Kategorie: Europa |
|||
Niederlande: Die Verurteilung von Geert Wilders |
|||
|
|||
Am 09. Dezember 2016 wurde Geert Wilders wegen Gruppenbeleidigung und Anstiftung zur Diskriminierung in Den Haag verurteilt. Das Gericht verhängte aber keine Strafe. Nach dem Verständnis der Richter wurde Wilders schon durch das Medieninteresse, das der Fall erregte, genug gestraft. Die Reaktionen auf dieses Urteil widerspiegeln die polarisierte Lage in den Niederlanden. |
|||
|
|||
Dies war das zweite Gerichtsverfahren gegen Geert Wilders. Das erste endete im November 2011 mit einem Freispruch. Der zweite Prozess hatte einen anderen Charakter. Wilders hatte bei einem Wahlkampfauftritt 2014 vor jubelnden Anhängern in Den Haag gefragt: „Wollt Ihr weniger oder mehr Marokkaner in Eurer Stadt und in den Niederlanden?“ Die Menge skandierte daraufhin „Weniger“-Rufe, woraufhin Wilders lächelnd ankündigte: „Wir werden uns darum kümmern.“Dieser Vorfall war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Als Reaktion auf Wilders fremdenfeindlichen Ausfall gab es wütende Reaktionen von tausenden erbosten NiederländerInnen, sowohl von vielen NiederländerInnen mit marokkanischen Wurzeln als auch von vielen anderen. Wegen der Äußerungen erstatteten innerhalb weniger Tage 6400 Menschen Anzeige. Zu diesem Zeitpunkt gab es ein relativ großes Solidaritätsgefühl und den allgemeinen Konsens, dass Wilders „diesmal zu weit gegangen ist“. Es gab allerdings auch viele OpportunistInnen, die sich empörten, obwohl sie vorher Wilders mehr oder weniger unterstützt hatten („Er ist ein Grobian, aber er hat nicht ganz unrecht.“). Allgemein war die Wut auf Wilders Äußerungen aufrichtig und sendete starke Signale. Diese Vorfälle geben uns ein Spiegelbild über die Polarisierung im Land. Auf der einen Seite gab es die Wut auf Wilders Äußerungen und auf der anderen die Popularität der PVV (Partei für die Freiheit), die seit 2014 deutlich an Zustimmung gewonnen hat. Wilders Partei profitiert von der zweiten Amtszeit des Premierministers Mark Rutte und hat auf zynische Weise die Terroranschläge in Frankreich und den Anstieg der Flüchtlingszahlen für eine Hass- und Angstkampagne genutzt. Das Gericht hat dem Druck von beiden Seiten nachgegeben. Wilders wurde verurteilt, erhielt aber keine Strafe. Das wird die Wut auf beiden Seiten steigen lassen. Wilders kann sich als Märtyrer präsentieren. Die Nachkommen von MigrantInnen sind berechtigter Weise erzürnt, dass sie für kleinere Vergehen, wie ein fehlendes Rücklicht am Fahrrad, höhere Strafen bekommen, während diese Beleidigungen und Diskriminierungen scheinbar nur geringe Auswirkungen haben. Eine neue Entwicklung in diesem Fall ist die Tatsache, dass Geert Wilders die Autorität der Judikative herausgefordert hat und soweit gegangen ist, das Gericht nicht anzuerkennen und es der Befangenheit zu beschuldigen. Wilders machte daraus eine Medienshow, in der er von „unechten Richtern“ sprach und diese als Anhänger der Democraten 66 (einer liberalen politischen Partei) bezeichnete, die von vornherein gegen ihn seien. Wilders beschuldigt immer wieder Muslime, dass sie die niederländischen Werte und Institutionen nicht respektierten, selbst ist er aber opportunistisch genug, das Gericht nicht anzuerkennen. Dagegen ist er aber voller Stolz auf die Polizeikräfte, das tatsächliche Repressionsinstrument. Als Ahmed Marcouch (Abgeordneter der sozialdemokratischen PvdA) kürzlich erklärte, dass es in der Polizei keinen Platz für PVV-AnhängerInnen geben sollte, war Wilders außer sich vor Wut. Wenn man Wilders Logik gegen die Gerichte folgt, kann man sich tatsächlich auch weigern, die Autorität eines Polizisten oder einer Polizistin anzuerkennen, weil er/sie Anhänger(in) der PVV ist. Das würde allerdings den jungen Leuten, die von der Polizei aufgrund ihrer ethnischen Herkunft schikaniert werden, nichts nützen. Allerdings bestimmt die direkte Parteizugehörigkeit von Menschen nicht das Funktionieren von Teilen des Staatsapparates. Die Institutionen des niederländischen Staatsapparates wurden über Jahrhunderte von der niederländischen Bourgeoisie aufgebaut. Nach außen hin müssen sie neutral erscheinen, als eine Macht, die über der Gesellschaft steht, aber letztendlich dient der Staatsapparat dazu, die Interessen der Kapitalistenklasse zu verteidigen. Das wird verschleiert durch Begriffe wie ‚öffentliches Interesse‘, die ‚Stabilität der niederländischen Demokratie‘ oder stillschweigend, dass bestimmte Maßnahmen ‚der Wirtschaft nützen‘, d. h. den niederländischen Großkonzernen wie Shell, Unilever und Philips. In Wirklichkeit steht die Judikative nicht über der Gesellschaft. Der Druck der Entwicklungen in der Gesellschaft wird in den Urteilen widergespiegelt. Es ist nicht die behauptete Parteizugehörigkeit von RichterInnen, sondern die polarisierte Lage im Lande, die zur Gerichtsentscheidung im Fall Wilders geführt hat, eine Entscheidung, die keines der beiden Lager erfreut. Wilders stellt ein schmerzliches Dilemma für die niederländische Bourgeoisie dar. Einerseits ist sie gezwungen, ihn zu schützen, denn er hat schon öfters die reaktionären Maßnahmen der Regierung Rutte im Parlament unterstützt. Andererseits sorgt seine Person für regelmäßige nationale und internationale Skandale, Spannungen, Instabilität und eine Infragestellung der bestehenden Institutionen, besonders jetzt mit seinen Angriffen auf das Justizsystem. Einige linksorientierte Gegner greifen Wilders wegen seiner Zweifel an der Unabhängigkeit der Richter an und sie beschwören die „Unabhängigkeit der Justiz“ und die „Gewaltenteilung“ als progressive Säulen der Gesellschaft. Das ist sehr idealistisch und naiv. Es ist notwendig zu erklären, dass beides nicht existiert und weder die ‚liberale Demokratie‘ noch Wilders Rechtspopulismus uns irgendwo hinbringen. Für antirassistische AktivistInnen mag das Gerichtsurteil ein kleiner, symbolischer Sieg sein, in Wirklichkeit ändert es aber wenig. Nach den Wahlen vom 15. März 2017 könnte die PVV vielleicht die stärkste Partei im Land werden. Aber nicht jede Stimme für die PVV ist eine rassistische Stimme. Ein großer Teil der WählerInnen sieht Geert Wilders als den einzigen Politiker, der „gegen das Establishment“ auftritt. Es gibt da viele Parallelen zu Donald Trump in den USA. Die PVV ist eine reaktionäre kapitalistische Partei, die keine Lösungen anzubieten hat, sondern nur die ArbeiterInnenklasse spaltet und reaktionäre Maßnahmen fordert. Auf der Grundlage des Kapitalismus kann es jedoch keine Rückkehr zu den „goldenen Tagen“ des Nachkriegsbooms geben. Das hat nicht mit Migration zu tun, sondern ist ganz allein eine Folge der globalen Überproduktionskrise. Selbst in China kommt es zu einem Wachstumsrückgang, der weltweite Auswirkungen hat. Die einzige Möglichkeit gegen Wilders zu kämpfen ist, den Kampf gegen den Rassismus mit dem allgemeinen Kampf der ArbeiterInnenklasse und der Jugend gegen das kapitalistische System zu verbinden. Wir müssen für eine sozialistische Alternative eintreten, in der es eine demokratisch geplante Produktion im Interesse der großen Mehrheit der Bevölkerung gibt. Die niederländische Socialistische Partij (SP) hat kein konsequentes antirassistisches Programm und versucht verzweifelt sich selbst als ‚vertrauenswürdige Partei‘ zu präsentieren, die zu Kompromissen und zur Regierungsbeteiligung bereit ist. Ihr reformistisches Programm ist bereits immer weiter verwässert worden. Das wurde mit der Begründung gerechtfertigt, dass eine radikale Rhetorik die WählerInnen abschrecken würde. Inzwischen spricht Wilders von einer ‚Revolte gegen die Elite‘ und er ist derjenige, der bei den Meinungsumfragen vorne liegt. Die einzige Antwort darauf ist ein militantes sozialistisches Programm.
|