Revolution von 2011 schlossen sich alle politischen Kräfte, unter Einschluss der nationalistischen Führer im Süden, dem von Saudi-Arabien geförderten Übergangsregime unter Hadi an. Nachdem die Massen erkannten, dass es zu keinen fundamentalen Veränderungen kam, gingen sie schnell wieder auf die Straße. Im Süden wurde die Bewegung zu einer ernsten Gefahr für die Regierung. Desillusioniert von dem verkommenen Regime, das von Saudi-Arabien installiert worden war, und aufgrund des Fehlens einer revolutionären internationalistischen Führung in der Arbeiterklasse, gewannen die Forderungen nach einer Abspaltung an Boden. Im Norden hinterließ das Fehlen einer revolutionären Alternative ein Vakuum, in das die Huthi-Streitkräfte eintraten, als sie 2015 die Macht ergriffen und ihre Herrschaft mit Gewalt auf das gesamte Land auszudehnen versuchten. Das führte zu Zusammenstößen mit nationalistischen Milizen im Süden, die zu zentralen Faktoren bei der Einnahme der Stadt Aden wurden. Obwohl die nationalistischen Milizen im Süden offiziell Bestandteil der von Saudi-Arabien geführten Kriegskoalition wurden, waren sie nie daran interessiert über ihre traditionellen Gebiete hinauszugehen, außerdem hegten sie stets ein Misstrauen gegenüber Hadi und dessen Regierung.
Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus
Nachdem sie mit dem Krieg gegen die Streitkräfte der Huthis nach deren Machtergreifung 2015 angefangen hatten, dachten die Emirate und Saudi-Arabien, dass dieser Krieg eine Angelegenheit von kurzer Dauer sein würde. Aber die Frontlinien erstarrten schnell und es zeigte sich, dass es weder für den Krieg noch für das Hadi-Regime, das diesen förderte, Unterstützung gab. Die VAE, die zuvor der engste Verbündete Saudi-Arabiens gewesen waren, verlagerten angesichts der drohenden Niederlage ihren Schwerpunkt von dem andauernden Krieg. Für Saudi-Arabien ist es nicht so einfach, sich zurückzuziehen.
Für den saudischen Kronprinzen Muhammad Bin Salman (MBS), dem eigentlichen Herrscher im Königreich, steht bei dem Krieg viel auf dem Spiel. Während er zu Hause eine Austeritätspolitik betreibt, hat er Milliarden für den Kampf gegen die Huthi-Milizen ausgegeben, aber nichts erreicht. Die saudische Gesellschaft befindet sich in einer tiefen allumfassenden gesellschaftlichen Krise und eine Niederlage würde die Gegner von Bin Salman in der königlichen Clique unmittelbar stärken, aber auch zu steigender Wut unter den Massen führen. Einer der wichtigsten Gründe für den Eintritt in den Krieg war für MBS die Gewährung von Zugeständnissen an die dschihadistische Bewegung in Saudi-Arabien, die im Land keine zentrale Rolle spielt, jedoch ein entschiedener Gegner der königlichen Familie ist. Aber nachdem es nicht gelungen ist, diese Kräfte zu exportieren, werden sie sicherlich bald zu ihren Ursprüngen zurückkehren. Eine Niederlage Saudi-Arabiens im Jemen würde schließlich die Herrschaft der Huthis unmittelbar sichern und dem Iran, einem Verbündeten der Huthis, einen wichtigen Stützpunkt an seiner Grenze bieten. Aus diesem Grund würde eine Niederlage für Saudi-Arabien eine Katastrophe bedeuten.
Die VAE haben andererseits weniger Sorgen. Es scheint, dass der Schritt der Machtfestigung in Aden ohne Zustimmung der Emiratis geschah, trotzdem ist er in Einklang mit dem von den Emiratis verfolgten allgemeinen Trend. Sie wollen sich schrittweise aus dem Krieg mit den Huthis zurückziehen und sich auf die Errichtung eines eigenen Stützpunkts um Aden, das eine strategische Position an der Meerenge von Bab-el-Mandeb besitzt, konzentrieren. Außerdem wollen die Emirate den Kampf gegen die Al-Qaida-Milizen fortsetzen, an dem Saudi-Arabien kein Interesse hat. Die VAE und besonders deren Herrscher Khalifa bin Zayed Bin Sultan Al Nahyan hatten eine enge Beziehung zu MBS und waren ihm beim Aufstieg innerhalb der königlichen Familie behilflich. Im vergangenen Zeitraum, in dem Saudi-Arabien international zunehmend isoliert war und mit der Türkei, Katar und sogar den USA in Konflikt geriet, waren die VAE die engsten Verbündeten der Saudis. Aber die veränderten Gegebenheiten vor Ort beschädigen diese Allianz.
Es ist klar, dass der Krieg gegen die Huthis schon vor langer Zeit verloren wurde. Das Hadi-Regime wird den Jemen niemals regieren Hadi wurde 2012 zum Staatschef ernannt, Anfang 2015 trat er zurück. Er ist völlig diskreditiert und seine Kumpanei mit seinen saudischen Herren und die Brutalität des von ihm unterstützten Krieges hat ihm die Basis genommen, wer immer auch vor Ort ist. Die Emiratis ziehen ihre Truppen ab, nachdem sie einen Stützpunkt errichtet und an Einfluss über die Saudis gewonnen haben, die jetzt die Zustimmung der Emiratis benötigen, um im Jemen zu agieren.
Noch wichtiger ist, dass es nicht klar ist, auf welche Seite sich die USA stellen werden. Der US-Imperialismus, der in diesem Krieg stark verwickelt ist, war von Anfang an bestrebt, sich zurückzuziehen. Die Amerikaner sind wesentlich besorgter über den Aufstieg der Al-Qaida als über einen Sieg gegen die Huthis, die in der Vergangenheit oft mit den USA zusammengearbeitet haben. Bisher gibt es noch keine offizielle Reaktion der USA zu den Ereignissen in Aden. Das deutet darauf hin, dass Donald Trumps Versprechen, an den Verbündeten der USA festzuhalten, genauso leer ist, wie das von Obama. In Syrien, dem Irak, dem Libanon und Katar hat der US-Imperialismus Entscheidungen getroffen, die den Wünschen der Saudis diametral gegenüberstanden, weil diese den Interessen der USA widersprachen.
Saudi-Arabien in der Krise
Die Ereignisse in Jemen sind ein weiterer Teil der Existenzkrise Saudi-Arabiens. Obwohl der Krieg im Jemen aus der Sicht der herrschenden Klasse des Königreiches kurzsichtig und dumm war, besteht in ihm trotzdem eine Logik. Ebenso wie die jüngsten Kriege in Syrien und dem Irak wurde der Krieg im Jemen u. a. begonnen, um den wachsenden Einfluss des Iran zu bekämpfen, aber noch mehr, um die oppositionelle Wahhabiten-Bewegung im Königreich selbst zu beschwichtigen. Die Krise des US-Imperialismus und die Wirtschaftskrise bringen das brüchige Gleichgewicht, auf dem das Königreich errichtet wurde, in Unordnung. Während MBS im eigenen Land versucht, die Jugend zu beruhigen und die Forderungen nach Demokratie mit kleinen demokratischen Zugeständnissen erfüllt, versucht er den Klerus mit internationalen Abenteuern gegen das Phantom der schiitischen Bedrohung zu besänftigen. Aber keine dieser Maßnahmen werden die Bedürfnisse dieser Gruppen erfüllen. Mittlerweile befinden sich die königliche Familie und die mit ihr verbündeten Stammesgruppen in einem heftigen internen Krieg, in dem bisher die Fraktion von MSB erfolgreich war. Aber eins ist sicher, sobald sein Stern zu verblassen beginnt, werden die Messer gewetzt.
Die Niederlage im Jemen wird dazu beitragen, dass der bisher aufgebaute Druck sich verschärfen wird. Schon oft war eine militärische Niederlage der Wegbereiter für eine Revolution. Das war in Russland sowohl 1905 als auch 1917 der Fall. Es ist schwer zu sagen, welche Ergebnisse eine soziale Revolution in Saudi-Arabien haben wird, aber es ist klar, dass der jetzige Zustand zu einem bestimmten Punkt aufbrechen muss.
Dieses Stadium des Niedergangs ist das gefährlichste für die Existenz jedes Regimes. Die jemenitischen Massen spüren das täglich. Die Lage sieht nicht rosig aus. Der saudische Krieg hat die wichtigsten Infrastrukturen des Landes zerstört. Zehntausende sind gestorben und Millionen leiden unter einem schrecklichen Hunger. Der Jemen war vorher bereits das ärmste Land im arabischen Raum, aber jetzt befinden sich große Teile des Landes in einem barbarischen Zustand.
Die Massen im Jemen haben sich während der Revolution von 2011 heldenhaft erhoben, aber sie waren nicht in der Lage, die Macht in die eigenen Hände zu nehmen, weil eine revolutionäre Führung fehlte. Aus diesem Grund wurde das Machtvakuum von einer ganzen Reihe von verschiedenen konterrevolutionären Gruppen gefüllt, die jetzt die jemenitischen Massen als Geisel in ihrem eigenen reaktionären Konflikt halten. Das ist eine bittere Lektion, die aber auch beweist, dass keine kapitalistische Kraft die Probleme der Massen im Nahen und Mittleren Osten lösen kann.
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