Auch die Ergebnisse des zweiten Durchgangs der französischen Parlamentswahlen standen in deutlichem Gegensatz zu den zuvor veröffentlichen Prognosen. Niemand hatte mit einem derartig starken Einbruch für Macrons LREM (La République En Marche) gerechnet, die die absolute Mehrheit um 43 Sitze verpasst hat. Und mit gutem Grund: Denn niemand hatte das Ergebnis der rechten RN, der Partei von Marine Le Pen, erwartet, die mit 89 Sitzen in das Parlament einzieht. Diese beiden Tatsachen hängen miteinander zusammen: die Kandidaten der LREM hatten weitaus mehr umkämpfte Sitze an die RN verloren als gedacht. Doch auch die „ökologische und soziale Volksunion“ (NUPES), das Linksbündnis um Melénchon, hat einige Sitze an die RN abgeben müssen.
Für die LREM war bereits der erste Wahldurchgang ein klarer Rückschlag; der zweite ist jedoch eine Niederlage, besser gesagt ein Debakel. Macron hatte auf eine absolute Mehrheit gesetzt oder zumindest auf eine ausreichend solide Mehrheit, die es ihm ermöglicht hätte, seine Politik durchzusetzen, in dem er sich auf einen Teil der Abgeordneten der traditionell mitte-rechts stehenden Républicains (LR) stützt, die in der Regierungsfrage gespalten sind. Doch mit nur 234 von 577 Sitzen und etwa 64 Abgeordneten der Républicains und der UDI, sieht es für Macron sehr viel komplizierter aus.
In den kommenden Tagen werden die Verhandlungen im Éliysée-Palast (Amtssitz des Präsidenten) eifrig geführt werden, um annähernd eine parlamentarische Mehrheit zu erreichen. Eifrig wird man alle möglichen Kandidaten mit Angeboten umwerben. Es bleibt abzuwarten, welche Abgeordneten der Républicains tatsächlich bereit sind, in eine Regierung einzutreten, die von ihrer ersten Stunde an äußerst schwach ist. Doch über die Nationalversammlung hinaus müssten sie sich allem voran vor den Massen rechtfertigen – eine heikle Aufgabe.
Macron: Gehasst und Diskreditiert
Die Stimmenthaltung lag bei 53,8% wobei hier noch 3,5% an ungültigen Stimmen hinzugezählt werden müssen. Nur 42,7% der registrierten Wähler haben für einen der Kandidaten gestimmt. In anderen Worten: Wenn die Regierung in der Nationalversammlung in der Minderheit ist, so ist sie es noch viel mehr in der Einschätzung der gesamten Bevölkerung, insbesondere der Jugend und der Arbeiterklasse. Die Schwäche der Regierung in der Nationalversammlung wird wiederum dazu führen, dass die Jugend sowie die Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die reaktionäre Politik Macrons kämpfen werden. Für die französische Bourgeoisie, die dringend nach drastischen Konterreformen verlangt, sind dies sehr schlechte Nachrichten. Sie wird starken Druck auf die LREM und die Républicains ausüben, um eine Art parlamentarische Mehrheit zusammenzuschustern. Doch die Spaltung der Nationalversammlung, der Rachedurst der Républicains und die tiefe Ablehnung Macrons durch die Massen verkomplizieren diese Gleichung.
Mit 142 Abgeordneten liegen die Ergebnisse der NUPES im unteren Erwartungsbereich der Umfragen der letzten Woche. Durch die Übereinkunft zwischen Melénchons France Insoumise (FI), der PS (Sozialistische Partei), den Grünen und der PCF (Kommunistische Partei Frankreichs) erzielten insbesondere die FI und die Grünen einen starken Anstieg der Sitze. Angesichts der kommenden sozialen Kämpfe gegen die Regierung können die 84 Sitze für FI ein sehr gutes Zeichen sein. Dennoch muss man die aktuellen Ergebnisse im Kontext der 7,7 Millionen Stimmen für Jean-Luc Mélenchon sehen, die er am 10. April dieses Jahr bei der Präsidentschaftswahl erhielt (NUPES wählten bei den Parlamentswahlen nur 6,5 Mio.).
Wie wir bereits erläutert haben, hat die NUPES im ersten Wahldurchgang keine Wahldynamik ausgelöst und es ist klar, dass diese auch im zweiten Durchgang nicht zustande kam. Wir werden das Ergebnis später noch genauer analysieren. Doch bereits jetzt kann man zwei Faktoren benennen, die besonders markant sind. Erstens wurden trotz der Appelle der Führer der NUPES in der Periode zwischen den beiden Durchgängen die Nicht-Wähler des ersten Durchganges nicht mobilisiert. Zweitens verlor die NUPES einen beträchtlichen Anteil der Wählerstimmen an die RN.
Polarisierung
Die französischen Marxisten (Révolution; französische Sektion der IMT), haben zur Wahl von NUPES aufgerufen, da sie die einzige Alternative gegenüber der Rechten und der extremen Rechten war. Doch wir haben bereits damals davor gewarnt, dass das Bündnis zwischen der FI und einer Reihe von diskreditierten Parteien keine Begeisterung auf Seiten der unterdrücktesten Schichten der Gesellschaft auslösen wird können. Darüber hinaus haben wir betont, dass eine „republikanische Front gegen die RN“ in der Periode zwischen den beiden Wahlgängen der Präsidentschaftswahl nur zur Stärkung der RN beitragen wird. Die Wahlergebnisse haben diese Position bestätigt. Am Sonntag ist diese sogenannte republikanische Front nun endgültig in die Brüche gegangen. Der Erfolg der RN bestätigt eine wichtige Entwicklung, die wir schon länger beobachten können: die fortschreitende politische Polarisation – in Richtung der Linken und der Rechten. Wenn sich diese Polarisation nun in den Wahlen stärker in Richtung der Rechten ausdrückt, dann liegt dies daran, dass die NUPES in ihrer Zusammensetzung nicht das ideale Vehikel war, um diese Polarisation klar auf der linken Seite ausdrücken zu können.
Eine weitgreifende Umbesetzung der Ministerien steht nun an der Tagesordnung. Doch noch bevor die Regierung das Licht der Welt erblickt, steckt sie bereits in der Krise. Diese Schwäche wird die Jugend und die Arbeiterklasse einmal mehr dazu ermutigen, gegen die reaktionäre Politik der Bourgeoisie in die Offensive zu gehen. In diesem Kontext steht die Führung der Linken und der Gewerkschaftsbewegung – vor allem jene der FI und der CGT – vor einer enormen Verantwortung. Von nun an müssen sie sich für große soziale Kämpfe vorbereiten, nicht nur um die reaktionäre Politik der Macron-Regierung zu bekämpfen, sondern um ihren Sturz vorzubereiten und an ihre Stelle eine linke Regierung zu setzen, die bereit ist mit dem kapitalistischen System zu brechen.
Wir sind uns dessen bewusst, dass dies nicht die aktuelle Ausrichtung der Führung der FI oder der CGT ist. Doch es ist die Perspektive, die wir in den kommenden Monaten verteidigen werden, da es die einzige Perspektive ist, die angesichts der tiefen ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Krise den Bedürfnissen der Jugend und der Arbeiterbewegung entsprechen.
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