Kategorie: Europa |
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Die Folgen des Anschlusses der Krim an Russland |
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Am 18. März erklärte der russische Präsident Wladimir Putin vor der Duma in Moskau die Eingliederung der Krim an Russland. Dem ging ein Referendum voraus, bei dem die große Mehrheit der Bevölkerung der Krim für den Anschluss an die Russische Föderation stimmte. Sofort nach Putins Rede wurde ein Abkommen mit der Krim unterzeichnet, das diesen Beschluss auch in die Tat umsetzt und derzeit vom russischen Parlament ratifiziert wird. |
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Putins Rede traf US-Präsident Barack Obama wie eine schallende Ohrfeige. Der Kreml-Chef zeigte dem US-Imperialismus und seinen europäischen Alliierten gnadenlos die Grenzen ihrer Macht auf.
Zuvor war bereits absehbar, dass die versteckten Drohungen und Proteste der westlichen Diplomaten Russland nicht davon abhalten können, ihre Interessen auf der Krim nach dem Machtwechsel in der Ukraine zu verteidigen. Einmal mehr entpuppte sich die UNO als völlig zahnloses Instrument zur Lösung derartiger Konflikte. Russland hat im UN-Sicherheitsrat ein Vetorecht und kann dort jede Maßnahme, die seinen Interessen entgegensteht, verhindern.
Auf dem Boden haben pro-russische Kräfte auf der Krim längst Tatsachen geschaffen und zwei Militärstützpunkte, darunter das ukrainische Marine-Hauptquartier in Sewastopol, eingenommen. Die neue ukrainische Regierung in Kiew verfügt über keine Mittel das zu verhindern.
In Putins Rede kommt ganz deutlich die wachsende Frustration der herrschenden Klasse in Russland gegenüber der ständigen Einmischung der USA, in dem was sie als ihren natürlichen Einflussbereich bezeichnet, zum Vorschein: „Wir verstehen was passiert; wir verstehen, dass diese Aktionen gegen die Ukraine und Russland sowie gegen die eurasische Integration gerichtet sind. Und all das während Russland bestrebt ist, sich auf den Dialog mit unseren Kollegen im Westen einzulassen. Wir schlagen in allen zentralen Fragen ständig Kooperationen vor; wir wollen das gegenseitige Vertrauen erhöhen und wünschen gleichwertige, offene und faire Beziehungen. Aber wir sahen diesbezügliche Schritte nicht auf beiden Seiten.
Und weiter: „Kurz gesagt haben wir jeden Grund zur Annahme, dass die berüchtigte Eindämmungspolitik des 18., 19. und 20. Jahrhunderts auch heute weitergeht. Sie versuchen ständig, uns in eine Ecke zu drängen, weil wir eine unabhängige Position haben, weil wir diese beibehalten und weil wir Dinge beim Namen nennen und uns nicht auf Heuchelei einlassen. Aber es gibt eine Grenze für alles. Mit der Ukraine haben unsere westlichen Partner die Grenze überschritten.
Das russische Militär und die aufsteigende bürgerliche Elite haben über die letzten 25 Jahre miterlebt, wie ihr Einflussbereich immer kleiner wurde und ein Jagdrevier für westliche Mächte wurde. Sie waren nicht in der Lage, den Zusammenbruch der Sowjetunion und anschließend den der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu verhindern. In den letzten Jahren jedoch konnte die herrschende Klasse in Russland ihre Position stärken und zumindest teilweise ihr Selbstvertrauen, ihre Stärke, wirtschaftliche und militärische Macht wieder zurückerlangen. Sie sieht nun die Möglichkeit, ihre Interessen (nötigenfalls auch mit militärischen Mitteln) geltend zu machen.
Sanktionen und Vergeltungsmaßnahmen
Der Anschluss der Krim an Russland hat sehr viel verbalen Protest seitens der US-Regierung und ihren engsten Verbündeten ausgelöst. Der Westen droht mit „Konsequenzen“. Aber er befindet sich in dem Dilemma, dass er keine direkte militärische Konfrontation mit Russland herbeiführen will. Aber gleichzeitig können es sich Washington und Berlin auch nicht leisten, dass es so aussieht, als würden sie gar nichts tun. Obama hat am 19. März Sanktionen angekündigt. Diese Sanktionen betreffen ein paar wenige russische Oligarchen in Putins näherem Umfeld – ihre tatsächlichen Auswirkungen sind jedoch lächerlich…
Es ist offensichtlich, dass diese Maßnahmen nicht als ernsthaftes Abschreckungsmittel gewertet werden. Wenn der Westen aber eine direkte militärische Intervention ausschließt, welche Optionen bleiben dann? Wichtige wirtschaftliche Sanktionen, wie zum Beispiel Russlands Öl- und Gasexporte betreffend, würden unausweichlich die Wirtschaft aller europäischen Länder negativ treffen, nachdem Europas Energieversorgung von Russlands Gaslieferungen abhängt. In der Vergangenheit hat Putin durch das Schließen der Gashähne in mehreren Fällen bewiesen, dass solche Maßnahmen Europa mehr schmerzen als Russland. Gespräche über ein mögliches Embargo auf Waffenexporte nach Russland wurden durch ein Veto von Frankreich verhindert, weil es Paris bestehende Milliardenverträge mit Moskau nicht aufs Spiel setzen will. Merkel hat unterdessen betont, dass die Krim verloren ist und mit wirtschaftlichen Sanktionen nur gedroht werden soll, wenn Putin den Konflikt über die Krim hinaus fortführt. Großbritannien ist besorgt, dass Sanktionen gegen Russland negative Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit von russischen Oligarchen in der Londoner City haben könnten.
Präsident Obama hat erwähnt, dass tiefgreifende wirtschaftliche Sanktionen der nächste Schritt sein könnten. Gleichzeitig betonte er jedoch, dass alles, was negative Folgen für die europäische Wirtschaft hat, automatisch globale Konsequenzen haben würde und dadurch den Rest der Welt in eine tiefe Depression stürzen würde. Die wahre Haltung der US-Diplomatie gegenüber Europa kam in dem berüchtigten „Fuck the EU“-Telefonat der US-Diplomatin Victoria Nuland zum Vorschein, das im Februar während des Umsturzes in Kiew geleaked wurde. Abgesehen von der blumigen Ausdrucksweise zeigte dieses Gespräch, dass der US-Imperialismus und nicht Deutschland oder die EU in Kiew das Sagen hatten und somit Russland zu einer Intervention auf der Krim zwangen. Wäre da nicht die Angst vor den globalen Konsequenzen, würde der US-Imperialismus wahrscheinlich nicht zu traurig darüber sein, wenn Russland und Deutschland durch die Instabilität in ihrem Hinterhof abgelenkt und geschwächt würden, während sie selbst von der anderen Seite des Atlantiks aus entspannt zusehen können.
Aber selbst diese lächerlichen Sanktionen könnten die Farce in eine Tragödie verwandeln. Der Rest der Ostukraine befindet sich in einem sehr prekären Gleichgewicht. Eine Radikalisierung der nationalistischen Agenda der neuen Regierung in Kiew könnte dort für immer größeren Unmut sorgen. Jeder Zwischenfall könnte eine militärische Intervention von Russland im Rest der Ostukraine auslösen, mit dem Vorwand, die Existenz und die Interessen der russischen Bevölkerung dort zu beschützen. Auf alle Fälle bereitet sich die russische Armee darauf vor, indem sie ihre Streitkräfte entlang der Grenze konzentriert.
Putin verurteilt die Scheinheiligkeit der westlichen Diplomatie und ihre Doppelmoral, die es dem US-Imperialismus und seinen europäischen Verbündeten erlaubte, Jugoslawien und die Tschechoslowakei im Namen des Rechts auf nationale Selbstbestimmung aufzuspalten. Warum sollte dieses Recht auf der Krim nicht gelten? Auf die Ankunft der russischen Truppen reagierte die Mehrheit der BewohnerInnen der Krim mit Erleichterung. Sogar Teile der ethnischen UkrainerInnen mit russischer Muttersprache in dieser Region unterstützten diesen Schritt. Das Referendum mag manipuliert worden sein oder auch nicht, doch niemand bezweifelt die Tatsache, dass der Großteil der Bevölkerung der Krim den Anschluss an die Russische Föderation bevorzugt, auch wenn viele von ihnen Russland einfach nur als Schutzschild vor einer weiteren Eskalation der Krise in der Ukraine sehen.
Russland zeigt somit der ganzen Welt, dass grundlegende Interessenskonflikte nur mit Hilfe von Gewalt gelöst werden können. Und in dieser Hinsicht hat Russland zwei große Vorteile gegenüber seinen Rivalen: eine große Unterstützung unter der Bevölkerung der Krim und der Ostukraine und die Möglichkeit, viel mehr Truppen als jeder andere Rivale in der Region zu mobilisieren und zu versorgen.
Aber was ist das wahre Ziel von Putin und was sind die nationalen Interessen des russischen Kapitalismus? Wird diese Krise unausweichlich eskalieren und zu einer offenen militärischen Konfrontation zwischen Russland und der neuen ukrainischen Regierung in Kiew, unterstützt von der EU und den USA, führen? Es ist klar, dass die gezielte Einmischung des Westens in die Ukraine die aktuelle Krise ausgelöst hat, aber dieser nun die Kontrolle darüber verloren hat. Die Krise hat nun ihre eigene Logik angenommen, wo alle Beteiligten ihre eigenen strategischen Interessen voranstellen. Die einzigen, die nichts mitzureden haben, sind die Menschen in der Ukraine, die – unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit - unter den Folgen dieses Machtkampfes leiden müssen.
Putins Rede – ein Manifest des russischen Imperialismus
Die Krise in der Ukraine hat Russlands Ambitionen, seinen historischen Einflussbereich wiederherzustellen, endgültig zum Vorschein gebracht. Putin stellte in seiner Rede fest, dass die russischsprachige Minderheit in allen ehemaligen Staaten der Sowjetunion, wie der Ukraine, als Teil der russischen Nation betrachtet wird. Sollten ihre Interessen bedroht sein, könnte Russland Maßnahmen zu deren Schutz in die Wege leiten. Putin spielt auch mit der Idee, allen ethnischen RussInnen oder MuttersprachlerInnen in den ehemaligen Sowjetrepubliken die russische Staatsbürgerschaft zuzusprechen. Russland könnte sie dann als Rechtfertigung heranziehen, wenn es darum geht noch mehr Einfluss auf diese Staaten auszuüben.
Die explosivsten Fälle sind das russischsprachige Transnistrien in Moldawien, welches auch erst kürzlich um Anschluss an Russland ansuchte, sowie das große ungelöste Problem des Status der russischsprachigen Bevölkerung in den baltischen Staaten. Dort ist die Lage besonders heikel, da Estland, Lettland und Litauen jetzt ja Teil der EU und der NATO sind.
Die Folgen für Russland
Russland ist das Land mit der größten Ungleichverteilung gesellschaftlichen Reichtums auf der Welt. Dies zeigt der jährliche Global Wealth Report, der letzten Oktober von Credit Suisse veröffentlicht wurde. Gerade einmal 110 Oligarchen kontrollieren 35% des gesamten Privatvermögens im ganzen Land. Alleine diese Statistik bietet einen flüchtigen Eindruck in das Ausmaß der Ausbeutung, mit der die Bevölkerung seit der Wiedererrichtung des Kapitalismus leben muss. Putin repräsentiert nicht die Interessen der einfachen Bevölkerung Russlands, sondern die der Elite, der Kapitalisten, der Militärhierarchie und der Führungsriege im Staatsapparat.
Die Krim-Krise hat Putin neue Unterstützung in der Bevölkerung gebracht, doch diese Zustimmung wird nicht ewig halten. Für die normale Bevölkerung ist die Lebensrealität zu hart. Im letzten Jahr wurde die Kritik an der Korruption und Ungleichheit im Land immer lauter. Putins Rede beinhaltet eine klare Warnung, dass sich die Elite darauf vorbereitet, die aktuelle Situation der Konfrontation mit dem US-Imperialismus auch an der Heimatfront zu ihrem Vorteil zu nutzen, wenn es sein muss: „Einige westliche Politiker drohen uns bereits nicht nur mit Sanktionen, sondern auch mit der Aussicht auf immer ernstere innenpolitische Probleme. Ich würde gerne wissen, woran sie dabei genau denken: Aktionen durch eine fünfte Kolonne, diesem Pack an ‚nationalen Verrätern‘, oder hoffen sie darauf, uns in eine schlechtere soziale und ökonomische Situation zu bringen, um öffentliche Unzufriedenheit zu provozieren? Wir finden solche Äußerungen unverantwortlich und aggressiv, und werden ihnen angemessen antworten.“
Was Putin damit sagen will, ist, dass soziale Proteste nicht toleriert werden. In der nächsten Periode werden alle sehen können, was das in der Praxis heißen wird. Die herrschende Klasse wird alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um ihre Privilegien zu verteidigen, falls die ArbeiterInnen und Jugendlichen Russlands sich trauen, für bessere Verhältnisse auf die Straße zu gehen. Wir vertrauen darauf, dass die ArbeiterInnen in Russland und auch international den Kapitalisten angemessen antworten werden.
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