Kategorie: Europa |
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Russland und der Westen |
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Die Berichterstattung der letzten Zeit legt nahe, dass der Kalte Krieg wieder ausgebrochen sei. Unser Autor über die Entwicklung des russischen Imperialismus und sein Verhältnis zum Westen. |
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Auf der einen Seite wird Russland verteufelt und Putin als der letzte Kriegstreiber Europas dargestellt, der den mühsam erkämpften Frieden auf dem Kontinent in Frage stellt. Auf der anderen Seite zeigt der russische Sender „Russia Today“, der sich mittlerweile auch in Westeuropa einer großen Beliebtheit erfreut, fast jeden Tag den Test eines neuen russischen Waffensystems oder neue Hinweise darauf, dass das malaysische Flugzeug MH17 vom ukrainischen Militär abgeschossen wurde. Statt eines Systemwettstreits zwischen den kapitalistischen Marktwirtschaften im Westen und den bürokratisch deformierten Planwirtschaften im Osten stehen sich heute mehrere imperialistische Blöcke gegenüber. Die friedliche Koexistenz der Raubtiere ist dadurch gefährdet, dass die Beute immer geringer ausfällt. Die aktuellen Konflikte können daher nur verstanden werden, wenn die wirtschaftliche Entwicklung mitbedacht wird.
Während der Westen unmittelbar in einer Überproduktionskrise steckt und die Unternehmen große Probleme haben, ihre Waren zu verkaufen, hat Russland andere Schwierigkeiten: Die einstige Industriemacht wurde durch die Privatisierungswellen in den 1990er Jahren stark deindustrialisiert. Der Höhenflug des Ölpreises in den 2000er Jahren konnte die ökonomische Misere stoppen. Öl und Gas machen rund 75 Prozent der russischen Exporte und die Hälfte der Budgeteinnahmen aus.
Wirtschaftskrise
Doch der Ölpreis befindet sich mittlerweile seit einem halben Jahr im freien Fall. Die russische Zentralbank rechnet 2015 mit einem Einbruch des Bruttoinlandsproduktes zwischen 4,5 und 4,7 Prozent, auch 2016 soll einen weiteren Rückgang der Wirtschaftskraft bringen. Dieser negative Ausblick auf der einen und die prekäre außenpolitische Situation auf der anderen Seite ließen die traditionell hohe Kapitalflucht sintflutartig anschwellen. Allein im vergangenen Jahr sollen 100 Mrd. Dollar aus dem russischen Markt abgezogen worden sein. Die panikartige Flucht aus den russischen Märkten entwertete 2014 den Rubel gegenüber dem US-Dollar um 50 Prozent. Das bedeutet, dass die Auslandsschulden des russischen Staates in der Höhe von über 60 Milliarden und die der russischen Unternehmen und Banken in der Höhe von 600 Milliarden US-Dollar in diesem Zeitraum, gemessen in Rubel, doppelt so viel wert geworden sind. Die russische Zentralbank versucht den Absturz aufzufangen. Doch das wird außer dem massiven Abschmelzen von staatlichen Devisenreserven und dem Profit von Spekulanten und Kapitalflüchtlingen nur eines bringen: ein bisschen mehr Zeit.
Der russische Bär
Im vergangenen Jahrzehnt versuchte der Westen mittels der „bunten Revolutionen“ in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion (Kirgisien 2005, Weißrussland 2006, Georgien 2007) neue politische und wirtschaftliche Einflusszonen zu etablieren. Lokale Politiker berichten, dass die EU die Ausdehnung ihrer Freihandelszone in die ehemalige Sowjetunion sehr aggressiv und einseitig betrieb. Obwohl diese Länder stark mit dem russischen Markt verbunden sind, bestand die EU-Außenpolitik auf privilegierten Beziehungen der jeweiligen Länder mit der EU unter Ausschluss Russlands. Da dies den Ruin ganzer lokaler Wirtschaftszweige bedeuten würde, kann sich die Gegeninitiative Russlands auf Teile der herrschenden Klasse in den ehemaligen Nachfolgerepubliken stützen. Spätestens der Georgienkrieg 2008, in dem Russland innerhalb von fünf Tagen die georgische Armee besiegte, markierte aber einen Wendepunkt in der russischen Außenpolitik. Putin war nicht länger bereit, mit gezwungenem Lächeln zuzusehen, wie sich ein Land nach dem anderen von Russland abwendet und gegenüber EU und NATO öffnet. Aus diesem Grund zögerte er nicht lange, als sich die auf der Krim stationierte russische Schwarzmeerflotte aufgrund des pro-westlichen Umsturzes in Kiew quasi über Nacht in feindlichem Territorium befand. Seine Rhetorik, mit der er an das russische Nationalgefühl und die berechtigte Angst der russischen Minderheit der Ukraine vor den Neonazis appellierte, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der „Volksaufstand“ auf der Krim von russischen Truppen angeleitet und durchgeführt wurde, wie Putin später auch zugab. Damit haben die EU und die USA nicht gerechnet. Hatte man Russland nicht schon mit Nachdruck gezeigt, dass nur der Westen militärisch intervenieren darf, wenn seine Interessen in Gefahr sind? Doch am Ende zählt für jedes imperialistische Land nur die militärische und wirtschaftliche Durchsetzungskraft, und diese wandte sich nach 20 Jahren US-amerikanischer Offensive in ihr Gegenteil. Der US-geführte Krieg in Afghanistan wurde verloren, die USA schafften es nicht mal mehr ihre Armeen heil aus dem Land zurückzuziehen. Die Lage im Irak und in Libyen ist völlig außer Kontrolle geraten. Im Fall des Irak ist der US-Imperialismus sogar auf eine militärische Zusammenarbeit mit dem Erzfeind Iran angewiesen, um die Regierung in Bagdad zu stabilisieren. Dies droht die USA völlig von ihrem langjährigen Bündnispartner, dem Fundamentalistenregime Saudi-Arabiens, zu entfremden.
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