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Wochenlang kursierten Gerüchte, dass der Oberbefehlshaber gehen soll. Einen „freiwilligen“ Rücktritt hatte Saluschnyj wohl abgelehnt. Auslöser des Streits mit Selenskyj waren seine Äußerungen über den Kriegsverlauf in Medien wie „The Economist“ und CNN. Dort sprach der Oberbefehlshaber von einer Pattsituation und einem Scheitern der Frühjahrsoffensive 2023, ohne es mit seinem Präsidenten abgeklärt zu haben. Saluschnyj forderte zudem einen Strategiewechsel in der Kriegsführung: Drohnen sollten die hohen Verluste der Ukraine künftig verhindern.
Für Selenskyj kam dieser heftige Verstoß gegen die Kommandokette äußerst ungelegen. Der Rückhalt für den Krieg schwindet in der Ukraine und im Ausland. Nach der anfänglichen Kriegsbegeisterung fehlen nun freiwillige Soldaten. Rekrutierungskommandos müssen wehrpflichtige Ukrainer von der Straße auflesen und zum Kriegsdienst zwingen. Für eine Ausbildung bleibt keine Zeit. Die, die es sich leisten können, versuchen durch Bestechung und gefälschte Atteste die Einberufung zu umgehen. Medienberichte von der Front bestätigen eine enorme Ernüchterung der Soldaten, was die Perspektive eines ukrainischen Sieges angeht.
Es mangelt auch an Munition. Laut einer Studie des Militärexperten Gustav Gressel und des Datenanalysten Marcus Welsch reichen die von Europa und den USA für 2024 zugesagten Artilleriemunitionslieferungen schon nicht mehr für die „minimale Verteidigung“ der Ukraine. Schon in den vergangen drei Monaten hätte Russland bei der Versorgung mit Artilleriemunition eine Überlegenheit von drei zu eins bis sieben zu eins gehabt. Die Blockade der Republikaner im US-Kongress von weiteren Hilfspaketen würde die Situation noch deutlich verschlimmern, heißt es in der Studie weiter.
Der „Schlächter“ von Bachmut
Die ausbleibenden Erfolge und hohen Verluste drücken sich auch in einer sinkenden Zustimmung für Selenskyj aus. Dem Kiewer Internationalen Institut für Sozialforschung zufolge vertrauen aktuell nur 62 % der Ukrainer dem Präsidenten. Im Dezember 2022 lag der Wert noch bei 84 %. Saluschnyj genießt laut den aktuellsten Zahlen mit 88 % ein hohes Vertrauen der Bevölkerung.
Trotzdem hält Selenskyj an seinem obersten Kriegsziel fest: eine vollständige Rückeroberung der von Russland besetzten Gebieten, inklusive der Krim. In diesem Sinne ist auch die Ernennung Oleksandr Syrskyj als Nachfolger Saluschnyjs zu verstehen.
Wegen seiner Rolle bei der vergeblichen Verteidigung von Bachmut ist Syrskyj in der Truppe und Bevölkerung als „Schlächter“ bekannt und extrem unbeliebt. Er schickte (nach russischen Angaben) 50.000 Soldaten in den Tod, zwischen 50.000 bis 70.000 Ukrainer sollen verwundet worden sein. Schlussendlich fiel die völlig zerstörte Stadt trotzdem.
Revolutionäre Krise in der Vorbereitung
Die herrschende Klasse in der Ukraine ist gespalten entlang der Frage, wie es mit dem Krieg weitergehen soll. Im März 2024 wären eigentlich Präsidentschaftswahlen. Saluschnyj sagt man politische Ambitionen nach. Doch Selenskyj möchte wohl keine Wahlen zulassen. Es sei die falsche Zeit. Offensichtlich sieht er angesichts der schlechten Umfragewerte seine Herrschaft bedroht. Auch für den westlichen Imperialismus sind Wahlen eine Gefahr, weil sie in Wirklichkeit eine Abstimmung über die Kriegsführung und -ziele wären.
Schon jetzt macht sich in der ukrainischen Zivilbevölkerung und an der Front Demoralisierung breit. Mit Syrskyj als Oberbefehlshaber sind weitere blutige Niederlagen an der Tagesordnung. Die Arbeiterklasse wird nicht vergessen, wer sie in diesen aussichtslosen Krieg und in die Knechtschaft des westlichen Imperialismus gestürzt hat. Gleichzeitig werden sich mit der ausweglosen militärischen Situation die Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse vertiefen. In der Ukraine zeichnet sich eine revolutionäre Krise ab.
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