Kategorie: Europa

Österreich im Umbruch

Anders als ein politisches Erdbeben lassen sich die Ereignisse in Österreich in den letzten Wochen nicht beschreiben. Ein neun Tage vor der EU-Wahl veröffentlichtes Video, das einen Korruptionsskandal um den bisherigen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zum Vorschein brachte, löste die Krise der schwarz-blauen Regierung aus und führte anschließend zu deren schnellem Ende.


Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der Anfang vergangener Woche ein Misstrauensvotum im Parlament verlor, ergriff die Flucht nach vorn und kündigte kurzerhand Neuwahlen an. Doch welche Perspektiven hat die Arbeiterklasse in Österreich?

Hierzulande galt Österreich viele Jahre lang als “verträumte Alpenrepublik” und “Land der Glückseligkeit”. Doch die Realität weicht stark von diesem Bild ab. So verfügt das Land schon seit der Industrialisierung über einen hochentwickelten Kapitalismus und eine große Arbeiterschaft, was in einer starken Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung zum Ausdruck kam. Auch von den revolutionären Ereignissen in ganz Europa nach dem Ersten Weltkrieg blieb Österreich nicht ausgenommen. Aufgrund der Stärke der Arbeiterbewegung blieb der herrschenden Klasse nichts anderes übrig, als die Arbeiterorganisationen in Form der Sozialpartnerschaft in Kapitalismus und Staat zu integrieren. Diese Sozialpartnerschaft wurde vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebaut und als Mittel genutzt, um die Arbeiter ruhig zu halten. Besonders durch den Nachkriegsaufschwung und weitreichende soziale Zugeständnisse wurde die Vorstellung von einer “klassenlosen Gesellschaft im Kapitalismus” gestärkt und die Ideen des Klassenkampfes gerieten in den Gewerkschaften immer mehr ins Hintertreffen. Dies änderte sich jedoch in den letzten Jahren. Durch die weltweite Krise des Kapitalismus sieht sich nun auch die österreichische Kapitalistenklasse gezwungen, die Angriffe auf die Arbeiterklasse, die bereits in anderen europäischen Ländern unternommen wurden, nachzuholen und die Sozialpartnerschaft schrittweise aufzukündigen, um sich in kommenden Krisen ihre Profite zu sichern.

Sinnbildlich hierfür war das Ende der Großen Koalition aus der sozialdemokratischen SPÖ und der konservativen ÖVP im Jahre 2017. In der ÖVP, der traditionellen Partei der herrschenden Klasse, übernahm Sebastian Kurz das Ruder und rückte die Partei durch die Liquidierung des sozialpartnerschaftlich orientierten Flügels nach rechts. Nach der vor allem mit rassistischen Parolen gewonnenen Wahl bildete Kurz gemeinsam mit der rechten FPÖ eine Bürgerblock-Regierung, welche sich zahlreiche Konterreformen und Angriffe auf Arbeiterklasse und Sozialstaat zum Regierungsprogramm machte. Darunter die Einführung des 12-Stunden-Arbeitstages, die Schwächung der Gewerkschaften in den Sozialversicherungsgremien, Kürzungen bei Bildung, Soziales und Gesundheit, Abbau demokratischer Rechte, Aufrüstung des Überwachungsstaates sowie rassistische Gesetze.

Doch diese Angriffe blieben nicht ohne Gegenreaktionen der Arbeiterklasse. Im Sommer 2018 demonstrierten 120.000 Menschen gegen die Einführung des 12-Stunden-Tags. Die Arbeiterklasse betrat hier die politische Bühne wie seit langem nicht mehr. Auch kam es zu Streiks bei der Bahn, in der Metallindustrie sowie im Gesundheitswesen. Doch die Führung des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB), welcher immerhin noch rund 30 Prozent der abhängig Beschäftigten organisiert, führte diese Kämpfe nur halbherzig und war mehr auf Kompromisse und Sozialpartnerschaft aus, anstatt zu einem Generalstreik und einem damit verbundenen Sturz von Schwarz-Blau aufzurufen.

Doch die Veröffentlichung des Ibiza-Videos, das schonungslos die parasitäre Verwicklung von bürgerlichem Staat, politischen Akteuren und Kapital zum Ausdruck brachte, und die darauffolgende Regierungskrise ließen Kanzler Kurz nichts anderes übrig, als die Regierung mit der FPÖ zu beenden und Parlamentsneuwahlen für September auszurufen. Offenbar hofft er, durch die Verluste der FPÖ den Stimmenanteil der ÖVP auszubauen und anschließend eine Koalition mit den NEOS, stramm neoliberale Schwesterpartei der deutschen FDP, eingehen zu können. Einen solchen Trend ergab die vergangene EU-Wahl in Österreich. Während sowohl ÖVP und NEOS an Stimmen zulegen konnten, musste die FPÖ Verluste hinnehmen. Die SPÖ schnitt mit einem Ergebnis unter 24 Prozent historisch schlecht ab. Ob es bei der Neuwahl im September ein ähnliches Ergebnis gibt, bleibt offen.

Die österreichische Sozialdemokratie kann sich jedoch nicht als wirkliche Alternative präsentieren, denn die weltweite Krise des Reformismus hat auch sie erfasst. Durch gemeinsame Regierungen mit der ÖVP über lange Jahrzehnte hat sie stark an Glaubwürdigkeit verloren. Nach dem Ende von Schwarz-Blau liebäugelte die Parteiführung um die Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner mit dem Gedanken, in Form einer neuen Großen Koalition unter Sebastian Kurz wieder Regierungsämter einzunehmen. Dies ist eine gefährliche Kalkulation, vor allem weil die Kapitalistenklasse in Österreich keine Rückkehr zur Großen Koalition und Sozialpartnerschaft will und alles in Bewegung setzen wird, um in der nächsten Legislaturperiode für eine neue Bürgerblockregierung zu sorgen. Der Sturz der Regierung Kurz Ende Mai in Form eines von der SPÖ eingebrachten Misstrauensvotums kam nur durch massiven Druck der Parteibasis zustande. Eine politische Erneuerung der Partei oder gar ein österreichischer Jeremy Corbyn ist aktuell nicht in Sicht. Eine Alternative links der SPÖ stellt für viele radikalisierte Jugendliche die Sozialistische Jugend Österreichs (SJÖ), die ein antikapitalistisches und sozialistisches Selbstverständnis hat, dar. Doch auch die SJÖ-Führung ist immer noch stark in den Apparat der Mutterpartei eingebunden. In den Tagen, in denen der zentrale Parteiapparat der SPÖ an der Linie der „Stabilität“ festhielt, positionierte sich auch die SJÖ-Vorsitzende Julia Herr, die bei der zurückliegenden EU-Wahl einen recht hohen Listenplatz hatte, vier Tage lang nicht öffentlich für den Misstrauensantrag, schwenkte dann jedoch als eine der ersten auf diese Linie ein. Aufgabe der SJÖ wäre es, ein sozialistisches Programm mit der Forderung nach Verstaatlichung und Arbeiterkontrolle zu formulieren.

Wie lässt es sich verhindern, dass auch die nächste Regierung vom Kapital gekauft wird – nachdem offensichtlich alle Gesetze zur Transparenz der Parteienfinanzierung und alle Antikorruptionsgesetze gar nichts helfen? Demokratische Kontrolle ist nur möglich, wenn die Finanzpraktiken des Kapitals schonungslos offengelegt werden. Öffnet die Geschäftsbücher! Die genannten Unternehmen sind nur die Spitze des Eisberges – wir wissen, wie das Großkapital, wie Raiffeisen und Co. die Politik in der Tasche haben. Wir haben kein Vertrauen in die 'Justiz', die die Mächtigen deckt und sich nur die besoffenen Kleinkorrupten schnappt. Wir wollen, dass Betriebsräte, Gewerkschaften und AktivistInnen nicht nur Einblick in eure Machenschaften bekommen, sondern diese auch der Öffentlichkeit berichten. Wir wollen Gewissheit darüber, wer welche Gesetze gekauft hat – und werden für die entschädigungslose Enteignung all derjenigen Konzerne unter Kontrolle der Beschäftigten und der Öffentlichkeit argumentieren, die auf die Politik in Österreich Einfluss nehmen.“, schreibt der österreichische Funke.

Es bedarf jetzt auch einer grundlegenden Veränderung der Gewerkschaften, welche in den letzten Jahren hauptsächlich auf Sozialpartnerschaft und Klassenkollaboration aus waren. Denn eines ist klar: die Krise und die damit verbundenen Angriffe auf den Lebensstandard der Massen werden auch nach den Neuwahlen verstärkt kommen. Die herrschende Klasse bereitet sich darauf vor. Die Arbeiterklasse ist daher gezwungen, die Sozialpartnerschaft ein für alle mal aufzukündigen und Widerstand zu organisieren.

 

slider unten de rev

bdk slider unten

veranstaltungen 2

werde aktiv 2

button deutsche rev homepage

Modulblock Shop

Modulblock DefenceMarxism