Kategorie: Europa |
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Für wessen Befreiung? Kriege und Privatisierung in Serbien |
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Unter diesem Titel fand eine Veranstaltung des Funken und der Stadtteilgruppe DIE LINKE.Wiesbaden-Westend im Georg-Buch-Haus in Wiesbaden statt, die von rund zwanzig Interessierten jeglichen Alters besucht wurde. Der Genosse Miodrag Mijatovic aus Belgrad, ein Sprecher der Initiative gegen den NATO-Beitritt Serbiens, berichtete über die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Serbien nach dem Zerfall Jugoslawiens. | |||
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Der Referent erläuterte den Prozess der neoliberalen Politik in Serbien inklusive der Einmischung und Ausbeutung durch den Westen. Er konnte dabei auf ein sehr detailliertes politisches und geschichtliches Wissen zurückgreifen. Unter anderem erläuterte er, wie die serbische Wirtschaft geschwächt und zerstört wurde; beginnend mit dem Zerfall Jugoslawiens, gefolgt von den 1992er Sanktionen der UNO, dem NATO-Angriff 1999, der die Infrastruktur gänzlich zerschmetterte und fünfmal so viele zivile Opfer forderte wie militärische, und schließlich der Privatisierungswelle, die 2001 begann. Die BesucherInnen erfuhren, dass es sowohl unter Ex-Präsident Slobodan Milosevic als auch jetzt in Serbien keine linke parlamentarische Opposition gab und gibt. Eine traditionelle sozialdemokratische Partei oder Linke im westeuropäischen Sinne existiert nicht, alle Parteien sind sich in der Zustimmung zu Privatisierung (unter den wichtigsten Parteien wird der Streit darum geführt, ob der Partner bei der Privatisierung die EU bzw. die USA, oder Russland bzw. China sein sollte) und dem EU-Beitritt einig, während man der NATO, wegen des Wiederstands des Volkes, durch eine Hintertür beitreten möchte. Die Kritik von Seiten der bürgerlichen Opposition in den 1990er Jahren an Milosevic beschränkte sich auf das Tempo der Privatisierung und darauf, dass er wegen der Niederlage in Bosnien und Kroatien „serbische nationale Interessen“ nicht erfüllt hatte. Miodrag erklärte danach, was die eigentlichen Ursachen des Konflikts zwischen Milosevic und dem Westen waren: neben dem schon erwähnten Privatisierungstempo war das auch die Frage, ob die Gewinne den westlichen oder heimischen serbischen Kapitalisten zufallen sollen. Die Repression der serbischen Polizei und Armee gegen die Kosovo-Albaner war dann nur ein Vorwand für die Bombardierung im Jahr 1999. Miodrag erinnerte auch daran, dass nach dem Sturz von Milosevic der WAZ-Manager und ehemalige Kanzleramtsminister Bodo Hombach (SPD) in Serbien für den Ableger des WAZ-Konzerns quasi ein Medien-Monopol errichten wollte und FIAT die serbische Autobranche übernommen hat. Die Massenproteste in Serbien 2000 waren dann auch eher bürgerlicher Natur, die Privatisierung wurde nicht grundsätzlich in Frage gestellt, während die bürgerliche Opposition Milosevic als eine „Rote Socke“ bezeichnete. Aber der entscheidende Auslöser für den Sturz Milosevics war im Gegensatz zu den Demonstrationen in den 1990er Jahren die Beteiligung der ArbeiterInnenklasse an den Protesten. Anders die linken Proteste 2011, die brutal niedergeschlagen und deren Beteiligte als Milosevic-AnhängerInnen und IsolationistInnen verleumdet wurden. Diese Proteste richteten sich gegen den geplanten NATO-Beitritt Serbiens und eine dem Volk verheimlichte NATO-Konferenz in Belgrad im Juni 2011. Die ArbeiterInnenbewegung in Serbien ist derzeit sehr schwach. Die früheren Arbeitsrechte wurden fast völlig abgeschafft, die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch und damit der Druck, prekäre Arbeitsverhältnisse einzugehen und zu ertragen. Durch die Privatisierungspolitik fand eine enorm hohe Abwanderung der Beschäftigten aus dem besser gestellten und abgesicherten öffentlichen Sektor in den privaten Sektor und in die Schwarzarbeit statt. Alles in allem hat die neoliberale Politik Serbien um hundert Jahre zurückgeworfen, so führte Mijatovic aus, denn damals war es ein Agrarland und wichtiger Rohstoffexporteur. Der Anteil der Landwirtschaft am BIP hat sich in Serbien in den letzten zwanzig Jahren mehr als vervierfacht (von 4,8 auf über 20%), während der Anteil der Industrie einbrach (von 41,3 auf rund 13%). Nach dem Referat stellten die BesucherInnen Fragen und diskutierten das Gehörte. Es kam ein reger Austausch zustande, in dessen Verlauf zu erfahren war, dass so etwas wie Sozialhilfe in Serbien zwar existiert, aber lediglich rund 100 Euro im Monat ausmacht. Außerdem dass es derzeit keine nennenswerte Linke in Serbien gibt (eher bestehen nationalistische Tendenzen, wie in vielen Ländern Europas), die Gewerkschaften sehr geschwächt sind und die Politik immer wieder die Trumpfkarte des Chauvinismus zieht, um soziale Fragen und politische Affären aus der medialen Öffentlichkeit zu verdrängen. Insgesamt war es eine gelungene Veranstaltung, die hinsichtlich der Verhältnisse eines Landes sensibilisierte, das wenig in den Medien vertreten ist. Damit leisteten wir auch einen wertvollen Beitrag zu linker Bildungsarbeit. |