Kategorie: Asien |
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Israel: Instabilität, Polarisierung, Proteste und eine Mitte-Links-Regierung |
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Nach einem fast dreimonatigem niveauarmen Wahlkampf haben über 5 Millionen wahlberechtigte Israelis ein neues Parlament gewählt.
Für die wichtigsten Parteien, die sich zur Wahl stellten, standen die Zukunft der Westbank, die Grenzen und wie so oft "die Existenz Israels" als wichtigste Probleme auf der Tagesordnung. Das wirklich wichtigste Problem, das wie ein Schwert über den Köpfen der bürgerlichen Politiker hängt, ist die Verschärfung der Krise des Systems, das Elend, Instabilität und folglich schnelle Verschiebungen sowohl nach rechts und links verursacht. |
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Die Tatsache, dass die Arbeiterpartei ein besseres Ergebnis erreichte als am Vorabend der Wahl erwartet wurde (20 Sitze) und die Rentnerpartei sich sieben Sitze sicherte, zeigt dass in den Köpfen der meisten Israelis soziale Probleme Vorrang vor den so genannten Sicherheitsfragen (d.h. die Unterdrückung der Palästinenser) haben. Ehud Olmert, der "Interimsführer" von Scharons Partei Kadima, die im neuen Parlament die meisten Sitze errang, hat versprochen über ein Friedensabkommen mit den Palästinensern zu verhandeln, aber nur mit Abu Mazen von der oppositionellen Fatah, oder aber einen einseitigen Abzug von der Westbank am Ende seiner vierjährigen Amtszeit durchzuführen. Man muss nicht unbedingt intelligent sein, um zu verstehen, dass ein bürgerlicher Politiker, der etwas für das Ende seiner Amtszeit verspricht, wahrscheinlich lügt. Und selbst, wenn es sich nicht um eine bewusste Lüge handeln sollte und sie versuchen es umzusetzen, wie könnte die komplizierte nationale Frage in diesem Land gelöst werden? Zwei Nationen kämpfen an einer nationalistischen Front für das gleiche Land und nach so vielen Jahren, in denen die Kapitalistenklasse gezeigt hat, dass sie unfähig ist, das Problem zu lösen, erzählt man uns, dass sich durch einen einseitigen Abzug aus den seit 1967 besetzten Gebieten alles zum Besten ändert. Kadima-Arbeiterpartei-Meretz-Rentnerpartei, eine Mitte-Links-RegierungWochenlang hat man uns erklärt, was am Wahltag passieren würde. Die Prognosen hatten ein viel höheres Ergebnis für Kadima vorhergesagt. Kadima und den rechts von ihr stehenden Parteien wurden 35-40 Sitze prognostiziert. Angesichts des tatsächlichen Ergebnisses aber kann man sich die Frage stellen, ob die Umfragen die öffentliche Meinung tatsächlich widerspiegelten oder ob sie ein Versuch waren, diese zu formen. Selbst wenn nicht bewusst versucht wurde, die WählerInnen zu manipulieren, müssen wir begreifen, dass wir in einer Periode leben, die durch Instabilität und schnelle öffentliche Meinungswechsel charakterisiert ist und Wählerumfragen kein Instrument sind, dies zu messen. Die Folge war eine Verschiebung von mitte-rechts nach links. Das bedeutet, dass die meisten Israelis keine Siedlungen wollen, sondern wünschen, dass das Geld in soziale Programme investiert wird. Kadima, die wichtigste kapitalistische Partei, hat zwar gewonnen, aber nur mit 29 Sitzen, was bedeutet, dass sie mit den Linken eine Regierung bilden muss. Die LinkeDie wichtigste linke Partei ist die "neue" sozialdemokratische Arbeiterpartei, die auf dem Gewerkschaftsbund Histraduth aufgebaut ist. Ihr Programm zur nationalen Frage ähnelt dem von Kadima, was den einseitigen Abzug aus allen Teilen der Westbank bedeutet. In den ersten Wochen des Wahlkampfes konzentrierte sich die Arbeiterpartei unter ihrem neuen Führer Amir Peretz mehr auf wirtschaftliche Fragen und Peretz wurde von vielen Juden und Arabern als neue Hoffnung betrachtet. Aber sehr schnell bewegte er sich nach rechts und stellte die nationale Frage in den Vordergrund, während er sich von wirtschaftlichen Problemen abwandte, gerade von solchen Problemen, die bei der Mehrheit der Israelis auf großes Interesse stießen. Zu den Linken werden ebenfalls die linksliberale Meretz (4 Sitze) und die Parteien der arabisch-palästinensischen Minderheit (10 Sitze) gezählt. Letztere unterstützen jede Regierung, die nicht von einer rechten Koalition gebildet wird. Der Führer der Arbeiterpartei Amir Peretz sagte der Zeitung Haaretz am Montag, dass er "unter keinen Umständen" eine Regierung mit dem Likud-Block und den rechten Parteien bilden werde, selbst wenn diese ihm den Posten des Premierministers anbieten oder versprechen würden, die Verabschiedung sozioökonomischer Gesetze zu unterstützen. Das bedeutet ein "Nein zu einer Likud-, aber ein Ja zu einer Kadima-Regierung". Sobald die Wahlergebnisse bekannt waren, teilte Peretz seinen Anhängern mit: "Ich will Euch wissen lassen, dass ich Euch liebe… Obwohl die anderen versucht haben der sozialen Revolution den Wind aus den Segeln zu nehmen, lebt diese und atmet… wir sind die einzige Partei, die dafür sorgen wird, dass sich die nächste Regierung in Richtung Frieden und sozialer Gerechtigkeit bewegt." Aber nette Stellungnahmen abgeben ist eine Sache, die Wirklichkeit einer Koalitionsregierung mit der wichtigsten kapitalistischen Partei eine andere. Geringste Wahlbeteiligung aller ZeitenDie Lügenpakete beeinflussten auch die Wahlbeteiligung, die bisher die geringste in der Geschichte der israelischen Wahlen war und um 5% unter der Beteiligung bei den letzten Wahlen lag. Am Wahl-Dienstag war schönes Wetter, deshalb verbrachten viele Menschen den Tag lieber in den Parks. Die Menschen haben begriffen, dass die wirklich wichtigen Fragen mit den die Menschen konfrontiert werden, wie anständige Löhne, Sicherheit am Arbeitsplatz, Renten, soziale Programme und eine soziale Absicherung wieder einmal unter einem Berg leerer Phrasen beerdigt wurden. Der rechte FlügelWährend Mitte-Links insgesamt 62 Sitze gewann, erlitt der rechte Block eine Niederlage und gewann nur 50 von insgesamt 120 Knesset-Sitzen. Die bis zum Dezember letzten Jahres führende bürgerliche Rechtspartei Likud verlor die Kontrolle über die Regierung, als Scharon die Partei verließ und wegen seiner Opposition zu den "Rebellen" von Likud, die gegen den Gaza-Abzug waren, Kadima gründete. Likud ist gegen jeden Abzug aus dem seit 1967 besetzten Gebieten. Benjamin Netanyahu behauptete, dass die Wahlen nichts anderes als "ein nationales Referendum über den Olmert-Kadima-Plan ist, der beinhaltet Land an die Hamas zu verschenken, ohne etwas dafür zurückzubekommen." Hätte es sich tatsächlich um ein Referendum gehandelt, dann hätte dieses Netanyahu den Todesstoss versetzt. Am Vorabend der Wahl erwartete Likud 14 – 15 Sitze, gewonnen hat die Partei lediglich 12. Das bestätigt die Tatsache, dass die Rechten sich nicht einigen und einen gemeinsamen Block bilden können. Die meisten Israelis haben von den Siedlungen genug. Das zeigt, dass die Mitte-Rechts-Koalition als Teil des Prozesses der Polarisierung und der wachsenden Krisenanfälligkeit der israelischen Gesellschaft fehlgeschlagen ist. Rechts vom Likud-Block steht Israel Beitenu, eine ultranationale Partei, die zur "ethnischen Säuberung" der palästinensischen Bevölkerung in israelischen Städten aufrief. Viele ImmigrantInnen aus der ehemaligen Sowjetunion unterstützen diese Partei, die Likud stimmenmäßig überholte. Faschistische TendenzenDer Zuwachs bei Israel Beitenu widerspiegelt die wachsende Polarisierung innerhalb der israelischen Gesellschaft und die Gefahr faschistischer Tendenzen in den kommenden Jahren. Eine solche Bewegung wird von den Anhängern anderer bereits bestehender Parteien kommen. Es gibt die Nationalreligiöse Partei (NRP)/Nationale Union, eine ultranationalistische fundamentalistische Partei, die gegen den Abzug von der Westbank ist. Dann ist da noch Herut, die von Michael Kleiner angeführt wird, der Gesetze fordert, mit deren Hilfe Palästinensern und Nichtjuden "finanzielle Anreize" angeboten werden sollen, um in die arabische Welt oder woanders zu emigrieren. Die Partei betrachtet fast ganz Jordanien als Teil Israels, das "eines Tages wieder in Israel miteinbezogen" werden könnte. Die Nationale Union (Haichud Haleumi) setzt sich aus der Siedlerpartei, der Mifdal und anderen jüdischen Gruppen zusammen und fordert ebenfalls die Wiederansiedlung palästinensischer Gefangener in arabischen Ländern. Die Partei wird von Benjamin Elon angeführt, einem ehemaligen israelischen Minister, der gegen die Schaffung eines Palästinenserstaates ist. Die Jüdische Front unter der Führung von Baruch Merzel ist eine Abspaltung der Kach-Gruppe, deren Grundsätze –so der oberste israelische Gerichtshof – rassistisch sind. Kach wurde 1994 sowohl von der israelischen als auch von der US-Regierung verboten, heute tritt die Partei für die zwangsweise Vertreibung der Araber aus "dem Land Israel"ein. Diese wieder gesetzlich zugelassene Partei fordert die Säuberung der Region vom Jordan bis zum Mittelmeer von "goyim" (Nichtjuden), um so eine jüdische Mehrheit von nicht weniger als 90% in ganz Israel zu garantieren. Dies widerspiegelt die wachsende Krise des israelischen Staates, der das Programm der Kach als eine Option für die Zukunft mit in Erwägung zieht. Merzel hat alle Parteien, die willens sind mit den Palästinensern zu verhandeln als "Verräter" und "Kriminelle" bezeichnet und erklärt, dass israelische Militär solle den Führer der Friedensbewegung Gush Shalom, Uri Avnery, ermorden! Es ist schon eine Ironie, dass ein israelisches Gesetz festlegt, dass niemand für die Knesset kandidieren darf, wenn seine Ziele oder Handlungen "die Anstiftung zum Rassismus" beinhalten. Ganz eindeutig wäre keine der rechten Parteien – und vielleicht nicht nur der rechten – wählbar, falls das Gesetz wirklich von Bedeutung wäre. Warum gestatten dann die herrschenden Kreise in Israel, die jahrelang behaupteten Israel sei als Antithese zum Faschismus gegründet worden, faschistischen Parteien die Teilnahme an der Wahl? Der Grund kann nicht im Reich der abstrakten Logik gefunden werden, sondern in der Logik einer Klassengesellschaft. Wie bei allen faschistischen Parteien ist es nicht nur das Ziel dieser Parteien, nationalistischen Hass zu verbreiten, sondern auch die Arbeiterbewegung zu zerstören. Wir durchlaufen eine Krise und die Bourgeoisie betrachtet die faschistischen Parteien als Kräfte, auf die sie sich stützen kann. Sie mag sie vielleicht nicht, aber sie wird zulassen, dass die Faschisten agieren, wenn es hilfreich ist, eine Arbeiterrevolution zu verhindern. Was tun?Die Krise der kapitalistischen Welt wird in Israel überaus stark gespürt. Es ist nur eine Frage der Zeit bis die Arbeiterklasse hier so zu kämpfen beginnt wie in Frankreich. Das wird die Frage einer sozialistischen Transformation aufwerfen oder mit einer schrecklichen Niederlage enden, von der die Rechten profitieren. Für eine sozialistische Revolution ist eine revolutionäre Partei nötig, diese aber gibt es in Israel nicht. Der Widerspruch besteht darin, dass die Massen in der Arbeiterklasse schon einen Weg nach vorn suchen und praktisch links von allen bestehenden Parteien stehen. Wenn die Arbeiterklasse in die Offensive geht – und das wird innerhalb dieser neuen Legislaturperiode geschehen – wird sie sich der Arbeiterpartei zuwenden und echte Reformen verlangen. Die Arbeiterpartei wird unter solchen Bedingungen unter immensen Druck geraten. Die Parteiführer haben Verbesserungen für die ArbeiterInnen versprochen und diese werden verlangen, dass die Partei sich an ihre Versprechen hält. Ein solcher Prozess wird die Arbeiterpartei transformieren und wir MarxistInnen werden dieser Partei unsere kritische Unterstützung zukommen lassen. Die Massen werden von Peretz verlangen, dass er seine Versprechen einhält und die Führer werden "erklären", dass es wichtiger ist, den Bestand einer Mitte-Links-Regierung zu halten und dass alle Maßnahmen, die den ArbeiterInnen und den Armen dienen, die Koalition gefährden und die Gefahr aufwerfen, die Rechten wieder an die Macht zu bringen. Die Reden der Führer der Arbeiterpartei, in denen Reformen versprochen werden, werden die Arbeiterklasse vorantreiben, um mehr zu fordern und dafür zu kämpfen. Damit wird die Bühne für eine bedeutende Konfrontation zwischen der Arbeiterklasse und der Regierung aufgebaut. Durch diesen Kampf wird die linke Opposition in der Arbeiterpartei größer werden. Die revolutionäre Führung, welche die Arbeiterklasse so dringend braucht, wird aus diesem Prozess hervorgehen. Deshalb haben die MarxistInnen in Israel dazu aufgerufen, die Arbeiterpartei zu wählen, nicht wegen der bestehenden Parteiführung, sondern weil es die größte Partei der Arbeiterklasse ist, die unter dem Druck der Kämpfe der Arbeiterklasse in eine Partei umgewandelt werden kann, die für die Interessen der ArbeiterInnen und der Armen kämpft – eine Partei, die sich für eine Arbeiterregierung einsetzt, statt in einer kapitalistischen Regierung zu sitzen und den reichen Bossen zu dienen. In der Vergangenheit haben die Menschen zwischen der politischen Linken (denjenigen, die bereit sind, die Vorstellung von zwei kapitalistischen Staaten zu unterstützen) und der sozialen Linken (denjenigen, die sozialpolitische Fragen aufwerfen) unterschieden. Aber jetzt, wo die Krise des Systems sich verschärft, beginnen mehr und mehr Menschen zu begreifen, dass politische Fragen auch soziale sind. Diese Erkenntnis wird es ihnen erleichtern zu verstehen, dass es in dem verfallenden kapitalistischen System keine Lösung der sozioökonomischen und politischen Probleme gibt. Nur eine Arbeiterpartei, die für die Interessen der ArbeiterInnen, Juden und Araber, kämpft bietet uns eine Lösung – eine Arbeiterregierung auf der Grundlage eines echten sozialistischen Programms. Jossi Schwartz, Israel, 29.03.2006Übersetzung: Tony Kofoet |