Besonders betrifft das die Textilindustrie, wo hauptsächlich italienische Textilkapitalisten, albanische Frauen für umgerechnet knapp 200 Euro im Monat ausbeuten. In Tirana der Hauptstadt des Landes mit etwas mehr als 600.000 Einwohnern sind die meisten Beschäftigten in Callcentern zusammengepfercht, um von dort aus Werbung und Meinungsumfragen in Italien durchzuführen. Da die Ansteckungsgefahr in den engen Büros sehr hoch ist, gab es mehrere Streiks.
Aber die Kapitalisten nutzen die hohe Arbeitslosenzahl von offiziell 18,6 %, um die Arbeiter zu erpressen. In Wahrheit liegt die Arbeitslosenzahl zwischen 30 und 40 %. Viele Jugendliche tauchen in der Statistik nicht auf. Registriert wird nur wer vorher einer „ordentlichen Beschäftigung“ nachging. Ebenso nicht registriert werden aus Italien und Griechenland zurückgekehrte Arbeitsemigranten.
In Griechenland und Italien sind noch immer hunderttausende albanische Arbeiter. Sie trifft die dortige kapitalistische Krise schwer. Einst hatte Albanien 3,5 Millionen Einwohner. Jetzt nur noch 2,9 Millionen, weil viele ihr Heil in der Emigration suchten. Albanien ist neben Kosova, dass Land mit der jüngsten Bevölkerung in Europa. In Albanien verlieren die Menschen massenhaft Jobs. Massenarmut, extreme Armut und Ausbeutung kennzeichnen die Situation.
Zudem wurde das öffentliche Gesundheitssystem stark privatisiert. Die noch vorhandenen öffentlichen Krankenhäuser liegen am Boden. Oft fehlt es am notwendigsten. Medikamente müssen meist von den Familienangehörigen, in Apotheken gekauft werden, weil es sie in den heruntergekommenen Kliniken nicht gibt.
Albanien belegt sehr klar, dass das Coronavirus zwar keine Klassen kennt aber es dennoch einen riesengroßen Unterschied macht zu welcher Klasse ein Mensch gehört. Der Reiche lebt in einer Villa mit Abstand und schaut auf sein Bankkonto. Der Arbeiter muss gesundheitsgefährdend zum geringen Lohn arbeiten und ist einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. In den Elendsquartieren grassiert das Virus in Albanien besonders stark. Der Kampf gegen die Pandemie ist somit wie überall auch eine Klassenfrage.
Klassenkampf im Bergbau und den Raffinerien
Albanien hat Öl und viele Rohstoffe, welche im Bergbau abgebaut werden. In diesen beiden Sektoren entwickelten sich unabhängige Gewerkschaften. Die offiziellen Gewerkschaften sind offen gelbe Gewerkschaften, im Bündnis mit der örtlichen Mafia. Teilweise wurden sie direkt von der Mafia-Bourgeoisie gegründet. Vor zwei Jahren gründete sich deshalb eine „Unabhängige Gewerkschaft der Bergarbeiter“ in Bulqizës. Sie forderten Lohnerhöhungen und höhere Arbeitssicherheit und streikten auch dafür. Immer wieder kommen Bergarbeiter ums Leben. Anfang 2019 entließ der reichste Albaner, der Multimillionär Sami Mane die Gewerkschaftsführer. Der Streik wurde polizeilich gebrochen. Immer wieder kommt es zu Arbeitsniederlegungen im Bergbau. Jetzt geht es vor allen Dingen um die Zulassung der unabhängigen Gewerkschaft. Die Solidarität mit den Entlassenen ist groß.
Die Ölarbeiter
Die Ölarbeiter der Ballsh-Raffinerie haben seit August 2020 heftig und massiv protestiert, um 22 fehlende Monatsgehälter zu bekommen. Zudem fordern sie feste Arbeitsverträge. Nach der Ankunft einiger Raffinerie-Manager vor Ort überquerten die protestierenden Ölarbeiter gewaltsam, die Polizeiabsperrung und die Firmenabsperrung.
Sie versuchten Anfang September 2020 das Werksgelände zu besetzen. Unter diesen Bedingungen kam die Geschäftsleitung heraus – nachdem die Polizei von den Arbeitern zurückgedrängt wurde. Die Manager versprachen (um die Ölarbeiter zu beruhigen), dass innerhalb von zwei Tagen die Unterzeichnung der Arbeitsverträge beginnt und die ausstehenden Löhne ab kommenden Montag bezahlt werden. Aber nichts geschah. Die Proteste gingen weiter und radikalisierten sich Tag für Tag. In einer Erklärung des Streikkomitees steht: „Die Raffinerie ist unser Eigentum. Gebt uns unsere Arbeitsbücher zurück“.
In ganz Albanien wuchs die Solidarität mit den Ölarbeitern in der Ballsh-Raffinerie. Diese Raffinerie hat im Laufe der Jahre Gewinne in Milliardenhöhe für verschiedenen Eigentümer erzielt, während die Ölarbeiter mit lächerlichen Gehältern (im Schnitt 240 Euro pro Monat) abgespeist wurden. Organzata Politike eine weit links stehende Organisation, geführt von Studenten aus Tirana, ist bei allen Aktionen der Ölarbeiter dabei und wird von den Arbeitern akzeptiert.
In der Zeitung der Organisation steht: „Der gesamte Reichtum, der aus dem Schweiß unserer Ölmänner stammt, wird von den Eigentümern, der Bourgeoisie und ihren politischen Parteien angeeignet, aber auch von einigen Gewerkschaftsführern. Das sind privilegierte und gekaufte Arbeiteraristokraten.“ Es wird dazu aufgerufen in ganz Albanien unabhängige Gewerkschaften nach dem Vorbild der Bergarbeiter und Ölarbeiter zu gründen. Es ist zu lesen: „Die Arbeiter müssen diesen gelben Gewerkschaftsabfall, der vom Schweiß der Menschen lebt, mit den EU-Mitteln und den kapitalistischen Stiftungen finanziert, die in unserem Land aktiviert wurden, im eigenen Interesse loswerden.“
In Tirana kam es am 26. September zu einer Massendemonstration von Ölarbeitern, Bergarbeitern und Studenten. Gefordert wurden nicht nur die ausstehenden Löhne, sondern die Vergesellschaftung des Bergbaues, der Ölindustrie und anderer wichtiger Sektoren der albanischen Ökonomie. Der Vertreter von Organizata Politike forderte zudem die „Arbeiterkontrolle der Produktion“.
Auf dem Weg zum „Infrastruktur und Energie Ministerium“ griffen mehrere Hundertschaften der Polizei die Arbeiter und Studenten brutal an. Das Internet ist voll mit Aufnahmen über den Polizeiterror in Tiranas Straßen. Aber damit ist der Kampf nicht beendet. Seit einigen Tagen befinden sich hauptsächlich Ölarbeiter im Hungerstreik. Jetzt gibt es zahlreiche Versprechungen der politischen Kaste. Diesen Versprechungen wird nicht geglaubt. Eine neue Privatisierungsrunde wurde für die Ölindustrie ausgeschrieben. Die Arbeiter hingegen betrachten das Öl in Ballsh als ihr Eigentum und fordern von der Regierung die ausstehenden Löhne. Die Privatisierung wird von den Arbeitern mit großer Mehrheit abgelehnt.
Privatisierung der Ölindustrie
Einst arbeiteten im Ölsektor einige tausend Arbeiter. Nach der letzten Privatisierung noch knapp 800. Der Privatisierungsprozess der Ölförderung und der Raffinerie in der Bergarbeiterregion Ballsh in Albanien könnte aus einem Kriminalroman stammen. Das ist allerdings in rückständigen Gebieten innerhalb der kapitalistischen Weltökonomie keine Ausnahme, sondern die Regel.
Das auf den britischen Jungferninseln registrierte Unternehmen IRTC wurde vom Aufsichtsrat Mustafa Abu Naba’a (einem im internationalen Ölhandel bekannten dominikanischen Geschäftsmann) und Harry Sargeant (einem amerikanischen Geschäftsmann aus Florida) geleitet. Im Dezember 2016 wurde der Manager des IRTC in Albanien Mitat Sulaj ernannt, das ist der Bruder des Eigentümers des Taiëan-Komplexes in Tirana, Besnik Sulaj.
Nachdem das IRTC die Raffinerie fast ein Jahr lang geleitet hatte, zog es sich ebenfalls zurück wie seine Vorgänger und verschuldete sich gegenüber dem Staat in zweistelliger Millionenhöhe. Nach dem Rückzug von IRTC trat ein weiteres im Ausland registriertes Unternehmen, Allum Enterprises, als Raffinerieunternehmen auf. Allum Enterprises seinerseits übertrug im März 2018 das Management der Ballsh-Raffinerie an Tosk Energji und Bylis Energji, welche zwei Schweizer Unternehmen gehören, CFD Conseils Sarl und PGFS Pilotage & Gestion – mit Herrn Darbord.
Darbord ist in Albanien kein unbekannter Name auf dem Gebiet der Ölindustrie. Von 2013 bis 2015 war er Manager des Unternehmens ARMO in der Zeit, als dieses vom Investmentfonds der aserbaidschanischen Heaney Assets Corporation kontrolliert wurde. Der Betrieb von Tosk Energji in der Ballsh-Raffinerie – von März 2018 bis Oktober 2019 – wurde von Gunvor finanziert, der später eine 50 prozentige Beteiligung an Tosk Energji erwarb.
Gunvor wurde im Jahr 2000 von dem russischen Oligarchen Gennadi Timtschenko und dem schwedischen Geschäftsmann Torbjörn Törnqvist gegründet und ist das viertgrößte Rohölhandelsunternehmen der Welt. Aufgrund von US-Sanktionen gegen Timtschenko verkaufte er 2014 seine Anteile an den schwedischen Partner Torbjörn Törnqvist.
Im Jahr 2018 wurde die Raffinerie also von der Firma Tosk Energji übernommen, die keine unbezahlten Verbindlichkeiten gegenüber den Arbeitern übernahm, weil sie „nur“ den Betrieb erwarben. Im Jahr 2019 geriet Tosk Energji in einen finanziellen Zusammenbruch und konnte kein Geld mehr von Bankern erhalten, um das Geschäft fortzusetzen.
Seit November letzten Jahres wurden die Arbeiten an der Raffinerie eingestellt. Von diesem Moment an wurden die Zahlungen für die Arbeiter komplett gestrichen. Die Regierung hielt mehrere Online-Treffen mit „Arbeitervertretern“ ab und versprach, die Situation zu lösen. Nach dem Scheitern von Tosk Energji beschloss Allum Enteprises, die Ballsh-Raffinerie selbst zu betreiben. Das fragliche Unternehmen kaufte bei der von Albpetrol im Juni 2020 organisierten Auktion 48.000 Tonnen Rohöl und erzielte gleichzeitig einen neuen Liefervertrag mit Bankers Petroleum. Aufgrund der Vereinbarung mit Bankers wurde erwartet, dass die Arbeiten im August 2020 beginnen. Bisher ist dies jedoch nicht geschehen, und die Proteste der Raffineriearbeiter wurden wieder aufgenommen.
Perspektiven
Die Wut der Arbeiter gegenüber den Privatisierern und den Kapitalisten steigt täglich in Albanien. Der Charakter des Staates konnte in Ballsh und Tirana in Augenschein genommen werden. Der Staat ist das Organ der herrschenden Klasse und des Imperialismus. Die Arbeiter kommen spontan auf das richtige. Die Forderung die wichtigsten Sektoren der albanischen Ökonomie zu vergesellschaften sind absolut notwendig um diesem ständigen Wechsel von Eigentümern und der massiven Ausbeutung der Arbeiter, ein Ende zu machen.
Auch die Gründung eigenständiger Gewerkschaften ist richtig. Die alten Gewerkschaften haben keine Arbeiterbasis. Sie stützen sich auf Teile der Arbeiteraristokratie und werden von den herrschenden politischen Parteien direkt angeleitet. Manager und Kapitalisten sind häufig sogar Mitglieder in diesen gelben Organisationen.
Was fehlt ist eine marxistische Kaderpartei, die der Wut und dem Zorn eine dauerhafte Dynamik verleiht. Es besteht der dringende Bedarf, dass aus den Reihen von „Organizata Politike“ und der kämpferischen Vorhut in den Betrieben eine revolutionäre Organisation entsteht. Das ist keine Wunschvorstellung. Immer mehr Menschen aus Albanien und Kosova interessieren sich für die Arbeit der IMT. Unsere Website marxist.com wird gelesen und an unserem internationalen Online-Event, das die IMT diesen Sommer organisierte, nahmen Menschen aus Albanien teil.
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