Kategorie: Europa |
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Den Kapitalismus retten oder ihn stürzen? |
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Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis wird in den Medien als „unberechenbarer Marxist“ vorgeführt. Dabei ist dieser angetreten, den Kapitalismus vor sich selbst zu retten. Unser Autor zeigt, warum dieser Ansatz zum Scheitern verurteilt ist. |
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Vor zwei Jahren stellte Varoufakis seine Ideen zur Lösung der Krise in dem Artikel „Bekenntnisse eines unorthodoxen Marxisten inmitten einer abstoßenden europäischen Krise“ dar. Darin geht er auf das „fürchterliche Dilemma“ der radikalen Linken ein, das aus seiner Sicht folgendermaßen zusammengefasst werden kann: Nutzt man nun die kapitalistische Krise, um die Europäische Union zu zerstören, oder arbeitet man daran, den europäischen Kapitalismus zu stabilisieren? Er zieht den Schluss, dass „es heute die historische Aufgabe der Linken ist, den Kapitalismus zu stabilisieren; den europäischen Kapitalismus vor sich selbst (…) zu retten“.
Er geht von der Annahme aus, dass die Linke unvorbereitet ist, da sie keine ausgearbeitete Alternative zum Kapitalismus zur Hand habe. Daher bleibe ihr nicht viel mehr übrig, als „den freien Fall des europäischen Kapitalismus zu stoppen, eben gerade damit wir Zeit bekommen, um eine Alternative zu formulieren“. Die Logik von Varoufakis ist gelinde gesagt bizarr. Der Kapitalismus ist heute in einer ernsthaften Krise, aber wir können das nicht nutzen, um der Arbeiterklasse die inneren Widersprüche des Systems aufzuzeigen und eine Alternative vorzuschlagen…und zwar deshalb, weil die Linke nicht dafür bereit ist. Daher müsse die Linke nun den Kapitalismus stabilisieren und einen Weg finden, um jenes Wirtschaftswachstum zu generieren, das uns eine zivilisierte Existenz erlaubt. Wenn wir dann diese idealen Bedingungen erreicht haben, können wir dazu übergehen uns über Alternativen Gedanken zu machen.
Akzeptieren wir für einen Moment die Idee, dass es möglich wäre, wieder ein signifikantes Wachstum im Kapitalismus zu erzielen. Wenn es der Kapitalismus aber ohnehin schafft, den ArbeiterInnen einen anständigen Lebensstandard zu ermöglichen, warum sollten sie dann auf die Linken hören, wenn die es dann irgendwann endlich einmal wagen vom Sozialismus als Alternative zu sprechen?
Überzeugungsarbeit
Varoufakis sieht seine Mission darin, auf „eine breite Koalition, selbst mit den Rechten, hinzuarbeiten, deren Zweck die Lösung der Krise der Eurozone und die Stabilisierung des Kapitalismus wäre“. Er will dabei die Bürgerlichen von ihren eigenen Fehlern überzeugen und sie dazu bringen seine Vorschläge aufzugreifen, weil auch sie ein Interesse daran haben, Europa vor einem „humanitären Blutbad“ zu retten, das aus seiner Sicht das einzige Ergebnis einer sich vertiefenden kapitalistischen Krise sein könne. Varoufakis zeigt hier, dass er im Kampf der Arbeiterklasse kein Potenzial zur Überwindung der europäischen Krise sieht. Er attestiert: „Die Krise in Europa wird wohl kaum eine bessere Alternative zum Kapitalismus hervorbringen, sondern viel eher gefährliche rückwärtsgewandte Kräfte entfesseln“.
In der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung ist das zentrale Wesensmerkmal des Reformismus der Mangel an Vertrauen in die Fähigkeit der Arbeiterklasse, für eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft zu kämpfen. Und nachdem die Arbeiterklasse die Gesellschaft ja nicht zu verändern vermag, habe die Linke für eine Reform des Kapitalismus zu sorgen. Dies aber ist nur möglich, wenn sich die Wirtschaft im Aufschwung befindet. Daher trachtet der Reformismus in Krisenperioden nach einem Weg, wie „Stabilität“ und „Wachstum“ wiederhergestellt werden können, um damit die Basis für Reformen legen zu können. Genau das bestimmt auch das Denken von Varoufakis.
Dabei ist Varoufakis kein politisches Greenhorn. Nachdem er im Ausland als Universitätsprofessor gearbeitet hatte, kehrte er vor 15 Jahren nach Griechenland zurück und unterstützte als Politberater die PASOK, um die Rechte zu stoppen. Varoufakis musste allerdings bald feststellen, dass seine Bemühungen umsonst waren, und trat Anfang 2006 als Papandreous Berater zurück. Er gesteht sich ein, dass „Papandreous Partei nicht nur dabei scheiterte, die Xenophobie zu stoppen. Sie führte auch eine strikte neoliberale Politik durch, die die sogenannten Bail-outs in der Eurozone einläutete, was, unbeabsichtigt, dazu führte, dass Nazis auf die Straßen von Athen zurückkehrten.“
Trotz dieser Erfahrung mit der PASOK besteht Varoufakis weiterhin auf eine Politik der Klassenzusammenarbeit. Heute ist er aber nicht mehr nur ein Berater, als Finanzminister sollte er in einer Position sein, seine Theorien anwenden zu können. In der Praxis sehen wir aber wie Varoufakis ein trauriges Schauspiel aufführt. Alle seine Bitten an die Bürgerlichen, die Fehler ihrer Politik zu erkennen, fielen – nicht gerade überraschend – auf taube Ohren. Unter dem Druck des europäischen Kapitals musste die Regierung in Athen bereits auf den Großteil ihres Programms verzichten.
Deckmäntelchen Marxismus
Lange bevor Varoufakis Finanzminister wurde, war er Mitautor eines Dokuments mit dem Titel „Ein bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“. Varoufakis sagt selbst, dass dieser Text nicht „einen Hauch von Marxismus enthält“. Nichtsdestotrotz präsentiert er sich doch immer wieder als Marxist. Er sagt, dass „Karl Marx seine Perspektive der Welt, in der wir leben, geformt hat“. Auch wenn er gleich nachlegt, dass „das nicht etwas ist, worüber ich in der ‚feinen Gesellschaft‘ heutzutage freiwillig spreche, weil allein schon die Erwähnung des M-Wortes die ZuhörerInnen augenblicklich abschalten lässt.“
Wenn er jetzt also auf seiner Mission ist, die ‚feine Gesellschaft‘, gemeint ist die bürgerliche High-Society, von seiner Politik zu überzeugen, dann versteckt er seinen „Marxismus“. Aber die Wahrheit ist, dass er seinen Marxismus nicht verstecken muss, weil er in Wirklichkeit keine marxistischen Positionen vertritt. Als „unorthodoxer Marxist“ glaubt er, dass „es wichtig wäre, ihm [Marx] in einer Reihe von Fragen leidenschaftlich zu widersprechen“. Diese Maskierung ist unter linken ReformistInnen durchaus beliebt. Einerseits gibt man sich mit Marx radikal, andererseits vertritt man Positionen, die dem wirklichen Marxismus diametral entgegenstehen.
Das Problem dieser ganzen Herangehensweise ist, dass es darauf abzielt die bürgerliche Gesellschaft von seinen Ideen zu überzeugen. Der Dialog mit der Arbeiterklasse bleibt hingegen völlig ausgeblendet. Diese „Methode“ legt Varoufakis selbst offen: „…die herrschenden Kräfte werden niemals durch Theorien gestört werden, die von anderen Annahmen als ihren eigenen ausgehen. Kein etablierter Ökonom wird sich heute mit marxistischen oder auch nur neoricardianischen Theorien auseinandersetzen. Man kann den Mainstream der neoklassischen Ökonomie nur herausfordern, wenn man die internen Widersprüchlichkeiten seines eigenen Modells zeigt.“
Da haben wir es nun. Nachdem alternative Theorien von der bürgerlichen Ökonomie niemals ernst genommen werden, besteht kein Grund seine Zeit damit zu verschwenden, solche zu entwickeln. Und so schreibt er weiter: „Aus diesem Grund hatte ich mich von Beginn an entschieden, in die ‚Gedärme‘ der neoklassischen Theorie einzutauchen und praktisch keine Energie darauf zu verschwenden, ein alternatives, marxistisches Modell des Kapitalismus zu entwickeln.“
Was Varoufakis hier schreibt, hilft uns seine Herangehensweise an eine Lösung der Krise der Eurozone zu verstehen. Sein Ziel ist es die herrschende bürgerliche Ökonomie und Politik in der EU zur Vernunft zu bringen, ihnen Einsicht zu vermitteln, wohin ihre Politik führt, um sie so von der Notwendigkeit einer Richtungsänderung zu überzeugen. Mit den Mitteln der Vernunft und der Logik will er die Bürgerlichen dazu bringen ihre Fehler zu erkennen. Er sagt ihnen, dass ihr eigenes System dem Untergang geweiht ist, wenn sie nicht rechtzeitig auf den reformistisch-utopischen Propheten hören.
Das Problem seiner Überzeugungsarbeit ist, dass seine Ideen vollkommen mangelhaft sind und unter kapitalistischen Bedingungen einfach nicht greifen. Er begeht den klassischen Denkfehler des Reformismus, indem er glaubt, dass es in Zeiten der Krise möglich sei, die Interessen der ArbeiterInnen und der KapitalistInnen gleichzeitig unter einen Hut zu bringen. Doch diese gemeinsame Vernunft zwischen Kapital und Arbeit gibt es nicht und kann es nicht geben.
Marx` „Fehler”
Nachdem er erklärt, dass er Marx „alles was er von unserer sozialen Welt zu verstehen glaube“ verdankt, erklärt er, warum er „furchtbar zornig auf ihn“ ist und warum er folglich ein „schwankender Marxist“ ist. Varoufakis behauptet, Marx habe „zwei große Irrtümer begangen“.
Die erste Kritik gegenüber Marx sei seine vermeintlich autoritäre Methode. Dabei bezieht er sich auf dessen harsche Kritik an Bürger Weston in „Lohn, Preis, Profit“ in der Polemik über die Auswirkungen von Lohnerhöhungen. Zum Hintergrund: John Weston war ein Mitglied des Generalrats der Ersten Internationale. Dieser warf damals zwei Fragen auf: 1) Können Lohnerhöhungen die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen verbessern? 2) Haben die Kämpfe der Gewerkschaften für Lohnerhöhungen einen negativen Effekt auf den Rest der Industrie? Weston verneinte erste und bejahte zweite Frage.
Anstatt in die Essenz der Polemik zwischen Weston und Marx einzudringen, attackiert Varoufakis Marx für seine vermeintlich autoritäre Methode. Er spart aber ein kleines Detail aus, nämlich dass Westons Theorie als ideologische Waffe im Kampf gegen die organisierte Arbeiterbewegung verwendet wurde. John Westons Skepsis gegenüber dem Kampf um Lohnerhöhungen führte geradewegs zur Ablehnung einer antikapitalistischen Perspektive. In seinem Kern spiegelte Westons Herangehensweise den Druck der bürgerlichen Denkweise in der Arbeiterbewegung selbst wider. Marx widerlegte Weston mit Zahlen, Fakten und historischen Beispielen. Die Tatsache, dass Varoufakis diese Essenz der Polemik ignoriert und plump auf der „falschen Methode Marx`“ herumreitet, verrät vieles über seine eigene Methode!
Er beschwert sich darüber, dass Marx „darin gescheitert ist, uns eine hinreichende Denkweise zu geben und sich in beharrliches Schweigen hüllte gegenüber den Auswirkungen seines eigenen Theoretisierens über die Welt… Er hat schlichtweg nicht die Möglichkeit bedacht, dass die Erschaffung eines Arbeiterstaates den Kapitalismus dazu zwingen würde zivilisierter zu werden, während der Arbeiterstaat mit dem Virus des Totalitarismus infiziert würde.“
Dass Marx dem Autoritarismus in der Linken die Basis gelegt habe, könne er ihm nicht vergeben, denn dieser Fehler sei weitestgehend verantwortlich „für die momentane Impotenz der Linken“. Obwohl er es nicht offen sagt, ist klar, dass Varoufakis sich hier auf das Phänomen des Stalinismus und die Degeneration der Sowjetunion bezieht. Nicht ein Wort über die Unmöglichkeit den Sozialismus in einem Land aufzubauen, nicht ein Wort über die konkreten Bedingungen, denen sich die Sowjetunion in den 1920ern gegenüber sah, die Rückständigkeit der Wirtschaft und die Isolation der Revolution, die von den Niederlagen der Arbeiterklasse in anderen Ländern rührte. Nicht ein Wort über die reformistischen Führer der Arbeiterbewegung, die in der Zwischenkriegszeit zur Niederlage der ArbeiterInnen in Deutschland, Ungarn, Österreich, Italien, Spanien usw. beigetragen haben.
Implizit wird dem Leser vermittelt Marx sei auf irgendeine Art und Weise für Stalin verantwortlich gewesen. Damit geht er einen Schritt über die übliche Propaganda hinaus. Häufig hören wir den Punkt, Lenins sogenannter „Autoritarismus“ habe die Entstehung des Stalinismus begünstigt. Diese These ist völlig haltlos, Varoufakis schafft es aber diese verquere Logik noch einen Schritt weiterzutreiben und die Wurzel des Stalinismus bis zur wissenschaftlichen Methode von Karl Marx zurückzuführen.
Und wo findet Varoufakis Beweise für den Autoritarismus von Marx? Er findet sie in dessen „Annahme, dass die Wahrheit über den Kapitalismus in der Mathematik seiner Modelle (den sogenannten ‚Reproduktionsschemata‘) gefunden werden könne. Das war der schlimmste Bärendienst, den Marx seinem eigenen theoretischen System hätte erweisen können.“ Varoufakis macht hier nichts anderes, als die Marx’sche Methode auf einen rigiden materialistischen Determinismus zu reduzieren. Marx hingegen hatte eine viel breiter gefächerte Sicht auf das kapitalistische System und analysierte es in allen seinen Widersprüchen und Entwicklungsphasen. So hat er auch nie einen isolierten Faktor allein als Ursprung aller Krisen angenommen. Er hat jedoch hervorgehoben, dass die fundamentale Ursache für die Krise des Kapitalismus, in letzter Konsequenz, in dessen Tendenz zur Überproduktion gefunden werden kann. Dies ist auch ziemlich genau das, was wir heutzutage in einem globalen Maßstab erleben. Aber warum auf die Essenz von Marx konzentrieren, wenn es für den eigenen Zweck viel nützlicher ist Marx eine autoritäre Methode nachzusagen, die dann verwendet werden kann, um sich wieder von Marx zu distanzieren?
Varoufakis argumentiert außerdem, dass Marx‘ Theorien über den Kapitalismus nur reguläre zyklische Rezessionen beschreiben und daher wertlos sind, wenn man eine Depression wie jene der 1930er verstehen will. Das ist gänzlich falsch, da Marx genau der Frage nachgegangen ist, wie der Kapitalismus solche Krisen hervorbringt. Diese Krisen versteht er als ein unvermeidbares Produkt der Akkumulation kleinerer Krisen und der Auftürmung von Widersprüchen.
Nachdem er also die „Fehler“ von Marx aufgezeigt hat, preist Varoufakis die Methode von Keynes und vor allem dessen These, dass die wirtschaftliche Krise auf die subjektiven Launen einzelner Marktakteure zurückzuführen sei und schlichtweg durch „Mangel an Vertrauen“ provoziert wird. Wenn man sich in dieser Denkweise bewegt, könnte man auch gleich auf alle ökonomischen Theorien verzichten und es stattdessen mit Psychologie allein versuchen! Um den „Fehler“ von Marx wieder gut machen zu können, braucht es also ein bisschen Keynesianismus.
“Bescheidener Vorschlag”
Im Wesentlichen geht es Varoufakis um die Forderung nach einer Fortsetzung der Schuldenpolitik der Staaten! In seinem „bescheidenen Vorschlag“ entwickelt er seine Idee von einem „europäischen New Deal“, was ihm zufolge innerhalb weniger Monate Fortschritte bringen würde. Der Kern seines Konzeptes ist die Idee, dass ein wesentlicher Teil der nationalen Schulden der Mitgliedsstaaten der Eurozone von der Europäischen Zentralbank (EZB) übernommen werden soll. Die EZB aber hat hier einen limitierten Handlungsspielraum, da sie vertraglich gebunden ist, keine nationalen Schulden von souveränen Staaten zu übernehmen.
Die EZB wird von Varoufakis als eine Art neutrale Körperschaft porträtiert, die über allen Mitgliedsstaaten der Eurozone steht. Es wird vollkommen ignoriert, dass sie im Fall von Zahlungsschwierigkeiten von den wirtschaftlich starken Mitgliedsstaaten in der Eurozone gestützt werden müsste. Die EZB gehört den Nationalbanken der Euro-Staaten. Alle Schulden, die die EZB aufnimmt, müssen letztendlich mit barem Geld finanziert werden. Das bedeutet, dass es vor allem das deutsche Kapital wäre, das im Fall von Zahlungsschwierigkeiten zur Kasse gebeten würde. Wie auch immer eine Europäisierung der Staatsschulden in der Eurozone technisch ausgeschmückt wäre, letztlich hieße dies, dass Deutschland für die Schulden anderer Länder garantiert und potentiell zahlt.Und das bedeutet, dass im wesentlichen Deutschland zu zahlen hätte. Dies erklärt u.a., warum die deutsche Regierung so vehement all diese Vorschläge ablehnt, mit denen die neue griechische Regierung bisher aufgewartet hat. Varoufakis versucht zu beschwichtigen, indem er sagt: „Für den Fall, dass ein Mitgliedsland bankrott geht, bevor es seine Schulden zurückzahlen kann, sollen die EZB-Bonds durch den ESM abgesichert werden.“ Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) besteht aber auch aus Geld und Garantien der Mitgliedsstaaten. Angesichts mehrerer drohender Staatspleiten wird sich auch hier Deutschland nicht gnädig zeigen.
Obwohl Varoufakis für sich beansprucht, ein (wenn auch unorthodoxer) Marxist zu sein, blendet er die wirkmächtigen Gesetze des kapitalistischen Systems völlig aus. Der Wettbewerb zwischen privaten Produzenten und das Streben nach maximalen Profiten sind die Triebkräfte des Kapitalismus. In diesem Prozess setzen sich die effizientesten und produktivsten Kapitalgruppen durch. Investitionen zur Erhöhung der Produktivität und folglich zur Verbesserung der eigenen Konkurrenzfähigkeit sind dabei eine zentrale Triebfeder. Die deutsche Industrie ist konkurrenzfähiger, weil sie einen höheren technologischen Input hat. Das bedeutet, dass sie andere Konkurrenten vom Markt verdrängen kann. In diesem Prozess häuft Deutschland immer mehr Kapital an und setzt sich an der Spitze ab. Das ist bisher auf Kosten der meisten anderen europäischen Länder geschehen. Um dieses Ungleichgewicht auszugleichen, schlägt Varoufakis Kapitalumschichtungen von „erfolgreichen” zu „weniger erfolgreichen” Ländern vor. Er entwirft eine „wohl-balancierten Eurozone“, in der „das Handelsbilanzdefizit des einen Mitgliedsstaates durch einen Kapitalzufluss zu demselben Mitgliedsstaat finanziert wird“.
Varoufakis blendet in seiner Sicht des kapitalistischen Systems also völlig die Anarchie des Marktes aus. Seine ökonomischen Theorien sind somit völlig utopisch und stimmen nicht mit der tatsächlichen Funktionsweise des kapitalistischen Systems überein. Daher hat er auch keine Lösung für die Krise anzubieten.
Bedrohung von rechts
Varoufakis sieht die Möglichkeit des Auseinanderbrechens der EU und der Eurozone, was tatsächlich eine mögliche Variante der weiteren Entwicklung ist. Dies würde jedoch einhergehen mit dem Aufstieg der Nazis und anderer reaktionärer Kräfte. Die Möglichkeit, dass die Arbeiterklasse als ein eigener Machtfaktor aufzutreten beginnt, sieht er nicht.
Die Goldene Morgenröte ist eine faschistische Partei, aber ist ihre Wählerbasis auf ewig verloren? Der Grund, warum sich eine Partei wie die Goldene Morgenröte als parlamentarische Kraft etablieren konnte, ist in der tiefen ökonomischen und sozialen Krise Griechenlands zu sehen. Aber die letzten Wochen haben auch eins gezeigt: Als es den Anschein erweckte, dass Tsipras der Troika Paroli bietet, haben laut Meinungsumfragen 91% der WählerInnen der Goldenen Morgenröte die Politik von SYRIZA unterstützt. Es wäre also sehr wohl möglich der Goldenen Morgenröte einen großen Teil ihrer Wählerschaft abspenstig zu machen. Die Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass SYRIZA standhaft bleibt. Falls die Linke aber faule Kompromisse schließt, werden diese WählerInnen direkt zurück in die Arme der FaschistInnen getrieben.
Varoufakis hat vor nicht allzu langer Zeit dargelegt, dass die Bekämpfung der Steuerhinterziehung gegen die Oligarchen, nicht aber gegen KleinunternehmerInnen und gewöhnliche ArbeiterInnen gerichtet sein soll. Die jüngsten Gesetzesvorschläge deuten aber darauf hin, dass die Regierung doch die kleinen Unternehmen ins Visier nehmen will. Das aber spielt der Goldenen Morgenröte wiederum direkt in die Hände.
Varoufakis steht für eine friedliche Veränderung und will unbedingt ein Abgleiten in die Barbarei verhindern. Aus seiner Sicht macht das den Verzicht auf revolutionäre Methoden notwendig, weil sonst der Dialog mit der herrschenden Klasse zu sehr belastet würde. Wann auch immer jedoch diese Methode in der Geschichte angewandt wurde, hat sie ausnahmslos zu Niederlagen der Linken geführt, was wieder das Erstarken der Rechten befördert hat.
Sind wir bereit?
Genau in dem Moment, wo alle objektiven Bedingungen für einen radikalen Wandel existieren, sagt Varoufakis, dass der Moment nicht der richtige sei. Das Gegenteil ist aber der Fall. Es ist gerade die kapitalistische Krise, die uns die Gelegenheit bietet, eine Alternative aufzuzeigen. Wenn der Kapitalismus nämlich nicht mehr dazu in der Lage ist den Lebensstandard zu garantieren, werden die ArbeiterInnen viel eher einer Partei zuzuhören, die eine sozialistische Alternative vertritt. Wann wenn nicht jetzt, soll SYRIZA den Menschen eine konkrete Alternative anbieten.
Varoufakis gibt gern den Marxisten. Für ihn bedeutet das aber nur, sich einzelne Aspekte von Marx‘ Werken herauszupicken, während er gleichzeitig grundlegende Aspekte seines Denkens ignoriert bzw. in der Praxis völlig unmarxistisch handelt.
Diese Worte beschreiben was wir heute erleben. Die in Europa akkumulierten Produktionsmittel rebellieren gegen das Zwangskorsett des Kapitalismus und müssen von diesem befreit werden. Sonst kann es keine weitere Entwicklung geben. Dieser Akt der Befreiung erfordert eine soziale Revolution. In Griechenland stehen wir bereits am Beginn einer „Ära der sozialen Revolution“. SYRIZA muss sich dessen bewusst werden und dementsprechend handeln. |