Kategorie: Europa |
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Osteuropa - Eine Weltregion am Abgrund |
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In einem nahezu perfekten Halbkreis rund um Deutschland herum wandern die Ökonomien Europas auf direktem Wege in den Ruin. Dabei sind nicht nur die "klassischen" Krisenländer (Spanien, Irland, Griechenland etc.) betroffen, auch "robuste" Volkswirtschaften wie die Niederlande hat es in die Rezession gezogen. |
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Abseits der allgemeinen Aufmerksamkeit hat sich jedoch ein weiterer Krisenherd gebildet: die GUS-Staaten Südosteuropas und der Südkaukasus mit ihren fast 150 Millionen Einwohnern. Das Ende der Planwirtschaft und „der Sieg der Demokratie“, sprich des Kapitalismus, hat im Jahr 2013 zu vielem geführt. Nur nicht zu Wohlstand, Stabilität und Prosperität.
Drei Phasen der Krise
Massenproteste, Revolten und politische Umstürze: Ob in direkter Nachbarschaft Deutschlands, in Tschechien und der Slowakei, ob im tiefsten Balkan, in Serbien oder Bulgarien, oder in den Ländern südlich des Kaukasus, in Armenien, Georgien und Aserbaidschan: Seit 2008 befinden sich alle Länder Südosteuropas und des Kaukasus in argen wirtschaftlichen Problemen und schweren Staatskrisen. Die Regierungen dieser Länder befolgen die Politik von IWF und der Weltbank: Staatausgaben zusammenstreichen, Steuern senken, privatisieren. Der Widerstand aus der Bevölkerung lässt nicht auf sich warten. Wie entlädt sich der Zorn der Massen? Wie reagieren die Massen auf den Ausbruch der Krise in ihrem Land?
Protestformen- und Inhalte
Um eine Ahnung von der Wucht und Entschlossenheit der demonstrierenden Massen zu bekommen, ist es hilfreich, die Protestformen zu betrachten. In Aserbaidschan blockierten Markthändler, deren Existenz durch eine Standgebührenerhöhung bedroht wurde, kurzerhand eine Autobahn. Weiter ist die Umzingelung von Regierungsgebäuden zur Mode geworden – jedenfalls haben die Protestierenden am 24. Dezember 2012 einen Vormittag lang das mazedonische Parlament umzingelt. Am 7. Juni wurde das bosnische (voll besetzte) Parlament eine Nacht lang umzingelt und blockiert. In Armenien machten die Protestierenden Anfang August das gleiche mit dem Rathaus der Hauptstadt Jerewan – fast eine Woche lang. Man stelle sich vor, was Polizei und Militär hierzulande alles auffahren würde, wenn Parlament, Rathaus der Hauptstadt oder eine Autobahn blockiert werden würde. Man stelle sich vor, wie viel Wut, Mut und Verzweiflung es hierzulande bräuchte, um solche Aktionen durchführen zu können. Ein ungarischer Witz verdeutlicht gut, was für eine Stimmung gegenüber der Politik in Osteuropa herrscht: „Politiker sind wie Tauben – sie scheißen auf uns, aber man darf sie nicht erschießen“. Hier drückt sich das Unbehagen gegen die Korruption der herrschenden Cliquen aus. Doch was waren eigentlich die konkreten Inhalte der Proteste? Naturgemäß drücken sich soziale Proteste in den verschiedenen Ländern in verschiedenen Inhalten aus. In Aserbaidschan, wo ein autoritäres Polizeiregime nach weißrussischem Vorbild herrscht, muss jede Form ausbrechenden sozialen Protests sofort und direkt auf die Regierung selber abzielen – der Höhepunkt der Proteste wird dort um die Wahlen im Oktober erreicht werden, von denen niemand ernsthaft erwartet, dass sie sauber ablaufen werden. Im Nachbarland Armenien dagegen zielten die Proteste zunächst auf die Rücknahme von Fahrpreiserhöhungen ab (wir kennen das aus Brasilien) und war damit erfolgreich. Die äußerst angespannte finanzielle Lage wird jedoch die armenische Regierung dazu zwingen, jeden Sieg der Protestbewegung mit doppelter Wucht zurückzuschlagen. In Slowenien richteten sich die Proteste zunächst gegen exorbitante Verkehrsbußen, die direkt korrupten Bürokraten in die Taschen flossen, dann weiteten sich die Proteste aus und wurden zum Massenprotest gegen die Sparmaßnahmen einerseits, die Korruption andererseits. Als infolge von rabiaten Rentenkürzungen das verfassungsmäßige Recht auf ein Referendum verweigert wurde, bekam die Bewegung einen politischen Charakter. Man schrieb sich die Verteidigung der Demokratie auf die Fahnen – und ist wiederum, wie in Aserbaidschan, beim Kampf gegen das politische System selber angelangt, nur auf höherer Ebene.
Die Politik der Linken – hier wie dort
Die Sozialdemokraten und Sozialisten Südosteuropas verhalten sich wie politische Lemminge. Sie begehen Massenselbstmord. Wo die bürgerlichen Regierungen zerfallen, spielen sie nur zu gerne, Beispiel Rumänien, die Rolle des „Retters und „Sanierers“. Indem sie den hoffnungslosen Versuch auf sich nehmen, die Verantwortung für die Banken- und Staatsschulden zu „schultern“ und an die Bevölkerung zu verteilen. So machen sie sich die Sozialdemokratien unwählbar. Aus dem Vorbild des ersten Lemmings, der griechischen Pasok, haben die meisten Sozialdemokratien nichts gelernt. Im Gegenteil: Der IWF, der in allen Ländern Südosteuropas derzeit eine wichtige Rolle spielt, findet in den Sozialdemokraten seine Agenturen, die sogar, wie in Slowenien, in vorauseilendem Gehorsam Gebühren erhöhen, Gehälter kürzen und Staatseigentum privatisieren, damit der IWF gar nicht erst ein Büro im Land eröffnen muss. Es gibt aber auch ruhmvolle Ausnahmen: In Albanien haben die Sozialisten das Parlament boykottiert, die Sozialdemokraten Mazedoniens haben die Debatte um Sparpakete mit tausenden von Ordnungsanträgen verhindern wollen, und sich schließlich heldenhaft von der Polizei aus dem Parlament tragen lassen. Für uns bedeutet die Krise Osteuropas das traurige Vorspiel der Krise in unseren Heimatländern. Erste Sparpakete und Massenentlassungen beginnen auch hier. Ohne dass wir selbst direkt betroffen sind, haben wir das Privileg, verfolgen zu können, welche Strategien die herrschende Klasse anwendet, um die Massen zu stoppen, auseinanderzujagen und zu täuschen. Osteuropa bietet vor unseren Augen und Türen ein Versuchslaboratorium für die Zerstörung der Lebensgrundlagen der ArbeiterInnenschaft, aber gleichzeitig ist auch eines für mannigfaltige Formen des Widerstands. So wie die Bourgeoisie dort die verschiedensten Maßnahmen zur Sicherung ihrer Herrschaft ausprobieren kann, können wir anhand dieser aktuellen Beispiele lernen, wie Widerstand funktioniert und entgegenzusetzen ist. Dieses Wissen müssen wir in die hiesige ArbeiterInnenbewegung tragen. Es ist zentral, dass wir über die Ereignisse und ihre Folgen Bescheid wissen. Zudem ist es wichtig, über diese Ereignisse mit MigrantInnen aus den betroffenen Ländern zu diskutieren, sie über die Ursachen und die Lösungen aufzuklären – sie glauben oft, in ihrem Umfeld niemanden zu haben mit dem sie über diese Dinge diskutieren können.
Wie die Krise beenden?
Auf kapitalistischem Wege kann es keinen Ausweg aus dieser Krise geben, welcher nicht auf der Zerstörung der Lebensgrundlage von Millionen von Lohnabhängigen beruht. Die Krise wird zu weiteren Instabilitäten führen. Nicht einmal halbfaschistische Systeme wie in Ungarn helfen dabei weiter, auch dieses wird zunehmend instabiler und alle seine scheinbaren Erfolge lösen sich in gerade einem gigantischen Schuldenberg auf. Eine Überproduktionskrise kann schließlich auf kapitalistischem Wege nur durch massive Vernichtung von Kapital und Produktionsmitteln beendet werden, was katastrophale Folgen für die ArbeiterInnenschaft der jeweils betroffenen Länder hätte; Produktionsmittel sind die einzige Existenzgrundlage der ArbeiterInnen. Sie sind also zum Widerstand gezwungen. Aber auch die für Europa offensichtlichste Folge der Krise, die multiple Staatsschuldenkrise, kann nicht ohne Enteignung der Gläubiger gelöst werden. In den dringendsten Fälle, beispielsweise in Slowenien, Ungarn und Griechenland, sind Sanierungen der Staatsfinanzen von vorneherein völlig aussichtslos und verschaffen höchstens ein wenig Zeit bis zum Staatsbankrott. Hier ist der einzige Weg, die Staatsschuldenkrisen zu beenden, der Staatsbankrott. In anderen Staaten wiederum wäre eine Sanierung der Staatsschulden prinzipiell möglich – man könnte es mit Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen etc. bewerkstelligen. Linke Politik, die aber versucht, die Staatsschulden durch Unternehmenssteuern, Vermögensabgaben oder ähnliches zu finanzieren, ergibt nicht unbedingt viel Sinn. Staatsschulden sind angelegtes fiktives Kapital. Enteignete man eine Gruppe von Kapitalisten um die Staatsschuldenlast zu verringern, hieße das, eine Kapitalfraktion zu enteignen, um ihr Vermögen der nächsten Fraktion hineinzustopfen.
Was fehlt ist die Partei, die den Mut hat, der Bevölkerung dieses Faktum klar zu machen; die Partei die sich mutig gegen „Sanierer“ und Gläubiger stellt, die in den anderen betroffenen Ländern die anderen revolutionären Parteien sucht, die sich gegen die Staatsschulden stellen, die sich mit ihnen verbindet. Es braucht die internationale Partei, die bereit ist, die Bevölkerungen dieser Länder über alle Grenzen hinweg gegen die Macht der Gläubiger zu vereinigen, diese Bankrott gehen zu lassen, zu enteignen und die ArbeiterInnenklasse dazu aufruft, sich in den von ihnen gebauten Fabriken und Bürotürmen selbst zu organisieren.
Rosa Luxemburg bezeichnete das Ende des Kapitalismus als „Zeitalter der Katastrophen“, Ted Grant sagte, dass das Ende des Kapitalismus die stürmischste Phase der menschlichen Geschichte sein wird. Mit der Krise sind wir in die Phase des niedergehenden Kapitalismus eingetreten. Die Stürme und Turbulenzen, auf die wir zusteuern, lassen sich am Beispiel Osteuropas bereits erahnen. Doch wir können sicher sein: das war erst der Anfang. Was heute in Griechenland passiert, steht morgen uns bevor. Diese Krise wird brutale Kahlschläge und gewaltige soziale Verwerfungen bringen, die historisch beispiellos sein werden. Doch so sicher wie die Krise auf uns zurollt, haben wir allen Grund, optimistisch zu sein. Die kommenden Massenbewegungen werden politischer, gebildeter und größer sein, als alles bisher da gewesene. Die Krise und ihre revolutionäre Gegenbewegung befinden sich erst an ihrem Anfang, sie werden die entscheidenden Faktoren unserer Leben werden, persönlich wie politisch. Diese Gegenbewegung, die revolutionäre Arbeiterbewegung, wird, ausgestattet mit den richtigen Ideen und Methoden, dieses unmenschliche System beseitigen können. Eine andere Hoffnung haben wir nicht. Eine andere Hoffnung brauchen wir auch nicht.
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