Kategorie: Europa

Türkei: Erdoğan und der „tiefe Staat"

Seit über zwei Monaten werden der türkische Staat und das Regime von Präsident Erdoğan aus einer ungewöhnlichen Richtung angegriffen. Sedat Peker, ein berüchtigter Exil-Mafiaboss mit einer langen kriminellen Vorgeschichte hat fast jeden Sonntag ein Video veröffentlicht, in denen er das diskutiert, was seiner Aussage nach, die Verbindungen zwischen wichtigen AKP-Politikern, dem türkischen Staat und der organisierten Kriminalität sind.

Bild: UN/Marco Castro (CC-BY-NC-ND 2.0)


Diese Videos, zum Teil länger als eine Stunde, erhalten zunehmende Aufmerksamkeit von mittlerweile über 10 Mio. wöchentlichen Zuschauern. Mit der Zeit ist Peker offenbar immer selbstsicherer geworden und veröffentlichte mehr und mehr Details.

Das bloßgestellte Regime

Peker hat viele Anschuldigungen gegen eine ganze Menge an Repräsentanten des AKP-Regimes und deren Familien getätigt. Dabei hat er ein Bild dieser Leute gezeichnet, das sehr weit weg ist von der „respektablen“ Aura, mit der sie sich selbst gern in den Medien zeigen. Peker hat beispielsweise Erkan Yıldırım beschuldigt, große Mengen Drogen aus Kolumbien über Panama in die Türkei zu schmuggeln – Yıldırım ist der Sohn von Binali Yıldırım, ex-Premierminister und Vize-Vorsitzender der AKP, ein sehr enger Vertrauter von Präsident Erdoğan. Peker behauptet, Yıldırım wäre zu Jahresbeginn in Venezuela gewesen, um eine neue Schmuggelroute auszuhandeln, da der Schmuggel aus Kolumbien schwerer geworden wäre (im Juni 2020 wurden 4,9 Tonnen Kokain beschlagnahmt).

Eine weitere Anschuldigung betraf die Beteiligung des türkischen Staats und der organisierten Kriminalität im syrischen Bürgerkrieg. Peker beschreibt ausführlich die Lieferung von Waffen an dschihadistische Gruppen wie die al-Nusra-Front, des syrischen al-Qaida-Ablegers, durch eine private Sicherheitsfirma, die von einem von Erdoğans früheren Militärberatern gegründet wurde. Der Apparat des Geheimdienstes half, die Waffen unter dem Deckmantel von „humanitärer Hilfe“ zu verschleiern.

Aber Pekers Hauptziel ist der Innenminister, Süleyman Soylu. Der Grund dafür ist einfach und Peker hat offen gesagt, dass er der Grund für seinen Kreuzzug ist: er behauptet, es hätte einen Deal zwischen ihm und Soylu gegeben, aber dieser hätte sich nicht darangehalten. Im Gegenteil ordnete Soylu polizeiliche Razzien in Pekers „Unternehmungen“ an, und sogar in dem Haus, in dem seine Frau und seine Kinder leben.

Soylu, der erst 2012 der AKP beitrat, aber seither den großen Eifer eines späten Konvertiten bewiesen hat, ist für einen Großteil der Repressionen gegen die Opposition in den letzten Jahren verantwortlich. Er stand bereits auf wackeligen Füßen, bevor Peker mit seinen Videos daherkam.

In April fiel er nach einem gründlich vermasselten Lockdown fast in Ungnade, als den Menschen nach der Ankündigung gerade noch zwei Stunden gegeben wurden, um die benötigten Lebensmittel zu kaufen. Experten sagen, das anschließende Chaos in den Supermärkten und Geschäften hätte den Kampf gegen den Virus wohl um Wochen zurückgeworfen.

Obwohl er früher verkündet hatte, dass alle Maßnahmen mit Erdoğan akkordiert gewesen wären, nahm Soylu dann die volle Schuld auf sich und bot seinen Rücktritt an. Aber eine Hand wäscht die andere, und Erdoğan zeigte seine Dankbarkeit für die Schützenhilfe, indem er sich weigerte, Soylu zu ersetzen. Peker wiederum sagt, er wäre derjenige gewesen, der hinter dem Vorhang eine Online-Solidaritätskampagne für Soylu organisiert hätte.

Aber anscheinend verkrachten sich die beiden wenig später. In seinem ersten Video war Peker noch vorsichtig mit direkten Angriffen gegen Soylu und nannte ihn sein „Rückflugticket in die Türkei“. Aber Soylu und das Innenministerium haben sich deutlich gegen Peker positioniert und nannten seine Kampagne „Machenschaften der organisierten Kriminalität gegen die Sicherheitskräfte und den Staat“.

Soylu reichte auch noch eine Anzeige gegen Peker ein. Nachdem nun alle Brücken abgebrannt waren, begann Peker mit seinen Angriffen direkter zu werden. Mittlerweile droht er damit, Erdoğan selbst mithineinzuziehen.

Obwohl Peker bisher keine direkten Beweise für seine Anschuldigungen geliefert hat, deuten unterschiedliche Umfragen darauf hin, dass die Mehrheit, oder sogar 75 Prozent der Türken Pekers Aussagen für wahr halten. Obwohl es nicht weiter verwunderlich ist, dass die Mehrheit der Unterstützer der Opposition diesen Anschuldigungen glauben, ist signifikant, dass sogar ein Drittel der AKP-Anhänger dem Glauben schenkt. Das spricht Bände darüber, wie dünn die soziale Basis für Erdoğans Regime in den letzten Jahren geworden ist.

Der Staat

Es ist leicht zu erklären, warum so viele Menschen den Anschuldigungen glauben: die tiefe Verknüpfung zwischen organisierter Kriminalität, Politik und dem Staatsapparat ist schlicht gängige Praxis in der Türkei. Bürgerliche „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“ waren immer nur eine brüchige Fassade – die immer wieder von Militärputschen durchbrochen wurde.

Aber sogar in „normalen“ Zeiten war die türkische Politik immer gekennzeichnet von der direkten Einmischung der Armee und kriminell-faschistischen Banden. Das sind zum Beispiel die „Grauen Wölfe“, die in Verbindung mit der ultranationalistischen MHP-Partei stehen und ab den 60ern für die Ermordungen von tausenden Aktivisten der Linken und der Arbeiterbewegung verantwortlich waren. Rechte Milizen, wie die sogenannten „Dorfschützer“ wurden vom türkischen Staat unterstützt, um den Aufständen der Kurden etwas entgegenzustellen.

All diese zwielichtigen Verbindungen wurden 1996 nach einem Autounfall in der kleinen Stadt Susurluk erstmals (offiziell) bekannt. Der stellvertretende Polizeichef von Istanbul und Abdullah Çatlı, Mafiaboss und führendes Mitglied der Grauen Wölfe, starben beim Unfall. Sedat Edip Bucak, ein Großgrundbesitzer, Führer der Dorfschützer und Abgeordneter einer konservativen Partei, wurde schwer verletzt.

In dem Auto führten die drei Männer mehrere Waffen mit Schalldämpfern, Drogen und tausende US-Dollar in bar mit sich. Das führte zu einem nationalen Skandal, der den damaligen Innenminister Mehmet Ağar und Andere zum Rücktritt zwang, da auch ein gefälschter Pass auf Çatlı’s Namen, unterzeichnet von Ağar persönlich, in dem Auto gefunden wurde.

Auch Mehmet Ağar wird von Peker in einem seiner Videos attackiert, und wurde auch zu einem der ersten Opfer des Skandals. 2019 wurden Vorwürfe gegen Ağar und Andere bezüglich ungeklärter Mordfälle in den 1990ern fallengelassen. Nach Pekers Anschuldigungen wurde der Fall im Mai nun wieder eröffnet.

Peker selbst scheint schon seit einer langen Zeit sehr gute Verbindungen in ultranationalistische kriminelle Kreise gehabt zu haben. Er nannte anlässlich einer Gedenkfeier für den verstorbenen Çatlı diesen seinen „großen Bruder“, und „unser aller Meister“. 1998 stellte er sich freiwillig den Behörden, nachdem zuvor schon berichtet wurde, dass Peker von einem Minister in Rumänien besucht wurde. Er wurde unter anderem für Schutzgelderpressung, Nötigung und Anstiftung zum Mord verurteilt. Letztlich ging Peker nur für einige Monate ins Gefängnis, obwohl der Staatsanwalt siebeneinhalb Jahre gefordert hatte.

Marx und Engels beschreiben im Kommunistischen Manifest die Essenz des modernen kapitalistischen Staats: „Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet“. Um die spezifische Rolle des Staatsapparats in einem Land verstehen zu können, reicht es nicht, sich nur die oberflächliche Erscheinung, also seinen ideologischen oder institutionellen Charakter anzusehen. Wir müssen die zugrundeliegenden ökonomischen Triebkräfte verstehen, die den Klassencharakter des Staats bestimmen und untermauern.

Die türkische Bourgeoisie war immer in einer schwachen Position, die kapitalistische Entwicklung startete spät, und die Arbeiterklasse mit ihrer revolutionären Tradition ist vergleichsweise stark. Die Bourgeoisie war deshalb gezwungen, regelmäßig direkte Repression zu verwenden. Das hat dem Staatsapparat einen gewissen Grad an Unabhängigkeit und eine relative Stärke in der Gesellschaft verschafft.

Gerade aufgrund ihrer Schwäche ist ein großer Teil der Bourgeoisie von einer Kombination aus zwielichtigen Geschäften, Kriminalität, Spekulation und Gangstertum anhängig, um ihre Profite zu sichern. Damit dieses „Geschäftsmodell“ funktioniert, sind sie abhängig davon, in enger Verbindung mit dem Staat zu stehen.

Der wichtigste politische Repräsentant dieser Schicht ist die ultranationalistische Bewegung mit der MHP als ihrem Kern, obwohl natürlich – offen gesagt – alle türkischen Kapitalisten in mehr oder minder hohem Grad Gangster sind. Die Ultranationalisten haben es geschafft, bedeutende Schichten des Kleinbürgertums und rückständige Schichten der Arbeiterklasse mit ihrer chauvinistischen Sündenbockpolitik (va. gegen die Kurden) hinter sich zu sammeln.

In Krisenzeiten tolerierte die „respektablere“ Schicht der türkischen Bourgeoisie (repräsentiert von der kemalistischen republikanisch-nationalistischen Tradition) die Ultranationalisten oder förderte sie sogar, einfach weil sie die faschistischen Banden und die Attentäter der Ultranationalisten brauchten, um mit der mächtigen Arbeiterklasse fertig zu werden.

Das führte in den Siebzigern dazu, dass die Grauen Wölfe behaupten konnten, über ein besseres Geheimdienstnetz zu verfügen als irgendeine der offiziellen Staatsinstitutionen. In den 1980ern und sogar schon davor wurde ein Geheimdienst von der Gendarmerie gebildet (JİTEM), der für Folter und Mord am politischen Gegner verwendet wurde. Seine Existenz wurde bis 2005 offiziell geleugnet.

Erdoğans Verbindungen zum „tiefen Staat“

Die islamisch-konservative AKP und Erdoğan repräsentieren einen weiteren, (untergeordneten) Flügel der Bourgeoisie, der sich zu Beginn hauptsächlich auf seine Basis in Anatolien stützte. Dieser Teil der herrschenden Klasse war stets im Konflikt mit den dominierenden Kemalisten.

Erdoğan, der schon als Bürgermeister von Istanbul mit den Kemalisten im Clinch lag, war daher in der Lage, sich als sauberen „Außenseiter“ und Kämpfer gegen das wirtschaftliche Chaos und die politische Korruption der Neunziger zu präsentieren. In Wirklichkeit stimmte das nicht: obwohl der islamisch-konservative Flügel der Bourgeoisie eine schwächere Position als die Kemalisten hatte, spielte er eine wichtige Rolle als Reservekraft der Reaktion, und hatten deswegen auch Verbindungen in den Staatsapparat hinein. Nichtsdestotrotz konnte Erdoğan die Wahlen 2002 mit seinem „Saubermacher-Image“ nach dem Chaos der Neunziger gewinnen.

Aber das positionierte ihn gegen die traditionell starke kemalistische Bourgeoisie, gegen die Armee und große Teile des „tiefen Staats“. In den 2000ern war das die hauptsächliche Opposition gegen Erdoğan, Putschgerüchte und inszenierte Massendemonstrationen inklusive (zum Beispiel 2003 und 2007). Teil dieses Machtkampfes war der sogenannte Ergenekon-Prozess von 2007 bis 2013 gegen eine vermeintliche ultranationalistische Verschwörung, mit dem ehemaligen Armeechef an der Spitze. Wir sollten festhalten, dass Sedat Peker als einer der Angeklagten dieses Verfahrens 2013 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Erdoğan war in der Lage diesen Kampf zu führen, indem er sich auf Grundlage eines beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwungs auf einen Teil der Massen stützte und der kurdischen Bewegung Zugeständnisse machte.

Nachdem die Wirtschaft aber ins Wanken geriet und der Widerstand der Massen wuchs, musste Erdoğan sich neu orientieren. Das Eintreten der Massen auf das Spielfeld, insbesondere der Gezi-Park-Aufstand im Mai 2013, als Millionen Menschen auf der Straße waren, veränderte alles. Das erschütterte das Regime bis in seine Grundfesten.

Das führte zu Spaltungen an der Spitze. Im Dezember 2013 wurde eine großangelegte Untersuchung über Korruption bei führenden AKP-Mitgliedern begonnen, in deren Folge 52 Menschen verhaftet wurden. Dies war der Beginn von Erdoğans Zerwürfnis mit der starken islamischen Gülen-Bewegung, die ihn bis zu diesem Zeitpunkt unterstützt hatte, aber vermutlich hinter den Verhaftungen stand. Das führte zu einer ersten Säuberungswelle von Gülen-Anhängern in der Polizei, die nach dem Putschversuch von 2016 auf den gesamten Staatsapparat ausgedehnt wurde.

Neue Freunde

Erdoğan brauchte dringend politische Verbündete und eine Basis in der Gesellschaft. Er brauchte mehr „Bodentruppen“ gegen die Massen, und einen festeren Griff auf den Staatsapparat. Er kam zur einzig möglichen Schlussfolgerung: er musste sich mit den Ultranationalisten und jenen Teilen des „tiefen Staats“, mit denen er zuvor im Clinch lag, aussöhnen und verbünden.

Das hatte zur Folge, dass eine Reihe von Verurteilten aus dem Ergenekon-Prozess, darunter auch Peker, schon einige Monate nach ihrer Verurteilung wieder freigelassen wurden. 2016 erklärte der Oberste Gerichtshof den ganzen Fall für nichtig. Dies wurde begründet mit „fingierten, fehlenden und illegal beschafften Beweisen“: Das ist, wenn man die Geschichte des türkischen Staats kennt, tatsächlich schwer zu widerlegen.

Die Ultranationalisten brachten Erdoğan als Verbündete noch weitere Vorteile. Einerseits brauchen sie, wie wir schon vorher erklärt haben, den Staatsapparat, um ihr Einkommen zu sichern; entweder in Form von aktivem Wegschauen der Behörden oder als direkte Quelle für Jobs und Positionen. Es gab also schon eine stabile Grundlage für so eine Allianz, was sich auch schon davor in einer Schwächung des Säkularismus ausdrückte, der zuvor die ultranationalistische Bewegung dominierte. „Islamischer Nationalismus“ wurde zunehmend stärker.

Und andererseits drehte Erdoğan seine Position in der Kurdenfrage um 180 Grad und handelte so einen Deal mit den Ultranationalisten aus.

Neben den Gezi-Park-Protesten in der Türkei war vor allem auch die Dynamik des syrischen Bürgerkrieges verantwortlich für die Positionsänderungen in Erdoğans Politik. In Syrien hatte die kurdische PYD, die Schwesterpartei der PKK, in ihrem Kampf um nationale Selbstbestimmung vor allem mit von Erdoğan unterstützten dschihadistischen Milizen zu kämpfen. Schließlich kippte die Situation völlig. 2014 griff der sogenannte Islamische Staat mit der nur schlecht verhüllten Unterstützung des türkischen Staats die Stadt Kobanê an. Der heroische Widerstand der YPG-Milizen inspirierte Millionen Kurden in der Türkei zum Aufstand, und die kurdische Bewegung wurde nach der Gründung der HDP zum Fokuspunkt für linke Arbeiter und Jugendliche in der ganzen Türkei. Eine oppositionelle kurdische Bewegung, die sich mit der türkischen Linken verband, stellte für Erdoğans Regime eine große Gefahr dar. Er musste unbedingt die türkische Gesellschaft an nationalen Linien spalten, und zwar durch einen Krieg.

Eine Reihe an blutigen Terrorattacken gab Erdoğan schließlich die formale Begründung dafür, um den Bürgerkrieg neu aufflammen zu lassen und so zu versuchen, die Basis für eine Allianz mit der ultranationalistischen MHP zu stabilisieren. Doch der Druck gegen Erdoğan in Opposition zu bleiben, trotz der Futtertröge der Macht, verursachte eine größere Spaltung im ultranationalistischen Lager. Aus dieser Spaltung ging die IYI-Partei von Meral Akşener hervor.

Peker blühte in diesem Umfeld auf. Dass er und Erdoğan sich persönlich kennen, ist seit langem allgemein bekannt. Es gibt Fotos der beiden, wie sie auf der Hochzeit eines gemeinsamen Freunds miteinander reden. Auch politisch kamen sich die beiden in den letzten Jahren nahe. Nach der wiederaufgenommenen Offensive der türkischen Armee gegen die Kurden unterschrieben im Jänner 2016 über tausend Akademiker eine Erklärung gegen den Krieg und forderten eine Wiederaufnahme der Verhandlungen. Peker verkündete öffentlich, dass er „im Blut dieser Leute duschen wird“. Eine diesem Statement folgende Anklage wurde wegen des „Rechts auf freie Meinungsäußerung“ fallengelassen. Diese Begründung ist ebenso absurd wie ironisch in einer Situation, in der gleichzeitig schon tausende Menschen wegen „Beleidigung des Präsidenten“ verurteilt worden sind.

Pekers Macht wuchs so stark an, dass der rechte amerikanische Politikbeobachter Michael Rubin nach dem Putschversuch 2016 wie folgt über die Möglichkeit eines zukünftigen Zerwürfnisses mit Erdoğan schrieb: „Auch wenn Peker niemals die offiziellen Staatsgeschäfte leiten wollen würde, hätte er genügend Verbindungen zu hochrangigen türkischen Politikern, um einen Strohmann in den Präsidentenpalast stellen zu können. Erdoğan denkt vielleicht, er wäre der Sultan, aber in Wahrheit könnte er auch einfach nur noch ein wandelnder Toter sein“.

Die Reaktion streitet sich – aber die Massen werden antworten

Es ist klar, dass es sich bei dem ganzen Spektakel um einen reaktionären Machtkampf und das Zerwürfnis zweier Gangster-Komplizen handelt. Wenn Peker Erdoğan bisher noch nicht direkt attackiert hat, dann nicht etwa, wie manche auf der Linken argumentieren, weil Erdoğan in einer Verschwörung hinter Peker steht.

Peker hält sich mit Angriffen gegen Erdoğan zurück, weil er immer noch auf einen Deal hofft, seine Position im Exil ist ja offensichtlich sehr schwach. Aber er scheint entschlossen zu sein, wenn dann kämpfend unterzugehen, sollte es nicht zu seinem gewünschten Deal kommen. In Wirklichkeit sehen wir bei ihm in seinem Überlebenskampf genau dieselbe Alles-oder-Nichts-Mentalität, die Erdoğan immer wieder gezeigt hat.

Es wird sich zeigen, ob Peker bereit ist, bis zum Ende zu gehen. Aber während er um sein Überleben kämpft, trägt er dazu bei, das Regime und den ganzen Staatsapparat zu diskreditieren und ihnen die wenige übergebliebene Unterstützung zu nehmen.

Die Liberalen und die Reformisten beklagen den Stand der Dinge in der Türkei und schreien nach Reformen, mehr Verantwortlichkeit und „Rechtsstaatlichkeit“. Als Marxisten sind wir entschiedene Gegner aller Reaktionäre und werden immer die entschlossensten Kämpfer gegen staatliche Repression sein. Wir erklären aber gleichzeitig, dass es für wahre Reformen keinen Spielraum gibt. Der „tiefe Staat“, und all diese reaktionären Figuren, von Peker bis Erdoğan, sind nur der Ausdruck der Sackgasse, in der sich der türkische Kapitalismus befindet.

Der einzige Weg vorwärts ist ein Aufstand der Massen wie 2013, aber auf höherem Niveau. Während der Jahre der Krise und der Misswirtschaft hat die Unterstützung für das Regime stark gelitten. Das zeigt sich immer stärker in der Arbeiterklasse, sie muss mit Inflation, Arbeitslosigkeit und Armut fertig werden.

Auch die kurdische Linke steht heute in Opposition zum Regime, das versucht, die HDP zu verbieten und den Vorsitzenden Selahattin Demirtaş seit fünf Jahren weggesperrt hat. Erdoğans Uhr tickt. Eine revolutionäre Explosion ist nur noch eine Zeitfrage. Es ist die Aufgabe der revolutionären Arbeiter und der Jugend in der Türkei, diesem Prozess zu helfen, indem sie eine starke marxistische Organisation aufbauen, die die Massen zum Sieg führen kann. Nicht nur gegen Erdoğan und sein reaktionäres Gesindel, sondern gegen das gesamte kapitalistische System.

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