Kategorie: Europa |
|||
"Das skandinavische Modell hat seine Grenzen erreicht" |
|||
|
|||
Interview mit Stefan Kangas, IMT Schweden, Redaktion unserer schwedischen Schwesterzeitschrift Avanti, Mitglied der schwedischen Linkspartei. Am 14. September 2014 findet in Schweden die nächste Reichstagswahl statt. Was ist der Ausgangspunkt für diesen Urnengang? |
|||
|
|||
Hinter uns liegen acht Jahre Rechtsregierung mit Angriffen auf die Arbeiterklasse und ihren Lebensstandard, auf Gewerkschaften und Jugend. Besonders hart getroffen wurden die Schwächsten der Gesellschaft, also Menschen, die von Sozialleistungen abhängig sind – Arbeitslose, Kranke, Fürsorgeempfänger, Rentner. Hier wurde massiv gekürzt, angeblich um damit die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme zu stärken. Die Rechtsregierung hat eine Vermögensumverteilung von unten nach oben beschleunigt. Gut 300.000 Arbeitsplätze im staatlichen Sozial- und Gesundheitswesen wurden vernichtet. Die Klassengegensätze kommen seit gut 20 Jahren wieder sehr scharf zum Ausdruck, das so genannte skandinavische Modell hat seine Grenzen erreicht. Einige wenige Industrielle, Kapitalisten und Bankiers berauben die Arbeiterklasse. In den Krankenhäusern gibt es für Behandlungen und Operationen oftmals längere Wartezeiten. Die Jugendarbeitslosigkeit ist auf 130.000 gestiegen. Immobilien sind so teuer, dass junge Erwachsene ohne Job weiter bei den Eltern wohnen müssen. Der Traum von guten Leben ist für viele geplatzt.
Auch in Deutschland bekommen wir den staatlichen schwedischen Imperialismus in Form des Energiekonzerns Vattenfall zu spüren.
Dieser Konzern gibt sich gerne besonders umweltverträglich, dabei setzt er auch auf Kohlestrom in Deutschland. Das ist eine Heuchelei. Übrigens haben sich seit der Deregulierung auf dem Strommarkt die Preise für Kleinverbraucher mindestens verdoppelt. Der schwedische Kapitalismus ist besonders exportabhängig und hat seine Märkte vor allem in Deutschland und Skandinavien. So kann er sich dem allgemeinen Niedergang des Weltkapitalismus nicht entziehen. Der Traum von der anhaltenden wirtschaftlichen Erholung ist reines Wunschdenken. 2009 erlebte der schwedische Kapitalismus im Gefolge der Wirtschaftskrise einen Rekordeinbruch. Das wird früher oder später unweigerlich wieder eintreten.
Im Sommer ließ ein Eisenbahnerstreik in Schweden aufhorchen. Was waren die Hintergründe?
Schweden ist neben Großbritannien und Deutschland das Land, in dem die Liberalisierung und Privatisierung im Eisenbahnsektor am weitesten vorangetrieben wurde. Den Anfang machte übrigens Ende der 1980er Jahre eine sozialdemokratische Regierung. Die Zerschlagung des einheitlichen Eisenbahnwesens hat sich in der Praxis als Desaster erwiesen. Der ständige Kostendruck verschlechtert die Qualität und Sicherheit und bedeutet vor allem einen Druck auf die Löhne. Ausgangspunkt des Streiks war die Absicht des im Eisenbahnbereich stark vertretenen privaten Veolia-Konzerns, Vollzeitbeschäftigte zu entlassen und sie dann hinterher zu deutlich schlechteren Bedingungen wieder einzustellen – oftmals auf Teilzeitbasis oder als Tagelöhner mit Stundenverträgen. Das sorgte für Druck von unten und löste den Streik aus. Die Streikfront stand, es gab Solidaritätsstreiks und auch die Mehrheit der Bevölkerung und der betroffenen Pendler und Kunden zeigte Verständnis und Solidarität. Schließlich machte die Gewerkschaftsführung einen Abschluss, der gegenüber den Maximalforderungen von Veolia deutliche Zugeständnisse brachte und den Anteil befristeter, prekärer Arbeit auf zehn Prozent begrenzt. Aber mit mehr Druck und Beharrlichkeit wäre deutlich mehr drin gewesen. Denn nun verlieren hier immer noch 70 bis 80 Vollzeitkräfte ihre Arbeit. Dieser Abschluss hat nichts grundlegend gelöst, die Probleme schwelen weiter. Es wird noch viel mehr Streiks geben.
Wie sind die Prognosen für die Wahl?
Eine Mehrheit im Lande ist mit der Rechtsregierung unzufrieden. Stabile Umfragewerte geben den bisherigen Oppositionsparteien Sozialdemokratie, Grüne und Linkspartei zusammen eine rechnerische Mehrheit von mindestens fünfzig Prozent. Aber die Führung der Sozialdemokratie will nicht unbedingt die Linkspartei in die Regierung holen. Sie kritisiert sogar die Rechtsregierung von rechts und gibt sich nach allen Seiten hin offen, wäre auch zu einer Koalition mit Konservativen und Liberalen bereit. Die Führer von Linkspartei und Grünen würden gerne in die Regierung eintreten und denken, dass sie damit etwas verändern könnten. Was auch immer geschieht, die Lage in Schweden wird nach der Wahl instabil sein.
Wie hat sich die Linkspartei in den letzten Jahren entwickelt?
Sie strebt eine Regierungsbeteiligung an, auch die Sprecher ihres linken Flügels haben sich in dieser Frage eher nach rechts angepasst. Gleichzeitig wurden einzelne linke Kritiker sogar aus der Partei ausgeschlossen, so etwa Mitglieder, die sich den durch die Entwicklung in der Ukraine gestärkt fühlenden schwedischen Faschisten direkt auf der Straße entgegen stellen. Doch die Parteiführung beharrt darauf, dass der Staat uns vor den Faschisten schützen soll und distanziert sich von konsequrenten antifaschistischen Aktionen.
Was für eine Position vertritt Avanti?
Wir lehnen eine Anpassung der Linkspartei an die Sozialdemokratie ab. Die kapitalistische Krise ist nicht vorbei und wird auch Schweden treffen. Wer nicht bereit ist, mit dem Kapitalismus zu brechen, wird zwangsläufig Angriffe auf die Arbeiterklasse starten. Seit der Krise 2009 haben die schwedischen Banken 25 Milliarden Euro Profite gescheffelt. Wo ist dieses Geld geblieben? Schweden ist eines der reichsten Länder der Erde. Es gibt genug Reichtum im Lande, niemand müsste arbeitslos sein oder unter schlechten Wohnverhältnissen oder beklagenswerten Zuständen im Bildungswesen leiden oder Angst vor Krankheit und Alter haben. Massenproteste gegen faschistische Übergriffe und die rassistische Partei Schwedendemokraten mit zigtausend Menschen auf der Straße zeugen von der Bereitschaft von Arbeitern und Jugendlichen, sich zu engagieren. Die Linkspartei sollte nicht in der Regierung sitzen, sondern einigende Kraft in den Protestbewegungen sein und an vorderster Front Kämpfe organisieren.
|