Sie sind das Ergebnis des Erdbebens, das durch die Wahlen verursacht wurde, das keinen eindeutigen Sieger hervorgebracht und gleichzeitig jedoch die Parteien, die die Pfeiler der Regierungen der letzten zwanzig Jahre waren (Demokratische Partei/PD und Berlusconis Forza Italia) schwer abgestraft hat.
Die politische Krise hat die wahre Natur der bürgerlichen Demokratie enthüllt, als Staatspräsident Sergio Mattarella am 27. Mai die Vereidigung der vorgeschlagenen Regierungskoalition verweigerte. Es wurde deutlich: Die Stimmen von Millionen von Menschen zählen wenig oder gar nichts, wenn sie auch die Stabilität der Märkte leicht gefährden können. Das war der Sinn der Erpressung durch den Präsidenten. Er stellte klar, wer entscheidet: die Börse, das Großkapital. Wer in diesem System ins Amt kommen und bleiben will, muss sich ihren Interessen fügen.
Die italienische und internationale Bourgeoisie befürchtete, dass die erste Regierung, die der designierte Regierungschef Conte vorgestellt hatte, mit Paolo Savona als Wirtschaftsminister (Savona war kritisch gegenüber der EU) einen weiteren Nagel auf den Sarg der krisengeschüttelten Europäischen Union schlagen würde. Dieser Vorgang hat die Krise und Insolvenzen des Bankensystems vertieft und die Staatsverschuldung Italiens erhöht.
Darüber hinaus war es notwendig, ein Signal zu geben und von Anfang die Hoffnungen auf Veränderungen zu vereiteln, die Millionen von Menschen (auf eine gewiss verwirrte und widersprüchliche Weise) bei der Wahl am 4. März 2018 auf die Fünf-Sterne-Bewegung und in geringerem Maße auf die Lega gesetzt hatten.
Das Kabinett
Gesagt, getan! Die zweite Conte-Regierung wurde (soweit möglich) unter der Obhut der Märkte und der Europäischen Union geboren. Der neue Wirtschaftsminister Giovanni Tria ist ein Ultraliberaler. Er arbeitete bei der Weltbank und der OECD und war einer der Herausgeber des Wirtschaftsprogramms der Zentralbank von Italien. Der Außenminister Enzo Moavero Milanesi war Teil fast aller so genannten Expertenregierungen von Ciampi 1993 bis Monti (2013) und Letta (2014) und wirkte als Minister für europäische Politik. Dies waren Regierungen, die eine Politik des Sozialabbaus und der Privatisierungen durchführten. Sogar Paolo Savona, der Stein des Anstoßes im Mai und jetzt auf das Ministerium für europäische Angelegenheiten umdirigiert, ist weit davon entfernt, ein „Systemgegner“ zu sein. Er war Minister der Expertenregierungen zur Zeit von Ciampi, Generaldirektor des Unternehmerverbands Confindustria und saß in den Aufsichts- und Verwaltungsräten zahlreicher Banken und Großunternehmen. In den anderen Ressorts ist es nicht besser. Im Innenministerium sitzt mit Matteo Salvini ein Meister des Rassismus. Er ist Chef der Rechtspartei Lega. In Italien ist die Lage für Migranten angesichts verschiedener Übergriffe bis hin zum Morden bereits sehr schwer geworden. Der Ekel kann sich nur steigern, wenn wir den Lebenslauf von Familienminister Lorenzo Fontana (Lega) verfolgen: Er ist gegen Abtreibung und gegen jede Familie, die angeblich keine „natürliche“ ist. Dann sitzt Giulio Andreottis Anwältin Giulia Bongiorno als Ministerin für öffentliche Verwaltung im Kabinett. Andreotti war führender Kopf der italienischen Politik im Namen des Antikommunismus von der Nachkriegszeit bis in die 1990er Jahre und war in unzählige Skandale und Vorgänge um Morde, Erpressung und Beziehungen zur Mafia verwickelt. Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta leitet eine private Firma für Verteidigung in Irak und Afghanistan. Und diese Auflistung ließe sich weiter fortsetzen ...
Die Versprechen
Was wird am Ende aus den vielen Hoffnungen, die Millionen Arbeiter und Jugendliche vor allem in die Fünf-Sterne-Bewegung gesetzt haben? Auch wenn der Schuldenabbau von 250 Milliarden Euro fast sofort aus dem „Regierungsvertrag“ zwischen den Koalitionspartnern verschwunden ist, ändert sich die Musik im übrigen Programm nicht. Die schreckliche „Rentenreform“ der Ex-Sozialministerin Elsa Fornero wird „überwunden“, aber nicht „abgeschafft“. Von der Aufhebung der Fornero-Reform im Regierungsvertrag und vom Abbau des teuflischen Mechanismus, der die Anhebung des Rentenalters entsprechend den Prognosen über die durchschnittliche Lebenserwartung vorsieht, ist in der Tat nichts zu spüren. Und die Verschlechterungen im Arbeitsrecht unter der Regierung von Matteo Renzi, die Entlassungen erleichtern? Der neue Arbeitsminister Di Maio spricht von einer Revision, nicht von einer Abschaffung.
Was ist mit dem versprochenen Grundeinkommen? Die Mittel hierfür seien „nicht vorhanden", das hat der Präsident der Nationalen Sozialversicherung immer gesagt, und die Börsen haben es durch die Spread-Ausschläge deutlich gezeigt. Wirtschaftsminister Tria unterstützt die Idee einer Einheitssteuer, ein weiteres Wahlversprechen der Lega, das mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert werden könnte. Kurz gesagt: Arbeiter, Rentner und ihre Familien sollten Steuerersparnisse für die Reichen (die wenigen, die sich nicht kann der Steuer entziehen) finanzieren!
Was ist mit dem so genannten Gute-Schulen-Programm der Vorgängerregierung? Mit dem System der privaten Sponsoren, das die Entstehung und Differenzierung von erstklassigen Schulen und zweitklassigen Schulen fördert, wird den Schulleitern eine große Macht verliehen.
Und wie sieht es aus mit einem weiteren Steckenpferd der Grillo-Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung, die sich jahrelang gegen Großprojekte wie zum Beispiel die Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke TAV zwischen Turin und Lyon ausgesprochen hatte? „Wir werden alle Großprojekte analysieren und prüfen“, sagt jetzt Verkehrsminister Toninelli, einer der bekanntesten Vertreter der Fünf-Sterne-Bewegung. „Bezüglich des TAV werden wir machen, was gemacht werden muss und was nicht richtig ist, werden wir nicht tun“ (La Stampa, 1. Juni 2018). Bei einem anderen Großprojekt, dem „Terzo Valico“ (neue Bahnstrecke zwischen Genua und dem Binnenland), hat sich der Widerstand der Grillo-Bewegung schon in Luft aufgelöst. Dies hat bereits für Empörung bei vielen AktivistInnen in der Region gesorgt.
Wenige Tage nach der Amtsübernahme scheint die Richtung der „Regierung der Wende“ schon festgelegt zu sein: Sie sieht ganz einfach den Bruch aller „linken“ und die Einhaltung aller „rechten“ Wahlversprechen vor. Banken und herrschende Klasse können ruhig schlafen. In der Tat hatte sich Matteo Zoppas, Präsident der Confindustria (Arbeitgeberverband) in Venetien, in den heißen Tagen der politischen Krise schon deutlich ausgedrückt: „Wir appellieren an alle politischen Kräfte: Die Unternehmer und die Bürger brauchen eine vollkommen funktionstüchtige Regierung“. Und er fügte hinzu, es wäre „wahnsinnig“ gewesen, die EU zu verlassen. Für die Aufrufe eines tonangebenden Unternehmers in einer traditionellen Hochburg der Lega hatte Salvini ganz bestimmt ein offenes Ohr.
Rassismus und Propaganda für die „Sicherheit“
Was übrig bleibt ist rassistische Propaganda und die Entschlossenheit zur „Sicherheitspolitik“. Es handelt sich um eine repressive Politik, die schon lange vorbereitet war. So erklärt der neue Innenminister: „Minniti (vorheriger Innenminister aus der Demokratischen Partei., d.Verf.) hat einen guten Job gemacht, wir werden das nicht kaputt machen“.
Der Hass gegen illegale Einwanderer ist notwendig: er ist die nötige Ablenkung, damit die arbeitenden Menschen in Italien nicht mit dem Finger auf den echten Feind, auf die Bosse und Multimilliardäre wie Zoppas, Del Vecchio oder Marchionne zeigen und stattdessen ihre Wut auf Menschen richten, die aus Verzweiflung vor Kriegen und Hunger flüchten und versuchen, unser Land zu erreichen. Die Ablenkung ist notwendig, um die Arbeiterklasse zu spalten und sie glauben zu lassen, dass es richtig sei, jemandem zwei Euro pro Stunde zu bezahlen, um Tomaten zu pflücken, weil er einer „niedrigeren Rasse“ angehört.
Der Versuch, von den echten Problemen abzulenken, ist umso notwendiger für die Herrschenden, da Arbeitshetze, Übermüdung und mangelnder Arbeitsschutz bereits in den ersten Monaten 2018 insgesamt 296 tödliche Arbeitsunfälle verursacht haben, so wie es bei der Tragödie bei „Acciaierie Venete“ in Padua der Fall war. Darauf basiert ja der „Aufschwung“ in Norditalien.
Demnächst werden wir dann ein Konzentrat der schlimmsten rückschrittlichen und rassistischen Propaganda mit der Parole „Gott, Heimat und Familie“ und „Überlegenheit der italienischen Rasse“ hören. Aus den Palästen der Regierung wird ein ekliger Gestank austreten, mit dem die Herrschenden versuchen werden, den Verstand der Arbeiter und Jugendlichen zu betäuben. Aber Rassismus und Rückschrittlichkeit können keine leeren Mägen füllen und werden nur kurzfristig die Realität von Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und Perspektivlosigkeit verdrängen.
Die großen, vor den März-Wahlen entstandenen Erwartungen und Hoffnungen auf eine Alternative werden umso mehr zu einem verbitterten Erwachen aus den verratenen Illusionen führen. Die Frage des Euro und der Europäischen Union ist aufgrund der permanenten kapitalistischen Krise Europas nur verschoben und sicher nicht gelöst. Die nächste Auseinandersetzung mit Brüssel wird nicht mehr von dem „Souveränismus“ der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung kompensiert werden können, da diese sich erst darum kümmern werden, die unpopulären Entscheidungen der Regierung zu verteidigen.
In dieser Debatte gibt es keinen Platz für Zurückhaltung und halbe Sachen. Gegen „Souveränismus“ und „Europäismus“, die doch nur zwei Seiten der kapitalistischen Politik sind, fordern wir den Bruch mit der kapitalistischen Europäischen Union und mit dem Euro und treten für eine sozialistische Föderation Europas als Teil eines revolutionären Programms ein.
Freunde und Feinde
In dem bevorstehenden Kampf muss die radikale Linke und die Arbeiterbewegung verstehen, wer ihre Freunde und wer ihre Feinde sind. Salvini und die Rechte können nicht durch die Unterstützung von Staatspräsident Mattarella oder mit Hilfe von Zitaten aus der Verfassung beseitigt werden – so wie es die parlamentarische Opposition und besonders die Demokratische Partei (PD) versucht. Im Gegenteil: Mattarella hat völlig Recht, wenn er erklärt, dass er mit der Bildung der Lega-5SB-Regierung unter Beachtung der „verfassungsmäßigen Legalität“ agiert hat. Die italienische Verfassung schützt die Rechtsordnung und Artikel 81 enthält die Verpflichtung eines ausgeglichenen Haushaltes. Der Präsident der Republik hat betont, dass keine Regierung in diesem System entstehen werde, ohne dass die „heilige verfassungsrechtlichen Prinzipien“ respektiert werden.
Das Feld der „Verteidigung der Verfassung“ – wovon die gewerkschaftlichen Bürokraten und die „Linke“ (bzw. was davon übriggeblieben ist) ständig sprechen – ist heutzutage das rückständigste Feld, auf dem man eine Gegenmobilisierung entwickeln kann. Es ist das Feld der „nationalen Einheit“, der „gemeinsamen Werte“ und der Nationalhymne. Es gibt nichts Gemeinsames zwischen der Familie Del Vecchio (mit einem Gehalt 2017 von 367 Millionen Euro) und einem Arbeiter von seiner Firma Luxottica.
Wir fordern eine andere Einheit: die der Ausgebeuteten, der ArbeiterInnen – egal ob italienisch oder eingewandert – gegen die Ausbeuter. Dem Krieg zwischen den Armen müssen wir den Klassenkampf entgegensetzen. Mit diesen Voraussetzungen kann man eine Linke der arbeitenden Menschen und eine neue Führung der Arbeiterbewegung bilden.
Das ist eine absolut notwendige Perspektive, um in den nächsten Kämpfen eingreifen zu können. Wir teilen auf keinen Fall den Pessimismus der „Intellektuellen“ in der italienischen Linken. Die Regierungsbeteiligung der Fünf-Sterne-Bewegung stellt einen notwendigen Schritt für die Entwicklung des Klassenbewusstseins dar. Die Regierungskoalition mit der Lega Nord, der reaktionärsten Kraft im Parlament, wird schon bald den kleinbürgerlichen Populismus der 5SB offenbaren.
Die Maßnahmen der gelb-grünen Regierung werden sich zwangsläufig gegen Arbeitende und Jugendliche richten. Nach dieser ersten Enttäuschung wird die Perspektive des Kampfes immer konkreter werden und vor allem den einzigen möglichen Weg darstellen.
Mit dieser Perspektive wird Sinistra Classe Rivoluzione (Funke-Schwesterorganisation in der IMT) an den nächsten Mobilisierungen und Kämpfen in Betrieben, Schulen und Universitäten teilnehmen. Wir laden dich ein, mitzumachen!
|